Jona im Lockdown - Predigt zu Jona 1-2 von Christian Stasch
1-2

Jona im Lockdown - Predigt zu Jona 1-2 von Christian Stasch

Liebe Gemeinde,

 

  1. Jona. Was ist

„Ich wundere mich, dass ich lebe.“

Dieses Bauchgefühl hat Jona.

Denn schon seit drei Tagen sitzt Jona im Bauch eines großen Fisches.

Sitzt? – Nun, mal hockt er auch, mal kauert er, oder er liegt da drin.

Er ist im tiefen Meer nicht ertrunken, sondern von diesem Tier verschluckt worden, tödlich ist doch wohl das eine wie das andere, aber Jona wundert sich: er ist immer noch unzerkaut und unverletzt.

Drei Tage lang im Bauch des Fisches: Ungewöhnlich, geradezu sensationell.

Drei Tage, dunkel und eng, feucht und stinkig.

Oder geborgen und bewahrt?

Drei Tage im Fisch.

Jona hat nicht viel Bewegungsradius.

Was kann er tun?

Nachdenken z.B.

Ich stelle mir vor, er tut genau das,

er denkt dem nach, was war

und wie er hierhergekommen ist.

 

  1. Was war: Jonas Weglaufen

Mit einer Stimme hatte es angefangen, die er zu hören meinte.

War es Gottes Stimme, die zu ihm sprach?

„Geh! Geh in die große Stadt Ninive und predige gegen sie an, denn ihre Bosheit ist vor mich gekommen.“

Ninive, die mächtige Stadt im Osten, Assyrien, heutiger Irak. Damals Weltmacht, heute Krisenregion.

Da, in die Machtzentrale, soll er hin? Im Auftrag Gottes?

Vermutlich waren da noch andere Stimmen, die sich in ihm zu Wort meldeten, das ist ja immer ein ziemliches Stimmen-Wirrwarr, und man muss genau hinhören.

Eine Stimme in Jona sagt: Ich bin mir schon ziemlich sicher, dass es Gottes Stimme ist und dass mich Gott eben in den Osten schickt.

Eine zweite Stimme: Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dazu keine Lust habe. Setze mich dort vielleicht in die Nesseln, handle mir Ärger ein, wer weiß. Anderen Leuten so kritische Sachen auf den Kopf zusagen, wer mag das schon?

Eine dritte: Wieso schickt er MICH?

Eine vierte: Wieso NICHT mich?

Eine fünfte: Ach, ich werde mit Gott verhandeln, ob er nicht vielleicht einen anderen Auftrag hat, irgendwo hingehen, wo alles gut läuft und ich den Leuten ein bisschen auf die Schulter klopfen kann.

Oder auch: Ich mache einfach überhaupt nichts. Ich schalte auf Durchzug. Ich kann ja sagen, ich hätte Gott gar nicht gehört. Ich lebe hier einfach mein Leben weiter, als sei nichts passiert.

Und schließlich diese innere Stimme: Na, das werde ich nicht durchhalten. Ich muss schon selbst aktiv werden. Ich könnte ja z.B. abhauen.

So erinnert sich Jona, im Fischbauch, an die Vorgeschichte.

Er hatte mit sich verhandelt,

irgendwie musste er sich entscheiden.

So war es gekommen.

Er hatte sich für Weglaufen entschieden. Abhauen, Distanz in die Sache bringen. Erstmal abtauchen.

 

  1. Mein Weglaufen

Ich kenne das bei mir selbst auch: Eine unangenehme Aufgabe wegschieben.

Vor ihr weglaufen.

Oder: erstmal abtauchen.

(…)

Wir müssten mal den Garagenanbau aufräumen, da sieht es aus wie Sau.

Und man findet nichts.

Ja, unbedingt.

Wenngleich es absolut keinen Spaß macht.

Das Stichwort Garage steht schön auf unserer Schiefertafel in der Küche.

Toll, wir haben das Wort Garage hingeschrieben.

Aufgeräumt ist sie noch lange nicht.

Eine Form des Weglaufens.

(…)

Ich kenne das, ein unangenehmes Gespräch aufzuschieben.

Wie bringe ich meine Kritik gut rüber, ohne den anderen völlig runterzumachen,

ohne dass das Gespräch eskaliert?

Es geht mir doch eigentlich um die Sache, nicht um die Person.

Ach, dann spreche ich das erstmal nicht an, vielleicht löst sich ja auch alles von selbst.

Die Zeit heilt ja Wunden.

Eine Form des Weglaufens.

Augen zu und abtauchen.

 

  1. Was war: Schiff und Fisch

Das alles war vor drei Tagen gewesen.

Und nun: Fischbauch. Abruptes Ende des Fluchtversuchs.

Weglaufen kann Jona nicht mehr. Er steckt fest.

 

Ihm kommt nochmal in den Sinn, wie es weiterlief,

und lief und lief,

bis er zur Küste kam, Mittelmeer.

Dort: rauf aufs Schiff, Richtung Westen, ideal, genau die Gegenrichtung,

aber keinem was sagen, psst,

erstmal ganz nach unten im Schiff, hinlegen, ich ziehe mich zurück in meinen Schlaf.

Mensch war das alles anstrengend gewesen.

 

Ruhe hatte Jona gesucht.

Wollte in Ruhe gelassen werden.

Das Gegenteil passiert:

Ein Sturm zieht auf.

Mist.

Die rührenden Versuche der Besatzung,

jeder betet zu seinem Gott,

nichts davon scheint zu helfen.

Jona outet sich:

Der Sturm ist da wegen mir,

weil ich davon gestürmt bin.

Meine Schuld.

