‚Immanuel!‘ Ein zitternder König, ein müder Gott und der Klang von Weihnachten - Predigt zu Jes 7,10-17 von Matthias Rein
7,10-17

Jes 7,10-17: Das Zeichen des Immanuel und das Strafgericht durch die Assyrer

10 Und Gott, der Herr redete abermals zu Ahas, dem König, und sprach: 11 Fordere dir ein Zeichen vom Herrn, deinem Gott, es sei drunten in der Tiefe oder droben in der Höhe! 12 Aber König Ahas sprach: Ich will's nicht fordern, damit ich den Herrn nicht versuche. 13 Da sprach der Profet Jesaja: Wohlan, so hört, ihr vom Hause David: Ist's euch zu wenig, dass ihr Menschen müde macht? Müsst ihr auch meinen Gott müde machen? 14 Darum wird euch der Herr selbst ein Zeichen geben: Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel. 15 Butter und Honig wird er essen, bis er weiß, Böses zu verwerfen und Gutes zu erwählen. 16 Denn ehe der Knabe weiß, Böses zu verwerfen und Gutes zu erwählen, wird das Land verödet sein, vor dessen zwei Königen dir graut. 17 Der Herr wird über dich, über dein Volk und über deines Vaters Haus Tage kommen lassen, wie sie nicht gekommen sind seit der Zeit, da Ephraim sich von Juda schied, nämlich durch den König von Assyrien.


Liebe Gemeinde,

zum Weihnachtsfest gehören bestimmte Bilder, Klänge, Gerüche und Geschmacksrichtungen.
Ich lade Sie ein, den Klängen zu lauschen, den Weihnachtsklängen. In den Worten, die wir eben gehört haben, klingt Weihnachten. Aber: das klingt sehr verschieden.

König Ahas klingt ratlos und verzweifelt: „Lieber kein Zeichen von Gott.“
Der Prophet Jesaja klingt entrüstet und drohend: „Müsst ihr meinen Gott müde machen? Es kommen schlimme Tage.“
Ganz anders klingt Jesajas Prophezeiung: „Eine junge Frau wird schwanger. Sie bringt einen Sohn zur Welt. Sein Name: Immanuel.“

„Immanuel“ – wie klingt dieses Wort?
Es gehört zum Klang von Weihnachten.
In Weihnachtsliedern klingt es. Ein Beispiel:

„Ihr lieben Christen, freut euch nun, bald wird erscheinen Gottes Sohn,
der unser Bruder worden ist, das ist der lieb Herr Jesus Christ.
Du treuer Heiland Jesu Christ, dieweil die Zeit erfüllet ist,
die uns verkündet Daniel, so komm, lieber Immanuel.“

So dichtet der Schüler Martin Luthers Erasmus Alber im Jahr 1546.

„Immanuel“, liebe Gemeinde, ein heller, freundlicher, schöner Klang. „I-ma-nu-el“.
Was aber heißt das?
Und: Was hat das Wort „Immanuel“ mit Weihnachten zu tun?
Zu „Immanuel“ gehören zwei Kindergeschichten.

Die erste Geschichte handelt von einem zitternden König, einem müden Gott und einem wundersamen Kindernamen.

Ahas war König in Israel im Jahre 740 Jahre vor Christus.
Er zitterte vor Angst. Das kleine Land Israel wurde bedroht. Ein Kriegsherr im Norden. Ein Kriegsherr im Süden.
Was soll Ahas tun? Kämpfen? Taktieren? Stillhalten? Starke Verbündete suchen?
König Ahas zittert und zaudert. König Ahas hat Angst. Zu Recht.

Jesaja, der Prophet, kommt zum König.
Er sagt: „Bitte Gott, den Gott Israels, um ein Zeichen. Er wird dir ein Zeichen senden. Das zeigt, was Du tun sollst.“
Der König hört und - zögert. „Nein, lieber kein Zeichen, ich will Gott nicht behelligen. Ich will Gott nicht nötigen. Ich muss diese Sache ohne Gott regeln.“

Jesaja hört diese Worte. Er ist fassungslos.
„Dieser König macht die Menschen müde. Er macht unseren Gott müde! Gott will ein Zeichen schicken: Hilfe, Klärung, Wegweisung. Und Ahas will das Zeichen nicht. Unglaublich!“

Und dann sendet Gott das Zeichen.
Eine junge Frau wird schwanger. Sie bringt ein Kind zur Welt. Einen Sohn. Sie gibt dem Kind einen Namen: „I-ma-nu-el“. Auf deutsch: Gott ist mit uns.
Gott ist mit uns. In dieser Bedrohung. In dieser ausweglosen Lage.
Da ist er - der schöne Klang: Hoffnung. Hilfe. Beistand.

So bekommen der zitternde König und sein Volk das Zeichen.
Die Botschaft lautet:
„Habt keine Angst! Vertraut Gott! Gott ist bei euch.
Gott ist bei euch in der Zeit der Not. In der Zeit der Bedrängnis. Schaut auf den Jungen mit Namen „Immanuel“. Dieses Kind zeigt euch: „Gott ist mit uns.“

Und nun die zweite Kindergeschichte.
Auch hier geht es um Zeichen und Namen.
Maria, die Jungfrau, bringt ein Kind zur Welt.
Und es geschehen Zeichen. Die Menschen sehen die Zeichen. Sie verstehen sie. Sie handeln so, wie die Zeichen weisen.

