Kinder-Glaube und Glaubens-Kinder, Predigt zu Epheser 5,1-8 von Wolfgang Vögele
5,1-8

Kinder-Glaube und Glaubens-Kinder, Predigt zu Epheser 5,1-8 von Wolfgang Vögele

Kinder-Glaube und Glaubens-Kinder

„So folgt nun Gottes Beispiel als die geliebten Kinder und lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch. Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört. Auch schandbare und närrische oder lose Reden stehen euch nicht an, sondern vielmehr Danksagung. Denn das sollt ihr wissen, dass kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger – das sind Götzendiener – ein Erbteil hat im Reich Christi und Gottes. Lasst euch von niemandem verführen mit leeren Worten; denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams. Darum seid nicht ihre Mitgenossen. Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Lebt als Kinder des Lichts.“

Liebe Gemeinde,

pubertierende Jugendliche streben danach, so schnell wie möglich erwachsen werden. Erbarmungslos entlarven sie jeden Ratschlag und jede Anweisung als den Versuch der Eltern, sie zu bevormunden, in ihrer Freiheit zu beschränken und am Erwachsenwerden zu hindern. Vierzehnjährige rebellieren gegen alle Arten von Grenzen, die sie nicht selbst gesetzt haben. Zehn Jahre davor war das noch ganz anders: Vierjährige leben selbstverständlich und unhinterfragt im großzügigen Schutz der Eltern, die sich liebevoll kümmern und den Weg ihrer Kleinsten aufmerksam begleiten, mit Legobaukästen und Pokemonkarten, Kinderkino und Jahrmarkt, Babyschwimmen und Ausflügen zum Abenteuerspielplatz. Für die Vierjährigen kommt es auf Geborgenheit an, auf einen geschützten Raum, der dem eigenen Kind Möglichkeiten bietet, sich zu entwickeln.

Überbesorgte Eltern können das auch übertreiben: Vor den fürsorglichen Helikoptermüttern fürchten sich Kinderärzte, Erzieherinnen und Grundschullehrerinnen. Sie beschützen ihre Kleinen vor jeder Art von Kontakt mit der vermeintlich so schlimmen Wirklichkeit.

Kinder brauchen, um erwachsen werden zu können, einen Schutzraum der Geborgenheit. Aber je älter Kinder werden, desto mehr verändert sich der Schutzraum. Spätestens in der Pubertät muß sich der bergende und wärmende Raum der Sicherheit in einen Raum der Freiheit und des Ausprobierens verwandeln. Wer wie eine Helikoptermutter trotzdem versucht, diesen jugendlichen Bildungsraum mit Watte auszustaffieren und Sicherheitsvorkehrungen und Frühwarnanlagen zu installieren, der schadet dem Kind, weil es nicht erwachsen werden kann. Und dieses übertriebene Schutzbedürfnis schadet den Eltern, weil Vater und Mutter sich an ihre Rolle klammern und nicht loslassen können.

Die Liebe zu einem Kind verwandelt sich von Tag zu Tag. Sensible Eltern erspüren jeden Tag neu, was ihre Kinder nötig haben, Schützen oder Loslassen, Fürsorge oder Freiheit, Kuscheln oder Distanz. Das, was die eigenen Kinder nötig haben, muß emotional täglich neu ausgemessen werden. Empathie und Bildung, Wärme und planende Erziehung halten sich im Idealfall die Waage.

Für die Glaubenden, die in den Bereich der Barmherzigkeit Gottes treten, verhält sich das genauso. Nichts ist schöner als wieder ein Kind Gottes zu werden! Aber Vorsicht ist geboten. Denn auch Erwachsene sehnen sich oft danach zurück, wieder wie Kinder zu werden. Damit meine ich nicht den Vater, der heimlich mit der Modelleisenbahn seiner Söhne spielt. Ich meine Menschen, die wieder zu Kindern werden, weil sie die Verantwortung des Erwachsenenlebens scheuen.

Wer als erwachsener Mensch zum Glauben findet und sich zu Recht und zur Freude der Gemeinde als Gottes Kind bezeichnet, der flüchtet sich nicht  nostalgisch in eine verklärte Kindheit des Glaubens.

