KONFI-IMPULSE und Predigt über Jeremia 23, 16-29 von Hartmut Mildenberger
23,16
Text und Lebenswelt
Das Thema Falschprophetie hat zu tun mit der Frage: Wer ist mir vertrauenswürdig? Warum schenke ich wem Vertrauen? Auf wen höre ich? Woher weiß ich, wenn jemand lügt?
Die Kritik an den Falschpropheten macht sich z.B. fest an der Aussage. „Es wird euch wohlergehen.“ Was führt Konfirmanden/innen dazu, drohende Gefahren zu übersehen? Wo lassen sie sich einlullen?
„Alles gut.“ höre ich immer wieder als beschwichtigender Abschiedsgruß (früher im Fernsehen Nina Ruge(?) prophetisch: „Alles wird gut“). Was ist mit dem Gruß gemeint? Woher kommt Zuversicht?
Ich erlebe Jugendlich ambivalent: Manche sind höchst sensibel für gesellschaftliche, ökologische, soziale… Fehlentwicklungen; manchmal tritt Konsumorientierung in den Vordergrund (Stichworte: Unterhaltungsindustrie, Spaßgesellschaft).
Die Frage nach dem Gottesbild stellt sich. Gerade V23 als Frage könnte nicht nur als rhetorische Frage vorkommen, sondern als echte Frage gestellt werden. Ist Gott nur nahe, und nicht auf fern? Wo erlebe ich was?
Ein homiletisches Grundproblem des Textes ist, dass Jeremia nicht „positiv denkt“, er stärkt die Zuversicht nicht, er rüttelt auf, für ihn ist das „Glas halbleer“ (bzw. schon ausgetrunken).
Anregung zur Gestaltung:
Interview vor der Gemeinde: Was für Fernsehsendungen schaust du? Interessierst du dich für Politik – politische Sendungen? Warum (nicht)? Wenn du ein Prophet wärst, was würdest du kritisieren?
Weiteres siehe mein Predigtvorschlag s.u. (hier könnte man einzelne Sprecherrollen verteilen.)
Auch das mitgelieferte Fürbittgebet eignet sich zur Aufteilung auf einzelne Sprecher/innen - dann mit Kyrie-Ruf.
Predigt zu Jeremia 23,16-29 1. Sonntag nach Trinitatis 10.6.2012, Hartmut Mildenberger
(Schwierige Suche nach Wahrheit)
(1 Einleitung: trügerische Ruhe)
Liebe Gemeinde,
Die politische Großwetterlage um unseren Predigttext heute ist angespannt.
Er führt uns ungefähr im Jahr 600 vor Christi Geburt in den Tempel Jerusalems.
Noch steht dieser Tempel, den König Salomo hatte bauen lassen.
Der ganze Tempelbetrieb ist noch im Gang.
Priester opfern Tiere.
Propheten sagen Gottes Weisung. Dazu sind sie angestellt.
Noch funktioniert das alles.
Aber das kleine Juda mit der Hauptstadt Jerusalem hat einen übermächtigen Nachbarn bekommen:
Nabukadnezar mit dem babylonischen Großreich.
(2 Jeremias Warnung - Predigttext)
Wir hören die Worte des Propheten Jeremia aus dem 23. Kapitel.
(Predigttext: Jeremia 23,16-29 oder in Auswahl: Verse 16-20.23.28-29)
(3 Wer hat Recht?)
Wer hat Recht?
Im Nachhinein war klar, wer falsche und wer wahre Propheten Gottes waren.
Hinterher ist man zwar immer klüger,
aber leben muss man nach Vorne.
Man weiß vorher nicht, wie alles ausgeht.
Lassen Sie uns deshalb einen Schritt zurückgehen.
Wie haben die beteiligten Personen damals wohl ihre Situation empfunden?
(4 Aus der Sicht eines Zuhörers)
Zuerst hören wir einen der Zuhörer am Tempel.
Wissen Sie (sagt er),
ich muss doch schauen, dass ich meinen Alltag klar bekomme.
Ich bin Kaufmann, und die Geschäfte liefen schlecht.
Dabei muss ich Frau und Kinder versorgen.
Ich war froh, als die Tempelpropheten gesagt haben:
„Das Unheil bleibt aus. Alles wird gut.“
Die Leute haben Mut geschöpft und wieder eingekauft.
Ich selbst habe auch Mut geschöpft.
Gute Nachrichten sind besser als schlechte Nachrichten.
Vor allem wenn es von höchster Stelle kommt, direkt aus dem Tempel Gottes.
