Offene Beziehung und Besitzdenken - Predigt zu Jona 3,10+4,1-11 von Markus Kreis
Jona 310 Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht. 41 Das aber verdross Jona sehr, und er ward zornig 2 und betete zum HERRN und sprach: Ach, HERR, das ist’s ja, was ich dachte, als ich noch in meinem Lande war. Deshalb wollte ich ja nach Tarsis fliehen; denn ich wusste, dass du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt dich des Übels gereuen. 3 So nimm nun, HERR, meine Seele von mir; denn ich möchte lieber tot sein als leben. 4 Aber der HERR sprach: Meinst du, dass du mit Recht zürnst? 5 Und Jona ging zur Stadt hinaus und ließ sich östlich der Stadt nieder und machte sich dort eine Hütte; darunter setzte er sich in den Schatten, bis er sähe, was der Stadt widerfahren würde. 6 Gott der HERR aber ließ einen Rizinus wachsen; der wuchs über Jona, dass er Schatten gab seinem Haupt und ihn errettete von seinem Übel. Und Jona freute sich sehr über den Rizinus. 7 Aber am Morgen, als die Morgenröte anbrach, ließ Gott einen Wurm kommen; der stach den Rizinus, dass er verdorrte. 8 Als aber die Sonne aufgegangen war, ließ Gott einen heißen Ostwind kommen, und die Sonne stach Jona auf den Kopf, dass er matt wurde. Da wünschte er sich den Tod und sprach: Ich möchte lieber tot sein als leben. 9 Da sprach Gott zu Jona: Meinst du, dass du mit Recht zürnst um des Rizinus willen? Und er sprach: Mit Recht zürne ich bis an den Tod. 10 Und der HERR sprach: Dich jammert der Rizinus, um den du dich nicht gemüht hast, hast ihn auch nicht aufgezogen, der in einer Nacht ward und in einer Nacht verdarb, 11 und mich sollte nicht jammern Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen sind, die nicht wissen, was rechts oder links ist, dazu auch viele Tiere?
Gott pflegt ein Besitzdenken, das eine offene Beziehung einschließt. Eigentlich schließt sich beides für unser Verstehen aus. Für Menschen ist es sehr schwierig, das unter einen Hut zu bringen. Entweder wird es unverbindlich oder diktatorisch. Für Gott gestaltet sich das anders. Was geht da vor sich? Wenn eines seiner Geschöpfe von ihm abfällt, dann will Gott es unbedingt wieder für sich gewinnen. Damit sein Wollen und Denken in eine Tat mit Erfolg mündet, lässt Gott sich allerhand einfallen. Da ist er offen für alles, was hilft. Und also offen für den Menschen, der umgestimmt werden muss. Offen für jeden Winkelgang, den das Herz von Menschen sich ersinnen kann. Um ihm dann einen Ausweg aus dem selbst gewählten Labyrinth anzubieten. So auch im Fall unseres Propheten, anhand des Planspiels mit der Pflanze Rizinus und den Einwohnern Ninives. Denkt Jona so, wie Gott es ihm nahelegt? Ergreift Gottes Denken Besitz von Jona, eröffnet es ihm neues Denken, Wollen und Tun? Oder verschließt der Prophet sich Gottes Ansinnen? Bleibt von seiner Denke besessen?
Schauen wir uns mal die Vorgeschichte dazu an. Jona bekam von Gott den Auftrag: Rede als mein Prophet in der Stadt Ninive gegen ihre Bewohner und deren Bosheit. Vor Ort angekommen wird Jona klar: Drei Tage harte Arbeit stehen bevor. Denn Ninive ist eine reiche Megacity, die riesig viel Boden bedeckt und verbraucht. Die Slums stehen eng und gedrängt. Aber die freistehenden Einfamilienhäuser mit ihren halben Parks drumherum. Drei Tage soll es dauern, bis man ihre Routen durchmessen hat. Drei Tage? Die hat Jona in einem Fischbauch zugebracht. Das ist härter. Die Subways oder Boulevards von Ninive mögen da geradezu wie ein Kinderspiel erscheinen. Also frisch auf an die Arbeit!
Und die ist von Anfang an erfolgreich. Nicht nur, weil Jona seinem Auftrag nachkommt. Ja, seine Arbeit trägt schnell Früchte. Schon am ersten Tag. Sein Wort geht blitzschnell in der ganzen Stadt um. Als hätt´ es da damals schon das weltweite Netz gegeben. Überflüssig, dass er überall selbst hingeht. Die Einwohner arbeiten und machen und selber mit. Da braucht´s keine drei Tage mehr. Direkter geht´s nicht.
Das bringt gute Spitzkehren mit sich. Die Einwohner von Ninive sind nämlich von tiefer Reue erfasst. Obwohl sie voll in der Aufwärtsspirale waren. Sie hatten sich einen ähnlich geilen Turm wie die Nachbarn aus Babel erbaut. Tolle Aussicht, von da oben. Auch wenn es einen ganz schön schafft, die vielen Wendeltreppen da rauf. Schöne Aussicht jedenfalls für die Zukunft dieser Stadt und ihre Bewohner.
Doch Schluss jetzt mit Glanz und Gloria. Wir haben´s wohl übertrieben, wir aus Ninive! Stattdessen nun Sack und Asche. Und strenges Fasten für alles Leben. Sogar dem Wasser wird entsagt. Um Vergebung bitten und Warten. Ob Gott vierzig Tage auf sich warten ließ? Über das Wie-Lange verliert die Schrift kein Wort. Nur, dass Gott geantwortet hat, mit einem: Sesam öffne dich! Statt Sodom und Gomorrha. Die Bewohner sehen ihre Verfehlung ein.
Und die Sünde kriegt Probleme mit der Verdauung. Igitt und bäh! Raus mit dem Zeug. Ninive lässt sich von mir gar nicht zersetzen. Wer will denn so was?! Sie spuckt die Stadt in hohem Bogen aus und gleich Gott vor die Füße, auf sicheren Boden. Und Gott ist offen für eine freundliche Behandlung der Stadt. Das ist doch mehr als ok, das ist doch richtig gut so! Oder?
Jonas Groll wegen Gottes Gnadentat für Ninive ist sehr erstaunlich. Hat er hier doch seine eigene Vorgeschichte zur Vorgeschichte vergessen, das Prequel. War er einst doch selbst von dem abgefallen, was Gott wollte. Im Gegensatz zu Ninive war da kaum Großes im Wachsen, fing bei ihm alles mit einer richtigen Abwärtsspirale an. Sanft, fast unmerklich beginnt sie. Von grünen Bergen Israels herab wandert der Mann in die nächste Hafenstadt. Viele Kehren bremsen das Gefälle seiner Pfade, zeichnen den Weg seines Lebens vor.
