Lebens-wandel - Predigt zu Hesekiel 18,1-4.21-24.30-32 von Christoph Maier
18,1-4.21-24.30-32

Lebens-wandel

„Du kannst doch jetzt nicht einfach weitermachen, als wäre nichts gewesen? Dein Körper läuft Sturm gegen deinen Lebenswandel, merkst du das denn gar nicht? Du schläfst zu wenig, du isst nicht regelmäßig, du arbeitest viel zu viel und bewegst dich zu wenig. Wenn Du jetzt einfach so weiter machst und dein Leben nicht änderst, dann landest Du eines Tages noch wirklich mit einem Herzinfarkt im Krankenhaus.“

Sie hatte ja recht - wie meistens. Nur zugeben konnte er das nicht – wie meistens. Schließlich hatte der Arzt rein gar nichts gefunden, kein Befund, keine Diagnose, nichts. Mehr Bewegung weniger Stress, ausgewogene Ernährung - das übliche Programm, wenn die Ärzte nicht mehr weiter wissen. Allerdings, dass es ihm nicht gut geht, das ist eine Tatsache. Sein Großvater war an Krebs verstorben, sein Vater hatte kurz nach Eintritt in den Ruhestand einen Herzinfarkt. War das auch ihm vorherbestimmt? Irgendwie liegt es doch an den Genen.

Die Angst davor hatte die letzten Wochen bestimmt. Fast hätte er sich gewünscht, dass sie beim Screening irgendetwas finden würden. Dann wäre klar, woher die Beschwerden kommen. Eine Operation, ein paar Medikamente und alles würde wieder gut. Auf der anderen Seite ist es auch entlastend, zu wissen, dass rein organisch alles im grünen Bereich ist. Aber dann wird er jetzt wohl tatsächlich sein Leben ändern müssen, wenn er die Warnsignale seines Körpers nicht völlig ignorieren wollte. Aber sein Leben zu ändern, sich einen neuen Lebenswandel anzugewöhnen, das ist alles andere als einfach.

Für den Moment scheint es also so, als habe er es wieder selbst in der Hand. Er müsste nur endlich Anfangen sein Leben zu ändern.

Was habt ihr unter euch im Lande Israels für ein Sprichwort: »Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden«?

So wahr ich lebe, spricht Gott der HERR: Dies Sprichwort soll nicht mehr unter euch umgehen in Israel. Denn siehe, alle Menschen gehören mir; die Väter gehören mir so gut wie die Söhne; jeder, der sündigt, soll sterben. Wenn sich aber der Gottlose bekehrt von allen seinen Sünden, die er getan hat, und hält alle meine Gesetze und übt Recht und Gerechtigkeit, so soll er am Leben bleiben und nicht sterben. Es soll an alle seine Übertretungen, die er begangen hat, nicht gedacht werden, sondern er soll am Leben bleiben um der Gerechtigkeit willen, die er getan hat.

Meinst du, dass ich Gefallen habe am Tode des Gottlosen, spricht Gott der HERR, und nicht vielmehr daran, dass er sich bekehrt von seinen Wegen und am Leben bleibt?

Und wenn sich der Gerechte abkehrt von seiner Gerechtigkeit und tut Unrecht und lebt nach allen Gräueln, die der Gottlose tut, sollte der am Leben bleiben? An alle seine Gerechtigkeit, die er getan hat, soll nicht gedacht werden, sondern in seiner Übertretung und Sünde, die er getan hat, soll er sterben.

Darum will ich euch richten, ihr vom Hause Israel, einen jeden nach seinem Weg, spricht Gott der HERR. Kehrt um und kehrt euch ab von allen euren Übertretungen, damit ihr nicht durch sie in Schuld fallt.

Werft von euch alle eure Übertretungen, die ihr begangen habt, und macht euch ein neues Herz und einen neuen Geist. Denn warum wollt ihr sterben, ihr vom Haus Israel? Denn ich habe kein Gefallen am Tod des Sterbenden, spricht Gott der HERR. Darum bekehrt euch, so werdet ihr leben.

