"Klug gehandelt", Predigt zu Lukas 16, 1-8 von Klaus Pantle
16,1
1 Er sprach aber auch zu den Jüngern: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschwende ihm seinen Besitz. 2 Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein. 3 Der Verwalter sprach bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln. 4 Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde. 5 Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und fragte den ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? 6 Er sprach: Hundert Bat Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig. 7 Danach fragte er den zweiten: Du aber, wie viel bist du schuldig? Er sprach: Hundert Kor Weizen. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig. 8 Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte.
1
Liebe Gemeinde,
Jesus hatte Humor. Gelegentlich konnte sein Humor so abgründig sein, dass wir bis heute Mühe haben, darüber nicht die Fassung zu verlieren. In dieser Gleichniserzählung inszeniert er ein kleines Theaterstück, durch das dem gewöhnlichen gesunden Menschenverstand der Boden unter den Füßen weggezogen wird:
Ein reicher Mann, ein Großgrundbesitzer oder ein mächtiger Händler, hat die Geschäftsleitung über seinen Betrieb einem „Ökonomen“ übertragen. Setzt man jemanden zum Prokuristen über sein Geschäft ein, so muss man ihm vertrauen können. Der Beauftragte hat eine immense Verantwortung. Die Gesamtstrategie mag der Besitzer vorgeben. In der Regel heißt die: die Erwirtschaftung maximale Rendite. Wie er das hinbekommt, ist dem Besitzer egal. Für die kreative Strategie und den Umgang mit den Geschäftspartner und Arbeitern ist der Ökonom zuständig. Sein Platz ist zwischen den Fronten: er ist frei in seinen Entscheidungen, auch gegenüber den ihm Untergebenen und zugleich abhängig von dem, der ihn beschäftigt. Je nachdem mag er mit Prämien am Erfolg seiner Arbeit beteiligt werden.
Nun heißt es, dass man den Ökonomen beim reichen Mann beschuldigt habe, dessen Vermögen „verschwendet“ zu haben. Ob diese Beschuldigung zu Recht oder zu Unrecht erhoben wird, ist unklar. Spinnen Untergebene, die mit seiner Geschäftsführung nicht zufrieden sind, eine Intrige? Oder hat der Ökonom tatsächlich Vermögen seines Chefs „verschwendet“? Aus Jesu Wortwahl kann man schließen, dass eher nicht an eine Selbstbereicherung des Ökonomen gedacht ist, sondern an schlechtes Management, das heißt an ein Management, das nicht den üblichen Interessen des Besitzers – sprich: der Erwirtschaftung maximaler Rendite - entspricht. Wie dem auch sei: der reiche Mann nimmt die Beschuldigungen als bare Münze, fordert von seinem Ökonomen die Offenlegung der Bilanz und kündigt zugleich seine Entlassung an. „Tja“, mochte der Ökonom da denken: „Aus der Traum. Ende der Karriere. Was nun? Was mache ich jetzt?“ Heute wird so jemand von seinem Arbeitgeber sofort freigestellt und man verschließt ihm alle Zugangsmöglichkeiten zu seinem Arbeitsfeld. Das geschieht hier nicht. Noch hat der Ökonom Optionen:
Er könnte Selbstmord begehen. So könnte er sich aller unerfreulichen Konsequenzen, die durch seinen Rausschmiss über ihn kommen, entziehen. Das könnte er stilecht inszenieren – wie der vom Rausschmiss bedrohte Banker es tat, der sich mit einem Champagnerglas in der Hand von der Dachterrasse eines Londoner Edel-Restaurants stürzte.
Oder er könnte schnell Geld oder Naturalien beiseiteschaffen und so gut verstecken, dass, wenn alles überstanden wäre, er darauf zurückgreifen und davon leben könnte. Vielleicht gäbe es sogar die Möglichkeit, in einem Nachbarland ein geheimes Nummernkonto einzurichten?
Er könnte auch die Bücher offenlegen, die Sachlage klären und erklären nach dem Motto: „Ehrlich währt am längsten“ und dann den Abschied nehmen. Ein Ehrlicher wird immer eine Zukunft haben.
Falls er sich tatsächlich illegaler Geschichten schuldig gemacht hat, könnte er seine Schuld eingestehen, Reue zeigen und auf ein mildes Urteil hoffen. Jeder, der einmal kriminell geworden ist und bereut, hat das Recht auf eine zweite Chance.