Darauf vom Stadttor zum Hafenkai, von dessen Mauer übern Steg aufs Schiff, vom Deck in die Kabine hinunter, von dort wieder aufs Deck hinauf - welch schönes Verzögern - von Deck über Bord, von der Reling ins Meer, von dessen stürmischen Wellen in den Walfischbauch.
Betrachten wir Jonas Spurverlauf aus der Perspektive eines Vogels, also von oben, so, als ob er auf einer Ebene gegangen wäre: Das geht so schön hin und her, seine Spur sieht aus wie das Torkeln eines Trunkenen. Manchmal fast wie auf der Stelle tretend. Schlimmer geht immer, tiefer geht nimmer, vom Gebirgsregen in die Schiffstraufe in den Fischbauch. Sind wir nicht alle ein bisschen Jona?
Schließlich ganz unten eine Spitzkehre, die es in sich hat. Jona singt ein Psalmgebet. Damit macht er Sushi aus dem Fischbauch. Seine Klage widmet diesen garstigen Ort um. Macht aus der Raubfischhöhle Gottes Wohnzimmer. Halt, da werden doch Äpfel mit Birnen verglichen! Stimmt zwar, tut aber nichts zur Sache. Denn es geht um eine Ungleichung. Gottes Wohnzimmer ist größer und kleiner als jeder andere Ort. Auch im Vergleich zu einem Walfischbauch. Gottes Lounge findet sich überall.
Ganz ähnlich dem verlorenen Sohn im Gleichnis gleichen Namens. Wie der begreift Jona in der tiefsten Tiefe, dass Gott immer noch auf seiner Höhe ist. Obwohl er sich vor ihm aus dem Bergstaub gemacht hat. Was für eine Spitzkehre und Wandlung! Wo unsereins nach Regen oft schon an der Traufe verzweifelt. Jona glaubt: Tiefe Reue hat Gott schon immer erhört. Sogar wenn das Leben einen schon anverdaut hat. Gott spricht dann stets: Sesam öffne Dich. Und beide sollten Recht bekommen.
Die Sünde kriegt Probleme mit der Verdauung. Igitt und bäh! Raus mit dem Zeug. Der lässt sich von mir gar nicht zersetzen. Wer will denn so was?! Sie spuckt Jona in hohem Bogen aus. Und gleich Gott vor die Füße, auf sicheren Boden.
Und jetzt: Verkehrter Bekehrter! Jona, einst selbst von Gott abgefallen und wieder gewonnen, vollzieht eine Volte. Ihm ist ob der tiefen Reue der Städter die Lebensfreude vergällt. Er macht auf dem Absatz kehrt und schickt sich in die Wüste. Nach dem Motto: Wenn die sowieso bereuen, dann hätte Gott mir den ganzen Aufwasch ersparen können. Den Fischbauch. Die Ohnmacht. Wozu das Ganze? War ja eh klar, oder?
Reue, die zu spät kommt, die kam ihm wohl kaum in den Sinn. Obwohl fast jeder weiß, was die anrichten kann! Was die mit einem Leben machen kann, zu späte Reue. Manch Geschiedener weiß davon zu berichten, manches beste Pferd, das blind eine Karrierestufe gestürmt hat, mancher Kranke im späten Stadium, mancher Einsame im Verhältnis zu seinen Mitmenschen. Es gibt so viele Kurven, aus denen man fliegen kann, wenn man zu spät bremst.
Jona, ein Buchhalter, der mit einem Herz aus Stein Bilanz zieht. Trotz persönlichem Unterricht schon wieder verschlossen für Gottes Tun. Sanft, fast unmerklich hat hier in ihm eine böse Aufwärtsspirale begonnen. Auch sie tritt fast auf der Stelle. Denn sie ist wie sein Niedergang voller Spitzkehren, also voll verkehrter Wendungen und Gedanken. Moralische Empörung. Wachsendes Schmollen und Grollen und gekränkt sein. Ganz oben Überheblichkeit. Die fährt so leicht auf. Die kann nur verkennen, an welch´ großem Gewicht sie sich grad´ verhebt.
Auch die eigens aufgesuchte Wüstenei kann also zum Fischbauch werden. Statt Magensäure heiße Luft, die einen austrocknet, statt Kutteln Flugsand, der einem alles abschmirgelt. Statt Dunkelheit Licht, das einen blendet und dabei verbrennen lässt. Beide Sterbensörtchen kennen sogar ihre Botanicals. Was dem Jona im Meer Algen und Schilf, das ist ihm in der Wüste ein grüner Strauch, Rizinus nämlich. Beide bedecken ihm zu Zeiten Haupt und Glieder.
Im Auf und Ab der Wellen ist die Sache so gelaufen: Trotz der Schilffetzen über den Augen hat Jona klar erkannt: Wenn ich in der tiefsten Tiefe bin, bin ich mit Gott immer noch auf der Höhe. Und nun, im Auf und Ab der Sanddünen, die verdorrten Rizinusblätter über dem Haupt. Leuchtet Jona jetzt was ein? Und was?
Dass sein Grollen gerecht ist, das weiß er so sicher, dass er seine eigene Geschichte vergisst. Stattdessen: Gleiches gehört mit Gleichem vergolten! Wo kommen wir denn da hin?! Ob er auch einsieht, dass er sich mit seinem Auge um Auge wieder ganz unten befindet. Ja, obwohl mitten in der Wüste ganz unten im Fischbauch, aber vor dem Psalmgebet! Einverstanden, damals sah er sich mit Gott auf der Höhe, obwohl tief drunten im Meer. Diesmal ist da was anders. Diesmal stellt er sich über Gott. Als wüsste er es besser als der. Wegen seines Bilanzblicks blind. Blind dafür, dass die Einsicht der Leute in Ninive echt ist. Auch ohne die Schmachaktion im Fischbauch, auch ohne forcierte Ohnmacht. Blind für Gottes zahllos gute Ideen, Worte und Taten, im Gegensatz zu den Menschen Ninives, die offen für sie sind. Gottes Herz in unserem Herz ist größer als alles, was sich unser Blutbeutel ausdenken kann. Immer wieder Vergebung und tiefe Reue, echter Neuanfang in Gottes Namen. Aus purer Einsicht, ganz ohne Not.
