"Lebt!" - Predigt über Jesaja 55, 1-3b von Stefan Knobloch
55,1
Lebt!
Auf, ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser, so setzt heute die Lesung aus Deuterojesaja ein. Und das, wo in diesen Tagen weite Teile unseres Landes „unter Wasser“ stehen bzw. standen, in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Bayern und anderswo. Die Medien übermittelten die Bilder von überfluteten Landstrichen, von überfluteten Siedlungen. Übermittelten die Bilder einer Stadt, die in ihrem Altstadtkern zu ertrinken schien, Passau am Zusammenfluss dreier Flüsse. Bilder wurden übermittelt von Hilfskräften und Rettungsmannschaften, von freiwilligen Helfern und von gestressten Hochwasseropfern, die wieder einmal vor dem Nichts zu stehen scheinen. Das Wasser war zu schnell.
Und was kommt jetzt in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten? Wie wieder an einen Neuanfang denken angesichts der Schäden, die zurückbleiben? Der Schlamm, die Zerstörungen, die faulige Nässe? Auf, ihr nach der Normalität des Lebens Durstigen, so könnte man die Worte des Deuterojesaja aktuell abwandeln. Wie überhaupt bei aller Unvergleichbarkeit gewisse Ähnlichkeiten zwischen den Hochwassergeschädigten heute und den nach Babylon Entführten bestehen mögen. So schnell wie das Wasser kam das Unheil über die Bewohner Judas nicht, aber es hielt länger an. Und es mag für sie unvorstellbar gewesen sein, dass so etwas je möglich sei. Und es wurde immer wieder Wirklichkeit, wie uns unsere eigene Geschichte nach dem Ende des Krieges lehrte, als sich ganze Flüchtlings- und Vertriebenenströme über Europa ergossen.
Die aus Juda nach Babylon Zwangsumgesiedelten hatten bald alle Hoffnung auf eine Wende verloren. Sie hatten sich im Stillen mit ihrer Lage abgefunden, hatten resigniert. In der ersten Zeit wohl mögen sie noch Hoffnung gehabt haben. So wehrten sie sich, vor ihren „Peinigern“ Lieder auf Jerusalem und ihre Heimat zu singen, es hätte ihnen das Herz gebrochen. Je länger aber ihr Zustand anhielt, umso mehr machte sich Resignation breit. Bis einer auftrat, der den Mut zu aufmunternden Worten hatte: Auf, ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser!
Er sprach nicht in Betrugsabsicht, um in den Menschen erst Hoffnungsphantasien zu wecken und um sie dann in umso tiefere Verzweiflung zu stoßen. Nein, er sprach vor dem Hintergrund einer kollektiv erinnerten und bewahrten Erfahrung, die in das genetische Programm der Menschen eingebrannt war: die Rettung am Schilfmeer, beim Auszug aus Ägypten. Damals dankten sie es ihrem Gott, der sich ihrem Anführer, Mose, als der Ich bin der „Ich-bin-da“ kundtat. Diese tiefeingebrannte Rettungserinnerung bildete die Folie, auf der ein wiederum von Jahwe ermächtigter Gottesmann den Menschen in Babylon Mut zu machen versuchte. Gott lässt von euch nicht, er hat euch nicht vergessen, und auch ihr habt ihn nicht vergessen.
Der Prophet sagt das in eindrücklichen Bildern, die deutlich machen, dass auf Gott zu setzten nicht heißt, lediglich die Hände zu falten, fromm zu sein in einer Haltung, die Beiwerk am Leben, aber nicht das Leben selbst ist. Nein, er sagt, dass sich Gott wirklich für das Leben der Menschen interessiert, dass ihm an ihrem menschenwürdigen Leben liegt, auch wenn den Betroffenen für diese Vorstellung alle Kraft zu fehlen scheint. Wie sollen sie wieder auf die Beine kommen, wo sie doch wieder ganz von vorne anfangen müssen? Macht euch keine Sorge, sagt der prophetische Mann. Auch wer kein Geld hat, wie ihr alle, der komme und kaufe Getreide, kaufe Milch, ohne zu zahlen, ohne Bezahlung. Ja, nicht nur diese zum Leben unmittelbar notwendigen Dinge gibt es, sondern auch die Dinge, die das Leben schön machen, wie der Wein, der das Herz des Menschen erfreut.