Falls er sich nichts hat zuschulden kommen lassen, könnte er kämpfen, einen Anwalt nehmen und die Verleumder verklagen. Wer Recht hat, muss Recht behalten.
Oder er hätte die wesentlichen Geschäftsunterlagen schreddern können, um alle Spuren zu verwischen und dann unterzutauchen.
Nichts von alledem tut er. Er spielt Vabanque. Was er tut, ist das Unerwartete, Paradoxe und es ist in diesem Stück der erste echte Skandal. Eines ist für ihn klar: In Armut abzustürzen, dazu hat er keine Lust. Für Knochenarbeit ist er nicht gebaut. Und eine Existenz als antiker Harz IV-Empfänger oder gar als Platte-Macher ist auch nicht sein Ding. Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde.
Der Ökonom bestellt die Schuldner seines Herrn ein. Es müssen vermögende Schuldner gewesen sein, solche, die Häuser haben und für längere Zeit Gäste aufnehmen können.Er fragte den ersten Schuldner: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? Er sprach: Hundert Bat Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig. Die 50 Bat Öl, die er diesem Schuldner erlässt, entsprechen circa 16 Hektolitern. Dann fragt er den zweiten Schuldner: Du aber, wie viel bist du schuldig? Er sprach: Hundert Kor Weizen. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig. Die 20 Kor Weizen, die er diesem erlässt, entsprechen circa 65 Hektolitern. Ein Forscher hat ausgerechnet, dass, falls man jeden Esel mit zwei Fünfzig-Liter-Fässern beladen würde, für das Öl 16,3 Esel und für den Weizen 81,5 Esel nötig wären, um dieses Material beiseite zu schaffen. Das würde auffallen. Solche Transaktionen gehen nur bargeldlos. Nach den zwei genannten folgt eine unbekannte Anzahl weiterer Schuldner. Spätestens hier wird deutlich, dass Jesu Stück humoristische, wenn nicht satirische Züge hat. Denn was hier vorgeführt wird, das ist eine gigantische Verschwendung, eine immense Vernichtung von Kapital. Der Ökonom tut schlussendlich, was man ihm vorwirft: Er verschwendet das Vermögen seines Herrn. Was er tut, widerspricht allen Konventionen und ganz gewiss der herrschenden Moral. Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte.
Was, fragt der verblüffte Betrachter/die verblüffte Betrachterin, soll daran klug sein? In einer Notlage zugunsten von Schuldnern Kapital zu vernichten, das eigentlich dem Vermögens-Portfolio eines Reichen gehört und Zinsen generieren soll, das soll klug sein? Eine monströse Menge an Ressourcen zu verschwenden, um ein Beziehungsnetz zu knüpfen und „Landschaftspflege“ zu betreiben, das soll klug sein? Ist es, lässt Jesus den Reichen Mann sagen. Punkt. Das ist der zweite echte Skandal in diesem Stück. Das ist genauso klug, wie das Verhalten des Vaters, von dem ich euch gerade eben erzählt habe, hätte Jesus hinzufügen können. Der hat seinen verschwenderischen Sohn, den er verloren glaubte, nach dessen Rückkehr gegen alle herrschende Moral mit Luxusgütern zugeschmissen.
