Liebe Gemeinde,
Jesus konfirmiert seine Jünger, im Blick auf eine kommende Zeit der Verführungen, durch ein Gleichnis.
Es steht im Lukasevangelium Kapitel 17:
Wer unter euch hat einen Knecht, der pflügt oder das Vieh weidet, und sagt ihm, wenn der vom Feld heimkommt: Komm gleich her und setz dich zu Tisch? Wird er nicht vielmehr zu ihm sagen: Bereite mir das Abendessen, schürze dich und diene mir, bis ich gegessen und getrunken habe; danach sollst du auch essen und trinken? Dankt er etwa dem Knecht, dass er getan hat, was befohlen war? So auch ihr! Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren. (Lk 17,7-10)
I. Harte Worte und eine Szene aus einer fremden Welt
Das sind harte Worte und eine Szene aus einer fremden Welt. Wie Jesus diese Sklavenwelt als Beispiel anführt – korrekt ist das nicht. Keine Kritik an solchen Verhältnissen. Es wird nicht räsoniert. Es wird als gegeben und selbstverständlich angeführt und akzeptiert. Ja, diese armseligen Knechtskreaturen haben hier sogar Vorbildcharakter!
Aber langsam. Es kann insgesamt keine Rede davon sein, dass Jesus die bestehenden Verhältnisse sanktioniert hat. Im Gegenteil. Nur geht es hier nicht darum.
Jesus stellt seinen Jüngern drei rhetorische Fragen:
Ob der Knecht wohl nach langer harter Tagesarbeit endlich Pause hat und bei der Heimkunft am Abend Essen und Trinken bekommt? Nein, das sei ferne, muss die Antwort lauten.
Zweitens: Ob er denn etwa erst noch das Essen für den Herrn bereiten soll? Jawohl! Hacken zusammen und Schürze umgebunden!
Drittens: Ob ein Knecht erwarten kann, dass die ihm aufgetragene Arbeit anerkannt, er gelobt und ihm gedankt wird? Mitnichten.
Dieses Gleichnis steht nur im Lukasevangelium, ist archaisch und ob es uns passt oder nicht: echte Jesusüberlieferung.
Heutzutage würde man es vielleicht aus Feinfühligkeit aus der Bibel oder wenigstens aus der Predigtordnung getilgt haben, denn es passt so gar nicht in unsere Welt der Personenwürde und schon gar nicht der Bemühung um eine korrekte Sprache. Menschen in solchen niederschmetternden Beschäftigungsverhältnissen geben kaum ein gutes Beispiel – weder der Herr noch der Knecht.
II. Übertragung in das Verhältnis von Mensch und Auto
Vielleicht dient eine Übertragung in das Verhältnis von Mensch und Auto?
Vielleicht würde das Gleichnis in einer künftigen Bibelrevision der „Allerbesten Nachricht für den Konfirmanden in mir“ so klingen:
Ja ihr Lieben, würde Jesus dann sagen, ein jeder von euch ist doch schon einmal mit einem Auto gefahren. Wenn man nun den Blinker setzt, dann blinkt das Auto rechts oder links, ganz so wie man will. Wird man dann das Lenkrad streicheln und zum Auto sagen: Ei, ei, das hast du aber brav gemacht?
Oder wenn es draußen kalt ist und die Klimaautomatik reagiert, die Abstandswarnung, die Müdigkeitserkennung oder die Gangautomatik: alles läuft und schaltet aus sich heraus – automatisch. Keiner käme auf die Idee, sich bei seinem Auto zu bedanken.
Benzin und Wartung bekommt das Auto natürlich, aber immer nachgeordnet, wenn für alles andere gesorgt wurde.
Kurzum: Beim Auto funktioniert das Gleichnis. Es tut was man will. Aus.
III. „Das mag ein Wechsel sein“ (eg 27,5)
Aber nun lässt uns Jesus den Platz hinterm Steuer wechseln – und plötzlich sind wir der Knecht, bzw. das Auto. „So auch ihr“!
Jetzt sieht die Sache schon völlig anders aus. Was uns gerade so selbstverständlich erschienen ist, wirkt erneut so erschreckend wie in Jesus ursprünglichen Worten: Wir sollen die sein, die gesteuert werden, die folgen müssen, arbeiten und schuften, Mühsal ertragen und Kilometer runterreißen – und müssen dann noch dem Fahrer mit allem Komfort zu Diensten sein? Die Pointe sitzt. Im Original damals wie im Bild vom Auto heute.
Aber das kann doch gar nicht gemeint sein. So haben wir nicht gewettet. So wollen wir doch nicht leben. Oder?
Doch. Wenn wir das Auto wären, dann wäre das in Ordnung. Denn wenn das Auto etwas von sich selbst wüsste, dann, dass es von Menschen geschaffen und gemacht wurde, und nur durch sie seine Existenz und sein Funktionieren hat. Es ist so sehr bis ins letzte Schräubchen Werk seines Meisters, dass es gar nicht anders denken kann, als dass es ihm samt allem Stahl, Kunststoff und Gummi gehört und auf ihn angewiesen ist vom Werk über die Werkstätte bis zum Schrottplatz.
