Jesus und die Gefahr der Korrumpierbarkeit des Menschen - Predigt zu Matthäus 4,1-11 von Jens Junginger
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Jesus und die Gefahr der Korrumpierbarkeit des Menschen - Predigt zu Matthäus 4,1-11 von Jens Junginger

Jesus und die Gefahr der Korrumpierbarkeit des Menschen

kennen Sie das auch? Da stecken auf einmal Kataloge im Briefkasten, die man nie angefordert hat, mit der persönlichen Anschrift versehen.
Anzeigen tauchen ungefragt auf dem Bildschirm auf, mit Appartements in  Regionen, die einem vertraut sind. Bilder von Produkten, die tatsächlich meinem Geschmack entsprechen, werden mir da als Schnäppchen vorgehalten.
Wer hat mich da ausspioniert?
Wer will mir Lust auf Einkauf und Konsum machen?
Wer führt mich da in Versuchung?
Es ist mir unheimlich.
Ich werde offenbar beobachtet. Ich werde regelrecht vermessen.
Und nicht nur das. Eine unsichtbare Hand legt mir Angebote vor die Nase!
„Algos“ werden sie genannt, habe ich mir sagen lassen. Algorithmen.
Sie vermessen Daten, die von mir übers Internet erfasst werden und werten sie aus.
Mit ihrer Hilfe werden Anreize erzeugt und Versuchungen aufgetischt.
Was für eine unsichtbare Macht ist hier am Werk?

Im Namen einer Religion werden Menschen massakriert, erniedrigt und unterworfen. Eine Religion, die den Frieden will, wird für Böses missbraucht.
Junge Menschen werden indoktriniert. 
Selbst eine islamische Pädagogin kann sich nicht erklären was mit ihren früheren Schülern passiert sein muss, dass sich von Hasspredigern und Aufpeitschern für den bestialischen Kampf haben einfangen lassen?
Was für Mächte sind hier am Werk, die ganz und gar nichts Gutes wollen, aber Herzen und Hirne von Menschen begeistern, beherrschen und zum Töten und Abschlachten anleiten?

Mir fällt auf, erzählte kürzlich jemand, bei uns im Betrieb sind es eigentlich nur noch wir, die über 40 Jährigen, die aufeinander schauen, Sorge füreinander tragen und auch mal die Schwächen untereinander ausgleichen.
Die Jüngeren, schauen nach sich, ausschließlich nach ihrem persönlichen Vorteil und eben nach dem Geld. Da ist etwas anders geworden. Das sind zwei verschiedene Welten. Das finde ich traurig. Die sind irgendwie von anderen Werten und Idealen geprägt.
Was ist es, das die Jüngeren so anders, so kalkulierend gemacht hat?

Unsichtbare gottferne Mächte sind es für  Paulus, die da wirken (Vgl. Römer 8)

Die Philosophin Hannah Arendt war eine derjenigen, die sich nach dem Naziterror auf die Suche nach Erklärungen gemacht hat, wie Menschen dazu verführt werden konnten derart unmenschlich und böse zu handeln, wie es in den KZs passiert ist.
In der Bibel hat diese Macht den Namen Satans bzw. „diabolos“. Das ist wörtlich der Durcheinanderbringer. Luther hat diesen Begriff mit „Teufel“ übersetzt.
Als Versucher, Verführer, als Feind Gottes und Herrscher der gottfernen Welt tritt er in den biblischen Erzählungen in Erscheinung.

In der folgenden Szene tritt diese Macht auch Jesus gegenüber. Als Figur, so wie Mephisto in Goethes Faust. Als der, der Jesus auf seine  Korrumpierbarkeit überprüft, in dem er ihn mit drei Versuchen aufs auf‘s Glatteis zu führen versucht. 
 
1Danach [d.i. nach seiner Taufe] wurde Jesus vom Geist [der Kraft Gottes] in die Wüste geführt.
Dort sollte er vom Teufel auf die Probe gestellt werden.
2Jesus fastete vierzig Tage und vierzig Nächte lang.
Dann war er sehr hungrig.

3Da kam der Versucher
und sagte zu ihm:
"Wenn du der Sohn Gottes bist,
befiehl doch,
dass die Steine hier zu Brot werden!"
4Jesus aber antwortete ihm:
"In der Heiligen Schrift steht:
'Der Mensch lebt nicht nur von Brot,
sondern von jedem Wort,
das aus dem Mund Gottes kommt.'"

