Judas Iskariot - Predigt zu Johannes 13, 21-30 von Frank Nico Jaeger
13, 21-30

Schon gerade, als er den Jüngern die Füße gewaschen hat, gab es Diskussionen. Jesus ist aufgeregt, jetzt ist die Zeit gekommen. Die Nacht ist bald da:

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten. Da sahen sich die Jünger untereinander an, und ihnen wurde bange, von wem er wohl redete. Es war aber einer unter seinen Jüngern, der zu Tische lag an der Brust Jesu, den hatte Jesus lieb. Dem winkte Simon Petrus, dass er fragen sollte, wer es wäre, von dem er redete. Da lehnte der sich an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist's? Jesus antwortete: Der ist's, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. Und nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn. Da sprach Jesus zu ihm: Was du tust, das tue bald! Niemand am Tisch aber wusste, wozu er ihm das sagte. Denn einige meinten, weil Judas den Beutel hatte, spräche Jesus zu ihm: Kaufe, was wir zum Fest nötig haben!, oder dass er den Armen etwas geben sollte. Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht.

Was du tust, das tue bald. Als er aufbricht denken die anderen, er gehe noch Einkaufen für den Herren oder dass er den Armen etwas bringen würde. Er spielt seine Rolle perfekt. Mit dem letzten Bissen im Mund verlässt er den Tisch, den Raum, tritt vor die Tür. Seine Schritte hallen wider von den anderen Häusern. Er wird nicht zurückkehren. Die Nacht nimmt ihn auf.

Endlich ist er alleine. Weg von den anderen. Er hat es nicht mehr ausgehalten. Es war ihm zu eng. Zu dicht. Zu nah. Er hat Angst vor dem, was jetzt kommt. Angst vor dem, was nun geschehen muss.

Beim Essen hatte Jesus gesagt: Einer unter euch wird mich verraten. Und dabei sein Blick. Ahnte er etwas? Die anderen waren bloß irritiert. Jeder Mensch trägt doch ein Bild einer anderen, bessern Welt in sich. Er ist auf dem Sprung. Er will nur weg. Diesen Blick vergessen. Jetzt ist Nacht.

Er ist kein Handlanger des Teufels. Er ist Teil einer Strategie. Davon ist er überzeugt. Er will, dass das Reich anbricht. Sein Reich. Der Hass auf das System ist groß. Das römische Reich muss aus dem Land vertrieben werden und er macht den Unterschied, will die Dinge nur beschleunigen. Zum Handeln provozieren.

Er, der Judas Iskariot, trägt den Riss schon in seinem Namen. Er trennt das Himmlische vom Irdischen. Er verkauft Jesus und holt ihn so auf die Erde.

Jetzt ist es Nacht. Und Jesus wird bald gefangengenommen.

Den Jüngern ist sein Verschwinden nicht weiter aufgefallen. Aber die Worte über den bevorstehenden Verrat hallen nach. Lähmen die Gedanken. Gehöre ich, Herr, zu den Guten? Diese Frage war zu erwarten.

Herr, bin ich´s? Auch die Jünger halten nicht immer das, was sie versprochen haben.

Verrat ist immer ein harter Vertrauensbruch und der Verrat des Judas wiegt umso schwerer, weil er mit am Tisch saß. Was bleibt ist die bittere Erkenntnis, dass nicht einmal ein Platz am Tisch des Herrn vor Verrat schützt. Nähe schützt nicht. Judas ist dabei bloß der Anfang. In der Geschichte der Kirche wird das immer wieder deutlich.