Lebens-wandel, ein neues Herz und einen neuen Geist. Neues Denken, neues Tun. Der Ruf zur Umkehr zieht sich durch die biblischen Schriften, wie ein roter Faden. Die Geschichte vom Verlorenen Sohn, die wir als Evangelium heute gehört haben, ist dafür eines der bekanntesten Beispiele.

Lauft nicht ins Verderben, kehrt um, kehrt zurück zu einem Lebenswandel, der das Leben als ein Geschenk Gottes betrachtet. Gott hält es kaum aus, wenn es uns dreckig geht, wenn wir vor die Hunde gehen, wenn eine Gesellschaft von Ungerechtigkeit und Gier bestimmt wird, statt von der Freiheit der Kinder Gottes, das zu tun, was richtig ist.

Was gut und richtig wäre, ist oft noch einfach zu erkennen. Aber danach zu handeln, wirklich sein Leben zu wandeln und umzukehren, das ist schwer. An Ausflüchten, warum die längst als richtig erkannte Umkehr nicht vollzogen wird, hat es schon zu Zeiten Ezechiels nicht gefehlt. Ein bekanntes Sprichwort der damaligen Zeit greift der Prophet auf: „Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden.“ Es ist die Schuld meiner Eltern, dass ich kaum Chancen habe. Meine Sozialisation, meine Gene, meine Veranlagung sind schuld. Ich kann eben nicht aus meiner Haut.

Ja, wir stehen in einem unlösbaren Zusammenhang mit unserer Familiengeschichte. Das ist wohl wahr. Aber wahr ist auch, dass jeder für sich, jeder und jede Einzelne, in einem unlösbaren Zusammenhang mit Gott steht.

Gericht und Sünde sind die Vokabeln, die diesen unlösbaren Zusammenhang in biblischer Sprache deutlich machen. Mit anderen Worten der biblischen Tradition können wir auch sagen, der Zusammenhang zwischen Gott und Mensch wird durch die Worte: „Glaubensgerechtigkeit“ und „Verantwortung“ gekennzeichnet.

Unser Predigttext spricht davon, dass wir am Leben bleiben, wenn wir uns an unserer Gottesbindung, an sein Recht und seine Gerechtigkeit halten. Gerade dort, wo uns unsere irdischen Bindungen nicht so recht ins Leben kommen lassen, ist es wichtig, sich diese andere Option, die Option der Gottesverbindung, wach und bewusst zu halten. Gerade dort, wo wir an den Hypotheken unserer Herkunft und Lebensgeschichte tragen, ist es eine Option der Freiheit, dass vor Gott nur mein Leben zählt. Mein Leben und der Mut trotz der Verstrickung in meine Vergangenheit immer wieder umzukehren, einen neuen Lebenswandel zu wagen. Am Leben bleiben, nicht nur irgendwie, sondern so wie sich Gott unser Leben gedacht hat: in enger Verbindung mit IHM und in Verantwortung für Recht und Gerechtigkeit auf unserer Welt.

Was das konkret bedeutet, beschreibt Ezechiel so:

Ist jemand gerecht, so handelt er nach Recht und Gerechtigkeit. Er hält auf den Bergen keine Opfermahlzeiten ab. Er blickt nicht zu den Götzen des Hauses Israel auf. Er schändet nicht die Frau seines Nächsten. Einer Frau tritt er nicht nahe während ihrer Blutung. Er unterdrückt niemand. Er gibt dem Schuldner das Pfand zurück. Er begeht keinen Raub. Dem Hungrigen gibt er von seinem Brot und den Nackten bekleidet er. Er leiht nicht gegen Zins und treibt keinen Wucher. Er hält seine Hand vom Unrecht fern. Zwischen Streitenden fällt er ein gerechtes Urteil. Er lebt nach meinen Gesetzen, er achtet auf meine Rechtsvorschriften und befolgt sie treu. Er ist gerecht und deshalb wird er am Leben bleiben (Ezechiel 18,5-9 Einheitsübersetzung).

