Jesus spricht:
Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch? Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe;und danach sollst du essen und trinken? Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war? So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren. (Lk 17,7-10, Lutherbibel 2017)
Ich erinnere mich noch gut:
Mein Vater ging immer zum Dienst. Nicht zur Arbeit. Nicht zum Job. Er ging zum Dienst. Ohne zu Murren.
Morgens um halb acht verließ er das Haus. Nachmittags um Vier war Dienstschluss. Als ich älter war, holte ich ihn manchmal mit dem Fahrrad ab.
Mein Vater war Beamter. Im Amt. Finanzamt, um genau zu sein. Er hatte einen Dienstherrn – sein Vorgesetzter oder noch eine Etage höher – und diente sozusagen dem Staat.
Wir redeten von seiner Arbeit nie als „Beruf“ oder – wie es neudeutsch mittlerweile heißt – als „Job“. Mein Vater ging zum „Dienst“.
Auch heute noch redet man von „Dienst“. Der öffentliche, der diplomatische, der militärische Dienst, der mittlere und der gehobene Dienst.
Es gibt Diensthabende, Dienstwechsel.
Wir leben in einer Dienstleistungsgesellschaft.
In Kirchens gibt es den Pfarr-, Orgel-, Küster- und Lektorendienst und wir reden „vom Dienst am Nächsten“.
Man ist in Diensten oder nimmt eine Maschine in Dienst.
Manchmal versagen einem die Beine den Dienst.
Im Winter leistet ein warmer Mantel gute Dienste.
Und wer verzichtet schon gerne freiwillig auf seinen Verdienst?
Es gibt ihn noch, den Begriff „Dienst“, aber er ist doch irgendwie aus der Mode gekommen.
Vom „Dienen“ reden wir natürlich noch viel weniger.
„Dienen“ hat einen bitteren Beigeschmack, erinnert an die Dienstmagd und den Diener früherer Zeiten in Herrschaftshäusern, an „Knicks“ und „Diener“ machen, an Pflichten und Abhängigkeiten, an Unterdrückung und Ausbeutung, an Sklaverei und Knechtschaft.
Damit wollen wir ja nichts mehr zu tun haben. Das liegt längst hinter uns.
Aber seien wir ehrlich: Hat sich so viel geändert zur heutigen Arbeitswelt?
Abhängigkeiten sind geblieben. Dienstgeber und Dienstnehmer, die „Oben“ und die „Unten“ ebenso. Nur wir nennen es nicht mehr so. Man redet von gutem Miteinander, von Teamspirit, von Anerkennung und gegenseitiger Wertschätzung, man analysiert, entwirft Strukturpläne und Qualitätsmodelle. Mitarbeitermotivation ist das Zauberwort.
Doch nicht selten steht dabei der Verdacht im Raume: Es geht um Leistungssteigerung im Sinne des Unternehmens. Und letztendlich doch nicht um den einzelnen Menschen. Der Trend zum Zweit- oder Dritt-Job ist ungebrochen. Kein Auskommen mit dem Einkommen.
Mein Vater ging immer zum Dienst. Nicht zur Arbeit. Nicht zum Job. Er ging zum Dienst. Ohne zu Murren.
Jesus spricht:
Wer von euch ist Vorgesetzter und hat Angestellte, die tagtäglich für euch arbeiten, und sagt zu ihnen, wenn sie mit der Arbeit fertig sind: Kommt gleich her, wir wollen zusammen Essen gehen? Wird der Vorgesetzte nicht vielmehr zu den Angestellten sagen: Hier ist noch dringend etwas zu erledigen, beeilt euch, Überstunden gibt es nicht. Das muss noch heute erledigt werden, erst danach ist Feierabend! Dankt dieser Vorgesetzte etwa den Angestellten, dass sie getan haben, was befohlen war? So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze, ökonomische Humanmasse; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren. (Lk 17,7-10)
Man muss dreimal schlucken und doch treffen diese Sätze mitten ins Herz.
Sie tun weh, weil sie den Finger in die Wunde legen, weil sie genau das beschreiben, was in einer sich wandelnden, scheinbar immer kapitalistischeren Arbeitswelt für viele Menschen schon Realität ist. Trotz aller Arbeitszeitregelungen. 38-Stundenwoche, Frankreich angeblich schon seit Jahren 35 Stunden, und im gleichen Atemzug: die Ausnahmeregelungen für verkaufsoffene Sonntage nehmen zu, unbezahlte Überstunden sind die Regel, von Mobbing am Arbeitsplatz ganz zu schweigen.
Jesus spricht … - diese Worte aber schmerzen noch viel mehr, weil eben Jesus sie sagt.
Jesus.
Er, der sich für die Unterdrückten einsetzt.
Er, der die Ausgebeuteten sieht.
Er, der sich der Ausgestoßenen annimmt.
Er, der die Armen an seinen Tisch lädt.
Er, der die Unglücklichen tröstet.
Er, der Gerechtigkeit predigt.
Er, der eine bessere Zukunft verspricht.
Er, der im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Anm.: Sonntagsevangelium) eine ganz andere, himmlische Ordnung verkündet. Denn das Reich Gottes ist nahe.
Jesus.
Er spricht diese Sätze. Und hält einen Spiegel vor.
Den Jüngern.
Uns.
Dem System.
In aller Radikalität.
Die Jünger kennen dieses System nur zu gut. Nicht nur von den Römern. Sie kommen alle – mal mehr mal weniger – daher. Fischer, Zöllner, Handwerker, vielleicht nicht gerade „reich“ zu nennen, aber mit Beruf und Verdienst, vielleicht sogar mit Knechten oder Angestellten.
Sie sind seinem Ruf gefolgt, haben alles verlassen, hinter sich gelassen, haben sich in den Dienst gestellt. Und merken trotzdem immer wieder: wir scheitern an Jesu Auftrag.
Da gibt es Rangstreit unter den Jüngern und es wird debattiert, wer zur Rechten Gottes sitzen darf.
Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist …
Alles?
Es ist nicht einfach, nein, es ist in unserer Welt fast unmöglich, Jesu Ruf in all seiner Radikalität zu folgen. Wenige Menschen schaffen das. Ziehen sich aus allem heraus. Mönche und Nonnen vielleicht. Aber selbst sie sind letztendlich nicht aus der Welt.
Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. (Lk 9,23)
Es ist ein Kreuz mit dem Kreuz.
Und dem Dienst.
Wir wissen es, Jesus weiß es: wir sind unnütze Knechte.
Gerade deshalb reicht er uns die Hand.
Er geht mit uns. Nicht wir mit ihm.
Wir mögen uns noch so sehr um unseren Dienst bemühen: Er dient uns schon längst.
Mit aller Hingabe. In aller Güte. In aller Freiheit.
Er sieht unsere arbeitsmüden Augen und Hände.
Er bereitet das Mahl.
Er lädt uns an seinen Tisch.
Er dankt uns für unser unvollkommenes Dienen.
Er stärkt unsere erschlafften Kräfte.
Er macht uns immer wieder Mut.
Im Vertrauen auf Gott und in der Hoffnung auf sein nahes Reich geht er mit uns, um weiter zu arbeiten, um weiter zu dienen, um die Welt zu verwandeln, damit Gerechtigkeit werde. Durch Dienen verändert sich die Welt.
„Jeder kann großartig sein, weil jeder dienen kann.“ (Martin Luther King)
Amen.