Das kann man doch verstehen, dass einen das mehr freut als das Geunke dieses Jeremia.
Der hat schon immer Schwarz gesehen.
Von Gott komme er, hat er gesagt.
Die Menschen sollen ihr Leben ändern.
Und der Zorn Gottes würde über uns wüten wie ein Unwetter.
Das will man doch nicht hören.
Aber auf wen hättet denn ihr lieber gehört? Seid ja nicht zu schnell in eurem Urteil.
(5 Aus der Sicht eines Tempelpropheten)
Hören wir die Sicht eines Tempelpropheten damals:
Liebe Zuhörer, (sagt er)
das ist völlig ungerecht, wie Jeremia uns hier angreift.
Wir sind dazu da, die religiösen Bedürfnisse des Volkes zu bedienen.
Das ist unsere Aufgabe.
Dazu sind wir berufen.
Und eine Unverschämtheit ist es, wie Jeremia uns hier angreift.
Wir haben schließlich eine gute Tradition für uns.
Er kritisiert uns wegen unserer Träume.
Wie will er denn sonst Gottes Willen erkennen?
Hat nicht auch Jakob geträumt, und Joseph – der ist berühmt für seine Träume.
Immer schon war es so, dass sich die Gottheit durch Träume zeigte. (1)
Dann kritisiert er uns, dass wir Wohlergehen und Heil voraussagen.
Wir stehen hier in einer guten Tradition.
Das steht schon in den Schriften: Gott hat David erwählt, Gott hat mit ihm Jerusalem erwählt.
Gott hat doch gesagt: Hier am Tempel will ich bleiben und zu finden sein.
Die Stadt Gottes wird fest stehen.
Sogar der große Jesaja hat festgehalten am Berg Zion. (2)
Jeremia hat doch keine Ahnung, wie es den Leuten geht und was sie brauchen.
Was meint ihr? Haben wir nicht Recht?
(6 Aus der Sicht Jeremias)
Hören wir Jeremia:
Leute, lasst euch nicht in die Irre führen. (Sagt er.)
Da seht ihr, wie sie die Worte im Mund 'rumdrehen;
wie sie auf beiden Seiten hinken.
Vom lebendigen Gott haben diese Lügen-Propheten doch gar nichts verstanden.
Einen Wohlfühlgott verkünden sie.
Aber nicht den lebendigen Gott Israels.
Meint ihr mir macht das Spaß,
ich muss dauernd alleine einstehen für das Wort, das ich von Gott höre.
Es ist, wie wenn ich gegen Mauern laufe.
Manchmal leide ich so, als ob Gott selbst in mir mitleidet.
Es ist zum Verzweifeln. (3)
Es ist doch alles offensichtlich.
Es stinkt doch alles zum Himmel.
Die soziale Ungerechtigkeit, die kultische Ehebrecherei, die träumerischen Lügen-Prophezeiungen, - das alles hat Konsequenzen.
Sie wiegen sich in trügerischer Sicherheit.
Gott ist nicht nur nahe. Gott ist auch fremd, Gott ist anders, Gott lässt sich nicht vereinnahmen.
Gott und sein Wort -
das ist wie ein Feuer. Er wird das Böse ausbrennen.
Gott und sein Wort -
das ist wie ein großer Schmiedehammer.
Er schlägt zu, er zerbricht.
Er selbst zerbricht Tempel und Stadt.
Ja, - hoffentlich ist es dann so, dass der Hammer der den Stein schlägt, Neues gestaltet.
Aber ob sie dann umkehren?
Ach, ich glaube es selbst nicht, dass sie einsichtig sind.
Was meint ihr? Habe nicht ich Recht?
Seid ihr wenigstens besser als meine Zeitgenossen?
Haltet ihr es aus mit diesem unbequemen Gott?
(7 Zeitsprung: Das ganze Leben ist ein Quiz – nicht einlullen lassen)
Liebe Gemeinde,
Lassen Sie uns einen Zeitsprung machen in unsere Zeit:
Ein Vater sitzt mit seinem achtzehnjährigen Sohn vor dem Fernsehen (oder ein anderes Beispiel).
Gemeinsam schauen sie eine Satireshow.
Unterhaltsam ist das. Sie lachen miteinander. Dann kommt die Werbepause.
Der Vater zappt durch die Kanäle.
Auf dem Ersten kommt ein Politikmagazin,
auf Pro-Sieben eine andere Unterhaltungsshow.
Der Vater will die fünf Minuten Werbepause lieber die Informationssendung.