Die Chancen des Blinden auf Heilung und neue Sicht stehen gut in der Sonne. Es ist bei Jona im dunklen Fischbauch schon einmal gut gegangen mit der Einsicht. Mit dieser letzten aller Spitzkehren. Das wird schon werden mit dem und seiner Kränkung im Wüstenei. Mit seinem Ressentiment für das Glück der anderen. Und seiner Verschlossenheit für Gottes Offenheit und Besitzdenken. Das wird schon werden, auch mit unseren Ressentiments. Wie vergessen eigene Ohnmacht und Leiden, Kränkung und Neid. Stattdessen Freude über Gott und sein gutes Werk in der Welt. Selbst wenn andere mehr Gutes und weniger Schlechtes abkriegen als wir. Das wird schon werden, so wahr Gott hilft. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die Predigt ist nur für das weltweite Netz geschrieben. Menschen hatte ich wie fast immer keine vor Augen. Ohren versuchte ich zu haben für die stumme, leise Stimme, die dem guten Menschen in mir entsprechen mag, und die zu erhören mir leider zuweilen wenig leicht fällt.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das Buch Jona ist einfach ein gxxler Text und verdient mit der Arche-Noah-Geschichte auf eine Stufe gestellt zu werden. Allein schon die kontrafaktischen Inklusionsversuche der Seeleute gegenüber dem quasi notorischen Außenseiter Jona sind eine Predigt wert.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Entdeckung, dass die Schauplätze Wasserwüste und Megacity, Wüstenei und Bedenkraumzeit der Textrezipienten als parallel und dabei über Kreuz (Absender – Empfänger, Abwärtsspirale – Aufwärtsspirale, offen – verschlossen) konstruiert verstanden werden können.
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Prophetische Beauftragung für jeden? - Predigt zu Jona 3,1-10 von Andreas Pawlas
Und es geschah das Wort des Herrn zum zweiten Mal zu Jona: Mach dich auf, geh in die große Stadt Ninive und predige ihr, was ich dir sage! Da machte sich Jona auf und ging hin nach Ninive, wie der Herr gesagt hatte. Ninive aber war eine große Stadt vor Gott, drei Tagereisen groß. Und als Jona anfing, in die Stadt hineinzugehen, und eine Tagereise weit gekommen war, predigte er und sprach: Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen. Da glaubten die Leute von Ninive an Gott und riefen ein Fasten aus und zogen alle, Groß und Klein, den Sack zur Buße an. Und als das vor den König von Ninive kam, stand er auf von seinem Thron und legte seinen Purpur ab und hüllte sich in den Sack und setzte sich in die Asche und ließ ausrufen und sagen in Ninive als Befehl des Königs und seiner Gewaltigen: Es sollen weder Mensch noch Vieh, weder Rinder noch Schafe etwas zu sich nehmen, und man soll sie nicht weiden noch Wasser trinken lassen; und sie sollen sich in den Sack hüllen, Menschen und Vieh, und heftig zu Gott rufen. Und ein jeder kehre um von seinem bösen Wege und vom Frevel seiner Hände! Wer weiß, ob Gott nicht umkehrt und es ihn reut und er sich abwendet von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben.
Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht.
Liebe Gemeinde,
dass die jedem Sonntag zugeordneten Bibelabschnitte für die jeweilige Gemeinde vor Ort bedeutsam, hilfreich und lebensorientierend sind, ist zweifellos eine Grundüberzeugung, von der jede Predigt getragen ist. Aber nun blicken wir auf diesen für heute ausgewählten Abschnitt aus dem Jona Buch. Und da fällt es auf den ersten Blick wirklich schwer, einen Bezug zu unserer Gegenwart, zu unserem heutigen Denken oder überhaupt zu einem Leben in diesen schwierigen Kriegs- und Pandemie-Zeiten herzustellen.
Aber vielleicht hat ja dagegen der eine oder andere vor Augen, wie aufregend auch für heutige Menschen die vielen anderen Abschnitte des Jonabuches sind: Erinnern wir uns etwa doch daran, dass dieser Jona weggelaufen ist, um den Auftrag Gottes, der Stadt Ninive das Gericht anzusagen, irgendwie auszuweichen. Vermutlich können sich dabei viele unter uns in das Denken und Fühlen eines solchen flüchtigen Menschen hineinversetzen.
Oder erinnern wir uns doch an jenen Abschnitt, der Jesus sicherlich vor Augen stand, als er sagte: Es wird dem Menschengeschlecht „kein Zeichen gegeben werden außer dem Zeichen des Propheten Jona. Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschen Sohn drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein.“(Mt 12,39f.) Damit wird doch der Weg dieses Propheten Jona, sein Untergehen im Bauch des Fisches und dann trotzdem wieder ins Leben zu kommen, als Abbild des durch Christus vollbrachten Erlösungsgeschehens dargestellt. Ja, das ist doch für Christen wirklich elementar! Kein Wunder, dass sich deshalb an vielen altkirchlichen Gräbern Abbildungen des Propheten Jona finden.
Und selbst der Abschluss des Jona-Buches ist doch so eindrücklich, wo Jona mit seiner Predigt zwar erfolgreich ist, aber dann darüber bitter verzagt, dass Gott unerwarteterweise so barmherzig ist, und dass er deshalb das prophetisch angedrohte Übel einfach nicht über Ninive hereinbrechen lässt.
Also: das alles sind doch wirklich Erzählstränge, in denen wir uns als moderne Menschen gut wiederfinden können. Was spiegelt sich da nicht alles aufregend aus der Lebensgeschichte von uns so irdischen Menschen mit der aus Gottes Ewigkeit kommenden so völlig anderen göttlichen Güte!
Was jedoch nun durch diesen verordneten Predigttext angesagt ist, ist etwas ganz anderes: Und dazu werden wir nun etwas widerstrebend in dieses dritte Kapitel des Jona-Buches gezogen. Und das handelt ja nicht nur davon, dass der von Gott beauftragte Prophet beginnt zu predigen. Er kündigt allen auf dieser Welt schuldig gewordenen das Gericht an - und das sogar im Zentrum der damaligen Welt.
Was hier jetzt weiter lebendig berichtet wird, ist, dass tatsächlich auch alle aufmerksam sind, dass ihm tatsächlich auch alle zuhören und dass ihm auch erstaunlicherweise schließlich alle nachfolgen, in sich gehen und Buße tun!
Aber jetzt muss ich Sie doch alle fragen: Hand aufs Herz, haben wir so etwas in unseren Zeiten schon jemals erlebt? Dagegen weiß doch jeder engagierte Prediger davon ein Lied zu singen, wie häufig er in Gottes Namen vom Gericht gesprochen hat, von allen üblen Folgen gottlosen menschlichen Tuns - und wie das bei vielen in das eine Ohr hinein und aus dem anderen wieder herausgegangen ist. Und vor allem, dass es die, die nun wirklich betreffen sollte, nun überhaupt nicht erreichte. Geschweige denn, dass sich auch nur irgendetwas geändert hätte an dem menschlichen Handeln.
