KONFI-IMPULSE zu Apostelgeschichte 3, 1-10 von Ulrich Erhardt
3,1
Einleitung
Im Geschehen vor der „schönen Pforte“, der Interaktion zwischen den beiden Aposteln und dem Gelähmten, sind für mich Grunderfahrungen angesprochen, die auch Jugendliche machen. Ich beschreibe sie mit folgenden Stichwörtern: lahmgelegt, angesehen (im griechischen Text gibt es drei verschiedene Verben für das wechselseitige Ansehen der Apostel und des Gelähmten), festen Boden unter den Füßen und Freiräume (vgl.  zu diese beiden Stichwörtern die Verse 7 und 8).
Assoziationen Jugendlicher
Falls Jugendliche erreichbar sind (im eigenen Haus oder auf einer Freizeit oder weil bereits vor diesem Sonntag im eigenen Bundesland die Schule und damit RU bzw. KU wieder beginnen), kann man sie zu diesen Stichwörtern ihre Assoziationen aufschreiben lassen. Ich habe dies in der letzten Reli-Stunde vor den Sommerferien bei den Neuntklässlern (d.h. fast zwei Jahre älter als Konfirmandinnen und Konfirmanden) einer Ulmer  Innenstadt-Realschule gemacht und folgende Aussagen erhalten:
Lahmgelegt: Blackout – Besoffen, Koma,  Auto kaputt gegangen, ein Auto wurde lahm, bremsen, regungslos, unbeweglich, Vorhaben werden gestoppt, kaputt/Tod, Schlecker [Anmerkung: Diese insolvente Drogeriemarktkette mit Sitz in der Nähe Ulms wurde mehrfach genannt], ohne Liebe, Familie und Freunde leben zu müssen.
Das Stichwort „Ansehen“ habe ich in zwei  Fragen aufgeteilt:
  Wer genießt bei mir Ansehen? Freunde, Familie, meine Eltern, mein Freund, meine Geschwister, Leute, die ich lieb hab‘, Essen: Mc. Donald’s, Kochlöffel usw., jeder, viele, Menschen, die in ihrem Leben alles erreicht haben, was sie wollten. Ich bewundere Menschen, die trotz z.B. schwerer Krankheit oder einem anderen schweren Schicksal ihr Leben einfach nur leben und es in den Griff bekommen trotz den Tiefen in ihrem Leben. Die Menschen, die trotz schlechter Lebensumstände glücklich sind.
  Bei wem möchte ich gut angesehen sein? Freunde, Familie, bei Arbeitgeber [hier ist die Situation am Ende der neunten Klasse ein Jahr vor dem Realschul-Abschluss zu erkennen], Lehrer [die werden mehrfach bei dieser Frage, nicht aber bei der vorigen genannt!], bei Menschen, die ich bewundere, bei meinem Vater, Chef [beide so auf einem Zettel notiert], Erwachsenen und Mitschülern, bei Menschen, die ich liebe.
Festen Boden unter den Füßen gibt/geben mir: meine Freunde, Familie, Mama, Papa, mein Hund, fester Wohnsitz, zuhause,  wenn man sich sicher fühlt, Standfestigkeit, Kraft, wenn man auf der Erde (Boden) steht, wenn man geflogen ist und dann wieder auf dem Boden ist, selber Geld verdienen, Trampolin.
Freiräume: Internet, eigenen 3C, ein gewisses Alter (16: Alkohol, Partys), überall hingehen, wo ich will, wenn man z.B. wo hin will und die Eltern erlauben es, alles erlaubt, eigenes Zimmer, freie Wohnung, dein eigenes Reich, Freiheit, zu tun, was man möchte, sich zurückziehen können und seine Privatsphäre respektiert bekommen, Himmel, Leben, Sportplatz, Natur, Freizeit, Familie und Freunde.
Predigtgedanken
Mir fällt bei diesen freien Assoziationen auf, dass zu allen Stichwörtern Beziehungen genannt werden: Bei „Ansehen“ war das zu erwarten, aber ebenso: Lahmgelegt ist, wer gezwungen ist,  „ohne Liebe, Familie und Freunde leben zu müssen“. Festen Boden geben diese Menschen, der feste Wohnsitz und sogar der Hund. Freiräume sind zwar auch Rückzugsräume, dann hingegen genauso wiederum bei Familie und Freunden zu finden. Das entspricht der Sorge vieler Jugendlicher, ein „Mensch ohne Freunde“ („MoF“) zu sein, ihrem Bemühen, bei anderen anzukommen, und ihrer Sorge, was andere von ihnen denken.