2
Liebe Gemeinde, man kann dieses Theater-Stück Jesu als erhellendes Anti-Stück betrachten zu der Art von Stücken, die seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 bei uns gegeben werden. Der Regisseur J.C. Chandor dieses gegenwärtige Stück zu einem Kammerspiel verdichtet. Sein Film heißt „Der große Crash - Margin Call“ und schildert 24 Stunden im Jahr 2008 in den obersten Etagen einer großen amerikanischen Bank, in denen die große Finanzkrise ausgelöst wurde:
Ein untergeordneter Mitarbeiter entdeckt, dass die Bank über massenhaft hochriskante Papiere verfügt, die faktisch wertlos geworden sind. Es gibt nur die Alternative, entweder durch den eigenen Bankrott eine Krise auszulösen oder alles sofort zu verkaufen und sich auf Kosten anderer in Sicherheit zu bringen. Das würde die Krise beschleunigen und verstärken. Im Zentrum dieser gewaltigen Katastrophe sind ziemlich normale Menschen zu sehen, die sich irgendwie verhalten müssen, weil sie mit dem Rücken zur Wand stehen. Sie agieren so, wie wir es erwarten. Gerade mal für einen Augenblick scheint es möglich, dass sich einer vom Bürohochhaus stürzt, dass ein anderer seinen fiesen Chef beim Rasieren im Waschraum die Kehle durchschneidet, dass jemand „nein“ sagen und sich der Politik des eiskalt kalkulierenden Oberbosses entgegen stellen würde. Aber nichts davon geschieht. Das ist die eigentliche Katastrophe, die der Film zeigt: Dass es immer so weitergeht, dass die Menschen mitmachen und dass ihnen im Zweifelsfall, wenn es um das eigene Hemd geht, moralische Skrupel oder gar die Verantwortung für das große Ganze schnuppe sind. Und dass diese Leute Menschen sind wie du und ich. Der Film spielt fast die ganze Zeit über in geschlossenen Bürowelten. Diese bilden eine ganz eigene Realität. Selbst wenn Einzelne diese einmal verlassen, scheint es, als bliebe immer eine Wand zwischen ihnen und der Welt um sie herum. Die Kamera konzentriert sich fast durchgehend auf die Figuren. Jede dieser Figuren interessiert sich nur für das eigene Schicksal. Sie schauen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nie aus dem Fenster. In der Regel richtet sich ihr Blick auf den Innenraum. Stadtansichten von New York tauchen nur über ihren Schultern oder ihrem Hinterkopf auf, während die betreffende Figur darüber nachdenkt, was sich in ihrer kleinen, insularen Welt gerade abspielt. Wenn jemand doch einmal aus dem Fenster schaut, dann sieht er nur das eigene Spiegelbild. Oder es blickt jemand auf die Stadt, während er ausschließlich über sich selbst redet. Frappierend ist, dass die Akteure nicht böse sind, sondern dass sie eine Maschine namens Finanzwirtschaft bedienen, die kaum einer hundertprozentig durchschaut. Dabei verhalten sich alle so beschränkt, trivial und charakterlos, dass die Katastrophe unausweichlich wird – obwohl es lange zuvor darauf hindeutende Signale und Warnungen gegeben hatte. Aber am Ende sagen alle: „Ich konnte ja nicht anders.“ Ich konnte ja nicht anders handeln, denn wenn ich es getan hätte, hätten wir nicht das von der Geschäftsleitung vorgegebenen Gewinnziel erreicht und mich hätte es meinen Bonus, mein Gehalt, womöglich meinen Job gekostet. In einem seiner zynischen Monologe vor Mitarbeitern signalisiert der Ober-Boss, dass er eben deshalb der Ober-Boss sei, weil er es wie kein anderer vermöge, das zu tun, wofür er bezahlt werde: seinen Anlegern höchstmögliche Dividenden zu verschaffen, koste es andere, was es wolle. „Ich kann ja nicht anders.“
3
Liebe Gemeinde, was ist kluges Verhalten? Jesus hält denen, die sich von seinem Theaterstück in Bann ziehen lassen, einen Spiegel vor. Zugleich reißt er ihnen den Horizont auf, den Horizont des Reiches Gottes. Die Ökonomie des Reiches Gottes, so zeigt er, ist nicht geprägt von buchhalterischer Vernunft. Klug ist unter den Bedingungen des Reiches Gottes, dem scheinbaren Sachzwang der Geldvermehrung nicht nachzugeben, sondern maßlose Generosität zu üben. Eine geradezu orgiastische Vernichtung von Kapital kann klug sein, wenn die Vernichtung zugunsten Anderer geschieht. Im Horizont des Reiches Gottes sind Investitionen klug, wenn sie in Beziehungen investiert werden. Das leuchtet jedem sofort ein, der schon einmal in eine tiefe existentielle Krise geraten ist. Gleichgültig ob mich eine schwere Krankheit erwischt, ob ein Todesfall mir den Boden unter den Füßen wegzieht, ob eine Trennung meinen Lebensentwurf zerbröseln lässt, ob Arbeitslosigkeit oder was auch immer mein Leben aus den Angeln heben: Das Einzige, worauf ich mich in Situationen, in denen ich mir selbst nicht mehr helfen kann, verlassen kann (und muss!), sind Freunde. Ein dickes Bankkonto hilft mir da gar nichts. Höchstens im Fall des Jobverlustes kann es meinen Absturz abfedern. Wer solch eine Erfahrung einmal gemacht hat, der geht danach viel bewusster und sorgsamer mit Freundschaften um. Und er wird bedürftigen Freundinnen und Freunden gegenüber sehr viel großzügiger sein, als er es jemals zuvor war. Klug ist es, sinnvolle Zusammenhänge herzustellen: Freundschaften zu pflegen, Beziehungen zu knüpfen, Familienverbünde und Lebenspartnerschaften aktiv zu gestalten und in sie verschwenderisch zu investieren – und zwar nicht nur materielle Ressourcen, sondern auch Zeit.
