Licht aus der Finsternis - Predigt zu 2.Korinther 4,6-10 von Werner Grimm
4,6-10

Licht aus der Finsternis

Der zu Bethlehem Geborene, zum Licht der Welt Bestimmte, tritt ins Licht der Öffentlichkeit. Der Kirche ist dieser Moment der Heilsgeschichte einen Feiertag wert: Epiphanias, Erscheinung Jesu Christi. Worte des Apostels Paulus aus dem 2.Kor-Brief, Kap 4, beschreiben die Bedeutung der Epiphanias-Zeit für die Christenheit. Ich lese daraus zunächst den 6.Vers. (Die abschnittweise eingespielte Übersetzung des Predigttextes folgt F. Lang, NTD 7)

Gott, der sprach: „Aus Finsternis leuchte Licht hervor!“, der ist aufgeleuchtet in unseren Herzen, damit wir erleuchtet werden zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu Christi.

Liebe Gemeinde!

Woran denken Sie, wenn Sie morgens den Rollladen hochziehen und erste Sonnenstrahlen fallen ins Zimmer und Albträume der Nacht fallen von Ihnen ab? Paulus würde sagen: Daran denke ich, dass Gott schon am ersten Schöpfungstag sprach: „Es werde Licht!“

Woran denken wir, wenn es nach Wochen dunkel-lastender Schwermut unvermutet wieder heller wird in uns und das Lächeln wieder über die Lippen geht? – Paulus würde sagen: Gott hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben. (V.6 Lutherübersetzung)

Wie empfindet eine Frau nach einer Augenoperation, wenn sie auf einmal wieder sieht: das frische Grün der Frühlingswiese, die Konturen der Landschaft, ein liebes Gesicht? Und meine Zeitung kann ich wieder lesen! Eine gewaltige Leistung der Medizin! Aber ist’s für die Betreffende nicht viel mehr? Ist’s nicht gar die Wiederholung des ersten Schöpfungsmorgens? Paulus hat es so gedeutet!

Was geht uns durchs Herz, wenn wir in der Bibel lesen und uns dann in manchen Figuren des Evangeliums selbst erkennen – Zachäus: wie ich meinen Minderwertigkeitskomplex so schlecht kompensiere; Martha: meine arge Einseitigkeit; Petrus: mein Kleinglauben. Immer, als wär’s ein Stück von mir, und so spricht Jesus mich an, wenn er sich bei Zachäus einlädt, und so nimmt Jesus mich an der Hand, wenn er Petrus aus den Wellen der Angst und des Zweifelns zieht, und so beleuchtet Jesus mein Wesen, wenn er den selbstquälerischen Perfektionismus, die Zwanghaftigkeit Marthas ans Licht bringt – Paulus würde sagen: In einem solchen Augenblick sehe ich geradezu das Angesicht Jesu Christi – mir zugewandt, und in diesem Angesicht einen Schimmer des Lichtglanzes Gottes – Licht des Ewigen, welches das Dunkel in mir zu verzehren beginnt!

Überhaupt – unsagbare Gottseligkeit erlebt der Apostel als eine schiere Orgie von Licht: Licht sieht er aufbrechen, überspringen, sich spiegeln, widerscheinen. Und hinter diesem Lichtfeuerwerk der Schöpfer selbst – so setzt Paulus ins Bild, dass die Momente der Seligkeit, die uns dann und wann streifen wie ein heller Lichtstrahl – dass sie etwas mit Gott zu tun haben, dass in ihnen allen ein Abglanz Seiner Lichtherrlichkeit ist.

Was ein Schatz - diese helllichten Augenblicke reinen Glücks! Welche Seligkeit schon darin, sich an einen solchen zu erinnern, dass er war und wie er war!

Denn das einmal erlebte Glück ist in der Erinnerung keineswegs nur als pure Wehmut anwesend, sondern es kommt in der Erinnerung als dasselbe Glück wieder, das damals geschah. Wenn es auch nur ein Quäntchen des Damaligen ist, so ist es doch von derselben Substanz. Und so heißt es, solche Minuten der Gottesgewissheit regelrecht sammeln und im Gedächtnis bewahren, dass sie gegebenenfalls ins Bewusstsein dringen, wenn der Glaube mal wieder lahmt.