Falsche Brüder und falsche Schwestern nennt man im Allgemeinen „Judasse“. In der DDR hießen sie IM Mönch, IM Petrus oder IM Monstranz: Katholische Priester als Stasi-Spitzel. Auch evangelische Christen waren bereit zum Verrat. Es gab Verstrickungen mit der Stasi bis tief in den Kirchen-Apparat hinein. Bestimmt war Vielen nicht bewusst, was die Konsequenzen ihres Verhaltens waren. Manche wollten einfach nur ein neues Auto, Reisefreiheit oder anderweitige Vergünstigungen. Andere dachten, sie hätten hehre Ziele; dachten, sie täten etwas Gutes, wenn sie mit der Stasi zusammenarbeiteten, um so Konflikte mit dem Staat zu lösen. Entlastungsmythen. Aber die Gefahr kommt nicht immer von außen. Es braucht einen Freund, einen Nächsten, der Jesus preisgibt, es braucht einen der Zwölf, der ihn verrät. Das Furchtbarste geschieht nicht von außen. Der Feind kommt von innen. Der Verrat kommt aus der Mitte. Nicht nur beim letzten Abendmahl. Nie war die Kirche eine Gemeinschaft der Reinen und Sündlosen. Alle Überheblichkeit ist unangebracht. Wohl aber Zittern und die Erkenntnis: Der Verrat des Judas war bloß der Anfang.

Herr bin ich‘s?

Zum 500. Reformationsjubiläum bat die Evangelische Kirche Mitteldeutschland um Vergebung: Wo immer „Pfarrer und Pfarrerinnen, kirchliche Mitarbeitende mit staatlichen Stellen konspiriert, Vertrauen verletzt und Anderen Schaden zugefügt haben“ bekannte sie ihre Schuld. Sie beklagte die Fälle, „in denen Mitarbeitende in Kirche und Diakonie, die aus politischen Gründen drangsaliert und auch in ihren Kirchen disziplinarisch belangt, im Stich gelassen oder gar entlassen wurden.“

Judas sitzt in kirchlichen Gremien und in weltlichen Strukturen. Er ist in meinen dunklen Momenten. Er ist der Zweifel und der Vertrauensbruch. Er ist das nicht gehaltene Versprechen. Er ist der Verrat an der Sache. Judas ist einer der Zwölf. Immer.

Am Ende bleibt nur diese eine Bitte: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Ohne bleibt es finster.

Jesus sitzt am Tisch. So wie er immer ist, unberechenbar gütig, unberechenbar barmherzig, unberechenbar gnädig, schaut er sich um. Er sieht seinen Jüngern der Reihe nach in die Augen. Er wartet ab. Er weiß, was geschehen wird, weiß, wer ihn verraten wird. Er kennt den Riss, der durch Judas hindurch geht. Er sieht seinen Schmerz, seine Verzweiflung. Seine Enttäuschung. Er sieht das Dunkle in seinen Augen. Die Nacht, die auch seine ist.

Und er reicht Judas das Brot.

Sein Blick ist freundlich.

Kann man Verrat vergeben? „Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen.“ „Das Vertrauen ist kaputt.“ Das sagen Menschen, die verraten wurden. Verrat ist etwas Mächtiges, Unkalkulierbares. Alle Sicherheit ist komplett zerstört.

Kurz bevor alles vorbei ist, wird Jesus am Kreuz beten: „Vater, vergib ihnen.“

Für Judas, für die ganze Kirche, für dich und für mich bleibt das zu hoffen.

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer Frank Nico Jaeger

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Angesichts der immer noch alles beherrschenden Pandemie, feiern wir nur Kurzgottes-dienste. Zudem können wir nicht heizen, somit erwarte ich nur die eingefleischte Kern-gemeinde. Aber. Wer weiß, ab und an verirrt sich auch in Corona-Zeiten ein neues Ge-sicht zu uns.

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Dietrich Bonhoefer, Petra Bahr und Johannes Block

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Auf Vergebung bleibt zu hoffen. Immer.

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Kluge und dienliche Fragen, Hinweise und Korrekturen der hochverehrten Dekanin Quincke haben der Predigt den letzten Schliff gegeben und auf die Füße gestellt.

Perikope
21.02.2021
13, 21-30