Der Sohn sagt: „Das ist doch langweilig. Pro-Sieben ist lustiger.“
Der Vater gibt nach, aber er grübelt:
Ist das das Ergebnis seiner Erziehung: „Politik ist langweilig, nur Unterhaltung macht Spaß.“?
„Das ganze Leben ist ein Quiz und wir sind nur die Kandidaten.“
So hat der Satiriker Hape Kerkeling einmal in einem Lied die ganze Unterhaltungsindustrie selbstironisch hochgenommen.
Jeremia, der Prophet, sagt:
Lass dich nicht völlig einlullen.
Lass dich nicht einlullen von der Spaßindustrie oder von wem auch immer.
Bleib wachsam.
Es gibt Leute, die geben dir das Gefühl: „Es ist alles in Ordnung. Es ist alles halb so wild.“
Es gibt Versuchungen, die lenken dich ab vom wirklichen Leben.
(8 Experten in der Talkshow – auf die Unbequemen hören)
Noch einmal Fernsehen (oder ein anderes Beispiel):
Die Moderatorin begrüßt ihre Gäste.
Das Thema der Talkshow klingt interessant.
Afghanistaneinsatz, Hunger in der Welt, die Krise des Euro.... (aktualisieren).
Der Zuschauer fragt sich:
Auf wen soll ich hören?
Manches, was die eine Fachfrau sagt, klingt einleuchtend.
Aber der andere Experte mit der anderen Meinung ist sympathischer. - Außerdem gehört er zu der Partei, die mir gefällt.
Hat er deshalb Recht? Wer soll sich da noch auskennen?
Jeremia, der Prophet, sagt:
Höre nicht auf die, die dir nach dem Mund reden.
Höre nicht auf die, die sagen, was du schon immer hören wolltest.
Höre auch auf die, die unbequem sind.
Prüfe, ob nicht genau die Recht haben, die zur Umkehr rufen.
Jeremia hat damals aufgerufen, allein Gott und nicht auch noch Baal zu verehren.
Er hat gewarnt vor kultischem und sozialem Ehebruch. So hat er es genannt.
Er hat gewarnt vor fortgesetzter Unterdrückung und Ausbeutung der Armen.
Heute sind die Themen nicht viel anders.
Wer denkt an die Schwachen und Armen?
Wer spricht davon, dass Leben ein Geschenk ist?
Wer erinnert daran, dass unsere Welt nicht uns gehört? Sie gehört Gott, alles ist uns nur geliehen.
(9 Israels Erfahrung: Heil durchs Unheil)
Jeremia hatte damals keinen Pfifferling auf die Umkehrbereitschaft der Menschen gesetzt.
Er sah das Unheil kommen.
Er hat gelitten mit Gott an den Menschen.
Dass er Recht gehabt hat, das hat Jeremia am eigenen Leib erfahren:
Jerusalem wurde zerstört.
Viele - auch er selbst - wurden verschleppt.
Er hat geahnt und verkündet:
Nur von Gott kann Heil kommen.
Erlebt haben dies aber andere. Erst später haben sie erfahren:
Die babylonische Gefangenschaft hat den Glauben an Gott geweitet.
Jeremias Worte von damals waren wegweisend.
Gott lässt sein Volk auch im größten Unheil nicht alleine.
Aus den Trümmern konnte neu aufgebaut werden.
Gottes Gnade ist nie ganz aus. Er schenkt einen neuen Morgen.
(10 Schluss: Gott ist beides: unbequem – und nah)
Diese Erfahrungen tragen.
Noch heute sind sie verlässlich – auch für uns.
Im Alltag stellen sich uns laufend Fragen, im Beruf, im Privaten, im Gesellschaftlichen.
Wer hat Recht? Auf wen sollen wir hören?
Von Jeremia lernen wir heute:
Lass dich nicht einlullen.
Höre auch auf die unbequemen Worte, die dir gesagt sind.
Gottes Wort lässt einen nicht los.
Wie ein Feuer brennt es.
Sein Wort kann auch die dicksten Mauern zerschlagen.
Es ist wie ein Hammer, der Felsen zerschlägt.
Manchmal brauchen wir dies als Warnung.
Es gibt aber auch Situationen,
da hat Gott ein anderes Wort für uns.
Es ist unbedingte Zusage.
Die Tempelpropheten sagen es.
Jeremia spricht es verdeckt aus:
„Bin ich nur ein Gott der nahe ist?“
Ja, Gott ist auch der Gott, der nahe ist.
Da ist sein Wort ganz einfach.
Es heißt: „Fürchte dich nicht.
