Im Glauben eingewurzelt – Predigt zu Epheser 3,14-21 von Markus Nietzke
3,14-21

Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, von dem jedes Geschlecht im Himmel und auf Erden seinen Namen hat, dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne. Und ihr seid in der Liebe eingewurzelt und gegründet, damit ihr mit allen Heiligen begreifen könnt, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, auch die Liebe Christi erkennen könnt, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet, bis ihr die ganze Fülle Gottes erlangt habt. Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus durch alle Geschlechter von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

I.

Ganz behutsam geht der Gärtner vor. Erst werden die Wurzelballen der jungen Tomatenpflanzen mit ein wenig Wasser berieselt, sonst werden die Blätter nass – und das schadet, wie jedermann weiß, Tomatenpflanzen sehr. Sie sind handverlesen, jede einzelne Pflanze. Er schaut sie noch einmal prüfend an. Es gefällt ihm, was er sieht. Sie sind gut angewachsen. Dann stellt er sie vorsichtig neben die Pflanzenlöcher. Gut 30 cm sind sie tief, 60 cm breit auseinander platziert, längs etwa 1 m auseinander, damit die Pflanzen gut der Sonne entgegen in die Höhe wachsen können. Die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe sind aufeinander abgestimmt. Ein bisschen gehackte Brennnesseln und Komposterde wird um die Pflanze gelegt. Mit den Händen formt der Gärtner ein kleines Becken, damit das Gießwasser und Regenwasser direkt zum Stiel geleitet werden können. Dann wird die Pflanze ein wenig angedrückt.

II.

Eingewurzelt werden, damit sich eine Pflanze gut entwickeln kann, mit diesem Bild haben wir einen Schlüssel zum Verstehen des Wortes aus der Heiligen Schrift als Predigttext für diesen Tag. Im Glauben und in der Liebe von Jesus Christus zu uns Menschen eingewurzelt werden – wer möchte da nicht zustimmen und sich durch Gott reichlich beschenken lassen? Hört, was Gottes Wort dazu sagt: „17…ihr seid in der Liebe eingewurzelt und gegründet, 18 damit ihr mit allen Heiligen begreifen könnt, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, 19 auch die Liebe Christi erkennen könnt, die alle Erkenntnis übertrifft…“ heißt es im Brief an die Christen in Ephesus. Ephesus, die große, berühmte Stadt am Meer mit 200 000 Einwohnern zur Zeit des Apostels Paulus. Gegründet hatte die Gemeinde ein Missionar mit Namen Apollos. In Ephesus befand sich zu der Zeit eines der damaligen sieben Sehenswürdigkeiten oder Weltwunder für römische Touristen, der Tempel der Artemis. Um den Kult an diesem Tempel hatte es bereits Konflikte und Spannungen zwischen Juden, Christen und Verehrer der Diana der Epheser gegeben – diese spielen aber in diesem Brief keine ausschlaggebende Rolle. Lange und mehrfach hat der Apostel Paulus in Ephesus als Missionar gewirkt; einige Briefe von dort aus an die Christen in Kleinasien, an die Galater, Philipper, Korinther und Römer geschrieben, an Mitarbeiter wie Philemon – immer darauf bedacht, Gottes rechtfertigendes Handeln durch Jesus Christus an den Menschen deutlich zu machen. Seine klare Vorstellung davon, dass 17…Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne“ betont er in allen seinen Briefen ein ums andere Mal. Auch in diesem Brief. Nun wird dieses Thema entfaltet. Damit der Glaube in den Herzen der Gläubigen wohnen kann, muss er fest eingewurzelt werden. Dazu braucht es aber Gottes Kraft, Gottes Wirken und Gottes Gaben. Geistliche Gaben, die von Gott erbeten und geschenkt werden. Der Apostel betet für die Christen in Ephesus. 14 Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater…, 16 dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen“.

Eingewurzelt sein, das bringt jeder Pflanze Stabilität und Halt. Bei Tomatenpflanzen setzt ein Gärtner gerne Pflanzstäbe dazu. Durch die Wurzeln fließt und strömt der Pflanze zu, was sie zum Leben und Frucht bringen braucht. Am Stab gehalten entwickeln sie sich und bringen viel Frucht. Ganz ähnlich sind Du und ich eingewurzelt in der Liebe, die uns Gott durch Jesus Christus schenkt. Durch das Wasser der Taufe werden unsere Glaubenswurzel getränkt. Gottes Liebe – verglichen mit der Sonne – wärmt uns und lässt uns aufwachsen, gedeihen und Frucht bringen. Am Kreuz orientieren wir uns, wie an einem Pflanzstab. Gott ist uns zugetan, wendet uns sein Herz zu, macht sich stark für uns, setzt vieles, sogar alles für uns ein. Darin hast Du halt. Davon kannst Du ein Leben lang zehren. Fest im Glauben eingewurzelt.

III.

Der Apostel betet für die Christen in Ephesus. Sagt er, schreibt er. Gewiss wird er es nicht nur gesagt und geschrieben haben. Sein Gebet für die Christen ist reine Fürbitte. Es gehört für ihn selbstverständlich dazu – wie es heute auch eine Aufgabe oder Pflicht für Pastorinnen und Pastoren sein kann, täglich oder immer wieder aufs Neue für ihre Gemeinden, Pfarrbezirke und ihre Kirche zu beten. Ganz in diesem Sinne, wie es Albert Schweitzer formulierte: „Gebete ändern nicht die Welt. Aber die Gebete ändern Menschen und Menschen ändern die Welt.“ Nicht, dass die Christen damals oder du und ich heute Nachhilfe in Sachen Glauben brauchen. Es gilt immer und immer wieder neu. Gottes geistgewirkte Gaben werden von ihm erbeten.

