Lachen Sie nur, aber mit Herz! – Predigt zu Römer 10,9-17 von Thomas Ammermann
9 Wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet. Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet.
11 Denn die Schrift spricht (Jes 28,16): »Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.«
12 Es ist hier kein Unterschied zwischen Juden und Griechen; es ist über alle derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen.
13 Denn »wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden« (Joel 3,5).
14 Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger?
15 Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? Wie denn geschrieben steht (Jes 52,7): »Wie lieblich sind die Füße der Freudenboten, die das Gute verkündigen!«
16 Aber nicht alle sind dem Evangelium gehorsam. Denn Jesaja spricht (Jes 53,1): »Herr, wer glaubt unserm Predigen?«
17 So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi.
Liebe Gemeinde,
Störungen des Herz-Kreislauf-Systems stehen an der Spitze der Zivilisationskrankheiten moderner Menschen. Als erste Anzeichen dafür treten oft unklare Schwindelgefühle auf – dann ist es höchste Zeit, sich einmal ernsthaft mit der eigenen Befindlichkeit zu befassen, medizinischen Rat einzuholen usw. So weit, so wichtig.
Sollte es Ihnen jedoch nach dem Genuss des Predigttextes zum heutigen Sonntag so ergangen sein, dass Sie sich plötzlich vom Schwindel übermannt fühlten, fragen sie nicht Ihren Arzt oder Apotheker! Denn jenes eigentümliche Schwanken zwischen Empathie und Empörung, Bekenntnis und Bekümmerung, Aufatmen und Auflehnung, welches er auslöst, gehört zu den „ganz normalen“ kardiologischen Nebenwirkungen jener verbalen Rosskur des Apostels gegen das Phänomen so eines „synästhetischen Kammerflimmerns“ in Herz und Mundraum, Ohr und Oberstübchen, der typischen Zivilisationserkrankung kultivierter Kirchenchristen, die dazu neigen mögen, sich mit einem flott-lutherischen „wir-sind-allzumal-Sünder“ an der Wahrhaftigkeit und den Konsequenzen ihres eigenen Bekenntnisses vorbei zu flunkern...
Von wegen: „wer (nur) den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden“! Paulus zitierte den Propheten Joel hier nur im Schatten (kardiologisch gesprochen: als Extrasystole) eines anderen Giganten der jüdischen Tradition: „Wer an ihn glaubt“, erkühnt er sich mit Jesaja 28 (Vers 16) von Jesus Christus zu sagen, „wird nicht zu Schanden werden."... „Denn wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet.“
Um zu verdeutlichen, wo das Problem liegt, möchte ich Ihnen einen jüdischen Witz erzählen:
Ein junger Mensch betritt ein Zugabteil. Dort trifft er auf eine Gruppe von Reisenden, die sich offenbar schon länger kennen und deren seltsame Konversation ihn zunächst in wortloses Staunen versetzt. In ungeordneter Reihenfolge wirft nämlich jeweils einer eine Zahl in den Raum, woraufhin die anderen in Gelächter ausbrechen. Das geht so eine Weile, bis sich unser Mann, der sich von dem heiteren Treiben schmerzhaft ausgeschlossen fühlt, ein Herz fasst und nach dem Grund ihrer Vergnüglichkeit fragt. „Wir erzählen einander Witze“, bekommt er zur Antwort und da wir über ein immenses Quantum davon verfügen, haben wir sie durchnummeriert. Jede Zahl steht für einen Witz aus unserer Sammlung. So brauchen wir die einzelnen Witze nicht mehr eigens herzusagen.“ Für den Augenblick ist der junge Mann ruhig gestellt. Das Verfahren leuchtet ihm ein. Indes nimmt die einschlägige Unterhaltung im Raum ihren Fortgang. Die offensichtliche Heiterkeit der anderen Reisenden wird immer heftiger. Solcherart ermutigt, überwindet er zum zweiten Mal seine Scheu und versucht es auch einmal: „Siebenundzwanzig!“ ruft er dazwischen, erwartungsvoll die Mienen der Mitreisenden im Blick. Peinliches Schweigen. „Siebenundzwanzig“ wiederholt er aufmunternd, doch schon sehr verunsichert. Als immer noch niemand lacht, fragt er errötend: „Habe ich etwas falsch gemacht? Ist dieser Witz nicht gut?“ „Doch, doch“, wird ihm bedeutet, „die Siebenundzwanzig ist hervorragend. Aber man muss Witze auch erzählen können!“
Liebe Gemeinde,
„Wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet“, sagt Paulus. Es genügt nicht, die richtige Zahl zu sagen, „man muss Witze auch erzählen können...!“ – Es reicht nicht aus, dass wir den Namen Gottes „irgendwie“ anrufen. Auch dann nicht, wenn wir Gott in unserem Leben formal die Nummer eins nennen. Denn Zunge und Herz, Bekenntnis und Glaube gehören zusammen. Gott muss im Herzen bekannt sein, bevor er wirklich von Herzen bekannt werden kann.
