"Licht in der Finsternis" - Predigt über Johannes 12, 44-50 von Jorg Christian Salzmann
12,44
Licht in der Finsternis
I
Wie ist es dir zwischen den Jahren ergangen? Konntest du dir frei nehmen oder musste alles so weiter gehen wie immer? Kurz war die Zeit und lang zugleich, durcheinander der Wochenrhythmus, irgendwie ein Schwebezustand. Im Fernsehen die Jahresrückblicke und ansonsten freie Auswahl bei den Spielfilmen. Die Stadt noch einmal voll von Leuten, die was umtauschen, Geld ausgeben oder einfach nur bummeln. Die Tage kurz und dunkel, etwas für lange Abende zu Hause. Eine merkwürdige Zeit zwischen den Jahren, Zeit zwischen den Zeiten.
Zeit vielleicht auch, um sich mitnehmen zu lassen in den ganz großen Bogen durch die Zeiten, welchen unser Predigtwort aus dem Johannesevangelium spannt. „Ich bin in die Welt gekommen“ sagt Jesus, und so werden wir erinnert an das erste Weihnachten, die Geburt Jesu. Zugleich wird deutlich, dass Jesus aus der Zeit davor kommt, aus der Zeit vor allen Zeiten und jenseits aller Zeiten: „Gott hat mich gesandt“. Merkwürdig verschiebt sich unsere Zeit angesichts von Gottes Ewigkeit. Doch auch so bleibt unsre Zeit nicht stehen, läuft vielmehr weiter, doch läuft sie nicht einfach ins Morgen und in die Pläne der nächsten Stunde, sondern ist ausgerichtet auf den Jüngsten Tag.
Mancher hat wohl gedacht, der Jüngste Tag würde kommen, ein paar Tage vor Weihnachten, die Maya hatten’s ausgerechnet. Da haben die einen gesagt: „Lasst uns nochmal einen draufmachen, lasst uns feiern, denn jetzt ist sowieso alles egal.“ Die andern hofften auf Außerirdische, die sie mit ihren Raumschiffen abholen würden. Wieder andere wollten der Zeit entfliehen und sich andere Dimensionen eröffnen. Vielleicht hast Du mit einem leichten Gruseln zugeschaut. Meist ist den Menschen der Jüngste Tag lieber, wenn er in weite Ferne gerückt ist.
II
Unsere Zeit jedenfalls steht mitten drin in dem Spannungsbogen zwischen der Geburt Jesu und dem Jüngsten Tag. Wie aber sieht sie aus, diese Zeit? Das mag für jeden von uns unterschiedlich sein. Jetzt in der Weihnachtszeit gibt es viel künstliches Licht; doch vielerorts lauern Dunkelheit und Finsternis dahinter und werden nur oberflächlich übertüncht. So jedenfalls sieht es unser Herrenwort: In der Welt ist es finster. Kann sein, dass dir das gerade gar nicht so vorkommt, und wir wollen nicht einfach alles schlecht machen; doch gibt es sie für uns alle, die dunklen Stunden. Und auch wer glücklich ist, weiß, dass es vielerlei Sorgen, Probleme, Krisen und Katastrophen gibt in der Welt; überall bedeckt Finsternis das Erdreich. Die Jahresrückblicke erinnern uns daran.
Nun aber sagt unser Gott: „Ich bin in die Welt gekommen als ein Licht, damit, wer an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe.“
Finsternis wirklich auch bei uns? Vielleicht kann ein Vergleich unserem Vorstellungsvermögen helfen. Vor kurzem musste bei uns im Badezimmer eine Reparatur gemacht werden. Der Handwerker hatte ein Arbeitslicht mitgebracht, einen starken Halogenscheinwerfer. Als der wieder abgeschaltet wurde, kam uns unser Badezimmer trotz eingeschalteter Lampen ganz dunkel und schäbig vor.  So mag es mit dem Licht Jesu sein: Neben dem wahren Licht verblasst all das, was sonst hell scheint.