Die Augenblicke reiner Gottseligkeit, in denen wir uns ganz sicher sind, dass ‚alles gut‘ ist - in einen Tresor würde man diesen Schatz am liebsten schließen, dass nichts und niemand ihn uns je wieder rauben kann. Aber da fährt uns nun Paulus mit einer drastischen Korrektur dazwischen:

2.Kor 4,7: Wir haben aber diesen Schatz in tönernen Gefäßen, damit erkennbar wird, dass die Überfülle der Kraft von Gott kommt und nicht von uns.

Nicht Tresoren des Glückes sind wir, sondern zerbrechliche Gefäße. Aber hätte Gott das nicht anders einrichten können? Denken wir gründlicher darüber nach, so erahnen wir freilich, was der Schöpfer gemeint haben könnte, als er das Glück nur in zerbrechliche Gefäße gab: Wenn das Bild eines Tresors auf uns zuträfe, dann wären wir ja wohl sehr starre und ganz und gar verschlossene Menschen! Wir wären Menschen, die ihren geistigen, seelischen und materiellen Besitz, ihr Wissen, ihre Fähigkeiten, ihre Lebenserfahrung, auch ihre Bedürftigkeit vor den anderen fest verschließen, statt dieses alles in der Kommunikation mit ihnen fruchtbar werden zu lassen. Statt Freude und Schmerz mitzufühlen und jedenfalls die Lebendigkeit des Lebens zu spüren, bleiben solche Menschen buchstäblich auf ihren Pfunden sitzen und – vereinsamen. Im frommen Fall haben solche Leute vielleicht sogar ihren Gott für sich allein, wenn sie, obwohl sie ganz gut den Weg zur Kirche ihrer Gemeinde gehen könnten, sich damit begnügen, Gottes Nähe fernzusehen. Oder die ältere Alleinstehende: Ich schließe die Tür hinter mir zu, sagt sie, eine Hocketse will sie nicht und am Tratsch beteiligt sie sich nicht, aber wenn der Sohn seinen Vierteljahresbesuch macht, klagt sie ihm doch ihre Einsamkeit. Die Einsamkeit und bittere Härte eines „Tresors“ - das konnte nicht der Sinn der Schöpfung sein, das ist schöpfungswidrig.

Dagegen die tönernen Ess- und Trinkgefäße der biblischen Zeit – sie waren zerbrechlich und ohne sichernden Verschluss, heißt auch: Sie waren offen und standen sozusagen immer bereit, das Labende, das Erquickende aufzunehmen, um es bald schon auch wieder auszuschenken, auszuteilen, weiterzugeben. Empfangen und weitergeben – immer wieder dieser Rhythmus. Und so hat Gott offenbar das menschliche Leben auf Erden gemeint, dazu hat er uns „bestimmt“. Des Menschen Verletzlichkeit und seine Fähigkeit zu empfangen und zu schenken – die haben offenbar viel miteinander zu tun.

Freilich: Zerbrechlich ist es schon – das Gefäß, das wir sind. Und nun liegt die Zerbrechlichkeit unseres irdischen Daseins ja nicht nur darin, dass wir als vergängliche Wesen eines ungewissen Tages werden sterben müssen. Im Zerbrechen liegt vielmehr immer etwas Gewaltsames, etwas Abruptes, etwas, was zu schnell geht und was, weil es zu schnell geht, mit Entsetzen verbunden ist.

Manchmal gibt es in einem Menschenleben auch so etwas wie eine Kette des Zerbrechens, eine Kette, in dem ein Leben nacheinander einstürzt wie ein Kartenhaus. Erich Fried hat diesen Prozess dichterisch beschrieben:

„Der singen wollte 
will nur noch sprechen.
Der sprechen wollte
will nur noch klagen.
Der klagen wollte
will nur noch weinen.
Der weinen wollte
will nur noch schlafen.
Der schlafen wollte
will nur noch sterben.“

Am Schluss dieser Kette ist das Leben vernichtet. Und manchmal geht es wohl so grausam folgerichtig, Zug um Zug, in den Tod – ein Menschenleben.

Aber die Zerbrechlichkeitserfahrung des Paulus ist es so nicht. Paulus hat erlebt, wie Gott die verhängnisvolle Automatik eines solchen Ablaufs immer wieder unterbrach.

2.Kor 4,8-9: Von allen Seiten sind wir bedrängt, aber nicht erdrückt; ratlos, aber nicht verzweifelt; verfolgt, aber nicht verlassen; niedergeworfen, aber nicht vernichtet.

