Influencer im Auftrag Gottes: Mit dem Herzen glauben, mit dem Mund bekennen - Predigt zu Röm 10,9-18 von Paul Geiß
10,9-18

Influencer im Auftrag Gottes: Mit dem Herzen glauben, mit dem Mund bekennen - Predigt zu Röm 10,9-18 von Paul Geiß

9 Wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. 10 Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet. 11 Denn die Schrift spricht (Jesaja 28,16): »Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.« 12 Es ist hier kein Unterschied zwischen Juden und Griechen; es ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen. 13 Denn »wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden« (Joel 3,5). 14 Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Predigerin und Prediger? 15 Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? Wie denn geschrieben steht (Jesaja 52,7): »Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die das Gute verkündigen!« 16 Aber nicht alle sind dem Evangelium gehorsam. Denn Jesaja spricht (Jesaja 53,1): »Herr, wer glaubt unserm Predigen?« 17 So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi. 18 Ich frage aber: Haben sie es nicht gehört? Doch, es ist ja »in alle Lande ausgegangen ihr Schall und ihr Wort bis an die Enden der Welt« (Psalm 19,5).

 

Glaube fordert Bekennen.

 

Immer wieder staune ich, was für ein Menschenkenner der Apostel Paulus vor gut 2000 Jahren war. Gleich im ersten Satz unseres heutigen Predigttextes beweist er das: 
Wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet.
Zweier Eigenschaften bedarf es in der Bindung an Jesus Christus, den Auferstandenen, der den Tod überwunden hat: von Herzen glauben und mit dem Mund bekennen. Das führt zum inneren Gleichgewicht und zur Rettung über den Tod hinaus. Einfach so losplappern, automatisch das Glaubensbekenntnis aufsagen, ein paar Bibelzitate kennen, das reicht nicht. Es muss mehr sein mit dem Glauben. Er muss im Herzen verankert sein und man muss darüber reden, sich dazu bekennen. Dann ist man „gerettet“, wie auch immer man das versteht, und er hat Wirkung bei anderen Menschen, in der Kirche und in der Gesellschaft. Dann wird man zum „Influencer“ zur „Influencerin“. Sie sagen und leben praxisnah das Evangelium weiter.
Ich erinnere mich gut an die Zeit, als ich 16 Jahre alt war. Ich fühlte mich zu einem Mädchen hingezogen. Das Mädchen war schön und unnahbar. Sie sang im Chor, sie spielte ein Instrument im Schulorchester, sie war umschwärmt. In meinem Herzen brannte es. Was sollte ich machen? Sie war in meinen Gedanken, ich umschwärmte sie ja auch und sie, sie tat so, als merke sie nichts. Was sie von mir hielt, ich wusste es nicht. Also: Reden? Bekennen?
Ich schaffte es zu einem kleinen Geschenk, das ich ihr heimlich zusteckte. Dann in der nächsten Orchesterprobe habe ich sie darauf angesprochen und nach einigen „Dates“ konnte ich es ihr sagen: Ich liebe Dich. Sie sagte es dann auch. Ein Bekenntnis, aus dem Herzen geboren. Es war eine wunderbare Zeit, auch wenn wir uns später aus den Augen verloren haben, es war es eine Mutprobe und sie hat sich für mich gelohnt, ich wurde nicht enttäuscht.

Wie kommt man zum Glauben?

Aber wie kommt man zum Glauben aus dem Herzen heraus? Dazu hat Paulus die passende Anweisung: Zum Glauben gehört erst einmal: hören, neugierig werden, sich einige Kenntnisse verschaffen, sozusagen das Herz anwärmen. Das geschieht durch Predigt. Das Wort kommt aus dem Lateinischen ("praedicatio") und bedeutet zu allererst: preisen, loben, danken, die herrlichen Werke Gottes aufzeigen, die Barmherzigkeit des Jesus Christus und sein Leben, Sterben und Auferstehen, seinen Geist erfahren und im Herzen bewegen. Predigt wirkt durch vielerlei Anstöße, gelungene Rede, durch den Religionsunterricht, durch Menschen, die einen ernst nehmen und fördern.
Wer hat Sie zum Glauben gebracht, wer war Ihre prägende Predigerin, wer war Ihnen Vorbild und hat Sie gefördert? Stellen Sie Sich diesen Menschen vor, bewegen Sie einen ihrer Anstöße in Ihrem Herzen.