So, das ist nun einmal die Erfahrung von uns Durchnitts-Predigern in Durchnitts-Gemeinden. Aber was muss das nun für diese Predigt heißen? Einfach aufhören? Das Predigen einfach sein lassen? Oder geschickt einen anderen Bibeltext suchen, der mehr unserem gegenwärtigen Geschmack entspricht? Oder etwa gefälligst die Bibel einfach zuklappen und schweigen?
Wenn es jetzt etwa um ein kompliziertes Stück Literatur ginge oder ein vertracktes Benutzerhandbuch, dann könnte man es vielleicht so machen, und dann wäre das sicherlich angemessen. Aber völlig unangemessen wäre das doch bei einem Predigtwort! Denn wir sollen und dürfen uns doch darauf verlassen, dass uns in dem sonntäglichen Predigtwort Gottes Gegenwart für unsere Zeit hier und jetzt begegnen will. Also muss und darf ganz anders und ganz neu auf dieses Bibelwort geschaut werden.
Und bitte lassen Sie uns dazu einmal in ganz neuer und anderer Weise auf das Ereignis der Beauftragung des Propheten schauen. Immerhin ist Gott diese Beauftragung ja so wichtig, dass er sich sogar wiederholt, denn es heißt: „Und es geschah das Wort des Herrn zum zweiten Mal zu Jona: Mach dich auf, geh in die große Stadt Ninive und predige ihr, was ich dir sage!“ Und dann kommt die konkrete Ansage, dass es noch vierzig Tage seien, bis Ninive untergehen werde.
Nun dürfen unsere Gedanken bei dieser Beauftragung nicht dadurch fehlgeleitet werden, dass wir uns an einige historische Details klammern. Nein, Ninive gibt es schon lange nicht mehr. Darum ist in ihr auch nicht mehr zu predigen. Und es ist gewiss auch nicht jeder in gleicher Weise wie Jona beauftragt, als Prophet aufzutreten.
Aber wir können und dürfen uns doch auch in diesem Zusammenhang trauen, das ernstzunehmen, was uns heute im Evangelium (Lk 14,16ff.) zugesagt worden ist. Denn danach sind wir doch alle von Gott eingeladen, und darum auch beauftragt! Und weiter ist uns nach Epistel (Eph 2, 19) verbürgt, dass wir nicht mehr Gäste und Fremdlinge auf dieser Welt sind, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, die darum auch teilhaben sollen an Gottes Wirken in der Welt! Ja, wir alle! Jeder von uns!
Noch einmal und gegen jedes Missverständnis: Bestimmt ist nicht jeder wie Jona beauftragt, in so einer großen Stadt wie Ninive inmitten von 120.000 Menschen wirksam zu werden. Aber für mich klingt vielmehr in diesem Kapitel durch, dass jeder von Gott an seinem Ort eingeladen und darum dort auch beauftragt ist, über das nicht zu schweigen, was das Entscheidende im Leben ist!
Denn, was wird etwa morgens im Büro nicht alles geredet, wobei sicherlich auch wichtig ist, nicht jedem gleich Bibelworte an den Kopf zu werfen. Aber wie könnte man darüber schweigen, dass man Christ ist, sich darum auf Gott verlässt und darum weder an übler Nachrede noch an schrägen Tricksereien teilnimmt? Oder was wird etwa abends im Sportclub nicht alles geredet. Aber wie könnte man darüber schweigen, dass man Christ ist, sich darum auf Gott verlässt und darum fair gegen jedermann ist? Oder was wird tagsüber in der Familie nicht alles geredet und es ist auch wichtig, nicht jedem die eigene Lebensweise aufzupressen. Aber wie könnte man darüber schweigen, dass man Christ ist, sich darum auf Gott verlässt und von der Geschichte des Gottesvolkes und von der eigenen Geschichte mit Gott erzählt?
Gewiss, das ist in sehr kleiner Münze aus dem Schatz des Glaubens gezahlt. Das sind nicht großtönende Gerichtsworte, bei denen anderen die Zähne klappern oder die Knie zittern. Aber insgesamt soll und darf doch die christliche Botschaft durchklingen, die für das Große wie das Kleine gilt. Und vielleicht sind das auch nur irgendwie kleine Einübungen, damit wir bei den großen Herausforderungen gut gewappnet sind.
Auf jeden Fall aber das soll und darf jeder für sich selbst durchbuchstabieren: Beauftragt ist jeder. Nein, da hilft keine Ausrede wie etwa „Ich bin zu jung“ oder „Mir geht es heute nicht so gut“ oder „Ich habe heute wirklich keine Zeit“. Nein, das wirklich Aufregende ist: Egal wie klug oder dumm ich bin, egal wie fit oder wie klapperig ich bin, egal wie verloren, vereinsamt oder missverstanden ich mich fühle, durch Christus soll ich aus allem Üblen herausgezogen sein in ein neues Leben, das bis in die Ewigkeit reicht, während alles andere vergehen muss. Und genau darin geht auf jeden Fall das Gericht über diese Welt. Und darüber kann man doch nicht schweigen!
Wenn wir uns nun trauen, anderen von diesem Entscheidenden des Lebens zu erzählen, so ist es natürlich ganz menschlich, dass man Ergebnisse dieser Rede sehen will. Und natürlich wollte Jona das auch. Wenn er schon anzusagen hat, dass es noch vierzig Tage sind, bis Ninive untergeht, dann will er es auch gefälligst sehen. Aber mit der Buße und der Umkehr der Bevölkerung von Ninive hatte er einfach nicht gerechnet. Und war dann ja auch entsprechend verbockt. Aber darüber müssen wir jetzt nicht weiter reden.
Für uns ist einerseits entscheidend, dass Gottes Barmherzigkeit und Güte größer ist als alle üble Konsequenz menschlichen Handelns. Und allein das wäre schon Grund genug, dankbar und fröhlich zu sein, dass uns dieser Abschnitt des Jona-Buches, das so nachdrücklich vor Augen führt.
Andererseits aber zeigt uns dieser Abschnitt aus dem Jona-Buch: So gern man auch Ergebnisse seiner Bemühungen sehen will, sie bleiben uns so manches Mal einfach verborgen. Und das gefällt uns nicht. Ja, wir sind so manches Mal darin gefangen, dass wir die Ergebnisse aller unserer redlichen Bemühungen, dass wir die Früchte davon, wie wir unseren Glauben weiter gegeben haben, gefälligst auch während unserer Lebenszeit selbst bemerken wollen, um uns darüber zu freuen.