Ich bin mit dir. Ich bin dir nahe.
Ich bin da. Auch wenn du meinst ich bin fern.
Alles wird gut, weil ich neu mache.“ (4)
Amen.
Eingangsgebet:
Herr, Jesus Christus,
du bist die Wahrheit und das Leben,
du bist das eine Wort Gottes,
du hältst stand unserer zerrissenen Welt,
auf dich können wir uns verlassen.
Wir bitten dich, sammle uns.
Sammle uns, wo wir zerfahren sind.
Umfasse, was uns schier zerreißt.
Halte fest, wo wir vergehen.
Lass deine Wahrheit für unser Leben leuchten.
Dich, Jesus Christus, preisen wir,
der du mit dem Vater und dem Heiligen Geist
lebst und Leben schaffst von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Fürbittgebet:
Herr, Jesus Christus, du bist die Wahrheit und das Leben.
Wir bitten dich für unser Kinder und Jugendlichen,
stärke ihre Kräfte und gib Orientierung.
Wir bitten dich für alle Erzieherinnen und Lehrer,
mach sie weise und liebevoll.
Wir bitten dich für die Medienleute,
stärke ihre Gewissen und mach sie mutig.
Wir bitten dich für die Menschen in der Politik,
lass sie gut beraten sein.
Wir bitten dich für deine Gemeinde hier und in aller Welt, rede sie an mit deinem lebendigen Wort. Lass sie Zeugin deiner Liebe werden.
Wir bitten dich für die Kranken und Sterbenden,
für die Lebensmüden und Verlorenen,
steh ihnen bei;
und gib ihnen Menschen, die da sind für sie.
Wir bitten dich für uns,
wo wir suchen, da lass uns finden,
wo wir bitten, da gib.
Ach Herr, du weißt ja schon, was wir brauchen.
Werde lebendig in uns und
leite und führe uns in der neuen Woche.
Amen.
Hinführung zu Jeremia 23,16-29
Nach der Kritik an den schlechten Hirten (Königen) folgt in Jeremia 23 die Kritik an den falschen Propheten. Er redet dabei nicht zu den Propheten, sondern zu einem Forum der (Jerusalemer) Öffentlichkeit.
Gliederung des Ausschnitts(!):
16-22 fehlende Legitimität, Unheilswort mit drei Gottesfragen
23-29 Unterscheidung zwischen Traum- und Wortpropheten
Der Text führt uns auf das schwierige und große Feld der Geschichte der Prophetie.
Dass es Seher und Propheten auch in Verbindung mit dem Tempel gegeben hat zeigt z.B. das Wirken Samuels am Heiligtum zu Silo 400 Jahre vor Jeremia (1.Samuel 3). Den Konflikt zwischen einer Gruppe von falschen Heilspropheten und einem einzelnen gottgesandten Unheilspropheten überliefert auch 1. Könige 22,6ff.
Jeremia 28 weist bei der Verwerfung des Propheten Hananja auf das einzige sichere Unterscheidungskriterium hin: „Wenn aber ein Prophet Heil weissagt – ob ihn der HERR wahrhaftig gesandt hat, wird man daran erkennen, dass sein Wort erfüllt wird.“ (Jeremia 28,9)
Die Heftigkeit der extremen Kritik Jeremias ist unvergleichlich. Die „Falsch“-Propheten haben sehr wohl die Zionstradition und die Tradition der Offenbarung durch Träume für sich. Aber „die Zionstradition, die für Jesajas ganze Weissagung bestimmend war, fehlt bei Jeremia ganz“ (von Rad) Er ist einseitig tempelkritisch aufgrund der Übertretung des ersten Gebots durch die dort Verantwortlichen. (V9f. Vergleiche auch die Tempelrede, Jeremia 7,1-18).
In meiner Predigt geht es mir um die nicht einfache Suche nach der Wahrheit. Beides ist wahr: Gott kann nah sein – wie die Tempelpropheten aus Erfahrung glauben; und Gott kann fern sein, wie Jeremia hier klarstellen muss (V 23).
Schwierige Suche nach Wahrheit
1 Einleitung: trügerische Ruhe
2 Jeremias Warnung - Predigttext
3 Wer hat Recht?
4 Aus der Sicht eines Zuhörers
5 Aus der Sicht eines Tempelpropheten
6 Aus der Sicht Jeremias
7 Zeitsprung: Das ganze Leben ist ein Quiz – nicht einlullen lassen
8 Experten in der Talkshow – auf die Unbequemen hören
9 Israels Erfahrung: Heil durchs Unheil
10 Schluss: Gott ist beides: unbequem – und nah
Das Thema Falschprophetie hat zu tun mit der Frage: Wer ist mir vertrauenswürdig? Warum schenke ich wem Vertrauen? Auf wen höre ich? Woher weiß ich, wenn jemand lügt?