------- kleine Pause von ca. 30 sec (in Gedanken bewusst bis 30 zählen!)

In der Tradition der orthodoxen Kirche lebt das Herzensgebet, die ständig wiederholte Bitte: Herr Jesus Christus, erbarme Dich, Kyrie eleison. Damit habe ich versucht, das Beten und Glauben aus dem Herzen zu lernen und so aus dem Herzen zu beten. Ich meditiere in der Tradition des Herzensgebetes. Ich bete in der Stille um das Erbarmen von Jesus Christus, immer und immer wieder. Dabei denke ich an die Menschen, die mir am Herzen liegen. Diese tägliche Übung hilft mir in guten Tagen und schwierigen Lebensphasen, sie hilft mir im Alltag, wenn es einfach gilt, die täglichen Anforderungen zu bewältigen, sie hilft mir zum Lob und zum Dank zu finden.

Mit dem Herzen glauben und damit zu predigen, das kann man lernen.

Die Voraussetzung dazu haben wir alle bekommen: Wir sind getauft. Und damit ist jeder Christ, jede Christin angesprochen. Als Getaufte sind wir zum Glauben und zum Bekennen ermutigt, ja beauftragt. Beides gehört zusammen. Es gehört zu unserer Sendung, zu der wir alle berufen sind. Wir können alle „Influencer“ werden.
Wir Pfarrpersonen werden nach einem langen Studium im Nachdenken über die Bibel zum Predigen, zur Verkündigung, zum Unterricht und zur Seelsorge ordiniert. Kantor*innen, Lehrer*innen werden berufen nach entsprechender Ausbildung. Die verschiedenen Leitungspersonen in einer Gemeinde werden beauftragt, aber zu allererst: Wir sind getauft.

Glaube und Religion sind keine Privatsache.

Religion und Glaube werden heute mancherorts gern in den privaten Bereich abgedrängt, sie sollen gesellschaftlich nicht im Vordergrund stehen. Aber damit kann es doch nicht genug sein! Der Glaube drängt zum Reden, zum Bekennen, zum Begeistern und dazu, die Gesellschaft mit zu prägen. Viele glauben, dass wir in einer säkularen Welt leben, die sich nicht durch Religion steuern lassen will.
Aber warum denn nicht? Ohne einen vernünftigen Glauben stehen manche in der Gefahr, skurrilen Extremen aus Verschwörungstheorien, Esoterik oder Okkultismus anheim zu fallen.
Kürzlich hat mich ein Autoaufkleber irritiert. Auf der Hecktür war ein Fisch, das christliche Symbol. Der Fisch war kräftig durchgestrichen und darunter stand dick und gut leserlich: Nicht glauben, sondern denken. Aber Denken allein reicht nicht. Nach meiner Überzeugung kann nur ein mitfühlender Glaube, der zum Denken anregt, eine Hilfe sein. Zum Denken gehört der Herzensglaube an christliche Solidarität und Nächstenliebe, die zur Tat drängt.
Eine Untersuchung gesellschaftlicher Impulse zeigt, dass über die Jahrhunderte fast alle Anstöße zur Ethik, zu den Menschenrechten, zur sozialen Marktwirtschaft aus dem christlichen Hintergrund, den Gedanken der Menschenwürde und der Nächstenliebe entstanden sind. Weil Gott alle Menschen liebt, sollen alle Menschen gleich behandelt und ihre soziale Lage verbessert werden. Das ist für mich der Nachweis: Die angeblich so säkulare Gesellschaft lebt von den christlichen Impulsen. Innerlich bewegt durch den Glauben an Jesus Christus, an den Gott der Schöpfung und an den Heiligen Geist, der alles durchwirkt, entstand und entsteht eine Herzensbildung, die uns auch heute direkt oder indirekt prägt.

