1 Siehe, mein Knecht, an dem ich festhalte,
mein Erwählter, dem meine Seele wohl will.
Ich gebe meinen Geist auf ihn,
dass er den Völkern Recht bringe.
2 Er schreit nicht, macht kein Aufhebens,
lässt nicht draußen seine Stimme hören,
3 ein geknicktes Rohr zerbricht er nicht
einen glimmenden Docht löscht er nicht aus,
in Treue trägt er Recht hinaus.
4 Er selbst verglimmt nicht
und knickt nicht ein,
bis er Recht setzt auf Erden,
und auf seine Weisung warten die Inseln.
5 So hat die Gottheit, der Ewige, gesprochen,
der die Himmel schuf und sie spannte,
die Erde ausbreitete und ihr Gewächs,
der dem Volk auf ihr Odem gab
und Geist denen, die auf ihr gehen:
6 Ich, der Ewige, habe dich gerufen in Gerechtigkeit,
ich fasse dich an deiner Hand,
ich verwahre dich,
ich gebe dich zum Bund für das Volk, zum Licht der Völker,
7 die Augen zu öffnen den Blinden,
die Gefangenen aus dem Kerker zu führen,
aus dem Gefängnis, die im Finstern sitzen.
8 Ich, der Ewige, das ist mein Name,
meine Ehre gebe ich keinem anderen,
meinen Lobpreis nicht den Götzen.
9 Das Erste, siehe, es kam,
Neues melde ich,
ehe es wächst, lasse ich es euch hören.
Der Gott Israels macht auf jemanden aufmerksam, zeigt geradezu mit dem Finger auf ihn: Da! Seht doch! Der da, das da! Das ist mein Knecht, der mir dient, dessen ganzes Leben Gottesdienst ist. Er ist nicht selbst darauf gekommen, hat sich nicht beworben um diesen Dienst – Gott hat ihn erwählt, er hält an ihm fest, denn er gefällt ihm, Gottes Seele will ihm wohl. Das alles gibt er bekannt, um diesen Knecht zu bestätigen und zu bestärken, ihn seines Beistands und Wohlwollens zu versichern, aber auch, er redet ja von dem Knecht zunächst in 3. Person, redet ihn nicht an, um alle anderen, die Öffentlichkeit, hinzuweisen auf diesen Knecht. Diese Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit macht neugierig, weckt Erwartungen – was mag denn bloß dran sein an dem da? –, hat aber auch einen mahnenden und warnenden Ton: macht euch nichts vor, täuscht euch nicht: an ihm halte ich fest, ihn habe ich erwählt, auf ihn gebe ich meinen Geist.
Und diese Demonstration ist nötig, denn von sich aus ist dieser Knecht nicht sehr eindrucksvoll, erregt kein öffentliches Aufsehen, macht nichts her: er schreit nicht rum. An einer anderen Stelle im Jesajabuch räumt die Öffentlichkeit rückblickend ein, diesen Knecht ganz falsch wahrgenommen und eingeschätzt zu haben: Er hatte keine Gestalt, keinen Glanz, kein Aussehen, das uns gefallen hätte, von Menschen verschmäht und gemieden.
Sein Dienst besteht darin, Recht zu exportieren, Recht in die Welt der Völker zu bringen, aber er tut diesen Dienst unauffällig, still und leise. Nicht nur dass er nicht lautstark Reklame macht für das Recht, das er anzubieten hat und das er exportieren will, er drückt es auch nicht gewaltsam durch: ein geknicktes Rohr zerbricht er nicht, einen noch glimmenden Docht löscht er nicht aus. Wir merken, der Gott Israels praktiziert eine andere Personalpolitik als die, die in unserer Öffentlichkeit für selbstverständlich, für die einzig mögliche gehalten wird. Nicht nur in Wahlkämpfen und bei der anschließenden Besetzung von Ministerien sind sich inzwischen fast alle einig, wie jemand sein und auftreten, manchmal sogar aussehen muss, der oder die sich durchsetzen und etwas durchsetzen will: ein Programm und also auch Recht, eine andere Gesetzgebung: hart und stark, zu allem entschlossen und zu allem fähig, öffentlich unübersehbar und unüberhörbar, glänzend, aber auch ruppig genug, um sich und um was durchzusetzen, durchzudrücken. Jemand grobes fürs Grobe. Der Knecht hier, der sich nicht selbst, sondern den Gott anpreist, scheint hingegen jemand zu sein, der zwar sympathischerweise keiner Fliege was zuleide tut, von dem wir uns aber auch fragen, wie er denn mit dieser Behutsamkeit Recht setzen und durchsetzen will.
