"Jetzt hilft er mir!" - Predigt über Jakobus 5, 13-16 von Wolfgang Vögele
5,13

"Jetzt hilft er mir!" - Predigt über Jakobus 5, 13-16 von Wolfgang Vögele

Der Predigttext für den 19.Sonntag nach Trinitatis steht Jak 5,13-16:
„Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen. Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden. Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.“
Liebe Gemeinde,
Laura feiert. Kindergeburtstag. Vier Kerzen auf dem Karottenkuchen. Neongrüne Girlanden hängen von der Decke. Sieben Freundinnen eingeladen, aus Kindergarten und Grundschule, alle ausgelassen und fröhlich. Blaue Strohhalme in der gelben Limonade und dicke rosa Schleifen auf allen Geschenkkartons. Laura ist glücklich. Die Eltern auch.
Nach der Schatzsuche im Garten gehen alle in das große Kinderzimmer und spielen Topfschlagen. Aber leider, Laura stürzt, als sie mit verbundenen Augen im Kreis gedreht wird. Großes Geschrei, sie hat sich den Fuß verstaucht. Die schöne Stimmung ist dahin. Bald werden die Freundinnen wieder abgeholt. Laura humpelt  zu ihrem Bett und legt sich hin, preßt einen Kühlbeutel gegen den schmerzenden Knöchel. Sie ist untröstlich. Daß ihr, dem Geburtstagskind, das ausgerechnet heute passieren muß. Der Knöchel schmerzt sehr. Der Vater versucht mit sanften Worten zu beschwichtigen, aber Laura will sich nicht trösten lassen.
Zwei Stunden später ist es dunkel geworden. Laura hat den Schlafanzug angezogen, und der Vater kommt ein letztes Mal in ihr Zimmer. War es ein schöner Geburtstag? Ja, aber das mit dem Fuß war blöd. Tut es noch weh? Ja, am Knöchel tut es noch sehr weh. Beide, Vater und Tochter beten miteinander, wie sie es jeden Abend tun. Heute sagt der Vater am Ende des Gebets: Lieber Gott, bitte mach, daß die Schmerzen von Laura bald verschwinden. Amen.
Eine Viertelstunde später ruft Laura nochmals. Der Vater kommt in ihr Zimmer und fragt: Was ist los? Kannst du nicht schlafen? Jetzt macht er es, sagt Laura. Wer macht was, fragt der Vater. Laura sagt: Gott macht es. Gott macht, daß die Schmerzen verschwinden. Der Knöchel tut mir nicht mehr weh.
Liebe Gemeinde, die Geschichte ist schön und anrührend. Kindermund tut Wahrheit kund. Das kleine Mädchen nimmt das Gutenachtgebet des Vaters ganz ernst. Mach du, Gott, daß es mir besser geht. Und Gott läßt es Laura besser gehen. Die Geschichte hat etwas Rührendes, weil wir nüchternen Erwachsenen meinen sie zu durchschauen. Schön wenn es so wäre. Schön wenn Laura so denkt. Aber im Grunde ist es doch anders, so der unausgesprochene Einwand der Erwachsenen. Es ist ja nicht so, daß Gott den Finger ausstreckt und den Knöchel von Laura gesundstreichelt. Aber Laura spricht ganz souverän und unbeirrbar. Und wir bewundern das Mädchen, das dem eigenen Gottesglauben vertraut.
Wenn Laura den Jakobusbrief gekannt hätte, sie hätte die Passage mit ihren vier Jahren wahrscheinlich nicht ganz verstanden. Aber wir verstehen es: „Das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen.“ So Jakobus. „Jetzt hilft er mir.“ So Laura.
Zieht man den Schleier der Rührung von dieser kleinen Geschichte herunter, so kommt ein kluges, aufrechtes Mädchen mit Zöpfen zum Vorschein, das die eigenen Gebete ernst nimmt. Wenn ich Gott um etwas bitte, dann hilft er mir auch. Im Grunde braucht Laura die christliche Alltagsweisheit des Jakobus gar nicht. Wir Älteren sehen den Kinderglauben mit Rührung, aber wir wissen auch um die Brüche und Abgründe, um die Zweifel, die den Glauben wie ein Schatten begleiten. Denn wir spüren nicht immer den Finger Gottes wohltuend auf dem eigenen Zipperlein. Darum helfen uns, die wir älter als vier Jahre sind, die Ratschläge aus dem Jakobusbrief.