5Dann nahm ihn der Teufel mit sich in die Heilige Stadt.
Er stellte ihn auf den höchsten Punkt des Tempels
6und sagte zu ihm:
"Wenn du der Sohn Gottes bist,
spring hinunter!
Denn in der Heiligen Schrift steht:
'Er wird seinen Engeln befehlen:
Auf ihren Händen sollen sie dich tragen,
damit dein Fuß an keinen Stein stößt.'"
7Jesus antwortete ihm:
"Es steht aber auch in der Heiligen Schrift:
'Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen!'"

8Wieder nahm ihn der Teufel mit sich,
dieses Mal auf einen sehr hohen Berg.
Er zeigte ihm alle Königreiche der Welt
in ihrer ganzen Herrlichkeit.
9Er sagte zu ihm:
"Das alles werde ich dir geben,
wenn du dich vor mir niederwirfst
und mich anbetest!"
10Da sagte Jesus zu ihm:
"Weg mit dir, Satan!
Denn in der Heiligen Schrift steht:
'Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten
und ihn allein verehren!'"

11Da verließ ihn der Teufel.
Und sieh doch:
Engel kamen und brachten ihm zu essen
.
(Übersetzung: Basisbibel)

Drei Versuchungen, an drei rasch wechselnden symbolträchtigen Orten: Wüste, Tempel und Berg.
Kurz und knapp wird erzählt, anschaulich und eindrücklich.
Gut überlegt und raffiniert tritt die diabolische Macht Jesus entgegen.
Betrachten wir den ersten Versuch des „diabolos“:

Jesus lehnt den Showeffekt einer „aus Steine mach Brot“ Verzauberung kategorisch ab. Brotwunder oder Brotvermehrung sind für Jesus kein Selbstzweck, sondern dem Willen Gottes geschuldet nämlich Not zu beseitigen, Hunger zu stillen und Armut zu bekämpfen.(Peter Fiedler, Das Matthäusevangelium, ThKNT, 2006 S.90)
Wenn das Leben aber auf die rein materielle Ausstattung reduziert wird, auf Essen, Arbeit, Wohnen,
wenn Menschen nicht (mehr) wissen, ausblenden oder verdrängen, dass wir Geschöpfe sind, die von Voraussetzungen leben, die wir selbst nicht geschafft haben und nicht schaffen können,
wenn Menschen nie davon gehört haben, dass ein jeder Mensch, ob Afrikaner oder Araber oder Asiate ein Ebenbild Gottes ist,
wenn Menschen nie erfahren haben, dass es – etwa in der Bibel - für alle grundlegende Werte gibt, die ein zukunftsfähiges Zusammenleben auf diesem Globus ermöglichen wollen und können, dann zeigt sich:
Brot allein, das reicht nicht. Das führt zu einer geistlich moralischen Verarmung und Rückbildung. 
Mit dem Satz: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, erteilt Jesus jeglichem, geist- und seelenlosen Materialismus eine klare Absage. (Schrottroff/Sölle, Jesus von Nazareth, dtv, 2000 S.24)
Dass dieser Materialismus jedoch eine reale verführerische Macht darstellt und Wirkung zeigt, das erleben wir in zweierlei Weise:

Die einen wollen Andersgläubigen und hilfesuchenden das tägliche Brot, das Existenzrecht und eine besseres leben nicht gestatten.
Die anderen horten ihr Brot, lassen es in der Schweiz vermehren und vergolden, um es der Allgemeinheit zu entziehen.
Ohne das Wort, das gerade nicht aus uns selbst, sondern aus Gottes Mund kommt,
also ohne dass wir uns von diesem Wort zum Perspektivenwechsel  anregen lassen und immer wieder uns selbst kritisch reflektieren,
ohne dieses Wort von außen verkommen wir und bleiben uns selbst genug.
 Das hat Jesus klar erkannt, damit ist er aufgewachsen.
Er hält der ersten Versuchung stand.

Bei der zweiten Versuchung könnte sich der Diabolos gedacht haben:
Ich probier‘s mal mit einer wortwörtlichem, also fundamentalistischen, Schriftdeutung :
Es steht geschrieben sagt er zu Jesus und verweist wie Jesus auf die Tora:
Du wirst von Gott auf den Händen getragen, egal was passiert.
Also, lass dich fallen. Dann werden wir werden ja sehen was passiert, was Gott kann und wer du wirklich bist.
Jesus erteilt auch dieser Aufforderung eine Absage.
Und erteilt damit zugleich einem falschen Gottesbild, einer trügerischen Gottesvorstellung und einem wortwörtlichen Schriftverständnis eine Absage, also jeglichem Fundamentalismus.