IV.

Der Apostel betet für die Christen in Ephesus. Für erwachsene Menschen, die sich des Ernstes der Lage durchaus bewusst sind: Ihr christlicher Glaube war gefährdet. Man sagt, es gab neue Lehren, neue Ansichten, was den Glauben anginge. Göttliche Geheimnisse, die nun nur noch einer Elite vorbehalten wären; Erlösung nur noch durch gewisse, meist philosophische oder spekulative Erkenntnisse – nichts also für jedermann! Die akute Sorge ist, dass die Christen dadurch in ihrem Glauben irre gemacht werden. Diese Sorge kann aber nicht durch ein gutes Referat oder mit schlagfertigen Argumenten beigekommen werden, sondern allein dadurch, dass Gott etwas Neues gibt: 16 Kraft… nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, 17 dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne.“

V.

Damals bedurfte es offenbar einer Vergewisserung, einer Ermutigung, sozusagen eines ‚Empowerment-Programms‘. Begründet wird alles, worum es in diesem Brief an die Christen in Ephesus geht, mit dieser Aussage:  4 Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, 5 auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht – aus Gnade seid ihr gerettet –;8  Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. 10 Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.

VI.

Der Inhalt der Fürbitte beruht auf einer Besonderheit: Die einigende Mitte war das Evangelium von Jesus Christus, bei allen kulturellen und ehemals religiösen Unterschieden in der christlichen Gemeinde. Das dieses gelingt, dass Menschen unterschiedlicher Prägung und Herkunft eine Gemeinde bilden können, ist erstaunlich. Eine Besonderheit. Eine Gabe. Gottes Gabe ist es, genaugenommen. Gebetet wird um die Gabe der Kraft, im Heiligen Geist stark zu sein. Gebetet wird um die Gabe des Glaubens. Gebetet wird um die Gabe der Liebe. Gebetet wird um die Gabe der Erkenntnis und des Begreifens. Das sind Gaben, die jede Christin und jeder Christ gut gebrauchen können.

VII.

Die Liebe Gottes ist nämlich nicht nur einer gewissen Elite vorbehalten. Die Liebe Gottes lässt sich nicht spekulativ erschließen. Nein. Die Liebe Gottes wendet sich allen Menschen zu. Im kleinen, überschaubaren Raum des persönlichen Lebens. In einer christlichen Gemeinde. Und dies, obwohl vieles in der Welt ganz und gar nicht nach solcher Liebe aussieht. Das Kreuz und der Tod Jesu zeigen überdeutlich, dass es mit der Liebe auf der Welt nicht weit her ist. Aber das, was am Kreuz geschieht, macht es umso deutlicher, was die Liebe Gottes alles vermag. Jesus kommt in die Wirklichkeit unseres Lebens und nimmt uns mit in seine Wirklichkeit. Ein plausibler Grund für die Himmelfahrt Christi: Er geht schon dorthin, wohin wir noch kommen werden. Der Apostel betet, „18 damit ihr mit allen Heiligen begreifen könnt, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, 19 auch die Liebe Christi erkennen könnt, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet, bis ihr die ganze Fülle Gottes erlangt habt.“

Dies erkennen, oder besser gesagt, dieses zu begreifen, wäre eine Gabe Gottes, des Heiligen Geistes, die wir bis heute ebenfalls erbitten können. Als Pastorinnen und Pastoren für die uns anvertrauten Menschen, als Gemeindeglieder für unsere Mitchristen und last but not least gemeinsam auch für die Menschen, die bisher nicht in das Lob Gottes einstimmen mögen, nicht mehr können oder wollen oder meinen, es nicht zu brauchen.

VIII.

Weil er um die Nöte der Christen weiß, schreibt der Apostel den Ephesern. Aber nicht nur das. Er betet auch für sie. Für den Apostel ergibt das einen Sinn: „14 Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, 15 von dem jedes Geschlecht im Himmel und auf Erden seinen Namen hat“.

IX.

Wir können das auch tun. Zu Gott kommen und beten. Für uns und für andere Menschen, dass sie in der Liebe Jesu und im Glauben eingewurzelt werden.

X.

Eingewurzelt werden bedarf eine gewissen Sorgfalt und der Fürsorge. Im Glauben, wie im echten Leben. Das sorgfältige einpflanzen von Tomatenpflanzen, so tief wie möglich, dient dazu, damit sogar die kleinen, weißen Härchen am Stiel noch kleine Wurzeln bilden können. Es trägt dazu bei, dass die Pflanzen sich gut einwurzeln können. Deswegen gibt sich der Gärtner große Mühe damit. Er spürt die Wärme der Nachmittagssonne auf seiner Haut. Die jungen Tomatenpflanzen haben schon einen leichten Duft, den er genießerisch einatmet. „Ja, so kann es was werden“ denkt er, „ich will es jedenfalls hoffen.“

Benutzte Literatur:

Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext. Zur Perikopenreihe I. Plus. Jüdische Theologinnen und Theologen legen die Bibel aus: die neuen alttestamentlichen Texte der Reihe 1. Herausgegeben von Studium in Israel e.V., Berlin, 2018.

BERGER, Klaus: Kommentar zum Neuen Testaments. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 2011

HOULDEN, J.H.: Paul`s Letters from Prison. Philippians, Colossians, Philemon and Ephesians. PNTC. Harmonsworth, Penguin Books, 1970.

VOIGT, Gottfried: Das heilige Volk. Homiletische Auslegung der Predigttexte der Reihe II. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1979.

Perikope
02.06.2019
3,14-21