Die Kritik an den Falschpropheten macht sich z.B. fest an der Aussage. „Es wird euch wohlergehen.“ Was führt Konfirmanden/innen dazu, drohende Gefahren zu übersehen? Wo lassen sie sich einlullen?
„Alles gut.“ höre ich immer wieder als beschwichtigender Abschiedsgruß (früher im Fernsehen Nina Ruge(?) prophetisch: „Alles wird gut“). Was ist mit dem Gruß gemeint? Woher kommt Zuversicht?
Ich erlebe Jugendlich ambivalent: Manche sind höchst sensibel für gesellschaftliche, ökologische, soziale… Fehlentwicklungen; manchmal tritt Konsumorientierung in den Vordergrund (Stichworte: Unterhaltungsindustrie, Spaßgesellschaft).
Die Frage nach dem Gottesbild stellt sich. Gerade V23 als Frage könnte nicht nur als rhetorische Frage vorkommen, sondern als echte Frage gestellt werden. Ist Gott nur nahe, und nicht auf fern? Wo erlebe ich was?
Ein homiletisches Grundproblem des Textes ist, dass Jeremia nicht „positiv denkt“, er stärkt die Zuversicht nicht, er rüttelt auf, für ihn ist das „Glas halbleer“ (bzw. schon ausgetrunken).
Anregung zur Gestaltung:
Interview vor der Gemeinde: Was für Fernsehsendungen schaust du? Interessierst du dich für Politik – politische Sendungen? Warum (nicht)? Wenn du ein Prophet wärst, was würdest du kritisieren?
Weiteres siehe mein Predigtvorschlag s.u. (hier könnte man einzelne Sprecherrollen verteilen.)
Auch das mitgelieferte Fürbittgebet eignet sich zur Aufteilung auf einzelne Sprecher/innen - dann mit Kyrie-Ruf.
Predigt zu Jeremia 23,16-29 1. Sonntag nach Trinitatis 10.6.2012, Hartmut Mildenberger
(Schwierige Suche nach Wahrheit)
(1 Einleitung: trügerische Ruhe)
Liebe Gemeinde,
Die politische Großwetterlage um unseren Predigttext heute ist angespannt.
Er führt uns ungefähr im Jahr 600 vor Christi Geburt in den Tempel Jerusalems.
Noch steht dieser Tempel, den König Salomo hatte bauen lassen.
Der ganze Tempelbetrieb ist noch im Gang.
Priester opfern Tiere.
Propheten sagen Gottes Weisung. Dazu sind sie angestellt.
Noch funktioniert das alles.
Aber das kleine Juda mit der Hauptstadt Jerusalem hat einen übermächtigen Nachbarn bekommen:
Nabukadnezar mit dem babylonischen Großreich.
(2 Jeremias Warnung - Predigttext)
Wir hören die Worte des Propheten Jeremia aus dem 23. Kapitel.
(Predigttext: Jeremia 23,16-29 oder in Auswahl: Verse 16-20.23.28-29)
(3 Wer hat Recht?)
Wer hat Recht?
Im Nachhinein war klar, wer falsche und wer wahre Propheten Gottes waren.
Hinterher ist man zwar immer klüger,
aber leben muss man nach Vorne.
Man weiß vorher nicht, wie alles ausgeht.
Lassen Sie uns deshalb einen Schritt zurückgehen.
Wie haben die beteiligten Personen damals wohl ihre Situation empfunden?
(4 Aus der Sicht eines Zuhörers)
Zuerst hören wir einen der Zuhörer am Tempel.
Wissen Sie (sagt er),
ich muss doch schauen, dass ich meinen Alltag klar bekomme.
Ich bin Kaufmann, und die Geschäfte liefen schlecht.
Dabei muss ich Frau und Kinder versorgen.
Ich war froh, als die Tempelpropheten gesagt haben:
„Das Unheil bleibt aus. Alles wird gut.“
Die Leute haben Mut geschöpft und wieder eingekauft.
Ich selbst habe auch Mut geschöpft.
Gute Nachrichten sind besser als schlechte Nachrichten.
Vor allem wenn es von höchster Stelle kommt, direkt aus dem Tempel Gottes.
Das kann man doch verstehen, dass einen das mehr freut als das Geunke dieses Jeremia.