Das könnte ein Predigtgedanke sein, das Schicksal dieses Gelähmten als das eines Außenseiters zu lesen: ausgeschlossen von Geburt an von allem, was andere machen, von den Mitmenschen fast unbeachtet sitzen gelassen zu werden und höchstens ein paar Groschen zu bekommen, ja sogar am Gottesdienst nicht teilnehmen zu können, sondern draußen bleiben zu müssen. Diese Gedanken in Verbindung bringen mit dem Bemühen Jugendlicher, nicht ausgeschlossen, lahmgelegt im genannten Sinne zu bleiben.  Vielleicht kann man an dieser Stelle Konfirmanden ihre Assoziationen zum Thema „Lahmgelegt“ vorlesen lassen. Man ist gebremst (blockiert!), es ist etwas in mir kaputt gegangen, die Vorhaben werden gestoppt (vielleicht kann sogar bei Bedarf die Assoziation zu den „Schlecker“-Beschäftigten aufgegriffen werden). Die Alkohol-Koma-Assoziationen werden Jugendliche nach meinen bisherigen Erfahrungen nicht vor einer Gottesdienstgemeinde vortragen, falls doch wäre das unter Umständen ein paar Sätze wert: Wie oft man ja gerade in diesem Alter mittrinkt, um akzeptiert zu werden und dann wirklich als hilfloses Opfer der Handykamera und der Facebook-Community lahmgelegt ist …
Der Gedanke des Lahmgelegt-Seins in der Beziehungslosigkeit kann weitergeführt werden zur Begegnung der Apostel mit dem Gelähmten. Die Wende geschieht durch das wechselseitige Ansehen und Wahrnehmen. Auch zu solchen Erfahrungen bieten die Assoziationen der Jugendlichen Beispiele. Wenn mich dann eine Mitschülerin oder auch ein Lehrer wahrnehmen – nicht nur unter dem Blickwinkel der Bewertung. Wenn ich zu jemandem Vertrauen gewinne und so neue Beziehungen aufbaue. Wenn das geschieht, was eine Schülerin so beschreibt: „Ich bewundere Menschen, die trotz z.B. schwerer Krankheit oder einem anderen schweren Schicksal ihr Leben einfach nur leben und es in den Griff bekommen trotz den Tiefen in ihrem Leben.“ Dieses wird in der Begegnung mit Petrus durch die „Handreichung“ und das Wort unterstrichen.
Dadurch gewinne ich Kraft und festen Boden unter den Füßen. Interessant ist vor dem Hintergrund des Bibeltextes die Assoziation eines Schülers, der mit festem Boden das eigene Geld verdienen verbindet. Dass Petrus und Johannes das gerade nicht bieten können und dafür Ansehen und Kraft schenken, ist eine Überlegung, die quer steht zu den Versuchen, durch Geld sich Ansehen zu erkaufen (Markenartikel, Smartphone, Auto …).
Der Mann, der festen Boden und Freiräume gewonnen hat, geht in den Tempel und lobt Gott. Der Gottesdienst, die Beziehung zu Gott wird von Konfirmandinnen und Konfirmanden meist nicht als Freiraum empfunden. Vielleicht können wir für uns selbst oder (bei wem das im August möglich ist) mit Jugendlichen zusammen dem nachspüren, was sie von den in den Assoziationen genannten Freiräumen erwarten, worin sie den „Himmel“ (auch eine Nennung) entdecken. Dieses dann in Beziehung (oder Kontrast) setzen zu dem, was mir die Beziehung zu Gott bedeutet, welche Freiräume ich da erlebe. Ich finde, wir hätten schon viel gewonnen, wenn am Ende der Konfirmandenzeit Kirche nicht (nur) mit Zwang und Pflichten verbunden wäre, sondern auch mit Freiräumen, die Gott schenkt.
Als Predigtlied könnte gesungen werden: Du bist die Kraft, die mir oft fehlt (Wo wir dich loben, 29 bzw. Feiert Jesus 3,83) oder Herr, du hast mich angerührt (EG 383,1-4)
Perikope