 

Jona landet im Meer und bald darauf im Fisch,

die Wellen beruhigen sich umgehend.

Schiff und Besatzung geht wieder es gut.

Und Jona?

 

  1. Passiv aktiv

Drei Tage ist das jetzt her.

Viel ist es nicht, was Jona tun kann.

Nicht nach Ninive laufen,

nicht woanders hinlaufen,

vieles, was sonst ginge, ist im Moment heruntergefahren,

Jona ist im Lockdown.

Wie lange wird der noch dauern?

Und wenn Jona da lebend herauskommen sollte,

ist dann alles so wie es vorher war?

(…)

 

Viel ist es nicht, was Jona jetzt tun kann.

Nachdenken kann er.

Und das macht er auch.

Zu Gott hin.

Das heißt: Beten.

„Ich bin mit mein´m Latein am Ende,

von dir erhoffe ich die Wende“.

So mal ganz frei zusammengefasst.

Das Gebet des Jona, das in der Bibel überliefert ist, ist sehr viel länger.

 

Wie könnten heutige Gebete klingen,

in unseren modernen Lockdowns,

die uns aus der Bahn der Machbarkeit herauswerfen?

 

Beten in diesen letzten 15 Monaten, die so noch keiner von uns erlebt hat, wo das gesellschaftliche, das kulturelle Leben heruntergefahren war und jetzt so ganz allmählich wieder anfährt:

Beten, dass einem der Mut nicht abhandenkommt,

und dass man die normalen Alltagsdinge nicht zu selbstverständlich nimmt,

sondern Dankbarkeit neu lernt.

 

Beten im gesundheitlichen Lockdown, im Krankenhaus?

Viele Patienten denken dann besonders über den Sinn des Lebens nach, über das, worauf es letztlich ankommt. „Wenn ich hier rauskomme, dann ändere ich mein Leben. Außerdem mache ich Sport und lasse den Weißwein weg. Versprochen.“

Und wer betet, betet vielleicht so: „Sei du bei mir, Gott.  Auch hier im Krankenhaus. Steh mir bei. Im Leben. Wie im Sterben.“

 

 

  1. Historisch? Nein: Existentiell

Wir hören diese Drei-Tage-Geschichte, diese Jona-Fisch-Geschichte, fantastisch ist sie, ausgeschmückt, geradezu unglaublich.

Und: sie kommt mir unglaublich nah.

Wie ein gutes Buch, das mich fesselt,

ein toller Film, dem ich atemlos 90 Minuten lang folge,

weil ich denke: ja, richtig, gut getroffen, gut auf den Punkt gebracht.

So ist das Leben.

 

Ich frage bei einem guten Buch oder guten Film nicht,

ob das alles genau so passiert ist,

ob das „historisch zutreffend“ ist.

Sondern ich bin berührt oder eben nicht berührt.

 

Manche Christenmenschen führen Debatten darüber,

ob sich die Jona-Geschichte denn so, wie sie dasteht, auch zugetragen habe.

Da geht es dann um die Biologie des Fisches,

und ist das denn möglich?

Und ist der Schlund breit genug?

Und ernähren sich die Wale nicht von kleinstem Plankton?

Ach, bei einem Pottwal könnte es gehen, der kann auch einen ganzen Hai runterschlucken?

Und ist nicht im 19. Jhd. irgendwo in der Karibik ein Fischer mal verschlungen und wieder ausgespuckt worden?

Und ist da im Magen des Fisches genug Sauerstoff drin, für drei Tage?

Oder war Jona doch schon tot oder wie tot und wurde quasi wiedergeboren?

 

Das ist alles ganz interessant.

Aber für die Frage „Berührt mich die Geschichte?“ trägt das gar nicht so viel aus.

 

Mich berührt die Jona-Geschichte. Einfach so.

Mich berührt auch die letzte Szene der Fischbauch-Episode:

Nämlich: Am dritten Tage

Ausgespuckt.

Jona ist wieder da,

aber ist nicht wieder der alte.

Das hat Spuren hinterlassen,

mit einmal kurz schütteln (Krönchen richten) ist es nicht getan.

(…)

 

Und nun?

Das Leben neu sortieren?

Laufrichtung ändern?

 

Der Auftrag an Jona steht immer noch im Raum.

Den ist er durch seine Aktion nicht los geworden.

„Geh, Jona, geh.“

 

Du schaffst das.

 

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Christian Stasch: 

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Predigt innerhalb eines Gottesdienstes, der den Tag das „Hoffest“ der ÖSSM eröffnet. Das ist die „Ökologische Schutzstation Steinhuder Meer“.  Es werden sicher auch Zu-fallsgäste mit unter den Zuhörenden sein, also Leute, die sonst eher keine Gottesdiens-te besuchen. Eine schöne Chance.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Wie schön: die Jona-Geschichte hat es ins Perikopenbuch geschafft! Eine wunderbar gemachte Story, klug, tragisch, humorvoll, mit angewandter statt abstrakter Theolo-gie.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Wie geht es mir mit dem Weglaufen vor großen (oder kleineren) Herausforderungen und Entscheidungssituationen? Wie geht es mir in Phasen des physischen oder seeli-schen Lockdowns?

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Sehr gute, sehr hilfreiche Bemerkungen und Anregungen der Coachin: Nicht zu viel hin und her springen zwischen Textebene und Gegenwart; den Hörenden Zeit geben (Das ist in der Predigt nun mit „…“ angedeutet); keine aktualisierenden Beispiele von der Stange. Im Ganzen fühlte ich mich aber durchaus bestärkt. Das tat gut.

 

Perikope
Datum 06.06.2021
Bibelbuch: Jona
Kapitel / Verse: 1-2