Darum geht es: um das, was sich im Herzen eines Menschen abspielt. Denn nur das kann er wirklich glaubhaft weitergeben.
Man muss erzählen können, worin der Witz der „Sache mit unserem Herrn Jesus“ besteht. Mehr noch: man muss erfüllt sein von der Freude und dem Humor derer, die am eigenen Leibe erfahren haben, dass Gott sich mit Kreuz und Auferweckung Jesu Christi nicht bloß einen makabren Jux erlaubt hat.
Das andere folgt daraus: Die frohe Botschaft will unter den Menschen bekannt gemacht werden, damit sie ihnen zu Herzen gehen und Glauben bewirken kann. „So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi“, resümiert Paulus.
Man muss Witze auch erzählen können!
Wer das nicht versteht, hat – bei Gott! – buchstäblich nichts zu lachen. Denn er kann den Menschen kaum wirklich etwas verständlich machen und von daher auch keine große Heiterkeit erwarten – Sie erinnern sich: „wie lieblich sind die Füße der Freudenboten...“. Wirkliches Erzählen aber heißt, dass wir unser Bekenntnis und seine Bedeutung mit Leben füllen – mit unserem eigenen –, um es solcherart den Menschen mitzuteilen. Im Wortsinn: Dass wir mit anderen teilen, was für uns selber im Leben bedeutsam ist.
Und nun die Problemanzeige: Störungen des Herz-Kreislauf-Systems stehen an der Spitze der Zivilisationskrankheiten moderner Menschen. Das wissen wir. Und auch in der Kirche haben wir uns längst daran gewöhnt, die Unzulänglichkeiten des „Herz-Kreislauf-Systems unserer Verkündigung“ als eine mehr oder weniger unvermeidbare Zivilisationserscheinung hinzunehmen. Wer von uns rechnet schon noch ernsthaft damit, dass Gottes Wort – wie es Paulus beschrieb – die Predigt bewirkt, die Predigt den Glauben und dieser das Bekenntnis, durch welches das Gotteswort verbreitet wird?
Mit hilflosem Achselzucken quittieren wir aufgeklärten Sonntagschristen Schwund und Schwindel um Mitgliederzahlen auf der einen und „Qualitätsmanagement“ auf der anderen Seite, derweil wir allzu gern und laut im Chor mit Paulus und Jesaja klagen: „Herr, wer glaubt unserm Predigen?” „Was macht eure Predigten denn glaubwürdig?“, echot es indes Sonntag für Sonntag von den Wänden leerer Kirchengebäude zurück.In der Stille unserer Herzen aber formt sich, flüsternd, die Gretchenfrage: Was können wir tun?
Wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht.”
Allein unser Glaube genügt, um uns vor Gott gerechtfertigt wissen zu dürfen. Kein Geringerer als Martin Luther hat diese zentrale Zusage erfahren. als ganz große Befreiung seines Lebens von allen religiösen – auch kirchlichen – Zwängen und Ängsten erfahren. Nicht unsere guten Leistungen im Leben sind es, die uns vor Gott „gut dastehen” lassen. Auch nicht das, was wir meinen, über Gott und die Welt erkannt zu haben. Sondern Gottes eigene Liebe zu den Menschen, mit der er vor uns steht, die Worte seiner Treue und Vergebung. Durch sie stellt er sich uns vor und lässt uns im Herzen aufhorchen, ihm buchstäblich gehorsam werden. (Paulus: „das Predigen (kommt) durch das Wort Christi...“)
Aber: man braucht das Herz zu alldem. Mit der Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt, ist es eine „herzhafte Sache” – wie mit einem guten Essen, das allein genossen nicht recht schmecken will. In diesem Sinne heißt „gerecht sein“: Den anderen gerecht werden. Jenen gerecht werden, die auf unser Zeugnis, unser Leben mit ihnen warten und auf unsere liebevoll-herzliche sowie kritisch-beherzte Zuwendung.
„Wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet.“
Der von Paulus geforderte „Glaube an Jesus Christus“ und sein Bekenntnis mutet uns zivilisationsgeschädigten Herzträgern jene risikoreiche Wechselbeziehung zwischen unseren Sinnesorganen Ohr und Zunge auf der einen und dem „Sinn-Organ“ Herz auf der anderen Seite zu. Nicht weniger wird verlangt, als unser herzliches Verstehen, Einstimmen und Einstehen mit dem eigenen Leben für die Botschaft von der Auferstehung. Glaube verstanden als eine Art „Intelligenz des Herzens“, welchem zugleich aber auch der Pulsschlag des richtigen Lebens entsprechen muss.
Konkret: Als bekennende Christen sind wir alle Menschen, die ihre Erfahrungen mit Gott nicht von ihrem sonstigen Leben trennen, sondern diese im Leben umsetzen wollen. Das bedeutet, dass wir Zuwendung zu geben trachten, wo wir Gottes Zuwendung erfahren haben. Dass wir ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte unserer Mitmenschen haben sollten, wo wir selber erhört worden sind. Dass wir bezeugen dürfen, wo wir selbst etwas erkannt haben.
Kurz: Es bedeutet, dass wir unseren Glauben und unser Bekenntnis in die Gemeinschaft mit anderen Menschen hineintragen und in der Gemeinschaft mit anderen nach diesem Glauben leben.
Und glauben Sie ja nicht, die einschlägige Klage des Apostels: „Wie sollen sie [die Mitmenschen] den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben?“, gehe uns Christen eigentlich nichts an, weil sich dessen Kritik ja ausdrücklich gegen das jüdische Volk richtete. Nicht nur hinsichtlich der Verheißung, sondern gerade auch in Blick auf Anspruch und Anklage dieser Verse gilt, was Paulus (in Vers 12) über „Juden und Griechen“ und andere Heiden und Heilige zu bemerken hatte: „Es ist hier kein Unterschied.“, denn „es ist über alle derselbe Herr“!
Jener „von Herzen“ gelebte Glaube, den Paulus uns abverlangt, stellt ja das direkte Abbild der Liebe dar, mit welcher Gott uns alle lebenslang umgibt – die Guten wie die Bösen, die Erfolgreichen wie die Gescheiterten, Getaufte und Ungetaufte, Christen und Nichtchristen. Gottes Liebe zu uns zeigt sich in Jesus Christus. In ihm sind wir alle vor Gott vertreten.
„Wenn man [das] von Herzen glaubt, so wird man gerecht; und wenn man mit dem Munde bekennt, so wird man gerettet.”
Zum guten Schluss noch eine Variante jenes jüdischen Witzes, der so trefflich die Absurdität einer zu Zahlenspielereien erstarrten Verkündigung beschreibt: Gleicher Ort, gleiche Szene. Die Glieder einer fidelen Reisegruppe werfen einander Zahlen zu, deren jede für einen Witz aus ihrem Repertoire steht. Allgemeines Gekicher und Gegreine. Ein junger Mann steigt zu, zeigt sich erst irritiert, dann aber, nachdem er darüber aufgeklärt wurde, zunehmend interessiert an dem Spiel. Nun steigt er richtig ein: „Siebenundzwanzig“, ruft er fröhlich in den Raum. Alle feixen diskret. Nur einer in der Gruppe schüttelt sich vor Lachen und kann sich überhaupt nicht mehr beruhigen. Irritiert nun die anderen. Was denn mit ihm los sei, wird er gefragt. Jener, unter Tränen nach Luft ringend, antwortet: „Den kannte ich noch nicht!“
Ja, lachen Sie nur, liebe Gemeinde, aber tun Sie es – wie hoffentlich alles – mit Herz!
AMEN