Aber wie kleingläubig ist das! Wieso denn nur im Zeitraum unserer kurzen Lebensjahre denken, wenn es letztlich um Ewigkeit geht? Wieso denn nur in den Denkwelten unserer begrenzten Vorstellungen bleiben, wenn es letztlich um Gottes Wirken, Walten und Fügen geht?
Ja, es ist eben einfach nicht zu fassen: An diesem großartigen Werk Gottes in Zeit und Ewigkeit mitzuwirken, da sollen und dürfen wir um Christi willen beauftragt sein. Mäkelige menschliche Erfolgskontrolle nimmt da unseren Gott einfach nicht ernst! Aber er nimmt uns ernst, und zwar so, wie wir sind! Nein, in seinen Augen disqualifizieren uns unsere geringe Kraft, unser schlechtes Verstehen und unsere mangelhaften Verständigungsmöglichkeiten keinesfalls. Nein, er ist es, der es weiß, uns richtig einzusetzen und auszurüsten mit Kraft und guten Worten, mit gutem Mut und viel Hoffnung, mit Freude und Dankbarkeit.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Es ist eine Vorstadt-Gemeinde versammelt, Alt und Jung sind beieinander. Kinder sind zuerst beim Gottesdienst dabei, dann aber kommt nach dem Evangelium der Auszug der Kinder zum parallelen Kindergottesdienst.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die unzulängliche Menschlichkeit des Propheten Jona.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
… dass die Güte Gottes größer ist als die unzulängliche Menschlichkeit des Propheten Jona und die von mir.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich habe gern Anregung des Predigtcoaches zur Reduzierung rhetorischer Fragen wahrgenommen.
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Das ganze Jonaherz - Predigt zu Jon 2,1-11 von Matthias Storck
Das ganze Jonaherz
Loslassen ist Festklammern
Jona. Ich habe seine Geschichte laut gelesen. Und sein Lied mitgesungen. Immer nochmal. Ich wollte Gott heraushören. Es gibt bekanntlich viele Arten zu schweigen. Auch Gott schweigt sich gelegentlich aus. In Menschen, in Bildern, in der Welt, sogar in Worten oder zwischen den Zeilen. Selbst in der Bibel. Manchmal schweigt er laut und unüberhörbar. Das Schwerste am Schweigen, heißt es, sei das Aufhören. Das gilt offensichtlich auch für Gott. Und nicht nur Jona weiß davon sein Lied zu singen.
Wenn Gott sein Schweigen bricht, muss man sich entscheiden. Das wissen nicht nur seine Leute, wie die berühmte Antwort des Dichters Bert Brecht auf die Frage, ob es einen Gott gibt, nahelegt: “Ich rate dir nachzudenken, ob dein Verhalten sich je nach der Antwort auf diese Frage ändern würde. Würde es sich ändern, dann kann ich dir wenigstens noch so weit behilflich sein, dass ich dir sage, du hast dich schon entschieden, du brauchst einen Gott.”
Manchmal ist Gott zum Weglaufen
Ich war sieben. Und, wie an jedem Montagmorgen um halb acht, angetreten zum Fahnenappell auf dem Schulhof des kleinen Dorfes in der Mark Brandenburg. Sechzigerjahre DDR. Ich Pfarrerskind. Der einzige ohne blaues Halstuch. Der Direktor ließ mich vortreten und fragte vorwurfsvoll: “Wo ist denn nun dein Gott?” Alle lachten. Ich schwieg. Sie hissten die Fahne. Und weder der Direktor noch die beiden Blauhemden rechts und links versanken im Boden, auch nicht nach vierzig Tagen. Und der rettende Fisch kam nicht, um wenigstens mich vom Platz zu schlingen.
Manchmal ist Gott zum Weglaufen. Aber ich blieb wie angewurzelt stehen. Wer war nun geflohen? Ich oder Gott? Ließ er sich etwa auslachen? Das ist eine echte Jonafrage. Dieser aufsässige Prophet redete mir schon lange dazwischen. Besonders, wenn ich mich selbst beim Fahnenappell noch verzweifelt an meinem lieben Gott festklammerte. Vielleicht, weil er Gott nicht einfach so lassen wollte, wie er war.
Weglaufen ist Wiederkommen
“Jona und der große Fisch” hieß mein innig geliebtes Kinderbuch. Den Gebrauchsspuren nach habe ich es hunderte Male durchgeblättert. Die kurzen Texte kannte ich auswendig, lange bevor ich lesen konnte. So buchstabierte ich mir Gott zuallererst im Bilderbuch zusammen. Ich lernte aber auch zwischen den Zeilen zu lesen. Etwa, dass man vor dem Weglaufen das Wiederkommen üben muss. Und dass man sichere Wegweiser braucht. Die Farben im Buch leuchteten mir noch lange heim. Und den großen Fisch auf der Umschlagseite konnte ich nicht leicht vergessen. Die Seeleute auf den Bildern vor und nach dem Sturm hatten freundliche Gesichter. Erst als sie den flüchtigen Gottesmann auf dessen Wunsch ins Wasser warfen, sahen sie ernst und etwas verlegen aus. Dann glätteten sich die Wogen. Das Schiff verschwand klein unter dem blauen Himmel am Horizont. Mit dem Wurf über Bord misslang die Flucht des Propheten schon ganz am Anfang. Aber dieser trotzige Bote hatte Gott den Rücken gekehrt. Das nahm mich für ihn ein.
Ein solches Buch wird ja nicht nur gelesen. Es wird geliebt und gelebt. Unzählige Male habe ich Gott mit kindlichem Schweigen bestraft oder bin polternd geflohen, um irgendwann auf leisen Sohlen wiederzukommen. Eine Flucht will gelernt sein. Manchmal habe ich mir zurechtgelegt, was ich mitnehmen wollte, wenn ich, ohne Gott vorher zu fragen, den Weg aus der Mark Brandenburg in die weite Welt antreten würde.
Immer wieder von vorn: Aufs Schiff, ins Wasser, in den Fisch, an Land, in die Stadt.