Wir Erwachsenen sind leider verseucht von der Vorstellung, wir könnten Gott um den kleinen Finger winkeln und ihn nach unseren eigenen Wünschen betend dirigieren. Der Glaube wird zum Instrument, das der Durchsetzung eigener Interessen dient. Aber ein verzweckter, in Dienst genommener Glaube ist kein richtiger Glaube. Gott läßt sich nicht zum Wunscherfüller zurückstufen.
Wer bei Jakobus in die Grundschule des Betens geht, der lernt in vier Versen vier Gebets- und Glaubensweisheiten auswendig. Sie überwinden die Sünde der Selbstüberhebung betten den Glauben in Gelassenheit und Geduld ein. Die Gebetsweisheit des Jakobus besteht aus vier orientierenden Grundregeln.
Die erste Grundregel: Wer glaubt, ändert sein Handeln.
Oft wird der Eindruck erweckt, als seien Glauben und Gottvertrauen eine Art Zwangsjacke, die den Menschen in eine enge, verkrümmte und ungewohnte Haltung hineinpreßt. Der Glaubende sei angeblich rigorosen Geboten, Aufforderungen und Zwängen unterworfen. Nichts weniger ist wahr.
Richtig ist, daß es Formen der Frömmigkeit gab und gibt, welche den Glauben mit einem Korsett rigoroser Moral umgeben, weil man meint, nur mit Hilfe dieser zwingenden Regeln den Menschen in die Richtung Gottes lenken zu können. Der Fehler ist nicht auszurotten, denn immer wieder hat sich gezeigt: Das ist ein Irrweg.
Viel besser wird man dem Glauben gerecht, wenn man ihm eine andere, neue Perspektive gibt. Glaube ermöglicht Freiheit. Ein solcher Glaube stiftet nicht neue Zwänge, sondern befreit von ihnen. Er befreit von dem, was Menschen beengt und zum Verzweifeln bringt. Glaube eröffnet einen Spielraum der Freiheit. Und es ist nicht nötig, vor dieser Freiheit in ein neues Korsett von Regeln und Zwängen zu fliehen. Deswegen erkennt man den Glauben nicht am Befolgen von Regeln, sondern man erkennt ihn am Beten. Das Tun des Glaubens ist das Beten. Denn wer betet, der rechnet mit dem Wirken Gottes. Dieses Beten wird zum Kennzeichen des Christlichen. Im Jakobusbrief heißt es: Wer krank ist, der soll klagen und bitten. Wer sich freut, der soll danken und Psalmen sprechen.
Die  zweite Grundregel: Ich lasse mich von Gott leiten.
Wer betet, der gibt Gott in seinem Leben Raum. Menschen bewegen sich in ganz unterschiedlichen Lebensräumen und -welten. Wer nicht glaubt, dessen Lebenswelt ist von dem Bewußtsein bestimmt: Die Dinge und Menschen, mit denen ich umgehe, sind nur sie selbst. Ich mache mir keine Gedanken darüber, wo alles herkommt. Ich mache mir Gedanken über die Zukunft, aber ich bin überzeugt: Alle Veränderungen kommen einzig und allein von uns Menschen. Ein Baum bleibt ein Baum. Ein Freund bleibt ein Freund. Und ein Geldschein bleibt ein Geldschein.
Diese Einstellung kann noch einmal umkippen in die Selbstüberhebung, in die Sünde, die sagt: Diese Lebenswelt, in der ich stehe, ist nur um meinetwillen geschaffen. Ich muß das Beste aus diesem Leben und dieser Welt herausholen. Darum ist es nicht nötig, daß ich nach links oder rechts schaue. Darum ist es nicht nötig, daß ich neben meinen eigenen Interessen die Interessen anderer beachte. Liebe Gemeinde, es ist durchaus möglich, daß der Sünder auch an Gott glaubt. Aber er glaubt an einen Gott, der sich den egoistischen Interessen des Sünders fügt, ein- und nachordnet. Das kann am Ende nur schief gehen.
Der Sünder lenkt sich selbst durchs Leben. Der Sünder sagt: Ich dirigiere Gott. Der Glaubende sagt: Ich gebe Gott in meinem Leben allen Raum.
Die dritte Grundregel: Wer betet, spürt Gottes Wirken.
Im Jakobusbrief heißt es: Des Gerechten Gebet vermag viel. Es muß nicht wie bei der kleinen Laura sein. Sie meinte ja, als der Schmerz von der Verstauchung nachließ, den Finger und die Wirkung Gottes zu spüren. Ich bin überzeugt: Am Beten ist nicht die Erfüllung unserer Bitten entscheidend. Die Konfirmanden lernen das mit Hilfe von Karikaturen und übertriebenen Beispielen: Wenn ich mir betend eine Waschmaschine wünsche, dann wird sie nicht wie von Zauberhand innerhalb von drei Tagen geliefert. Wer von Gott die Erfüllung seiner Wünsche FORDERT, der begeht die Sünde der Selbstüberhebung, von der ich schon gesprochen habe. Wer betet – und Gott bittet, der spurt sich in eine völlig andere Einstellung ein. Gott antwortet auf jedes unserer Gebete, aber er erhört nicht alle unsere Bitten.