Die „ungerechte Gerechtigkeit“ der Verschwendung ist jedenfalls die Praxis Jesu. Er verschwendet, was er zu geben hat – am Ende sogar sich selbst – in dieser vollkommenen Form der Freundschaft, die gibt, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Jesus verschleudert den Reichtum Gottes. Natürlich geht es ihm hier auch um Vergebung. Sein Lob des Ökonomen ist skandalös. Reich Gottes ist, wo verschwenderisch Beziehungen gepflegt werden. Und wo verschwenderische Vergebung herrscht. Denn genau so ist die Vergebung Gottes, das göttliche Heilsgut, mit dem Jesus um sich wirft: scheinbar unmotiviert, ungerechtfertigt und unmäßig. Die Vergebung Gottes pulverisiert alle gängigen Entsprechungen von Leistung und Lohn, Tun und Ergehen, Schuld und Sühne. Sie zieht dem allgemein gültigen gesunden Menschenverstand den Boden unter den Füßen weg.
Liebe Gemeinde, Jesus geht es mit seinem Theaterstück um Kommunikation. Er will sein Publikum aktivieren, wenigstens zunächst einmal dessen Imagination. Dafür fährt er alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel auf: abgründigen Humor zur Demaskierung der Realität, freundliche Horizonterweiterung auf menschliche Handlungsmöglichkeiten hin und überschäumende Bereitschaft, das göttliche Gut der Vergebung über seinen Adressaten auszuschütten. Wie jedes gute Theater hat Jesu Stück einen utopischen und politischen Impuls: Es ist ein imaginativer Einspruch gegen die Tyrannei der Realität und des ausschließlich gegenwärtigen Konventionen und Wertvorstellungen verhafteten Handelns. Im besten Falle löst es bei den Zuschauern und Zuhörern eine Reaktion aus. Jesu Botschaft vom Reich Gottes wird wahr, wenn die Zuschauerinnen und Zuhörer daraus ihre ganz eigenen Schlüsse ziehen und mit ihrem Leben klug darauf antworten. Amen.
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Liebe Gemeinde,
Jesus hatte Humor. Gelegentlich konnte sein Humor so abgründig sein, dass wir bis heute Mühe haben, darüber nicht die Fassung zu verlieren. In dieser Gleichniserzählung inszeniert er ein kleines Theaterstück, durch das dem gewöhnlichen gesunden Menschenverstand der Boden unter den Füßen weggezogen wird:
Ein reicher Mann, ein Großgrundbesitzer oder ein mächtiger Händler, hat die Geschäftsleitung über seinen Betrieb einem „Ökonomen“ übertragen. Setzt man jemanden zum Prokuristen über sein Geschäft ein, so muss man ihm vertrauen können. Der Beauftragte hat eine immense Verantwortung. Die Gesamtstrategie mag der Besitzer vorgeben. In der Regel heißt die: die Erwirtschaftung maximale Rendite. Wie er das hinbekommt, ist dem Besitzer egal. Für die kreative Strategie und den Umgang mit den Geschäftspartner und Arbeitern ist der Ökonom zuständig. Sein Platz ist zwischen den Fronten: er ist frei in seinen Entscheidungen, auch gegenüber den ihm Untergebenen und zugleich abhängig von dem, der ihn beschäftigt. Je nachdem mag er mit Prämien am Erfolg seiner Arbeit beteiligt werden.
