Ist das das Leben, das kommen soll – oder sollen wir auf ein anderes warten? Predigt zu Matthäus 11,2-6 von Sven Evers
11,2-6

Ist das das Leben, das kommen soll – oder sollen wir auf ein anderes warten?

Worauf wartest Du?
Ich warte auf Godot... genau wie gestern.
Er wird heute nicht kommen.
Aber er wird morgen kommen...
Wer das Stück von Samuel Becket gelesen hat, weiß: Godot kommt nicht. Gestern nicht. Heute nicht. Morgen nicht. Bis zum Ende des Stückes nicht. Vladimir und Etragon, die beiden Wartenden – sie gehen einfach davon, bevor der Vorhang fällt, ohne daß Godot gekommen war.

Ich warte schon so lange,
auf den einen Moment.
Ich bin auf der Suche,
nach 100 %.
Wann ist es endlich richtig,
wann macht es einen Sinn?!
Ich werde es erst wissen,
wenn ich angekommen bin.
Ich will sagen:
So soll es sein,
so kann es bleiben.
So habe ich es mir gewünscht.
Alles passt perfekt zusammen,
weil endlich alles stimmt
und mein Herz gefangen nimmt. (Ich und Ich, So soll es bleiben)
Dann steht es da: Das Leben. Ich muß es nur ergreifen. Traue ich mich?

Ich warte. Aber: worauf eigentlich? Advent, Advent, ein Lichtlein brennt. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier – und dann? Ich habe das Christkind noch nie vor meiner Tür stehen sehen. Mein Warten darauf, daß irgendwann einmal irgendwas passiert, hat sich noch nie erfüllt. Wird das Leben ein anderes werden nach dem vierten Advent? Wird wieder alles heil werden? Werden die Probleme ein Ende haben? Advent – Ankunft. Wessen Ankunft?

Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?

Die Frage brennt in Johannes, seit er Jesus das erste Mal begegnet ist. Mit unsicherem Schritt und doch voller Gottesbewußtsein war Jesus zu ihm an den Jordan gekommen. Er, der seinem Leben Sinn geben sollte. Er, für den Wegbereiter zu sein das war, was sein Leben ausgemacht hatte und noch immer ausmacht. Johannes erinnert sich an diese erste Begegnung, als wäre es gestern gewesen. Jesus hatte sich von ihm taufen lassen wollen. Von ihm, der er doch, wenn überhaupt, nur ein kleiner Zeigefinger sein könnte für den Gottessohn, den Gesalbten, den Heilmacher und  Friedensbringer.
Also hatte Johannes ihn getauft. Und dann der offene Himmel, die Bestätigung: Ja, er ist es. Dies ist mein lieber Sohn, auf den sollt ihr hören!

Doch dann war es so ganz anders gekommen. Was für eine Botschaft, die dieser Jesus predigt! Und nicht nur predigt! Nicht nur mit Worten, nein: sein ganzes Leben eine einzige Hinwendung zu denen, über die Johannes in seiner Predigt das Gericht gesprochen hatte. Der Nachfolger, der Gottessohn, er sollte „seine Tenne fegen und seinen Weizen in die Scheune sammeln; aber die Spreu“ sollte er „verbrennen mit ausauslöschlichem Feuer“ (Mt 3, 12) – und dann so etwas!

Mit Zöllnern und Sündern, mit Aussätzigen und Prostituierten setzt er sich an einen Tisch. Er predigt von dem Balken im eigenen Auge, der den Blick für den Nächsten verstellt; von Vergebung für Feinde und das Segensgebet über die, die mir Böses wollen. Er heilt Menschen von langer Krankheit und reißt Grenzen ein, die für Johannes unumstößlich schienen. Er beherrscht Wellen und Wind. Er spricht nicht das Gericht, sondern zieht sich – mit Tränen der Liebe in den Augen – zurück, wo er nicht willkommen ist.

Unsicher, zweifelnd, fragend sitzt Johannes im Gefängnis. Läßt sein Leben an sich vorüberziehen. Die Zeit in der Wüste. Die Zeit der Buße, des Fastens, der Entsagung, der Anfechtung. Den Augenblick, als er den Himmel offen sah über dem Zimmermann aus Nazareth.
Er hält es nicht mehr aus. Er muss Gewißheit haben, ob er der ist, den er erwartete – erwartet, erhofft, ersehnt. Sein ganzes Leben eine einzige Erwartung dieses einen Gottessohnes, der die Welt richten würde. Zurecht bringen. Der Sünde, dem Leid, der Ungerechtigkeit ein Ende machen. Aber ist es dieser Jesus? Ist es dieser Mensch, der so gar nicht tut, was Johannes erwartet hatte?
Wer sollte ihm seine Fragen beantworten können, wenn nicht Jesus selber.
So schickt er seine Jünger zu Jesus und läßt ihn fragen. Er will, nein: er MUSS einfach Gewißheit haben!

Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?

Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt;

Ihr erwartet eine Erklärung? Eine metaphysische Legitimation dessen, was ich tue? Ihr wollt einen Garantieschein darüber, daß ich Euch zeige, wie Gott es mit der Welt und mit Euch Menschen meint?
Sagt Johannes, was Ihr seht!

Ich komme nicht als der große Richter, der den Bäumen die Axt an die Wurzel legt. Ich komme nicht mit Drohungen. Drohungen machen Angst. Sie verändern gar nichts.

Ich öffne den Blinden die Augen, und denen, die meinen, sie hätten schon alles gesehen.
Ich öffne den Tauben die Ohren, und denen, die meinen, sie hätten schon alles gehört.
Ich mache die Aussätzigen rein und jene, die meinen, sie hätten eine weiße Weste.
Ich mache die Lahmen gehend, und jene, die meinen, sie kennten schon alle Wege.
Ich wecke die Toten zum Leben auf und jene, die meinen, sie hätten schon alles erlebt.
Ich predige den Armen die gute Botschaft Gottes – und jenen, die meinen, sie besäßen schon alles.

Wollt Ihr noch mehr? Was wollt Ihr noch mehr?
Sagt Johannes, was Ihr hört und seht. Und ach ja, sagt ihm dann doch bitte auch noch dieses: selig, glücklich zu nennen und reich ist, wer sich nicht an mir ärgert...

Bist Du der, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?
Wer weiß, vielleicht auch die Frage dessen, der zweifelnd Kerze um Kerze auf seinem Adventskranz anzündet und es doch nur aus Gewohnheit tut, weil er eigentlich gar nichts erwartet. Heil und Leben und Sinn und Fülle schon gar nicht.
Vielleicht die Frage der Konfirmandin, die selber nicht weiß, warum sie sich diese uncoole Veranstaltung jeden Dienstag antut, und die weder mit Gott etwas anfangen kann noch damit, dass sie angeblich sein Kind sein soll.
Vielleicht die Frage des erfolgreichen Mannes, der lieber den Ellenbogen und den Kontoauszügen vertraut als einer Liebe, die selbst den Feinden Vergebung verheißt, und der nur erwartet, was sich am Ende des Monats in Euro und  Cent ausdrücken lässt.
Vielleicht aber auch die Frage der alten Frau, die jahrelang den Kirchenkaffee gekocht hat und so viele Entbehrungen in ihrem Leben ertragen musste. War es das wert? fragt sie sich vielleicht. Hätte ich nicht an der ein oder anderen Stelle egoistischer sein sollen, anstatt immer nur auf die anderen zu schauen?  - Was sie erwartet? Ein bißchen Anerkennung vielleicht endlich einmal von den anderen, die alles für selbstverständlich halten. Aber ach, eigentlich – eigentlich erwartet sie gar nichts mehr...

Diese Kirche? Diese Botschaft? Dieser Jesus? Ist das das, was kommen soll? Ist er der, der kommen soll – oder müssen wir das Leben anderswo und von etwas anderem oder jemand anders erwarten?

All denen, die fragen, sagt, was ihr seht und hört:
Da ist die Botschaft von einer Liebe, die Ja zu mir sagt trotz aller Neins, die andere oder auch Du selber über Dich sprechen magst.
Da ist die Botschaft von einer Vergebung selbst der größten Fehler und Verfehlungen, an denen Du zu zerbrechen drohst und das Geschenk des Neuanfangs, wenn Du meinst, dass es keinen Ausweg gibt.
Da ist die Botschaft von einem Frieden zwischen Menschen, der möglich ist, nicht weil, sondern obwohl der Mensch so ist, wie er nun einmal ist.
Da ist die Botschaft von einer Aufertehung aus dem Tod und einem neuen Leben, das unseren Tod überwindet, die Menschen seit 2000 Jahren Trost und Hoffnung zu schenken in der Lage war und ist.

Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten? Ist es diese Botschaft von diesem Jesus und von diesem Gott? Oder sollen wir das Leben anderswo erwarten?

Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt;

Und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.

Amen.

 

Perikope
14.12.2014
11,2-6