Der hat schon immer Schwarz gesehen.
Von Gott komme er, hat er gesagt.
Die Menschen sollen ihr Leben ändern.
Und der Zorn Gottes würde über uns wüten wie ein Unwetter.
Das will man doch nicht hören.
Aber auf wen hättet denn ihr lieber gehört? Seid ja nicht zu schnell in eurem Urteil.
(5 Aus der Sicht eines Tempelpropheten)
Hören wir die Sicht eines Tempelpropheten damals:
Liebe Zuhörer, (sagt er)
das ist völlig ungerecht, wie Jeremia uns hier angreift.
Wir sind dazu da, die religiösen Bedürfnisse des Volkes zu bedienen.
Das ist unsere Aufgabe.
Dazu sind wir berufen.
Und eine Unverschämtheit ist es, wie Jeremia uns hier angreift.
Wir haben schließlich eine gute Tradition für uns.
Er kritisiert uns wegen unserer Träume.
Wie will er denn sonst Gottes Willen erkennen?
Hat nicht auch Jakob geträumt, und Joseph – der ist berühmt für seine Träume.
Immer schon war es so, dass sich die Gottheit durch Träume zeigte. (1)
Dann kritisiert er uns, dass wir Wohlergehen und Heil voraussagen.
Wir stehen hier in einer guten Tradition.
Das steht schon in den Schriften: Gott hat David erwählt, Gott hat mit ihm Jerusalem erwählt.
Gott hat doch gesagt: Hier am Tempel will ich bleiben und zu finden sein.
Die Stadt Gottes wird fest stehen.
Sogar der große Jesaja hat festgehalten am Berg Zion. (2)
Jeremia hat doch keine Ahnung, wie es den Leuten geht und was sie brauchen.
Was meint ihr? Haben wir nicht Recht?
(6 Aus der Sicht Jeremias)
Hören wir Jeremia:
Leute, lasst euch nicht in die Irre führen. (Sagt er.)
Da seht ihr, wie sie die Worte im Mund 'rumdrehen;
wie sie auf beiden Seiten hinken.
Vom lebendigen Gott haben diese Lügen-Propheten doch gar nichts verstanden.
Einen Wohlfühlgott verkünden sie.
Aber nicht den lebendigen Gott Israels.
Meint ihr mir macht das Spaß,
ich muss dauernd alleine einstehen für das Wort, das ich von Gott höre.
Es ist, wie wenn ich gegen Mauern laufe.
Manchmal leide ich so, als ob Gott selbst in mir mitleidet.
Es ist zum Verzweifeln. (3)
Es ist doch alles offensichtlich.
Es stinkt doch alles zum Himmel.
Die soziale Ungerechtigkeit, die kultische Ehebrecherei, die träumerischen Lügen-Prophezeiungen, - das alles hat Konsequenzen.
Sie wiegen sich in trügerischer Sicherheit.
Gott ist nicht nur nahe. Gott ist auch fremd, Gott ist anders, Gott lässt sich nicht vereinnahmen.
Gott und sein Wort -
das ist wie ein Feuer. Er wird das Böse ausbrennen.
Gott und sein Wort -
das ist wie ein großer Schmiedehammer.
Er schlägt zu, er zerbricht.
Er selbst zerbricht Tempel und Stadt.
Ja, - hoffentlich ist es dann so, dass der Hammer der den Stein schlägt, Neues gestaltet.
Aber ob sie dann umkehren?
Ach, ich glaube es selbst nicht, dass sie einsichtig sind.
Was meint ihr? Habe nicht ich Recht?
Seid ihr wenigstens besser als meine Zeitgenossen?
Haltet ihr es aus mit diesem unbequemen Gott?
(7 Zeitsprung: Das ganze Leben ist ein Quiz – nicht einlullen lassen)
Liebe Gemeinde,
Lassen Sie uns einen Zeitsprung machen in unsere Zeit:
Ein Vater sitzt mit seinem achtzehnjährigen Sohn vor dem Fernsehen (oder ein anderes Beispiel).
Gemeinsam schauen sie eine Satireshow.
Unterhaltsam ist das. Sie lachen miteinander. Dann kommt die Werbepause.
Der Vater zappt durch die Kanäle.
Auf dem Ersten kommt ein Politikmagazin,
auf Pro-Sieben eine andere Unterhaltungsshow.
Der Vater will die fünf Minuten Werbepause lieber die Informationssendung.