Anders hat damals auch ein Knecht kaum denken können. Er war verdingt, eine Sache, seinem Herrn hörig wie ein Besitz, ein Mittel für des Herren Zwecke und ganz seinem Dienst ergeben. Sein Dienst geschieht gewissermaßen ganz automatisch.
IV. Automatisch – von selbst
Wenn Jesus uns mit dieser Sklavennatur in Beziehung setzt, dann nur um seine Pointe in dem Gleichnis kraftvoll zu machen: Es gibt Dinge, die wir widerwillig tun, mit angezogener Bremse. Und es gibt Dinge, die wir aus uns heraus tun, weil sie uns entsprechen. Zu den Dingen, die wir aus uns heraus tun, zählt für Jesus ganz selbstverständlich die Verehrung des einen Gottes, das Halten seiner Gebote und die Erwartung seines Kommens.
Da wir nun ganz und gar Gottes Werk sind, er uns erschaffen hat und wir aus seinem Atem leben, ist es keine Fremdbestimmung, ihm so ganz und gar zuzugehören. Als Christen glauben wir das und verstehen uns so. Aber wir müssen es erst noch tief in unserem Inneren begreifen, erfahren, wie wir bis in jede unserer Zellen Teil von Gottes großer Welt sind.
Dazu gehört auch, dass wir das zum Ausdruck bringen – durch Dienst.
Durch den Gottesdienst zum Beispiel, der ja nicht umsonst so heißt. Gott zu dienen sind wir hier. Und wir dienen hier Gott, indem wir ihn loben.
Wenn man das Alte Testament daraufhin querliest, wozu denn der Mensch auf Erden ist, dann zeigt es sich, dass er zum Lobpreis Gottes lebt, als sein Resonanzraum geschaffen ist.
Mit Musik und Gesang und Orgelklang sind wir also auf dem richtigen Weg.
Gesten aber sind im „Protestantismus des aufrechten Ganges“ verkümmert. So gerade noch werden die Hände lässig gefaltet. Den Kopf zu neigen vor Kreuz und Altar, gilt manchem schon als katholisch. Aber es ist doch eine treffende Geste, die ausdrückt, dass wir eben allein in Hinsicht auf Gott so angewiesen, so ohnmächtig, so zugehörig, so absolut und schlechthinnig abhängig sind, dass wir im Gebet und im Gedanken an ihn den Kopf senken.
Aber – und das gehört dazu – sonst vor niemandem!
Die Drastik mit der uns Jesus an diesen Punkt führt, will bewirken, dass wir auch zuinnerst erfahren und fühlen, was wir wissen und glauben: unsere absolute Abhängigkeit von Gott. Die gesammelte christliche Religiosität zielt auf diesen Punkt: Gerade, wenn der Knecht erschöpft ist, wenn er selbst der Versorgung bedarf, dann kommt es darauf an, wen er an erster Stelle setzt: sich oder seinen Herrn? Die Fixierung auf sich und die Grenzen des eigenen Könnens lösen sich nur durch Gottes Verheißung und Kraft, durch das Kommen seines Reiches.
Jesus führt seine Jünger durch Wege, Worte und Taten an die Grenze ihrer Selbstaufgabe: ihm mehr zu trauen als der eigenen Rückversicherung. Mehr kann der auf Erden wandelnde Gottessohn nicht tun.
Ob sie ihre Ängste zurücklassen und den Sprung wagen und ihm folgen und dem Himmelreich entgegenziehen, das entscheidet sich im tiefsten Inneren ihrer Gotteszugehörigkeit, der Seele. Jesus zwingt sie nicht. Er droht ihnen nicht. Aber er nimmt ihnen die Angst um sich und lehrt sie Gott im Letzten zu vertrauen, weil sie sonst nicht bestehen. Weil sie aus eigener Kraft den Verführern und Leiden nicht gewachsen sind.
Jesus warnt die Jünger vor Zeiten der Bedrängnis und der Täuschungen. Uns künden heute die Worte „postfaktische Zeiten“, „fake news“, und „alternative facts“ von schweren Verwerfungen. Dass man sich wappnen müsse.
Das stehen Menschen nicht durch, wenn sie nicht innerlich frei werden.
Innengeleitet müssen sie sein. In Freiheit versetzt. Nur Gott getreu. „Christus in mir“, wie Paulus gelegentlich sagt.