Wer darauf vertraut, daß er zum Kind Gottes geworden ist, der bleibt erwachsen und frei, voller Selbständigkeit, Würde und Verantwortung. Aber mit dieser Bezeichnung begibt er sich trotzdem in einen Schutz- und Segensraum, in dem er sich nie allein gelassen fühlen wird. Wer zum Kind Gottes wird, der stellt sich in eine Beziehung zu dem, der ihn geschaffen, erlöst hat und der ihn über den Tod hinaus in die Ewigkeit und in Gottes Reich bringen will. Das ist keine pauschale, einseitige, feststehende, berechenbare Beziehung. Eher läßt sie sich als ein Abenteuer des Glaubens beschreiben, das Höhen und Tiefen, Chancen und Gefahren, Trauer und Freude umfassen kann. Gott als Vater engt keines seiner Kinder ein; vielmehr eröffnet er Räume der Freiheit.

Zweimal spricht der Predigttext von den Kindern des Glaubens, am Anfang von den geliebten Kindern, am Ende von den Kindern des Lichts. Die alte traditionelle Auslegung unterschied nun stets die guten Kinder des Lichts in der Gemeinde und – diesen gegenübergestellt – die bösen Anderen, die, die sich draußen befinden, die Menschen unter dem Zorn Gottes, die Menschen der Finsternis. Aber dieser Dualismus hilft uns heute nicht viel weiter.

Wer versucht zu glauben, weiß selbst ganz genau, wieviel Finsternis und Zweifel noch in ihm steckt. Der Glaube läßt sich nicht mit Hilfe der Schwarz-Weiß-Malerei beschreiben, obwohl verschiedene Formulierungen des urchristlichen Theologen, der den Epheserbrief geschrieben hat, das nahelegen. Deswegen will ich versuchen, in dieser Predigt den Text so auszulegen, daß ich unter die Oberfläche des schwarz-weißen Weltbildes komme. Schwarz-weiße Vereinfachungen helfen uns weder im Glauben, in der Politik noch im Alltag weiter. Der Wirklichkeit Gottes, den Tatsachen der Gesellschaft und der Kommunikation läßt sich mit simplen Gegenüberstellungen nicht beikommen.

Der Epheserbrief mutet den Glaubenden zu, Gottes geliebte Kinder zu sein. Glaubende verstehen sich aus einer Beziehung zu Gott heraus. Aus dieser Beziehung entsteht ein Raum der Liebe und der Hoffnung, den es auszumessen gilt. Die Beziehung zu Gott ist nicht fixiert, definiert und eingegrenzt; vielmehr ist sie wandelbar und verschieden, bei jedem Menschen. Gott kümmert sich auf seine besondere Weise um jeden Menschen.

Dieser Raum der Beziehung zu Gott ist nicht stabil und sicher, sondern zerbrechlich und gefährdet. Er ist – wie alles im Leben – in Bewegung und Veränderung begriffen. Trotzdem erscheinen bei näherer Betrachtung eine Reihe von Konstanten. Der Autor des Epheserbriefs, der wahrscheinlich nicht Paulus selbst war, schreibt von Jesus Christus, der sich zum Opfer gebracht hat. Viele Menschen haben mit dieser Vorstellung Schwierigkeiten – als ob Gott den Tod eines Menschen benötigt, damit er allen anderen vergeben kann. Ich möchte versuchen, das anders zu verstehen. Kinder des Glaubens brauchen Schutz. Jesus von Nazareth nimmt Leiden auf sich. Er erträgt Schmerzen, die ihm andere zufügen, weil er nicht unbedingt Recht haben und seine Macht durchsetzen muß. In der Auferstehung bekennt sich Gott zu diesem Menschen, der gelitten hat, der gedemütigt und gefoltert wurde, den man dem Tod am Kreuz ausgesetzt hat.