Wer betet, dessen Lebenswelt verändert sich darin und dadurch, daß ich überall, in jeder Person, in jedem Ding und unter allen Umständen mit dem wohltätigen und barmherzigen Wirken Gottes rechne. Wie das geschieht, das kann offen bleiben. Daß es geschieht, gehört zu den Grundüberzeugungen evangelischer Glaubensfreiheit.
Diese Glaubensfreiheit läßt sich nicht ohne das leben, was die Alten mit einem merkwürdigen Wort Anfechtung genannt haben. Lauras Kinderglaube ist davon noch unberührt, und das ist auch gut so. Aber wer erwachsen wird, der erfährt und spürt auch anderes: daß Krankheiten nicht wie erwartet abheilen, daß Menschen sterben, obwohl ihre Leidenszeit von den Gebeten vieler lieber Menschen um Besserung begleitet waren. Den Gebeten und den Hoffnungen auf Gottes Wirken stehen alle Erfahrungen des Sinnlosen, des Absurden, des Tragischen gegenüber, unschuldiges, überflüssiges und grausames Leiden von Menschen, das sich nicht mit der wohlwollenden Barmherzigkeit Gottes in Einklang bringen läßt. Anfechtung bedeutet: Zwischen Gottes Wirken und menschlichem Leid tut sich ein Graben auf, den der Glaubende aushalten muß. Manchmal ist das wie das Balancieren auf einem Seil des Glaubens über den Abgründen der Verzweiflung. Der Angefochtene weiß beides: Er kann abstürzen, er kann aber auch ruhig und im Gleichgewicht seinen Lebens- und Glaubensweg fortsetzen.
Die vierte Grundregel: Das Gebet stiftet Freiheit.
Das Beten selbst ist ein Balanceakt, zwischen Vertrauen und Anfechtung, zwischen Glauben und Zweifeln. Glauben heißt: Ich befreie mich von jedem Korsett, das mich in Regeln zwängt. Ich lebe aus der Freiheit heraus, die Gott mir schenkt. Ich bin allein für mein Denken und Handeln verantwortlich. Aber ich erkenne darin auch den Gott, der mir diese Freiheit schenkt. Zu ihm bete ich. Auf sein Wirken in der Welt vertraue ich. Ich vertraue darauf, daß er es gut meint, daß er dieser Welt in Barmherzigkeit entgegenkommt, manchmal im Offenen, Direkten, manchmal im Verborgenen, in dem, was unserer Wahrnehmung entzogen ist. Glaube ist kein sicherer Raum des Gottvertrauens, in dem mir nichts passieren kann. Glaube ist ein Raum der Freiheit, in dem ich meinen eigenen Weg gehe, in dem wir als Familien oder Gemeinde einen gemeinsamen Weg gehen. Dieser Weg ist gepflastert mit Erfahrungen der Gewißheit und der Barmherzigkeit, aber auch mit Erfahrungen der Anfechtung und der Verzweiflung. Glaube verändert sich im Laufe eines Lebens. Aus einem Kinderglauben wie dem von Laura wird der erwachsene Glaube desjenigen, der mit Gottes Hilfe rechnet und im Gebet darum bittet. Gott hat zugesagt, diese Bitten zu erhören. Aus seiner Hilfe gewinnen wir die Balance des Glaubens, die uns alle Anfechtung aushalten läßt. Amen.
Liturgie Gottesdienst Gemeindefest 14.Oktober 2012
Vorspiel
Begrüßung
660,1-4.6
Votum
Gruß
Antiphon 436
Psalm 715.2
Ehre sei dem Vater + Wiederholung Antiphon
Begrüßung Tauffamilien und Täufling
Lesung
Tauffrage an Täufling
Tauffrage an Taufeltern und Paten
Glaubensbekenntnis
Lesung Taufbefehl Matthäusevangelium
Taufe 1 Erwachsenentaufe (Jasmin)
Musikalisches Zwischenspiel
Taufe 2 Kindertaufe
Musikalisches Zwischenspiel
Taufe 3 Kindertaufe
395,1-3
Predigt über Jak 5,13-16
665,1-3
Fürbitten, dazwischen jeweils 178.9
Vaterunser
Friedensgruß
610,1-3
Segen
Nachspiel