Heute ist Wahlsonntag in Deutschland.

Heute ist ein besonderer Sonntag, heute ist in Deutschland die Wahl zum Bundestag anberaumt. Heute haben wir die Chance, unsere ethische Prägung in eine politische Entscheidung einfließen zu lassen. Wir können wählen aus unserer Grundüberzeugung heraus. Die Bundestagswahl, regionale Entscheidungen, sie stehen heute jeder stimmberechtigten Bürgerin, jedem stimmberechtigten Bürger offen. Die Wahl wird hoffentlich auch ein beredtes Zeugnis der ethischen Prägung unserer Gesellschaft abgeben und eine Richtung vorgeben, durch die unser Planet bewahrt und unsere Gesellschaft menschlicher wird.
Der Wahlkampf war hart und oft verletzend durch Lügen und Diffamierungen. Eine biblische Warnung aus der Tageslosung vom 17. August hat mir noch einmal die Augen geöffnet, wie verbissen und verkehrt manchmal gekämpft wird, um Gegner zu diffamieren und die eigenen Vorstellungen durchzusetzen.

Im 2. Timotheusbrief hieß es an diesem Tag im Lehrtext (2. Timotheus 4, 3f.)
3 Denn es wird eine Zeit kommen, da sie die heilsame Lehre nicht ertragen werden; sondern nach ihrem eigenen Begehren werden sie sich selbst Lehrer aufladen, nach denen ihnen die Ohren jucken, 4 und werden die Ohren von der Wahrheit abwenden und sich den Fabeln zukehren.

Es geht offenbar damals wie heute auch um die Bedrohung durch Fake-News, um falsche Nachrichten, die in die Welt gesetzt werden, um Gegner zu diffamieren oder lächerlich zu machen. Damit wird Stimmung gemacht, damit können Wahlergebnisse beeinflusst werden. Umso wichtiger ist, dass wir Christen unsere Stimme erheben und uns mit unserem Glauben zu einer menschenwürdigen Gesellschaft bekennen, die keinen ausschließt. Den globalen Aspekt der Botschaft Jesu hat Paulus ja schon erkannt und beschrieben:
„Es ist hier kein Unterschied zwischen Juden und Griechen; es ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen. Denn wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden“.
Paulus ging es damals darum, Juden und Heiden für den christlichen Glauben zu gewinnen. Heute können wir das global zusammen mit Menschen aus vielen Religionen versuchen. Das betont der letzte Vers unseres Predigttextes:
Paulus fragt: Haben sie die Stimme Gottes nicht gehört? Sie ist ja in alle Lande ausgegangen, ihr Schall und ihr Wort bis an die Enden der Welt.

Fazit: Woraus leben wir Christen?

Wir Christen sind getauft und leben vom Glauben und vom Bekennen, von den Ereignissen um Jesus Christus, der daraus folgenden Verkündigung und den Erlebnissen vom Hören und Annehmen der Botschaft.
In den Religionskursen der Oberstufe habe ich immer mal wieder gefragt: Was war denn ein tiefes den Glauben und Eure Einstellung prägendes Erlebnis mit der Kirche in eurem Leben? Da haben die meisten der 16- und 17-Jährigen gesagt, es war die Konfirmandenzeit und die feierliche Konfirmation, eigentlich die persönliche Zustimmung zu ihrer Taufe und ihrem Glauben. Das hat mich immer wieder erstaunt, dass diese Erfahrung so tiefe Spuren hinterlassen hat, es hat mich dankbar gestimmt. Und so habe ich von den Jugendlichen immer wieder gelernt, diese Rituale und die persönlichen Beziehungen ernst zu nehmen. Gottesdienst ist so ein prägendes Ritual, die Sakramente gehören dazu, die bewegenden Feiern der Taufe, der Konfirmation, der Heirat und die christliche Beisetzung. Dabei lerne ich immer wieder meinen Glauben und meine Bibel als Lebenshilfe zu schätzen.
Damit verankern wir uns in einer Glaubenswelt, die jenseits von Leid, Krankheit und Tod versucht, in Gott zu ruhen, ihm zu vertrauen, ihn zu preisen, ihn anzurufen, wie es die Lieder der Psalmen immer wieder tun. Sie sind ein grandioses Kunstwerk der jüdischen Kultur, die wir Christen für unsere Erfahrungen mit Gott dankbar nutzen.