Maria bringt das Kind in einem Stall zur Welt. Sie legt es in eine Krippe.
Das ist das Zeichen für die Hirten. „Ihr findet ein Kind in einer Futterkrippe, in Windeln gewickelt. Daran erkennt ihr: Es ist das besondere Kind, der Messias, der Heiland.“
Die Hirten verstehen dieses Zeichen. Sie suchen das Kind in der Krippe. Sie finden es. Sie erkennen es. Sie beten es an.

Und dazu kommen weitere Zeichen:
Die alte Frau Elisabeth bekommt ein Kind, unverhofft und so schön.
Die betagte Elisabeth und die junge Maria treffen sich und Marias Kind hüpft vor Freude im Bauch der Mutter.
Josef und die Weisen bekommen Zeichen und sie tun das Richtige.

Und dann der Namen des Kindes: „Du sollst ihm den Namen Jesus geben“. Übersetzt: Gott rettet.
Das Kind bekommt noch einen zweiten Namen.  Den alten, den von Jesaja. Es heißt auch: „Immanuel“. Das bedeutet: Das Kind in der Krippe, Jesus - das ist unser Immanuel. Dieses Kind zeigt: Gott ist mit uns.

Liebe Gemeinde,
ein zitternder König,
eine einfache, völlig überraschte Frau,
ein Gott, der Zeichen gibt,
und die Botschaft: Gott ist mit uns.

Was sagt uns das heute?

Gott spricht durch die Kinder, liebe Gemeinde.
Immanuel bei Jesaja, Jesus bei Maria und Josef.
Den Kindern gehört das Reich Gottes, sagt Jesus.

Was ist das Besondere an den Kindern? Wie erscheint da Gott?
Kinder leben unmittelbar, offenherzig, unbekümmert.
Sie fordern Nähe und sie schenken Nähe. Sie leben Beziehung. Sie leben in die Zukunft. Sie sind Zukunft.
Und Kinder sind wach. Sie wecken uns auf. Wenn wir müde werden. „Hallo, wach!“
Gott hat ein kleines Gesicht, sagt Martin Luther. Gott selbst wird Mensch, wird Kind.
Gott spricht durch die Kinder.

Ein Zweites:
„Gott ist mit uns!“ – Woran erkennen wir das? Gibt es dafür ein Zeichen, das Zeichen? Kann ich es sehen und verstehen?
Mir ist der zitternde König Ahas nahe, liebe Gemeinde.
Was erwartet uns? Woran können wir uns festhalten in dieser schwankenden Welt? Wo sind Hoffnung, Hilfe, Beistand?
Wir sind müde und Gott scheint auch müde zu werden.

Und doch, ich entdecke die Zeichen des Immanuel, des „Gott mit uns“.
Ich entdecke die sanftmütige Pflegerin,
den barmherzigen Vorgesetzten,
die Frieden stiftende Nachbarin,
den Richter, der gerecht urteilt,
die Witwe, die Leid trägt,
den Gottsucher, der reinen Herzens ist,
das Kind, das lacht und betet.

Sie alle sind Zeichen dafür, dass Gott mit uns ist.
Und wir erleben, dass sich die Leute trösten und vertragen und nicht übelnehmen. Dass sie nichts nachtragen. Das erleben wir manchmal. Ein Stück Himmel auf Erden.

„Vom Himmel hoch, da komm ich her“ – so klingt Weihnachten. Haben Sie die Melodie von Luthers Weihnachtslied im Ohr? Auf diese Melodie passt folgender Liedtext von Paul Gerhardt aus dem Jahr 1653:

„Wir singen dir, Immanuel, du Lebensfürst und Gnadenquell,
du Himmelsblum und Morgenstern, du Jungfraunsohn, Herr aller Herrn.

Nun du bist hier, da liegest du, hältst in dem Kripplein deine Ruh,
bist klein und machst doch alles groß, bekleidst die Welt und kommst doch bloß.“

Möge das schöne Wort „Immanuel“ in Ihnen klingen in diesen Weihnachtstagen!

Amen


Empfehlung für das Predigtlied:

Wir singen dir, Immanuel (T: Paul Gerhardt, 1653, M: Vom Himmel hoch, da komm ich her, in: EG, Ausg. für Bayern und Thüringen, Nr. 543)
 

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Dr. Matthias Rein

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Mir stehen engagierte Besucher eines festlichen und musikalisch schön gestalteten Gottesdienstes am 2. Weihnachtsfeiertag in einer der großen gotischen Kirchen in Erfurt vor Augen. Die Gottesdienstbesucher sind erfahrene und aufmerksame Predigthörerinnen, offen für Überraschungen.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Mich beflügeln der Klang von Worten, spannungsvolle Geschichten, die Erfahrung der Gottesgegenwart.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Für mich diesmal spannend: Kurze Sätze. Prägnante Sprache. Klingende Sprache. Zerrissenheit und doch Beistand.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Bei dieser Predigt: längere Mediation über die gute Botschaft für heute. Zuspitzung im Stil. Orientierung an den Seligpreisungen.

 

Perikope
26.12.2021
7,10-17