Nichts als Ostern
Der aufsässige Prophet nahm mich mehr als einmal mit auf seine bilderbuchreife Reise. Schon auf Seite zwei machten wir uns aus dem Staub. Gott hatte das Nachsehen. Furcht kannten wir nicht, denn wir wussten immer schon auf Seite drei, dass die Geschichte für alle Beteiligten – und damit auch für mich als blinden Passagier – gut ausgehen wird. Kaum angekommen in dem dunklen Bauch des Fisches, umgeben vom tiefsten Schweigen des Meeres fing Jona an zu singen. Er sang sein ganzes Menschenleben so lange vor sich hin, bis er selbst ein Psalm war. Oder er stimmte die schönsten und hellsten Töne an, die er kannte. Immer von neuem. Auch wenn niemand zuhörte, sang er laut und eindringlich. In der schwärzesten Menschenferne klang Vieles vergeblich. Aber sein unaufhörliches Psalmodieren rettete ihn wohl am Ende. Denn er sang so lange, bis der Fisch ihn ausspuckte.
Drei dunkle Tage und drei helle Nächte sang er.
Was er sang? Nichts als Ostern. Wer sich in seinen Gesang, wie er in der Bibel erklingt, hineinhorcht, wird gewahr, wie er sich vom dunklen Karfreitagsweinen ganz am Anfang immer weiter nach oben singt, Ton um Ton um Ton hinauf in immer helleren Osterjubel.
(Predigttext verlesen)
Zeichen des Jona
Schon Jesus selbst hatte geheimnisvoll andeutend auf das Zeichen des Jona verwiesen: “Wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein” (Matthäus 12,48). Für die Christenheit wurde Jonas Herabsinken in die Tiefe des Meeres, seine Gefangenschaft im Bauch des Fisches und schließlich seine wunderbare Rettung zur Verstehenshilfe für alles, was von Karfreitag bis Ostern geschah. So wie der Fisch Jona nicht in sich behalten konnte, so konnte das Grab Jesus nicht festhalten. Der Tod musste seine Beute wieder hergeben. Zwar nicht in meinem Jona-Kinderbuch, aber auf zahlreichen mittelalterlichen Darstellungen, vielfach auf Grabsteinen, wird anschaulich, wie der Fisch Jona an Land speit – als Vorab-Hinweis, wie nach kurzer Zeit, am dritten Tag, Jesus aus Dunkelheit und Tod befreit und auferweckt wird und der Osterjubel sich Bahn bricht.
Was allen in die Kindheit scheint
Die Predigt, die der Dichter Rudolf-Otto Wiemer meinem Kinderbuch-Jona in den Mund legte, gefällt mir heute noch. In zwei Sätzen und ganzen elf Worten ist alles gesagt.
„Jona stellte sich auf den Markt und predigte. Er rief: ‚Noch vierzig Tage, dann wird Ninive untergehen.‘ Die Leute erschraken. Sie fragten: ‚Was sollen wir tun?‘ Jona sagte: ‚Ihr sollt euch ändern.‘ Da glaubten sie seinen Worten und änderten sich.”
Dass eine Predigt so prompt durchschlagende Wirkung zeigt, dürfte selbst einem Propheten nur selten gegeben sein. Aber auch die anschließende Beschreibung ist nicht nur für Kinder unvergesslich. Sie lässt die Welt in einem österlichen Licht erscheinen.
„Die Zornigen schämten sich. Die Geizigen beschenkten die Armen. Die Lügner sagten die Wahrheit. Wer betrogen hatte, wurde ehrlich. Wer prächtige Kleider trug, legte sie ab. Alle fasteten sie. Unaufhörlich beteten sie zu Gott.”
Das ganze Gottesprogramm wird widerspruchslos umgesetzt. Jona ruht sich aus. Erschöpft von der Größe des Bekehrungswunders, das er mit seiner Auftragspredigt in Gang gesetzt hat, legt er sich in den Schatten eines Baumes. Das Kinderbuch ist hier zu Ende. Es schließt mit dem Blick auf eine Welt, die sich mit eisernem Willen und knappen Anweisungen erfolgreich zum Guten ändern lässt.
“Was allen in die Kindheit scheint”, nannte der Philosoph Ernst Bloch liebevoll diese unverwüstliche Hoffnung auf eine Zukunft, in der Frieden und Gerechtigkeit sich küssen. Aber, wie im richtigen Leben, bleibt die Bibel beim Happy End nicht stehen.
Gott hat zwar sein Schweigen gebrochen. Aber dann stellt er selbst alles Gesagte in Frage. Er tut einfach nicht, was er sagt. Die Stadt geht nicht, wie angekündigt, unter.
Genau das hatte Jona befürchtet.Nun fühlt er sich vor den Menschen blamiert und ist gekränkt. Weil er, ganz im Gegensatz zu uns Nachgeborenen, die österliche Freudenpartitur noch nicht entziffern kann, hört er nur Misstöne. Dabei ist es ihm herzlich egal, ob das Licht, hinter das er geführt wird, österliche Züge trägt.
Gott ist sich selbst und ihm ins Wort gefallen. Für immer. Nicht Untergang und Tod haben fortan das Sagen, sondern Erlösung und Rettung. Nicht nur im Fischbauch, sondern weltweit kommt ein anderer Ton zum Vorschein. Dafür nimmt Gott selbst Tod und Verderben auf sich, wird verspottet und verlacht und stirbt verlassen am Kreuz. Drei Tage und drei Nächte währt die Gottesferne. Dann ist die Welt für immer eine andere.
Das ganze Jonaherz
Ich Pfarrerskind.
Ich habe gelernt zu fliehen. Ich fragte, was ich sah. Ich übte, was ich sagte, ich sagte, was ich glaubte. Was ich verlor, verbarg ich. Stündlich. Täglich. Nicht immer rechtzeitig. Aber ich entkam den Wörtern, dem Schweigen, dem Redenmüssen, der Einsamkeit. Ich floh vor Heiligen, vor Engeln, vor Thron und Altar. Vor dem Nachthimmel, vor dem Kelch. Vor wohlfeiler Zuversicht. Vor manchen Psalmtönen.
Nicht entkommen bin ich der Angst. Vor dem Scheppern der Riegel. Vor dem Singen der Schlüssel. Vor den Lügen der Vernehmer. Vor den Stiefeln der Bewacher.
Ich Pfarrerskind.
Ich habe gelernt zu bleiben. Ich habe geübt zu schweigen. Beim Fahnenappell immer hinten, immer im Dunkeln. Ich habe geübt zu singen. Wenn einer singt, kann es hell werden, österlich hell. Mit Miriams Trommeln. Mit Davids Psalmen. Mit Bachs Magnifikat. Und mit einem Wort von Martin Luther, gemeißelt in mein Jonaherz:
"Mit wem Gott einmal redet, sei es im Zorn oder in der Gnade, der ist gewiss unsterblich.”
Das ganze Jonabuch in einem Satz.
Aber manchmal schwieg Gott mich plötzlich an.
Einmal sogar mitten im Gottesdienst, mitten im Wort. Buchstäblich.