Dieses Nichtzerbrechen von Geknicktem charakterisiert das Recht, das er setzen soll. Es handelt sich um Armenrecht, das die Mühseligen und Beladenen, die Erniedrigten und Beleidigten schützen soll und die Geknickten vorm Zerbrechen bewahren. Und ähnlich verhält es sich mit dem nur noch glimmenden Docht: gerade eingeschränktes, beschädigtes, reduziertes Leben, nah am Verlöschen bedarf des Schutzes. Solang es noch glimmt, besteht die Hoffnung, dass es wieder aufstrahlt, volle Leuchtkraft gewinnt. Und diese Praxis charakterisiert auch den Knecht selbst: er selbst ist jemand, der nicht einknickt, der und dessen Licht nicht völlig ausgelöscht wird. Diese Existenzweise und der Verzicht auf lautstarke und spektakuläre Bemühung um öffentliche Aufmerksamkeit gehören zusammen. Ein großer Rabbiner im Nachkriegsdeutschland, Robert Raphael Geis, beschrieb die Rolle und Aufgabe des jüdischen Volks unter den Völkern als „existenzielle Mission“. Im Unterschied zum christlichen Missionsverständnis, das vor allem mit Verkünden zu tun hat, mit Reden, in dem auch Zeugnis ablegen eher mit Worten zu tun hat als mit Taten oder gar mit Martyrium, soll Israel dadurch auf Gott aufmerksam machen, dass es selbstverständlich und ohne viel Aufhebens mit und in der Tora lebt und so unter den Völkern etwas anders lebt. Und dabei nicht einknickt und nicht ausgelöscht wird. Überall wo Juden leben, ist auch Gott inmitten der Völker.
Auch unser Jesajatext scheint bei dieser Dienstbeschreibung eines Gottesknechts an ganz Israel zu denken. Du aber, Israel, mein Knecht, Jakob, den ich wählte, Same Abrahams, meines Geliebten, du, den ich erfasste von den Rändern der Erde her, von ihren Grenzen her berief, ich sprach zu dir: mein Knecht bist du, erwählt habe ich dich und habe dich nicht verworfen, fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir – so heißt es ein Kapitel vor unserem Text. Und diese Bezeichnung Israels als Knecht Gottes erinnert an die Urgeschichte der Befreiung Israels aus der Sklaverei in Ägypten. Nachdem dort ausführlich von der Knechtschaft unter dem Pharao, dem harten und bitteren Frondienst als Sklaven erzählt wurde, heißt Gottes Botschaft an Pharao: lass mein Volk frei, dass es mir diene. Die Befreiung Israels aus der Sklaverei ist nicht Selbstzweck, sondern Befreiung zum Dienst, Berufung zum Knecht Gottes. Und nicht nur die Befreiung aus der Sklaverei hat diesen Sinn, auch das Exil: dass Israel unter allen Völkern verbreitet ist, dient dazu, dieses Recht, die Tora unter den Völkern zu verbreiten.