Und das hat Folgen für die Menschen heute, die der Epheserbrief Gottes Kinder nennt. Auf der Oberfläche lebt die Passage von Zweiteillungen: Die Glaubenden tun nichts Böses, und die Bösen müssen leiden, weil ihnen der Glaube fehlt. Aber das Grau der Wirklichkeit läßt sich nicht in das kontrastreiche Schwarzweiß einer fehlgeleiteten Überzeugung auflösen. Es gibt glaubende Menschen, die Schlechtes tun und zu Sündern werden. Es gibt Menschen, denen niemand etwas zutraut und trotzdem Gutes tun. Außerdem: Die Gegenwart des Leidens läßt sich nicht so auf Glaubende und Nicht-Glaubende abbilden, daß Glaubende nicht mehr leiden und Nicht-Glaubende nur noch leiden. Vielmehr gilt: Es ist gerade kein Kennzeichen der Anwesenheit oder Gegenwart Gottes, daß ein Mensch glaubt und darum nicht leiden kann. Das billige spirituelle Vorurteil lautet: Wer glaubt, kann nicht leiden. Wer nicht glaubt, muß leiden. Wenn jemand leidet, ist das ein Zeichen dafür, daß mit seinem Glauben etwas nicht stimmen kann.

Die Leidensgeschichte Jesu von Nazareth, über die wir jetzt in der Passionszeit meditieren, ist der Grund dafür, daß diese simple Gleichung einfach nicht stimmt, ganz im Gegenteil. Das Kreuz Jesu, sein Leiden, sein Schmerz zeigen, daß Gott gerade den Leidenden, Schwachen und Kranken beisteht

Genau das haben die Kinder Gottes verstanden: Wer leidet, der weiß genau, das kommt nicht von der Abwesenheit Gottes. In Christus weiß jeder: Gott ist kein Triumphator. Er schlägt sich auf die Seite der Verlorenen, der Benachteiligten, der Flüchtlinge, der Vereinsamten, der Vernachlässigten. Verdienst, Erfolg und finanzielles Glück sind kein Zeichen von Gottes Gegenwart.

Die zweite Einsicht der Kinder Gottes besteht darin: Ich glaube gerne, aber ich bin nie eindeutig Licht – und genauso wenig eindeutig Schatten. Ich bin nicht schwarz. Ich bin nicht weiß. Ich bin irgendwo dazwischen. Ich weiß um meine Fehler. Und ich weiß um meine Gefährdung.

Aber ich halte auch bei an meiner Sehnsucht fest, in dieser Gegenwart Gottes zu bleiben, darin geborgen und geschützt zu sein. Ich setze mich auseinander mit meinen Fehlern, mit dem, was die Bibel Sünde nennt. Und ich merke, daß ich mich aus eigener Kraft nicht dagegen wehren kann.

Deswegen wettert der urchristliche Theologe des Epheserbriefs gegen Unzucht, Unreinheit und Habsucht, gegen alle Formen von Sexualität, die auf ungleicher Verteilung von Macht beruht, gegen Pädophilie, gegen sexuell kontaminierte Gewaltausübung, gegen alles „schandbare und närrische oder lose Reden“. Ausdrücklich möchte ich sagen, daß ich nicht überzeugt bin, daß damit gleichgeschlechtliche Partnerschaften und Homosexualität gemeint sind.[1] Aber das ist ein großes, anderes Thema, für das in dieser Predigt der Platz nicht reicht. Liebe Gemeinde, sprechen Sie mich nach dem Gottesdienst darauf an, wenn Sie mehr wissen und diskutieren wollen.

Ihr seid Licht, heißt es am Ende der Passage aus dem Epheserbrief. Aber jeder, der glaubt, weiß auch, wie zerbrechlich dieser Glaube ist. Es stehen nicht die Mächte des Guten in der Gemeinde gegen die Mächte des Bösen in der Finsternis. So einfach ist es nur im Kino, im „Herrn der Ringe“, in „Starwars“ und bei James Bond.

Glaube ist das Vertrauen, daß Gott jedem Menschen, auch mir selbst, in Liebe entgegenkommt und mich zu seinem Kind macht. Darum ist Glaube, wenn er denn entsteht, so kostbar und darum zu achten und zu respektieren. Gott läßt mich vertrauen, daß die Zusage seiner Liebe gilt, egal was mir geschieht. Amen.


[1] Vgl. dazu Wolfgang Vögele, Homosexualität und Theologie. Ein Gutachten zu Homosexualität, zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare und zum Leben gleichgeschlechtlicher Paare im Pfarrhaus, Karlsruhe April 2014, https://wolfgangvoegele.files.wordpress.com/2016/02/homosexualitc3a4t-endgc3bcltig-april-2014.pdf.