Nun heißt es, dass man den Ökonomen beim reichen Mann beschuldigt habe, dessen Vermögen „verschwendet“ zu haben. Ob diese Beschuldigung zu Recht oder zu Unrecht erhoben wird, ist unklar. Spinnen Untergebene, die mit seiner Geschäftsführung nicht zufrieden sind, eine Intrige? Oder hat der Ökonom tatsächlich Vermögen seines Chefs „verschwendet“? Aus Jesu Wortwahl kann man schließen, dass eher nicht an eine Selbstbereicherung des Ökonomen gedacht ist, sondern an schlechtes Management, das heißt an ein Management, das nicht den üblichen Interessen des Besitzers – sprich: der Erwirtschaftung maximaler Rendite - entspricht. Wie dem auch sei: der reiche Mann nimmt die Beschuldigungen als bare Münze, fordert von seinem Ökonomen die Offenlegung der Bilanz und kündigt zugleich seine Entlassung an. „Tja“, mochte der Ökonom da denken: „Aus der Traum. Ende der Karriere. Was nun? Was mache ich jetzt?“ Heute wird so jemand von seinem Arbeitgeber sofort freigestellt und man verschließt ihm alle Zugangsmöglichkeiten zu seinem Arbeitsfeld. Das geschieht hier nicht. Noch hat der Ökonom Optionen:
Er könnte Selbstmord begehen. So könnte er sich aller unerfreulichen Konsequenzen, die durch seinen Rausschmiss über ihn kommen, entziehen. Das könnte er stilecht inszenieren – wie der vom Rausschmiss bedrohte Banker es tat, der sich mit einem Champagnerglas in der Hand von der Dachterrasse eines Londoner Edel-Restaurants stürzte.
Oder er könnte schnell Geld oder Naturalien beiseiteschaffen und so gut verstecken, dass, wenn alles überstanden wäre, er darauf zurückgreifen und davon leben könnte. Vielleicht gäbe es sogar die Möglichkeit, in einem Nachbarland ein geheimes Nummernkonto einzurichten?
Er könnte auch die Bücher offenlegen, die Sachlage klären und erklären nach dem Motto: „Ehrlich währt am längsten“ und dann den Abschied nehmen. Ein Ehrlicher wird immer eine Zukunft haben.
Falls er sich tatsächlich illegaler Geschichten schuldig gemacht hat, könnte er seine Schuld eingestehen, Reue zeigen und auf ein mildes Urteil hoffen. Jeder, der einmal kriminell geworden ist und bereut, hat das Recht auf eine zweite Chance.
Falls er sich nichts hat zuschulden kommen lassen, könnte er kämpfen, einen Anwalt nehmen und die Verleumder verklagen. Wer Recht hat, muss Recht behalten.
Oder er hätte die wesentlichen Geschäftsunterlagen schreddern können, um alle Spuren zu verwischen und dann unterzutauchen.
Nichts von alledem tut er. Er spielt Vabanque. Was er tut, ist das Unerwartete, Paradoxe und es ist in diesem Stück der erste echte Skandal. Eines ist für ihn klar: In Armut abzustürzen, dazu hat er keine Lust. Für Knochenarbeit ist er nicht gebaut. Und eine Existenz als antiker Harz IV-Empfänger oder gar als Platte-Macher ist auch nicht sein Ding. Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde.
Der Ökonom bestellt die Schuldner seines Herrn ein. Es müssen vermögende Schuldner gewesen sein, solche, die Häuser haben und für längere Zeit Gäste aufnehmen können.Er fragte den ersten Schuldner: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? Er sprach: Hundert Bat Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig. Die 50 Bat Öl, die er diesem Schuldner erlässt, entsprechen circa 16 Hektolitern. Dann fragt er den zweiten Schuldner: Du aber, wie viel bist du schuldig? Er sprach: Hundert Kor Weizen. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig. Die 20 Kor Weizen, die er diesem erlässt, entsprechen circa 65 Hektolitern. Ein Forscher hat ausgerechnet, dass, falls man jeden Esel mit zwei Fünfzig-Liter-Fässern beladen würde, für das Öl 16,3 Esel und für den Weizen 81,5 Esel nötig wären, um dieses Material beiseite zu schaffen. Das würde auffallen. Solche Transaktionen gehen nur bargeldlos. Nach den zwei genannten folgt eine unbekannte Anzahl weiterer Schuldner. Spätestens hier wird deutlich, dass Jesu Stück humoristische, wenn nicht satirische Züge hat. Denn was hier vorgeführt wird, das ist eine gigantische Verschwendung, eine immense Vernichtung von Kapital. Der Ökonom tut schlussendlich, was man ihm vorwirft: Er verschwendet das Vermögen seines Herrn. Was er tut, widerspricht allen Konventionen und ganz gewiss der herrschenden Moral. Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte.