Der Sohn sagt: „Das ist doch langweilig. Pro-Sieben ist lustiger.“
Der Vater gibt nach, aber er grübelt:
Ist das das Ergebnis seiner Erziehung: „Politik ist langweilig, nur Unterhaltung macht Spaß.“?
„Das ganze Leben ist ein Quiz und wir sind nur die Kandidaten.“
So hat der Satiriker Hape Kerkeling einmal in einem Lied die ganze Unterhaltungsindustrie selbstironisch hochgenommen.
Jeremia, der Prophet, sagt:
Lass dich nicht völlig einlullen.
Lass dich nicht einlullen von der Spaßindustrie oder von wem auch immer.
Bleib wachsam.
Es gibt Leute, die geben dir das Gefühl: „Es ist alles in Ordnung. Es ist alles halb so wild.“
Es gibt Versuchungen, die lenken dich ab vom wirklichen Leben.
(8 Experten in der Talkshow – auf die Unbequemen hören)
Noch einmal Fernsehen (oder ein anderes Beispiel):
Die Moderatorin begrüßt ihre Gäste.
Das Thema der Talkshow klingt interessant.
Afghanistaneinsatz, Hunger in der Welt, die Krise des Euro.... (aktualisieren).
Der Zuschauer fragt sich:
Auf wen soll ich hören?
Manches, was die eine Fachfrau sagt, klingt einleuchtend.
Aber der andere Experte mit der anderen Meinung ist sympathischer. - Außerdem gehört er zu der Partei, die mir gefällt.
Hat er deshalb Recht? Wer soll sich da noch auskennen?
Jeremia, der Prophet, sagt:
Höre nicht auf die, die dir nach dem Mund reden.
Höre nicht auf die, die sagen, was du schon immer hören wolltest.
Höre auch auf die, die unbequem sind.
Prüfe, ob nicht genau die Recht haben, die zur Umkehr rufen.
Jeremia hat damals aufgerufen, allein Gott und nicht auch noch Baal zu verehren.
Er hat gewarnt vor kultischem und sozialem Ehebruch. So hat er es genannt.
Er hat gewarnt vor fortgesetzter Unterdrückung und Ausbeutung der Armen.
Heute sind die Themen nicht viel anders.
Wer denkt an die Schwachen und Armen?
Wer spricht davon, dass Leben ein Geschenk ist?
Wer erinnert daran, dass unsere Welt nicht uns gehört? Sie gehört Gott, alles ist uns nur geliehen.
(9 Israels Erfahrung: Heil durchs Unheil)
Jeremia hatte damals keinen Pfifferling auf die Umkehrbereitschaft der Menschen gesetzt.
Er sah das Unheil kommen.
Er hat gelitten mit Gott an den Menschen.
Dass er Recht gehabt hat, das hat Jeremia am eigenen Leib erfahren:
Jerusalem wurde zerstört.
Viele - auch er selbst - wurden verschleppt.
Er hat geahnt und verkündet:
Nur von Gott kann Heil kommen.
Erlebt haben dies aber andere. Erst später haben sie erfahren:
Die babylonische Gefangenschaft hat den Glauben an Gott geweitet.
Jeremias Worte von damals waren wegweisend.
Gott lässt sein Volk auch im größten Unheil nicht alleine.
Aus den Trümmern konnte neu aufgebaut werden.
Gottes Gnade ist nie ganz aus. Er schenkt einen neuen Morgen.
(10 Schluss: Gott ist beides: unbequem – und nah)
Diese Erfahrungen tragen.
Noch heute sind sie verlässlich – auch für uns.
Im Alltag stellen sich uns laufend Fragen, im Beruf, im Privaten, im Gesellschaftlichen.
Wer hat Recht? Auf wen sollen wir hören?
Von Jeremia lernen wir heute:
Lass dich nicht einlullen.
Höre auch auf die unbequemen Worte, die dir gesagt sind.
Gottes Wort lässt einen nicht los.
Wie ein Feuer brennt es.
Sein Wort kann auch die dicksten Mauern zerschlagen.
Es ist wie ein Hammer, der Felsen zerschlägt.
Manchmal brauchen wir dies als Warnung.
Es gibt aber auch Situationen,
da hat Gott ein anderes Wort für uns.
Es ist unbedingte Zusage.
Die Tempelpropheten sagen es.
Jeremia spricht es verdeckt aus:
„Bin ich nur ein Gott der nahe ist?“
Ja, Gott ist auch der Gott, der nahe ist.
Da ist sein Wort ganz einfach.
Es heißt: „Fürchte dich nicht.
Ich bin mit dir. Ich bin dir nahe.
