Liebe und tu, was du willst (Augustinus) - Predigt zu Epheser 3, 14-21 von Christine Hubka
3,14-21

In der Gemeinde in Ephesus ist ein Brief des Apostels eingetroffen.

Es ist Sonntagabend.
Die Gemeinde versammelt sich pünktlich zum Gottesdienst.

Einer der Ältesten beginnt, den Brief vorzulesen.
Alle hören aufmerksam zu.

Die Türe geht auf.

Leise schleicht der Sklave Sextus herein.

Sein Herr hat ihn heute länger arbeiten lassen.

 

Ohne zu unterbrechen liest der Älteste weiter:

 

Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater, von dem jedes Geschlecht im Himmel und auf Erden seinen Namen hat, dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne. Und ihr seid in der Liebe eingewurzelt und gegründet, damit ihr mit allen Heiligen begreifen könnt, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist, auch die Liebe Christi erkennen könnt, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet, bis ihr die ganze Fülle Gottes erlangt habt. Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus durch alle Geschlechter von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

 

Sextus ist verwirrt. Er fragt: Deshalb? Um was geht es hier?

Was freut denn den Apostel so. Weshalb lobt er Gott so überschwänglich?

Der Vorleser hält inne und sagt: Christus hat ihm und uns ein großes Geheimnis offenbart: Zu seiner Kirche gehören alle, ohne Unterschied. Juden und Heiden. Du kannst es nachher selbst lesen.

Machen wir einen zeitlichen Sprung.

25 Jahre ist es her, dass in Südafrika das Apartheid Regime ein Ende fand. Nelson Mandela wurde der erste schwarze Präsident in einem Land mit mehrheitlich schwarzer Bevölkerung.

Nicht nur die Politik hat jahrzehntelang die Apartheid betrieben und durchgesetzt. Auch die niederländisch-reformierte Kirche in Südafrika hat die Apartheid gelebt. Menschen mit schwarzer Hautfarbe konnten nicht Mitglied werden in dieser Kirche. Der reformierte Weltbund hat damals die Konsequenz gezogen und nach vielen Diskussionen und Ermahnungen die Mitgliedschaft dieser Apartheid-Kirche ruhend gestellt.

Der reformierte Weltbund hat wohl auch den Abschnitt aus dem Epheserbrief im Sinn gehabt, als sie die Entscheidung getroffen haben.

Im Schreiben nach Ephesus geht es zwar darum, dass nicht nur Juden sondern auch Heiden zur Kirche Jesu Christi gehören. Aber der Sinn ist schon klar:

In der Gemeinde muss Platz für alle sein.

Egal, wer sie im bürgerlichen Leben sind, was sie in der Gesellschaft darstellen, welche Lebensgeschichte sie haben. Damals: Juden und Heiden, Sklaven und Freie, Frauen und Männer. Die Umwelt fand das damals ziemlich skandalös.

Heute: Schwarze und Weiße. Arme und Reiche. Menschen mit und ohne Behinderung. Mit oder ohne Vorstrafe.

Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen. Also kurz gesagt: Wer immer da sein mag, ist willkommen. Und welche Gewohnheiten und Gebräuche er oder sie mitbringt, hat keine Rolle zu spielen. Auch heute befindet sich Kirche, wenn sie das lebt,  im Gegensatz zur aktuellen Umwelt.

Es ist uns nicht überliefert, ob alle damals in Ephesus so begeistert von dieser Erkenntnis waren wie der Briefschreiber.

Denn die jüdischen Mitglieder der Gemeinde haben die Gebräuche und Gewohnheiten der heidnischen Dazukömmlinge einfach schrecklich gefunden: Die haben zum Beispiel Hasenbraten gegessen. Für Menschen mit jüdischer Herkunft ein absolutes Tabu.

Sie haben Frauen die Hand gegeben, auch wenn die vielleicht gerade ihre Tage hatten. Und … und … und.

Auch heute sind in unserer Kirche nicht alle einverstanden, dass auch gleichgeschlechtliche Paare in einer kirchlichen Feier Gottes Segen zugesprochen bekommen.

Kirche und Gemeinde sind immer auch ein Teil der Gesellschaft. Kirche als Gemeinschaft bildet ja auch immer die ganze Gesellschaft mit all ihren Standpunkten und Meinungen ab.

Kirche ist nicht anders und schon gar nicht besser als die Umgebung, in der sie zu Hause ist. Das ist übrigens eine Ansicht, die typisch evangelisch ist. Andere Kirchen haben ein völlig anderes Selbstverständnis.

Mir scheint aber,  der Apostel rechnet damit, dass nicht alle begeistert sein werden von dieser Erkenntnis, dass alle wirklich alle, dazu gehören. Sonst würde er nachdem er seine Freude so überschwänglich ausgedrückt hat, nicht beten: 

dass Gott euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne.

 

Er scheint auch damit zu rechnen, dass diejenigen,

die sich als offen und weitherzig erweisen, sich damit brüsten könnten: Schaut her, wie fortschrittlich und tolerant wir sind. Diesen Leuten ruft er zu:  Ihr seid in der Liebe eingewurzelt.

 

Im Klartext heißt das für mich:

Wenn du auch Menschen die Hand gibst, die Hasenbraten essen, hat das nichts damit zu tun, dass du so großartig und tolerant bist. Du gibst ja nur weiter, was du zuvor selbst empfangen und empfunden hast: Christus hat dich liebevoll aufgenommen. Dich - mit all deinen Ecken und Kanten. Er hat deine Füße auf weiten Raum gestellt.

Darum hast du gar nicht das Recht, es anderen eng zu machen. Er schenkt dir jeden Tag einen neuen Anfang und fragt nicht nach gestern. Darum wäre es ein Verrat an der Liebe Christi,  ein Verrat an den Wurzeln deines Glaubens, anderen ihre Eigenart vorzuwerfen.

Es geht darum, zwischen Meinung und Mensch zu unterscheiden. Persönlichen Eigenheiten,  die ich vielleicht echt wunderlich oder unangenehm finde,  mag ich gerne ablehnen und mich von ihnen fernhalten. Die Würde der Person habe ich dennoch zu respektieren.

Es heißt ja nicht, dass auf einmal alle Hasenbraten essen müssen! Das behaupten diejenigen, die Angst und Abscheu schüren wollen.

Damals in Ephesus und heute.

Und wer auch immer den politischen Gegner verächtlich macht in Wort und Bild, verrät die Liebe Christi. Selbst wenn die Kritik an der politischen Linie ganz und gar berechtigt ist.

So verstehe ich diese Mahnung: Ihr seid in der Liebe eingewurzelt Erinnerung daran, dass auch ich mit meinen Eigenheiten angenommen und willkommen bin bei Gott und in der Gemeinde und niemand das Recht hat, mich deshalb zu verspotten oder zu erniedrigen.

Diese Wurzeln in der Liebe brauchen immer wieder neue Nahrung. Wie alles, was lebendig ist, was wächst und was lebt. Dass Gott uns mit seinem Wort nährt und erhält,  dafür sei Lob und Preis in Ewigkeit.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Perikope
02.06.2019
3,14-21