Was, fragt der verblüffte Betrachter/die verblüffte Betrachterin, soll daran klug sein? In einer Notlage zugunsten von Schuldnern Kapital zu vernichten, das eigentlich dem Vermögens-Portfolio eines Reichen gehört und Zinsen generieren soll, das soll klug sein? Eine monströse Menge an Ressourcen zu verschwenden, um ein Beziehungsnetz zu knüpfen und „Landschaftspflege“ zu betreiben, das soll klug sein? Ist es, lässt Jesus den Reichen Mann sagen. Punkt. Das ist der zweite echte Skandal in diesem Stück. Das ist genauso klug, wie das Verhalten des Vaters, von dem ich euch gerade eben erzählt habe, hätte Jesus hinzufügen können. Der hat seinen verschwenderischen Sohn, den er verloren glaubte, nach dessen Rückkehr gegen alle herrschende Moral mit Luxusgütern zugeschmissen.
2
Liebe Gemeinde, man kann dieses Theater-Stück Jesu als erhellendes Anti-Stück betrachten zu der Art von Stücken, die seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 bei uns gegeben werden. Der Regisseur J.C. Chandor dieses gegenwärtige Stück zu einem Kammerspiel verdichtet. Sein Film heißt „Der große Crash - Margin Call“ und schildert 24 Stunden im Jahr 2008 in den obersten Etagen einer großen amerikanischen Bank, in denen die große Finanzkrise ausgelöst wurde:
Ein untergeordneter Mitarbeiter entdeckt, dass die Bank über massenhaft hochriskante Papiere verfügt, die faktisch wertlos geworden sind. Es gibt nur die Alternative, entweder durch den eigenen Bankrott eine Krise auszulösen oder alles sofort zu verkaufen und sich auf Kosten anderer in Sicherheit zu bringen. Das würde die Krise beschleunigen und verstärken. Im Zentrum dieser gewaltigen Katastrophe sind ziemlich normale Menschen zu sehen, die sich irgendwie verhalten müssen, weil sie mit dem Rücken zur Wand stehen. Sie agieren so, wie wir es erwarten. Gerade mal für einen Augenblick scheint es möglich, dass sich einer vom Bürohochhaus stürzt, dass ein anderer seinen fiesen Chef beim Rasieren im Waschraum die Kehle durchschneidet, dass jemand „nein“ sagen und sich der Politik des eiskalt kalkulierenden Oberbosses entgegen stellen würde. Aber nichts davon geschieht. Das ist die eigentliche Katastrophe, die der Film zeigt: Dass es immer so weitergeht, dass die Menschen mitmachen und dass ihnen im Zweifelsfall, wenn es um das eigene Hemd geht, moralische Skrupel oder gar die Verantwortung für das große Ganze schnuppe sind. Und dass diese Leute Menschen sind wie du und ich. Der Film spielt fast die ganze Zeit über in geschlossenen Bürowelten. Diese bilden eine ganz eigene Realität. Selbst wenn Einzelne diese einmal verlassen, scheint es, als bliebe immer eine Wand zwischen ihnen und der Welt um sie herum. Die Kamera konzentriert sich fast durchgehend auf die Figuren. Jede dieser Figuren interessiert sich nur für das eigene Schicksal. Sie schauen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nie aus dem Fenster. In der Regel richtet sich ihr Blick auf den Innenraum. Stadtansichten von New York tauchen nur über ihren Schultern oder ihrem Hinterkopf auf, während die betreffende Figur darüber nachdenkt, was sich in ihrer kleinen, insularen Welt gerade abspielt. Wenn jemand doch einmal aus dem Fenster schaut, dann sieht er nur das eigene Spiegelbild. Oder es blickt jemand auf die Stadt, während er ausschließlich über sich selbst redet. Frappierend ist, dass die Akteure nicht böse sind, sondern dass sie eine Maschine namens Finanzwirtschaft bedienen, die kaum einer hundertprozentig durchschaut. Dabei verhalten sich alle so beschränkt, trivial und charakterlos, dass die Katastrophe unausweichlich wird – obwohl es lange zuvor darauf hindeutende Signale und Warnungen gegeben hatte. Aber am Ende sagen alle: „Ich konnte ja nicht anders.“ Ich konnte ja nicht anders handeln, denn wenn ich es getan hätte, hätten wir nicht das von der Geschäftsleitung vorgegebenen Gewinnziel erreicht und mich hätte es meinen Bonus, mein Gehalt, womöglich meinen Job gekostet. In einem seiner zynischen Monologe vor Mitarbeitern signalisiert der Ober-Boss, dass er eben deshalb der Ober-Boss sei, weil er es wie kein anderer vermöge, das zu tun, wofür er bezahlt werde: seinen Anlegern höchstmögliche Dividenden zu verschaffen, koste es andere, was es wolle. „Ich kann ja nicht anders.“