Ich finde diese Konkretionen einer verantwortungsvollen Lebensführung vor Gott aus einer Gesellschaftsordnung des 6. Jahrhunderts vor Christus auch heute noch spannend zu lesen. Sexualität und sexuelle Gewalt, wirtschaftliche Möglichkeiten und soziale Not, globale Verantwortung und Verstrickung in historische Unrechtsstrukturen, das sind doch auch heute noch die Bewährungsfelder für mein Leben. Ein Leben, das einerseits eingespannt ist in die eigene Familien- und Zeitgeschichte und auf der anderen Seite und in Gottes Geschichte.

Umkehr, Lebenswende, ein neuer Lebenswandel bedeutet, aus Gottes Geschichte heraus einen klaren Blick auf die eigene Zeit- und Lebensgeschichte zu bekommen. Gottes Geschichte mit uns befreit aus Verwobenheit und Verstrickung, befreit uns zum verantwortlichen tun.

Sie kann sich noch gut erinnern. Es war an einem Neujahrsmorgen vor 5 Jahren, an dem sie beschlossen hatte, Ernst zu machen. Sie wollte sich nicht mehr von Ihrer Vergangenheit bestimmen lassen. Stellenweise kam sie sich trotz ihres Alters immer noch vor wie ein Kind, das endlich erwachsen werden muss. Ihr Entschluss stand fest: Damit sollte jetzt Schluss sein.

Es war ein langer Weg bis zu dem Punkt, an dem sie heute steht und sie wusste damals schon, dass es nicht einfach werden würde, dass es Rückschläge geben wird und dass sie es nicht allein schaffen würde. Sie suchte und fand in der Pfarrerin der nahen Kirchgemeinde einen Menschen, dem sie vertrauen konnte. Die Pfarrerin machte ihr Mut und begleitete sie in einer Reihe von Gesprächen. Es gab ihr Kraft und tröstete sie, dass sie wusste: Die Pfarrerin betet für mich. In dieser Zeit wuchs in ihr der Wunsch sich taufen zu lassen, den neuen Lebenswandel, den sie suchte, auch mit ihrem Bekenntnis nach außen sichtbar zu machen. Im Gottesdienst, indem Sie getauft wurde, wurde aus dem 2. Korintherbrief vorgelesen. Sie konnte sich nicht alles merken. Aber das Wort, das ihr die Pfarrerin dann auch in der Taufe als Taufspruch zusagte, das klingt noch heute in ihren Ohren: „Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ (2. Kor 5,17) Erst langsam hat sie begriffen, dass, obwohl sie an vielen Stellen immer noch die Alte war, mit Gott eine ganz neue Dimension in ihr Leben gekommen war. Wie schnell fiel sie wieder zurück in die alten Lebensmuster, wie schnell waren alle guten Vorsätze vergessen und das Leben lief wieder in den eingefahrenen Gleisen. Dann konnte sie sich an ihren Taufspruch klammern. Dann gelang es ihr mit einem inneren Lächeln gnädig zu sein mit ihren eigenen Schwächen und trotzdem wieder neu anzufangen.

Sie traf in der Gemeinde Menschen, die genau wie sie auf der Suche waren nach einem anderen Lebenswandel. Stück für Stück lernte sie zu beten, ihre Beziehung zu Gott wurde stärker. Sie begann sich für die Welt der Bibel zu interessieren und alles, was damit zu tun hatte. Noch heute hat sie so ihre Fragen. Manche Begrifflichkeiten und Rituale ihrer Kirche blieben ihr fremd. Als verlorenes Schäflein oder verlorene Tochter würde sie sich nicht bezeichnen lassen. Aber sie hatte viel gefunden: ein neues Herz und einen neuen Geist. Ihre Gottesbeziehung hat sie verändert und sie kann leben.

Amen

 

Perikope
06.07.2014
18,1-4.21-24.30-32