Innerhalb dieses sozusagen kollektiven Gottesknechts Israel sind immer wieder auch einzelne als Knecht Gottes hervorgehoben worden: Mose vor allem, aber auch Hiob wird von Gott selbst „mein Knecht“ genannt, und David nennt sich selbst „dein Knecht“, wenn er mit Gott redet. Doch solche einzelne sind Knecht Gottes vor diesem kollektiven Hintergrund ganz Israels als Knecht Gottes, sind Vertreter, Sprecher, manchmal fast Verkörperungen dieses Volks. Das gilt für alle Angehörige dieses Volkes, und vielleicht nimmt auch unser Text einen solchen Einzelnen in den Blick, der sein Volk vertritt, wenn nun nicht mehr von dem Knecht gesprochen, sondern dieser Knecht direkt angeredet wird: ich gebe dich zum Bund für das Volk, zum Licht der Völker. Das klingt so, als konzentriere sich der Bund zwischen diesem Volk und diesem Gott in einer Person, in der dieser Bund befestigt und bestätigt, jedenfalls deutlich wird. Deutlich auch für die anderen Völker. Das Volk des Bundes wird zum Bundesvermittler und so zum Licht der Völker. Die Verbreitung von Recht bringt auch Licht in die Welt, augenöffnende Aufklärung, Befreiung aus finsteren Verliesen und Kerkern. Die Völker, die nach biblischer Auffassung von Gott und seiner Tora wenig wissen, kein Rechtsbewusstsein haben und so auch kein Unrechtsbewusstsein, die befreiende Wohltat von Recht kaum kennen, entdecken die Wunder an der Tora, verlieren ihre Heidenangst: er hat uns wissen lassen sein herrlich Recht und sein Gericht. Und ohne es recht zu wissen, haben sie sich danach auch schon gesehnt, meint unser Text: alle Welt, bis an ihren Rand, wartet auf seine Tora.
Die ersten Christen und dann auch die Verfasser des Neuen Testaments, die alle Juden waren, haben auch Jesus als einen solchen einzelnen Knecht Gottes betrachtet, der sein Volk, den Knecht Gottes, unter den Völkern vertritt, in aller Welt das Recht dieses Gottes verbreitet und so auch Licht in die Welt bringt, die Völker aufklärt. Und das ist das Thema der Epiphaniaszeit: durch Jesus und das Evangelium kam dieses Licht weltweit zum Leuchten. Doch dieses Licht verlöscht, klärt nichts und niemanden mehr auf, wenn wir Jesus nicht mehr als Vertreter, Sprecher und Stimme seines Volkes verstehen, sondern als seinen Gegner, uns und ihn abgrenzen von den anderen Juden. Vorhin, im Evangelium hörten wir, wie Jesus bei seiner Taufe sich solidarisiert mit seinem Volk. Während Johannes einwendet, er habe die Taufe doch nicht nötig, er sei doch anders als alle anderen Juden, besser, besteht Jesus darauf, ganz und gar ein Glied dieses Volkes zu sein. Erst dann und daraufhin wird er bestätigt durch die Stimme vom Himmel, die auf ihn aufmerksam macht: das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Das zeigt uns auch, was unsere eigene Taufe bedeutet: wer sich taufen lässt, ein Christ, eine Christin wird, wird ein tätiger Teilnehmer an dieser Bundesgeschichte. Und so wird auch uns in der Lesung aus dem Römerbrief eine Existenzveränderung zugemutet und zugetraut, eine Metamorphose: euer Gottesdienst, also: eure Aufgabe als Gottesknecht, ist: Passt euch nicht an dem Schema dieser Welt, sondern lasst euch umgestalten.
Die Gottesrede aus dem Jesajabuch erinnert am Ende an den Namen dieses Gottes. Der Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat und allem Volk auf Erden Atem gibt, das ist der, dessen Name bedeutet: ich bin da, bin mit euch, wie auch immer ich mit euch sein werde. Das ist der Sinn und Inhalt der ganzen Schöpfung: dass er mit Israel zusammen sein will und durch Israel und Jesus auch mit uns.
Amen.
Lieder:
zu Beginn: 162 oder 351,7-9.13 oder 125
zwischen den Lesungen: 390
zwischen Credo und Predigt: 389,3-5
nach der Predigt: 293 oder 289,1+4
zwischen Abkündigungen und Gebet: 404,3-4.6-8
zwischen Gebet und Segen: 14,6 oder 23,4 oder 37,3 oder 73,5 oder 317,5