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Liebe Gemeinde, was ist kluges Verhalten? Jesus hält denen, die sich von seinem Theaterstück in Bann ziehen lassen, einen Spiegel vor. Zugleich reißt er ihnen den Horizont auf, den Horizont des Reiches Gottes. Die Ökonomie des Reiches Gottes, so zeigt er, ist nicht geprägt von buchhalterischer Vernunft. Klug ist unter den Bedingungen des Reiches Gottes, dem scheinbaren Sachzwang der Geldvermehrung nicht nachzugeben, sondern maßlose Generosität zu üben. Eine geradezu orgiastische Vernichtung von Kapital kann klug sein, wenn die Vernichtung zugunsten Anderer geschieht. Im Horizont des Reiches Gottes sind Investitionen klug, wenn sie in Beziehungen investiert werden. Das leuchtet jedem sofort ein, der schon einmal in eine tiefe existentielle Krise geraten ist. Gleichgültig ob mich eine schwere Krankheit erwischt, ob ein Todesfall mir den Boden unter den Füßen wegzieht, ob eine Trennung meinen Lebensentwurf zerbröseln lässt, ob Arbeitslosigkeit oder was auch immer mein Leben aus den Angeln heben: Das Einzige, worauf ich mich in Situationen, in denen ich mir selbst nicht mehr helfen kann, verlassen kann (und muss!), sind Freunde. Ein dickes Bankkonto hilft mir da gar nichts. Höchstens im Fall des Jobverlustes kann es meinen Absturz abfedern. Wer solch eine Erfahrung einmal gemacht hat, der geht danach viel bewusster und sorgsamer mit Freundschaften um. Und er wird bedürftigen Freundinnen und Freunden gegenüber sehr viel großzügiger sein, als er es jemals zuvor war. Klug ist es, sinnvolle Zusammenhänge herzustellen: Freundschaften zu pflegen, Beziehungen zu knüpfen, Familienverbünde und Lebenspartnerschaften aktiv zu gestalten und in sie verschwenderisch zu investieren – und zwar nicht nur materielle Ressourcen, sondern auch Zeit.
Die „ungerechte Gerechtigkeit“ der Verschwendung ist jedenfalls die Praxis Jesu. Er verschwendet, was er zu geben hat – am Ende sogar sich selbst – in dieser vollkommenen Form der Freundschaft, die gibt, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Jesus verschleudert den Reichtum Gottes. Natürlich geht es ihm hier auch um Vergebung. Sein Lob des Ökonomen ist skandalös. Reich Gottes ist, wo verschwenderisch Beziehungen gepflegt werden. Und wo verschwenderische Vergebung herrscht. Denn genau so ist die Vergebung Gottes, das göttliche Heilsgut, mit dem Jesus um sich wirft: scheinbar unmotiviert, ungerechtfertigt und unmäßig. Die Vergebung Gottes pulverisiert alle gängigen Entsprechungen von Leistung und Lohn, Tun und Ergehen, Schuld und Sühne. Sie zieht dem allgemein gültigen gesunden Menschenverstand den Boden unter den Füßen weg.
Liebe Gemeinde, Jesus geht es mit seinem Theaterstück um Kommunikation. Er will sein Publikum aktivieren, wenigstens zunächst einmal dessen Imagination. Dafür fährt er alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel auf: abgründigen Humor zur Demaskierung der Realität, freundliche Horizonterweiterung auf menschliche Handlungsmöglichkeiten hin und überschäumende Bereitschaft, das göttliche Gut der Vergebung über seinen Adressaten auszuschütten. Wie jedes gute Theater hat Jesu Stück einen utopischen und politischen Impuls: Es ist ein imaginativer Einspruch gegen die Tyrannei der Realität und des ausschließlich gegenwärtigen Konventionen und Wertvorstellungen verhafteten Handelns. Im besten Falle löst es bei den Zuschauern und Zuhörern eine Reaktion aus. Jesu Botschaft vom Reich Gottes wird wahr, wenn die Zuschauerinnen und Zuhörer daraus ihre ganz eigenen Schlüsse ziehen und mit ihrem Leben klug darauf antworten. Amen.
Perikope