Zwar also ist Paulus oft in Bedrängnis geraten – kein Wunder übrigens, wo er doch in Christi Namen z.B. dem griechischen Heroenkult, dem Tanz um die Jugend – wo er der Vergötzung von Gesundheit und sexueller Attraktivität das Bild des Gekreuzigten entgegenhielt: ein am Kreuz Geschändeter sei das Leitbild und Gottes Kraft werde gerade in schwachen und unscheinbaren Menschen mächtig – ja, da musste sich Paulus ja die Gegenwehr der Marktbeherrscher einhandeln! Nicht nur Reisepläne zerbarsten ihm, Gesundheit brach ein, manchmal werden sie ihm in den Gefängnissen buchstäblich Knochen gebrochen haben. Alles Mögliche ist ihm zerbrochen. Aber er hat das vorerst nicht nur physisch überlebt, sondern auch in einem tieferen Sinne sein Leben davongetragen.

Folgen wir seinen Worten, so hat Gott sein Leben so unter seine Fittiche genommen, dass es im Kern nicht versehrt werden durfte. Zwei Energie-Quellen, zwei Lebens-‚Säfte‘ sollten ihm nicht zugeschüttet werden. Die Hoffnung nicht: er hatte immer noch etwas vor sich und zuletzt würde er das ewige Leben vor sich haben; die Liebe nicht: er war auch in den schlimmen Tagen nicht verlassen von denen, die einen mit Liebe berühren.

Das gerade Beschriebene ist nun nicht nur die Erfahrung eines Apostels! Was kann auch unsereins nicht alles zerbrechen! Ein Lebensplan kann in vielen Monaten herangereift sein und morgen schon zerplatzen; eine Krankheit zerbricht jäh ein fröhliches Leben; Vertrauen zerbricht; eine Illusion zerbricht, und das ist noch nicht einmal das Schlechteste, man muss sich dann nicht länger selbst belügen, aber es ist schmerzlich genug; mit dem ablehnenden Bescheid auf die Bewerbung zerschlägt sich eine große berufliche Hoffnung; als der geliebte Mensch sich anders entschied, zerplatzte ein Traum. Als sie starb, ist er fassungslos dagestanden, als ob das Leben nun gar nicht weitergehen könnte. Oder fragen Sie den Flüchtling von nebenan, welche Trümmer seines Lebenshauses er in seinem Heimatdort zurückließ.

Wahrlich – vieles im Leben kann kaputt gehen. Und doch ist unser Leben selbst etliche Male schon aus seinen Trümmern gerettet worden, und wir wüssten heute kaum nachzuzeichnen, wie. Hatte es damit zu tun, dass wir auch in den schlimmen Stunden unseres Lebens wenigstens eine Aufgabe vor uns sahen? Wenigstens eine Erwartung hatten, die uns in der Schwebe des Lebendigen hielt? Wenigstens einen Menschen, dessen Nähe uns tröstete? War da gar im kritischsten Moment ein Licht in uns, jenes Licht der Herrlichkeit Christi, das uns früher einmal so nachhaltig aufgeleuchtet war, dass wir es nun, im Finstern tappend, doch hinter unseren Augendeckeln erzeugen konnten und wussten, es wird wieder heller werden in unserer Seele, um unser Gesicht und vor unserem Gesicht? Paulus hat noch etwas anderes vor der völligen Verzweiflung bewahrt: eine fast anmaßende Vorstellung, eine schier wahnwitzige Identifikation mit Jesus Christus, seinem Herrn, aber damit hatte er eine unzerstörbare Hoffnung:

2.Kor 4,10: Allezeit tragen wir das Sterben Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde.

Am Ende wird das Gefäß dann doch vollends zerbrechen, wir werden wie alles Lebendige sterben. Aber in den Augen manches Sterbenden ist er wieder da – jener eigentümliche und mit den Mitteln der Physik nicht recht zu erklärende Glanz in den Augen, ist manchmal da wie „Licht vom unerschaffnen Lichte“, und vielleicht wird es für uns erst in der Todesstunde im tiefsten und letzten Sinne wahr, was Paulus mit Worten zu fassen suchte:

Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes auf dem Angesicht Jesu Christi.

Denn im Zerbrechen des Gefäßes beginnt dann das Schauen. Schauen in ein Angesicht, das ganz Liebe ist.

Amen.

Perikope
17.01.2016
4,6-10