„Ich in dir / du in mir, / laß mich ganz entschwinden, /
dich nur sehn und finden.“ (eg 165,5)
Jesus setzt einen fröhlichen Wechsel in Gang. So werden Menschen dienen können, ohne ihre Würde zu verlieren. Von sich aus. Automatisch. Wie ER selbst. „So auch ihr.“
Frei von dem Blick auf Zustimmung oder Kritik von außen. Nicht außengleitet, sondern aus sich, facere quod in se est (Martin Luther, De homine, 27), daher auch nicht mehr angewiesen auf Lob noch Tadel wie die Kinder, sondern Erwachsene, die ihrem Gewissen folgen.
Zu lange ist die Welle der Manipulation über uns her geschwappt: Anerkennung ersehnen wir uns im Übermaß. Lob – und möglichst keinen Tadel, Likes bei Twitter, „Freunde“ bei Facebook, alles auf Zucker, nur noch Einsen im Schulzeugnis, die zu nichts taugen und gerichtsfest-verlogene Elogen im Arbeitszeugnis, auf die keiner was gibt.
Ständig wird gelobt und anerkannt und bedankt und „gewertschwätzt“.
Eine Runde Lobhudelei gehört zum Gruppenritual. Aber wer lobt, der hat zuvor geurteilt, über den anderen geurteilt und stellt sich damit über ihn: „Brav, brav, lob, lob.“
Er zerstört damit, was er respektieren sollte: die innere Freiheit.
Wer aus sich heraus handelt, soll angefixt werden, nach Lob zu gieren, abhängig zu werden, manipulierbar, lenkbar. Lob zerstört die innere Motivation und ersetzt sie durch Fremdsteuerung, durch Zuckerbrot und Peitsche.
V Kein Lohn nirgends. Aber Himmel die Fülle.
Und wenn die Jünger in allem frei geworden sind und damit ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit getan haben, erwartet sie dann Dank und ewiger Lohn?
Der Wunsch ist plausibel und wird von den angesehenen Pharisäern damals und alle Zeiten hindurch und auf allen Wegen immer wieder vorgebracht.
Nur Jesus wieder: Wer dem Gottesreich entgegengeht, erwarte keinen Lohn!
Religion ist kein Tauschgeschäft von halbwegs guten Taten gegen göttliche Huld und Gnade. Sie ist tiefster Ausdruck der Zugehörigkeit der Menschen zu Gott. Basta.
Es bedarf keiner Umgarnung der Gottheit, Opfer und heiliger Gelübde. No frills. Alles was einer tut, geschieht um seiner selbst willen, ist entweder in sich gut oder eben nicht, aber will und hat kein Anrecht auf himmlischen Lohn. Auch weil solches Schielen nach Belohnung die gute Tat korrumpiert. Wer sich von äußerem Lob und Tadel frei gemacht hat, kann auch den Schritt gehen und auf die letzte innere Verteidigung verzichten, nämlich ganz auf sich selbst bauen zu wollen und durch eigene Kraft den Himmel aller Himmel aufzutun.
Denn auch „wenn du nun aus lauter guten Werken beständest bis auf die Fersen, so wärst du trotzdem nicht rechtschaffen und gäbest Gott darum noch keine Ehre und erfülltest also das allererste Gebot nicht“. (Martin Luther, Freiheit, 1520)
Luthers Argument ist nicht, dass es an Quantität, sondern an Qualität fehlt: wir können uns angesichts der Ewigkeit unserer Taten nicht gewiss sein. Vor Gott also gilt kein „facere quod in se“. Darum verschärft Luther das Verdikt Jesu, wir seien „armseligen Knechte“ durch den Ausdruck „unnütze Knechte.“ Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche erläutern: „…unnütz meint hier unzureichend, weil niemand so sehr Gott fürchtet, so sehr liebt und ihm so sehr glaubt, wie es nötig ist ... Jedem muß deutlich sein, daß an dieser Stelle das Vertrauen auf unsere eigene Leistung verdammt wird". (Apologie der C. A. Art. IV, 334 ff).
Man höre: Alle Glocken der reformatorischen Rechtfertigungslehre werden in diesem Gleichnis geläutet. Aber wo bleibt das Evangelium?
VI. Herr und Knecht
Das Evangelium heißt ganz schlicht, dass sich der Herr, Jesus, für uns zum Knecht gemacht hat, damit wir die Freiheit haben, als Herren unsererseits in Pflicht genommen zu werden.
Zusammengefasst: „Domini sumus, ergo Domini sumus“: Wir sind des Herren, darum sind wir Herren.
Nur wenig geringer geschaffen als Gott ist der Mensch (Ps 8,6), ein kleiner Schöpfer (Thomas von Aquin), Krone der Schöpfung (Gen 1).
Wir sind Söhne und Töchter Gottes und haben Anteil am Reich und leben davon, das Gottes Reich in Jesus bereits gekommen ist (Lk 17,20f.).
Unsere Freiheit aber hat ihre Qualität darin, dass wir mit Haut und Haaren unserem Schöpfer und Erlöser gehören und uns in seinen Dienst nehmen lassen.
Wie war das gleich? „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ (Martin Luther, Freiheit, 1520) Amen.