Zumal aber wenn die Finsternis mit Händen zu greifen ist, ist das ein tröstliches Wort: Wir sollen nicht in der Finsternis bleiben. Ein weihnachtliches Wort, mit dem wir auch den Mut bekommen können, der Dunkelheit in uns selbst zu begegnen, denn sie soll ja nicht bleiben, sondern ist von dem Licht Jesu Christi überwunden.
Das Dunkel in uns kann verschiedene Formen haben. Es gibt Menschen, die sind von innen heraus ständig getrieben; rastlos, friedlos sind sie schon beim nächsten Termin, beim nächsten Erlebnis, immer im Morgen, nie im Heute. Schon bei manchen Kindern ist das so; bei keinem Weihnachtsgeschenk können sie verweilen, es wartet ja schon das nächste. Das Licht Jesu Christi aber führt uns zur Mitte, zu Gott selbst, wo wir Frieden und Ruhe finden können.
Andere Menschen sind vom Neid zerfressen. Immer haben andere es besser; ungerecht hat man dich behandelt, den anderen vorgezogen, die andere begünstigt, du bist mal wieder leer ausgegangen. Warum haben diese Leute eine glückliche Familie und ich nicht? Warum können die schon wieder in Urlaub fahren, während du schuften musst? Das Licht Jesu Christi zeigt uns, dass auch wir die Liebe Gottes auf unserer Seite haben; das Ziel deines Lebens liegt in Gott und nicht darin, dich ständig mit anderen zu vergleichen.
Wieder andere können nur an sich selbst denken. Hauptsache, mir geht es gut. Hauptsache, ich bekomme das größte Stück. Rücksicht ist was für andere. Wäre doch dumm, wenn ich mir nicht meinen Teil nähme. Welchen Vorteil kann mir die bringen, was habe ich von dem? Das Licht Jesu Christi lenkt uns von uns selbst weg hin zum andern und bringt uns gerade damit die Erfüllung, nach der wir uns sehnen.
Dunkel in uns. Um noch ein anderes Beispiel zu nennen: Es gibt Menschen, die sind tief traurig. Den einen hat ein schwerer Verlust getroffen; die andere ist einsam; oder es fehlen der Sinn und das Ziel. Das Licht Jesu Christi aber tröstet, schafft Geborgenheit und zieht uns in die Gemeinschaft der Menschen hinein, die aus der Gnade und Liebe Gottes leben.
III
Vielleicht hast du die ganze Zeit schon gedacht: Wenn das doch alles so einfach wäre! Aber es ist ja nicht so, dass der Glaube an Jesus Christus mit einem Schlag alle Finsternis aus unserm Leben wegwischt. Wir stehen mitten drin im Spannungsbogen der Zeit, und es scheint so, als hätte Gott nicht die Macht oder nicht den Willen, dazwischen zu fahren und alles anders zu machen.
Und doch sagt Jesus: „Ich bin gekommen, dass ich die Welt rette.“ Es ist eine leise Rettung, die er bringt. Er fährt nicht mit Macht dazwischen. Zugleich aber ist das eine Rettung, an der sich alles entscheidet. Das Urteil Gottes hängt, so hören wir, daran, ob jemand den Worten Jesu Vertrauen schenkt oder nicht. In dem Vertrauen darauf, dass Jesus Licht und Leben gebracht hat, finden wir das Licht und das Leben.
Damit aber beginnt ganz leise schon das Licht sein Werk. Es soll nicht finster bleiben bei dir! Mit neuer Zuversicht und neuer Gelassenheit schreiten wir voran - hinein in den nächsten Tag und zugleich auf Gottes Ewigkeit zu. Gute Aussichten; es wird hell bei dir, heute, morgen, im Neuen Jahr und für immer - durch Jesus Christus.
Perikope
30.12.2012
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