Der Prophet spricht also von den unmittelbar wichtigen Lebensbedürfnissen der Menschen, um die die Phantasie von Menschen mit Hunger und Durst kreisen. Das kommt zuerst. Erst müssen die Grundbedürfnisse befriedigt werden. Ganz so, wie der amerikanische Präsident Truman im Blick auf das ausgeblutete, verstörte und hungernde Nachkriegs-Deutschland sagte: Hungernde Völker sind schlechte Demokraten. Und er kurbelte den Morgenthau-Plan an. Ebenso rückt der Prophet in Babylon erst die Grundbedürfnisse der Menschen in den Vordergrund. Und er meint das ernst.
Aber dann erweitert er den Blick. Er fragt die Menschen, ob sie allein von der Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse leben können. Wird euch das, was ihr eines Tages auch wieder für euer Geld werdet kaufen können, wirklich satt, lebenssatt machen? Habt ihr nicht darüber hinausreichende Bedürfnisse? Und wieder kleidet der Prophet die darüber hinausgehenden Bedürfnisse in deftige Bilder leiblicher Befriedigung, in das Bild, das Beste zu essen, sich an fetten feisten Speisen zu laben. Seine Hörer merken, dass das Bilder für Bedürfnisse sind, die nicht durch Essen und Trinken, nicht auf Feten und durch Events zu befriedigen sind. „Neigt euer Ohr mir zu, kommt zu mir und hört! Hört auf mich, entdeckt mich, dann werdet ihr leben.“ Es sind Worte, die uns ganz ähnlich von Jesus überliefert sind: „Wer Durst hat, der komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt“ (Joh 7, 37).
Das sind keine Vertröstungsworte, die wir jetzt wie Register ziehen dürften vor Menschen, die in diesen Tagen erst Sandsäcke gegen das Wasser gestapelt haben und nun nach dem Ablaufen des Wassers Wasser und stinkenden Schlamm wegschaffen und erst langsam das ganze Ausmaß der Zerstörung erkennen. Jetzt sind helfende Hände gefragt, jetzt ist unbürokratische Hilfe durch den Staat gefragt. Jetzt sind Geduld und die Kraft gefragt wieder anzufangen. Die Grundbedürfnisse des Lebens sind zu befriedigen nach sauberem Trinkwasser, nach trockenen Wohnungen, nach mehr Lebensqualität.
Aber solche Chaostage können einen auch nachdenklich machen, jedenfalls in einem gewissen Abstand zu diesen Tagen, in der Phase der Verarbeitung. Wie ist das überhaupt mit meinen menschlichen Grundbedürfnissen? Kann ich sie überhaupt befriedigen? Bin ich jemals satt? Verspüre ich nicht etwas in mir, in meinen Bedürfnissen, was über sie hinausweist auf etwas Ausstehendes, etwas Erhofftes, etwas nicht von mir, von uns Machbares? Was mehr, was anders ist als alles Bekannte? Ob es nicht das ist, was der Prophet im Bild des Vertrauens auf Gott ausdrückt? Gewiss, daran können wohl nur die allerwenigsten heute unmittelbar anschließen. Aber etwas Einladendes bleibt davon als Geschmack auf der Zunge zurück, was wiederum die allerwenigsten einfach als Quatsch und Illusion abtun dürften.
Ist es ein Geschmack, der mich auf den Gedanken bringen will, Deuterojesaja zu folgen und mich in ein wahres, volles Leben hineinzuwagen, im Vertrauen auf Gott, den Unbekannten und dann manchmal so unerkannt Nahen in meinem Leben? Lebt!, so ergeht die Aufforderung an unser Ohr.