Ich bin da. Auch wenn du meinst ich bin fern.
Alles wird gut, weil ich neu mache.“ (4)
Amen.
Eingangsgebet:
Herr, Jesus Christus,
du bist die Wahrheit und das Leben,
du bist das eine Wort Gottes,
du hältst stand unserer zerrissenen Welt,
auf dich können wir uns verlassen.
Wir bitten dich, sammle uns.
Sammle uns, wo wir zerfahren sind.
Umfasse, was uns schier zerreißt.
Halte fest, wo wir vergehen.
Lass deine Wahrheit für unser Leben leuchten.
Dich, Jesus Christus, preisen wir,
der du mit dem Vater und dem Heiligen Geist
lebst und Leben schaffst von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Fürbittgebet:
Herr, Jesus Christus, du bist die Wahrheit und das Leben.
Wir bitten dich für unser Kinder und Jugendlichen,
stärke ihre Kräfte und gib Orientierung.
Wir bitten dich für alle Erzieherinnen und Lehrer,
mach sie weise und liebevoll.
Wir bitten dich für die Medienleute,
stärke ihre Gewissen und mach sie mutig.
Wir bitten dich für die Menschen in der Politik,
lass sie gut beraten sein.
Wir bitten dich für deine Gemeinde hier und in aller Welt, rede sie an mit deinem lebendigen Wort. Lass sie Zeugin deiner Liebe werden.
Wir bitten dich für die Kranken und Sterbenden,
für die Lebensmüden und Verlorenen,
steh ihnen bei;
und gib ihnen Menschen, die da sind für sie.
Wir bitten dich für uns,
wo wir suchen, da lass uns finden,
wo wir bitten, da gib.
Ach Herr, du weißt ja schon, was wir brauchen.
Werde lebendig in uns und
leite und führe uns in der neuen Woche.
Amen.
Hinführung zu Jeremia 23,16-29
Nach der Kritik an den schlechten Hirten (Königen) folgt in Jeremia 23 die Kritik an den falschen Propheten. Er redet dabei nicht zu den Propheten, sondern zu einem Forum der (Jerusalemer) Öffentlichkeit.
Gliederung des Ausschnitts(!):
16-22 fehlende Legitimität, Unheilswort mit drei Gottesfragen
23-29 Unterscheidung zwischen Traum- und Wortpropheten
Der Text führt uns auf das schwierige und große Feld der Geschichte der Prophetie.
Dass es Seher und Propheten auch in Verbindung mit dem Tempel gegeben hat zeigt z.B. das Wirken Samuels am Heiligtum zu Silo 400 Jahre vor Jeremia (1.Samuel 3). Den Konflikt zwischen einer Gruppe von falschen Heilspropheten und einem einzelnen gottgesandten Unheilspropheten überliefert auch 1. Könige 22,6ff.
Jeremia 28 weist bei der Verwerfung des Propheten Hananja auf das einzige sichere Unterscheidungskriterium hin: „Wenn aber ein Prophet Heil weissagt – ob ihn der HERR wahrhaftig gesandt hat, wird man daran erkennen, dass sein Wort erfüllt wird.“ (Jeremia 28,9)
Die Heftigkeit der extremen Kritik Jeremias ist unvergleichlich. Die „Falsch“-Propheten haben sehr wohl die Zionstradition und die Tradition der Offenbarung durch Träume für sich. Aber „die Zionstradition, die für Jesajas ganze Weissagung bestimmend war, fehlt bei Jeremia ganz“ (von Rad) Er ist einseitig tempelkritisch aufgrund der Übertretung des ersten Gebots durch die dort Verantwortlichen. (V9f. Vergleiche auch die Tempelrede, Jeremia 7,1-18).
In meiner Predigt geht es mir um die nicht einfache Suche nach der Wahrheit. Beides ist wahr: Gott kann nah sein – wie die Tempelpropheten aus Erfahrung glauben; und Gott kann fern sein, wie Jeremia hier klarstellen muss (V 23).
Schwierige Suche nach Wahrheit
1 Einleitung: trügerische Ruhe
2 Jeremias Warnung - Predigttext
3 Wer hat Recht?
4 Aus der Sicht eines Zuhörers
5 Aus der Sicht eines Tempelpropheten
6 Aus der Sicht Jeremias
7 Zeitsprung: Das ganze Leben ist ein Quiz – nicht einlullen lassen
8 Experten in der Talkshow – auf die Unbequemen hören
9 Israels Erfahrung: Heil durchs Unheil
10 Schluss: Gott ist beides: unbequem – und nah
Perikope