Da dachte ich: Ohne Gott wird es überall eng, ganz gleich, ob auf der Kanzel oder im Fisch.
Immer fällt mir Jona ein. Wie er sang und wie sein ganzes menschliches Leben auf einmal Gottes Wort wurde. Das Zeichen des Jona. Dann fasse ich mir an mein Jonaherz. Ich Pfarrerskind. Dann singt es in mir. Egal ob Kanzel oder Fisch, es ist mein Ostern, mein Cante jondo, mein eigener "Gesang von tief innen" aus dem Fischbauch:
"Gewiss unsterblich." Das ganze Jonaherz in zwei Worten.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Eine Gemeinde vor den Toren einer Großstadt in ländlicher Region in Ostwestfalen. Neben traditionellen Angeboten gibt es eine rege Jugend- und Konfirmandenarbeit. Die Gottesdienste sind in der Regel gut besucht. Die ehemalige Patronatskirche liegt zentral im alten Dorfkern, es gibt vielfältige Kirchenmusik. Im Gottesdienst wird die Kantorei singen. Und auch sonst wird viel gesungen – nach der Corona-bedingten Schweigezeit. Das Lied "Der schöne Ostertag" (EG 117) wird vor der Predigt gesungen.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Den trotzigen Propheten Jona im Laufe der Vorbereitung immer österlicher predigen und singen zu hören, weckte kindliche und erwachsene Erinnerungen an eigene österliche Auf- und Ausbrüche.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Das ganze Jonaherz in mir selbst so laut pochen zu hören erweckt durch die lebendigen Bilder und eindringlichen Wahrheiten eines alten Kinderbuches, von dem ich mir einbildete, es längst vergessen zu haben – das war selbst ein kleines Ostern. Die eigenen Versuche, dem Schweigen oder den (vermeintlichen und wirklichen!) Anreden Gottes zu entkommen und immer wieder zu ihnen zurückzukehren, halten an und sind nicht weniger aufregend als in der Kindheit.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die behutsamen Hinweise des Predigtcoaches ließen mich den Text ganz anders lesen und die österliche "Partitur" in dem Jona-Psalm erst wirklich hören und verstehen. Die ganze Predigt bekam durch diese Hinweise erst ein neues, österliches Licht.
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26.06.2022 - 2. Sonntag nach Trinitatis
Jona im Lockdown - Predigt zu Jona 1-2 von Christian Stasch
Liebe Gemeinde,
- Jona. Was ist
„Ich wundere mich, dass ich lebe.“
Dieses Bauchgefühl hat Jona.
Denn schon seit drei Tagen sitzt Jona im Bauch eines großen Fisches.
Sitzt? – Nun, mal hockt er auch, mal kauert er, oder er liegt da drin.
Er ist im tiefen Meer nicht ertrunken, sondern von diesem Tier verschluckt worden, tödlich ist doch wohl das eine wie das andere, aber Jona wundert sich: er ist immer noch unzerkaut und unverletzt.
Drei Tage lang im Bauch des Fisches: Ungewöhnlich, geradezu sensationell.
Drei Tage, dunkel und eng, feucht und stinkig.
Oder geborgen und bewahrt?
Drei Tage im Fisch.
Jona hat nicht viel Bewegungsradius.
Was kann er tun?
Nachdenken z.B.
Ich stelle mir vor, er tut genau das,
er denkt dem nach, was war
und wie er hierhergekommen ist.
- Was war: Jonas Weglaufen
Mit einer Stimme hatte es angefangen, die er zu hören meinte.
War es Gottes Stimme, die zu ihm sprach?
„Geh! Geh in die große Stadt Ninive und predige gegen sie an, denn ihre Bosheit ist vor mich gekommen.“
Ninive, die mächtige Stadt im Osten, Assyrien, heutiger Irak. Damals Weltmacht, heute Krisenregion.
Da, in die Machtzentrale, soll er hin? Im Auftrag Gottes?
Vermutlich waren da noch andere Stimmen, die sich in ihm zu Wort meldeten, das ist ja immer ein ziemliches Stimmen-Wirrwarr, und man muss genau hinhören.
Eine Stimme in Jona sagt: Ich bin mir schon ziemlich sicher, dass es Gottes Stimme ist und dass mich Gott eben in den Osten schickt.
Eine zweite Stimme: Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dazu keine Lust habe. Setze mich dort vielleicht in die Nesseln, handle mir Ärger ein, wer weiß. Anderen Leuten so kritische Sachen auf den Kopf zusagen, wer mag das schon?
Eine dritte: Wieso schickt er MICH?
Eine vierte: Wieso NICHT mich?
Eine fünfte: Ach, ich werde mit Gott verhandeln, ob er nicht vielleicht einen anderen Auftrag hat, irgendwo hingehen, wo alles gut läuft und ich den Leuten ein bisschen auf die Schulter klopfen kann.
Oder auch: Ich mache einfach überhaupt nichts. Ich schalte auf Durchzug. Ich kann ja sagen, ich hätte Gott gar nicht gehört. Ich lebe hier einfach mein Leben weiter, als sei nichts passiert.
Und schließlich diese innere Stimme: Na, das werde ich nicht durchhalten. Ich muss schon selbst aktiv werden. Ich könnte ja z.B. abhauen.
So erinnert sich Jona, im Fischbauch, an die Vorgeschichte.
Er hatte mit sich verhandelt,
irgendwie musste er sich entscheiden.
So war es gekommen.
Er hatte sich für Weglaufen entschieden. Abhauen, Distanz in die Sache bringen. Erstmal abtauchen.
- Mein Weglaufen
Ich kenne das bei mir selbst auch: Eine unangenehme Aufgabe wegschieben.
Vor ihr weglaufen.
Oder: erstmal abtauchen.
(…)
Wir müssten mal den Garagenanbau aufräumen, da sieht es aus wie Sau.
Und man findet nichts.
Ja, unbedingt.
Wenngleich es absolut keinen Spaß macht.
Das Stichwort Garage steht schön auf unserer Schiefertafel in der Küche.
Toll, wir haben das Wort Garage hingeschrieben.
Aufgeräumt ist sie noch lange nicht.
Eine Form des Weglaufens.
(…)
Ich kenne das, ein unangenehmes Gespräch aufzuschieben.
Wie bringe ich meine Kritik gut rüber, ohne den anderen völlig runterzumachen,
ohne dass das Gespräch eskaliert?
Es geht mir doch eigentlich um die Sache, nicht um die Person.
Ach, dann spreche ich das erstmal nicht an, vielleicht löst sich ja auch alles von selbst.