Gott - der rettet, wenn wir versagen, der Niederlagen und Elend erspart, der Erfolg garantiert, der mich dann bestraft, wenn ich nicht rechtschaffen gelebt habe, mit Krankheit, Schmerz.
Den gibt es nicht.
Eine ganze Generation gläubiger Menschen und Theologen hat genau das lernen und begreifen müssen, angesichts des Holocausts. Gott ist nicht der, der uns auf seinen Händen über alles Unrecht hinwegträgt, dass Menschen selbst verursacht  und nicht verhindert haben.
Gott erlebt vielmehr in Jesus Christus selbst Niederlagen mit.
Achtsamkeit ist vielmehr für das Unscheinbare geboten.

Das Böse, Schreckliche kommt sehr viel normaler, versteckter, mitunter recht banal, alltäglich, gutbürgerlich brav und obrigkeitshörig, ja ordentlich daher.
Hannah Arendt hat bei der Beobachtung des Prozesses gegen den früheren SS Obersturmbandführer und Leiter der Organisation für die Vertreibung und Deportation der Juden Adolf Eichmann eben diese „Banalität des Bösen“ ausfindig gemacht.
Ihr könnt Gott nicht ausprobieren, sagt Jesus klipp und klar. Und wer es trotzdem tut wird sich im Nachhinein in schuldhafter Verstrickung wiederfinden und muss bekennen:
„Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden.“(Stuttgarter Schulderklärung)

Die dritte diabolische Versuchung lautet: Jesus - wir wär‘s mit Weltherrschaft, mit Macht ohne Ende, bis ans Ende der Welt, nach dem Vorbild des Imperium Romanum. Alles läge dir zu Füßen. Du hättest die Macht, über Herzen und Hirne von Menschen?
Weg mit dir Satan, lautet die barsche, scharfe und unmissverständliche Antwort Jesu auf dieses Angebot, mit dem sich der Teufel vollends „selbst entlarvt“ hat (Fiedler, S.91).

Herrschaftlich, patriarchal diktatorisches  Machtgebaren – nicht mit Jesus.
Konsequent hat er es gelebt bis zum Kreuz. Damit legte er eine Messlatte - bis heute.
Eine solch herrschaftskritische Haltung vertrat, zeitweise zumindest, auch der Reformator Martin Luther.
Herrschaftskritisches Denken und Handeln sind bis heute Kennzeichen christlicher Glaubwürdigkeit geblieben.
Christen erkennen weder andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung an, noch wollen Christen anderen Herren oder Mächten zu Eigen sein (Vgl Barmer Theologische Erklärung)

Und trotzdem !
Den subtilen Verlockungen und Einflüssen, denen wir – unmerklich oder unbedacht  - tagtäglich ausgesetzt sind, denen ist nicht immer so leicht zu entkommen.
Immer wieder zu prüfen, zu entlarven oder angemessen zu bewerten, wovon bin ich gesteuert,
wer hat welche Interessen, das bleibt eine stetige Herausforderung.
Eine Herausforderung das eigene Denken und Handeln immer wieder kritisch und selbstkritisch zu prüfen.
Jesu Wachsamkeit im Gespräch mit dem „diabolos“ sensibilisiert einen.
Was der Schlange in der Paradieserzählung (1. Mose 3) gelungen ist, gelingt dem „diabolos“ nicht.
Jesus bewahrt sich die „von Gott geschenkte Freiheit“ (Gabriele Wulz, Invokavit, in: Predigtmediationen im christlich-jüdischen Kontext, 2002 S.121) und er ist wohltuend gestärkt von der liebevollen Zusage Gottes, kurz vor diesem Teufelsdialog, in der er erfährt:
An dir habe ich Wohlgefallen.

Eines gibt der „diabolos“ aber zu erkennen und daran ist er identifizierbar:
Er spricht die niedrigen Instinkte an. So ist er „in seiner Nichtigkeit offenbar geworden“ (Wulz,S.121)
Mit mir kommst du groß raus, da bist du wichtig, unsterblich, erfolgreich, da bist stark, mächtig und einflussreich.
Mit mir bist du auf der Gewinnerseite.

Da sind wir Menschen immer ein Stück weit korrumpierbar. Jedoch sind es weltweit  leider mehr, deutlich mehr geworden.

Die Standhaftigkeit Jesu gründet in seiner tiefen Verwurzelung in den Weisungen Gottes,
in der stärkenden Gewissheit geliebt zu sein
und in der Glaubensdemut, dass wir eben nicht alles uns selbst, also auch nicht unserer Leistung, verdanken.
So vermag er dem Versuch auf eindrückliche Weise standzuhalten sich korrumpierbar zu machen.
Möge das auch uns gelingen, in der Erziehung von Kindern, in der Bildung, in der religiösen Bildung und der Seelsorge und in der gesellschaftlichen Aufklärung,
im Vertrauen auf Gottes Hilfe:
Er führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“
Und sei

Amen