Auf, ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser, so setzt heute die Lesung aus Deuterojesaja ein. Und das, wo in diesen Tagen weite Teile unseres Landes „unter Wasser“ stehen bzw. standen, in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Bayern und anderswo. Die Medien übermittelten die Bilder von überfluteten Landstrichen, von überfluteten Siedlungen. Übermittelten die Bilder einer Stadt, die in ihrem Altstadtkern zu ertrinken schien, Passau am Zusammenfluss dreier Flüsse. Bilder wurden übermittelt von Hilfskräften und Rettungsmannschaften, von freiwilligen Helfern und von gestressten Hochwasseropfern, die wieder einmal vor dem Nichts zu stehen scheinen. Das Wasser war zu schnell.
Und was kommt jetzt in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten? Wie wieder an einen Neuanfang denken angesichts der Schäden, die zurückbleiben? Der Schlamm, die Zerstörungen, die faulige Nässe? Auf, ihr nach der Normalität des Lebens Durstigen, so könnte man die Worte des Deuterojesaja aktuell abwandeln. Wie überhaupt bei aller Unvergleichbarkeit gewisse Ähnlichkeiten zwischen den Hochwassergeschädigten heute und den nach Babylon Entführten bestehen mögen. So schnell wie das Wasser kam das Unheil über die Bewohner Judas nicht, aber es hielt länger an. Und es mag für sie unvorstellbar gewesen sein, dass so etwas je möglich sei. Und es wurde immer wieder Wirklichkeit, wie uns unsere eigene Geschichte nach dem Ende des Krieges lehrte, als sich ganze Flüchtlings- und Vertriebenenströme über Europa ergossen.
Die aus Juda nach Babylon Zwangsumgesiedelten hatten bald alle Hoffnung auf eine Wende verloren. Sie hatten sich im Stillen mit ihrer Lage abgefunden, hatten resigniert. In der ersten Zeit wohl mögen sie noch Hoffnung gehabt haben. So wehrten sie sich, vor ihren „Peinigern“ Lieder auf Jerusalem und ihre Heimat zu singen, es hätte ihnen das Herz gebrochen. Je länger aber ihr Zustand anhielt, umso mehr machte sich Resignation breit. Bis einer auftrat, der den Mut zu aufmunternden Worten hatte: Auf, ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser!
Er sprach nicht in Betrugsabsicht, um in den Menschen erst Hoffnungsphantasien zu wecken und um sie dann in umso tiefere Verzweiflung zu stoßen. Nein, er sprach vor dem Hintergrund einer kollektiv erinnerten und bewahrten Erfahrung, die in das genetische Programm der Menschen eingebrannt war: die Rettung am Schilfmeer, beim Auszug aus Ägypten. Damals dankten sie es ihrem Gott, der sich ihrem Anführer, Mose, als der Ich bin der „Ich-bin-da“ kundtat. Diese tiefeingebrannte Rettungserinnerung bildete die Folie, auf der ein wiederum von Jahwe ermächtigter Gottesmann den Menschen in Babylon Mut zu machen versuchte. Gott lässt von euch nicht, er hat euch nicht vergessen, und auch ihr habt ihn nicht vergessen.
Der Prophet sagt das in eindrücklichen Bildern, die deutlich machen, dass auf Gott zu setzten nicht heißt, lediglich die Hände zu falten, fromm zu sein in einer Haltung, die Beiwerk am Leben, aber nicht das Leben selbst ist. Nein, er sagt, dass sich Gott wirklich für das Leben der Menschen interessiert, dass ihm an ihrem menschenwürdigen Leben liegt, auch wenn den Betroffenen für diese Vorstellung alle Kraft zu fehlen scheint. Wie sollen sie wieder auf die Beine kommen, wo sie doch wieder ganz von vorne anfangen müssen? Macht euch keine Sorge, sagt der prophetische Mann. Auch wer kein Geld hat, wie ihr alle, der komme und kaufe Getreide, kaufe Milch, ohne zu zahlen, ohne Bezahlung. Ja, nicht nur diese zum Leben unmittelbar notwendigen Dinge gibt es, sondern auch die Dinge, die das Leben schön machen, wie der Wein, der das Herz des Menschen erfreut.