Die Zeit heilt ja Wunden.
Eine Form des Weglaufens.
Augen zu und abtauchen.
- Was war: Schiff und Fisch
Das alles war vor drei Tagen gewesen.
Und nun: Fischbauch. Abruptes Ende des Fluchtversuchs.
Weglaufen kann Jona nicht mehr. Er steckt fest.
Ihm kommt nochmal in den Sinn, wie es weiterlief,
und lief und lief,
bis er zur Küste kam, Mittelmeer.
Dort: rauf aufs Schiff, Richtung Westen, ideal, genau die Gegenrichtung,
aber keinem was sagen, psst,
erstmal ganz nach unten im Schiff, hinlegen, ich ziehe mich zurück in meinen Schlaf.
Mensch war das alles anstrengend gewesen.
Ruhe hatte Jona gesucht.
Wollte in Ruhe gelassen werden.
Das Gegenteil passiert:
Ein Sturm zieht auf.
Mist.
Die rührenden Versuche der Besatzung,
jeder betet zu seinem Gott,
nichts davon scheint zu helfen.
Jona outet sich:
Der Sturm ist da wegen mir,
weil ich davon gestürmt bin.
Meine Schuld.
Jona landet im Meer und bald darauf im Fisch,
die Wellen beruhigen sich umgehend.
Schiff und Besatzung geht wieder es gut.
Und Jona?
- Passiv aktiv
Drei Tage ist das jetzt her.
Viel ist es nicht, was Jona tun kann.
Nicht nach Ninive laufen,
nicht woanders hinlaufen,
vieles, was sonst ginge, ist im Moment heruntergefahren,
Jona ist im Lockdown.
Wie lange wird der noch dauern?
Und wenn Jona da lebend herauskommen sollte,
ist dann alles so wie es vorher war?
(…)
Viel ist es nicht, was Jona jetzt tun kann.
Nachdenken kann er.
Und das macht er auch.
Zu Gott hin.
Das heißt: Beten.
„Ich bin mit mein´m Latein am Ende,
von dir erhoffe ich die Wende“.
So mal ganz frei zusammengefasst.
Das Gebet des Jona, das in der Bibel überliefert ist, ist sehr viel länger.
Wie könnten heutige Gebete klingen,
in unseren modernen Lockdowns,
die uns aus der Bahn der Machbarkeit herauswerfen?
Beten in diesen letzten 15 Monaten, die so noch keiner von uns erlebt hat, wo das gesellschaftliche, das kulturelle Leben heruntergefahren war und jetzt so ganz allmählich wieder anfährt:
Beten, dass einem der Mut nicht abhandenkommt,
und dass man die normalen Alltagsdinge nicht zu selbstverständlich nimmt,
sondern Dankbarkeit neu lernt.
Beten im gesundheitlichen Lockdown, im Krankenhaus?
Viele Patienten denken dann besonders über den Sinn des Lebens nach, über das, worauf es letztlich ankommt. „Wenn ich hier rauskomme, dann ändere ich mein Leben. Außerdem mache ich Sport und lasse den Weißwein weg. Versprochen.“
Und wer betet, betet vielleicht so: „Sei du bei mir, Gott. Auch hier im Krankenhaus. Steh mir bei. Im Leben. Wie im Sterben.“
- Historisch? Nein: Existentiell
Wir hören diese Drei-Tage-Geschichte, diese Jona-Fisch-Geschichte, fantastisch ist sie, ausgeschmückt, geradezu unglaublich.
Und: sie kommt mir unglaublich nah.
Wie ein gutes Buch, das mich fesselt,
ein toller Film, dem ich atemlos 90 Minuten lang folge,
weil ich denke: ja, richtig, gut getroffen, gut auf den Punkt gebracht.
So ist das Leben.
Ich frage bei einem guten Buch oder guten Film nicht,
ob das alles genau so passiert ist,
ob das „historisch zutreffend“ ist.
Sondern ich bin berührt oder eben nicht berührt.
Manche Christenmenschen führen Debatten darüber,
ob sich die Jona-Geschichte denn so, wie sie dasteht, auch zugetragen habe.
Da geht es dann um die Biologie des Fisches,
und ist das denn möglich?
Und ist der Schlund breit genug?
Und ernähren sich die Wale nicht von kleinstem Plankton?
Ach, bei einem Pottwal könnte es gehen, der kann auch einen ganzen Hai runterschlucken?
Und ist nicht im 19. Jhd. irgendwo in der Karibik ein Fischer mal verschlungen und wieder ausgespuckt worden?
Und ist da im Magen des Fisches genug Sauerstoff drin, für drei Tage?
Oder war Jona doch schon tot oder wie tot und wurde quasi wiedergeboren?
Das ist alles ganz interessant.
Aber für die Frage „Berührt mich die Geschichte?“ trägt das gar nicht so viel aus.
Mich berührt die Jona-Geschichte. Einfach so.
Mich berührt auch die letzte Szene der Fischbauch-Episode:
Nämlich: Am dritten Tage
Ausgespuckt.
Jona ist wieder da,
aber ist nicht wieder der alte.
Das hat Spuren hinterlassen,
mit einmal kurz schütteln (Krönchen richten) ist es nicht getan.
(…)
Und nun?
Das Leben neu sortieren?
Laufrichtung ändern?
Der Auftrag an Jona steht immer noch im Raum.
Den ist er durch seine Aktion nicht los geworden.
„Geh, Jona, geh.“
Du schaffst das.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Predigt innerhalb eines Gottesdienstes, der den Tag das „Hoffest“ der ÖSSM eröffnet. Das ist die „Ökologische Schutzstation Steinhuder Meer“. Es werden sicher auch Zu-fallsgäste mit unter den Zuhörenden sein, also Leute, die sonst eher keine Gottesdiens-te besuchen. Eine schöne Chance.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Wie schön: die Jona-Geschichte hat es ins Perikopenbuch geschafft! Eine wunderbar gemachte Story, klug, tragisch, humorvoll, mit angewandter statt abstrakter Theolo-gie.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Wie geht es mir mit dem Weglaufen vor großen (oder kleineren) Herausforderungen und Entscheidungssituationen? Wie geht es mir in Phasen des physischen oder seeli-schen Lockdowns?
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Sehr gute, sehr hilfreiche Bemerkungen und Anregungen der Coachin: Nicht zu viel hin und her springen zwischen Textebene und Gegenwart; den Hörenden Zeit geben (Das ist in der Predigt nun mit „…“ angedeutet); keine aktualisierenden Beispiele von der Stange. Im Ganzen fühlte ich mich aber durchaus bestärkt. Das tat gut.