Folgen wir noch einmal dem Gedankengang des Paulus:
Glauben geht nicht ohne Hören, Hören geht nicht ohne Predigt und ihre Meditation, Religionsunterricht, Bibelarbeiten, ständige Reflexion von aktuellem Erleben und den biblischen Impulsen z. B. durch die Tageslosung.
Predigt, Unterricht und Bildung, das geht nicht ohne Berufung und damit Sendung. Sendung heißt: durch die Taufe in Gott eingebettet, von ihm beauftragt, durch die Gemeinde und die Kirche mit ihren Bildungsangeboten und ihren Ritualen unterstützt und bestätigt. Damit sind wir gut ausgerüstet als Influencerinnen und Influencer im Auftrag Gottes.
Ausgegangen in alle Lande ist Gottes Stimme. So haben Juden und Griechen und alle Religionen jenseits aller Fundamentalismen und Machtansprüche den einen, denselben Gott zum Inhalt, dessen Friede in unseren Herzen wurzelt.
So hoffe ich auch heute auf seinen Frieden und dass dieser heute so entscheidende Wahlsonntag zu guten Ergebnissen und stabilen Verhältnissen in unserem Land führt.

Amen.

 

 

 

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Paul Geiß: 

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Nach der langen Corona-Zeit können wieder mehr Menschen zum Gottesdienst kommen. Sie fragen sich vermutlich danach, wie sie diese Zeit überstanden haben, ob ihr Glaube eine Hilfe war. Sie freuen sich über die wiedergewonnene Möglichkeit in Gemeinschaft Gottesdienst zu erleben, möglichst in den vertrauten Formen. Der Predigttext verweist auf die immerwährende Aufgabe eines Christenmenschen, mit dem Herzen zu glauben und diesen Glauben auch anderen zugutekommen zu lassen. Die an diesem Sonntag bevorstehende Bundestagswahl und ihre Implikationen beschäftigen sicherlich die Gemeinde, deshalb war auch diese Situation mit zu bedenken.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die intensive Verklammerung von „mit dem Herzen glauben und mit dem Mund bekennen“ hat zu den Fragen geführt: Wie kann ich glauben lernen, wer hat mich zu glauben „verführt“? Was hat es mir gebracht, glauben zu lernen, zu meinem Glauben zu stehen und mich auch anderen gegenüber dazu zu bekennen?
Meine Erfahrung: Dem Pfarrprofi wird oft weniger geglaubt als dem Herzens-Christen, der in Glauben und Leben überzeugt.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Das missionskritische Verhalten der Kirchen in Verbindung mit der Aufarbeitung der unseligen Zusammenhänge von Kolonialisierung und Mission und das multireligiöse Profil der gegenwärtigen deutschen Realität haben eine Lähmung zur Folge, sich zu seinen christlichen Wurzeln zu bekennen und dafür zu werben. Paulus mahnt, den eigenen Glauben nicht zu verschweigen. Unser christliches Glaubenszeugnis und seine ethischen Implikationen können wir getrost mutig und fröhlich auch öffentlich weitergeben.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Der Coach hat in klar gegliederten Aspekten meine Gedanken aufgenommen und präzisiert, dabei auf sprachliche Unvollkommenheiten hingewiesen und Vorschläge zur Reduktion der im Eifer der Rohfassung formulierten Komplexität gemacht. Dadurch wurde mir der Gedankengang klarer. Die Mitbearbeitung durch einen Predigtcoach ist ein deutlicher Gewinn. Diese dialogische Struktur habe ich in meiner eigenen Predigtvorbereitung immer wieder gesucht. Deshalb: Danke!

Perikope
Datum 26.09.2021
Bibelbuch: Römer
Kapitel / Verse: 10,9-18