Der Prophet spricht also von den unmittelbar wichtigen Lebensbedürfnissen der Menschen, um die die Phantasie von Menschen mit Hunger und Durst kreisen. Das kommt zuerst. Erst müssen die Grundbedürfnisse befriedigt werden. Ganz so, wie der amerikanische Präsident Truman im Blick auf das ausgeblutete, verstörte und hungernde Nachkriegs-Deutschland sagte: Hungernde Völker sind schlechte Demokraten. Und er kurbelte den Morgenthau-Plan an. Ebenso rückt der Prophet in Babylon erst die Grundbedürfnisse der Menschen in den Vordergrund. Und er meint das ernst.
Aber dann erweitert er den Blick. Er fragt die Menschen, ob sie allein von der Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse leben können. Wird euch das, was ihr eines Tages auch wieder für euer Geld werdet kaufen können, wirklich satt, lebenssatt machen? Habt ihr nicht darüber hinausreichende Bedürfnisse? Und wieder kleidet der Prophet die darüber hinausgehenden Bedürfnisse in deftige Bilder leiblicher Befriedigung, in das Bild, das Beste zu essen, sich an fetten feisten Speisen zu laben. Seine Hörer merken, dass das Bilder für Bedürfnisse sind, die nicht durch Essen und Trinken, nicht auf Feten und durch Events zu befriedigen sind. „Neigt euer Ohr mir zu, kommt zu mir und hört! Hört auf mich, entdeckt mich, dann werdet ihr leben.“ Es sind Worte, die uns ganz ähnlich von Jesus überliefert sind: „Wer Durst hat, der komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt“ (Joh 7, 37).
Das sind keine Vertröstungsworte, die wir jetzt wie Register ziehen dürften vor Menschen, die in diesen Tagen erst Sandsäcke gegen das Wasser gestapelt haben und nun nach dem Ablaufen des Wassers Wasser und stinkenden Schlamm wegschaffen und erst langsam das ganze Ausmaß der Zerstörung erkennen. Jetzt sind helfende Hände gefragt, jetzt ist unbürokratische Hilfe durch den Staat gefragt. Jetzt sind Geduld und die Kraft gefragt wieder anzufangen. Die Grundbedürfnisse des Lebens sind zu befriedigen nach sauberem Trinkwasser, nach trockenen Wohnungen, nach mehr Lebensqualität.
Aber solche Chaostage können einen auch nachdenklich machen, jedenfalls in einem gewissen Abstand zu diesen Tagen, in der Phase der Verarbeitung. Wie ist das überhaupt mit meinen menschlichen Grundbedürfnissen? Kann ich sie überhaupt befriedigen? Bin ich jemals satt? Verspüre ich nicht etwas in mir, in meinen Bedürfnissen, was über sie hinausweist auf etwas Ausstehendes, etwas Erhofftes, etwas nicht von mir, von uns Machbares? Was mehr, was anders ist als alles Bekannte? Ob es nicht das ist, was der Prophet im Bild des Vertrauens auf Gott ausdrückt? Gewiss, daran können wohl nur die allerwenigsten heute unmittelbar anschließen. Aber etwas Einladendes bleibt davon als Geschmack auf der Zunge zurück, was wiederum die allerwenigsten einfach als Quatsch und Illusion abtun dürften.
Ist es ein Geschmack, der mich auf den Gedanken bringen will, Deuterojesaja zu folgen und mich in ein wahres, volles Leben hineinzuwagen, im Vertrauen auf Gott, den Unbekannten und dann manchmal so unerkannt Nahen in meinem Leben? Lebt!, so ergeht die Aufforderung an unser Ohr.
Perikope