Lob der Gemeinde. - Predigt zu 1. Thessalonicher 1,2-10 von Ralf Hoburg
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Lob der Gemeinde. - Predigt zu 1. Thessalonicher 1,2-10 von Ralf Hoburg

Ein Brief – Welch eine Wohltat… und auch noch mit einem Zusammenhang!

Wann haben Sie aber mal jenseits von SMS oder Messenger den letzten Brief geschrieben? Nein, keine Mail! Einen echten Brief auf Papier mit Füllfederhalter oder meinetwegen auch Kugelschreiber? Ich meine auch nicht den an das Finanzamt oder die Versicherung. Einen Liebesbrief vielleicht oder einen Brief an eine sehr gute Freundin oder einen Freund – oder an die Kinder, die irgendwo wohnen und die sie nicht immer sehen können? Einen Brief, aus dem ihre Stimmung hervorgeht oder der tiefe Gedanken enthält, die die Intimität des Geschriebenen brauchen.

Wie viele Briefe schrieb einst Martin Luther. Wie viele Briefe entstanden in Zeiten von Not und Krieg. Wahrscheinlich müssen wir das Briefschreiben erst wieder neu in dieser Medienwelt lernen – so lehrt es uns letztlich auch der aktuelle Kino-Film „Deine Juliet“ oder wie der schrullige Untertitel des Films heißt: „Club der Guernseyer Freunde von Dichtung und Kartoffelschalenauflauf“. Dort steht ein Brief am Anfang der Geschichte und aus der Briefbegegnung entwickelt sich die Sehnsucht nach einer persönlichen Begegnung. Neben der Story, die natürlich eine Liebesgeschichte ist, erzählt der Film auch von der Faszination, die von Büchern und ihren Gedanken ausgeht und natürlich auch vom Schreiben.

Eine Welt voller Gedanken, Briefe und Büchern liefert auch das Neue Testament, das einmal als die Sammlung von „27 Büchern“ benannt worden ist. Eines davon – gleichzeitig ein Brief – ist Gegenstand für den heutigen Predigttext.

I. Erst die Begegnung – dann der Brief…

Der Apostel Paulus schreibt gerne Briefe. Seine gesamte Theologie entwickelt er in Form von Briefen. Zumindest ist uns nichts anderes bekannt oder überliefert. In ihnen spiegelt sich die Beziehung zwischen ihm und der gegründeten Gemeinde, ob sich diese nun in Galatien, Korinth, Rom oder Ephesus befindet. Wahrscheinlich ist es der Apostel Paulus, der die europäische Briefkultur entscheidend mit geprägt hat. Seit der Frühzeit des Christentums sind die Briefe das Kommunikationsmittel Nr. 1.

Die Perikope des heutigen Predigttextes steht dabei nicht nur am Anfang des Briefes nach dem Gruß am Beginn, sondern spiegelt auch etwas von dem Anfang der Beziehung zwischen dem Apostel und der Gemeinde in Thessalonich wieder. Die Passage verrät etwas von den Anfängen und der Art und Weise, wie der Apostel mit seinen Gemeinden Kontakt gehalten hat. Die beiden Thessalonicher-Briefe sind darüber hinaus etwas Besonderes: Schenkt man der Erforschung der neutestamentlichen Texte Glauben, so haben wir mit diesen Briefen den allerersten Anfang und somit den Beginn der schriftlichen Texte des Apostels vorliegen, an dessen Ende so ein kunstvoller und theologisch dichter Text wie der Römerbrief steht. Zwischen beiden Texten, dem Thessalonicher Brief und dem Römerbrief entwickelt sich die ganze theologische Gedankenwelt des Paulus von der Kreuzestheologie bis zur Rechtfertigungslehre.  

Richten wir kurz den Blick auf das Leben des Apostels, so klärt uns die Apostelgeschichte (Apg. 9,1-6) einerseits und der Korintherbrief andererseits darüber auf, dass der ehemalige Christenverfolger „Saulus“ zum „Paulus“ wurde. Und das hatte Folgen. Was ihn zu dieser Umkehr bewegte und dann zum inneren Motor seiner Missionsverkündigung wurde, darüber spekuliert die Wissenschaft bis heute. Manche Erklärungsversuche gehen sogar soweit, diese „innere Wende“ in Verbindung mit dem Kreuzes- und Auferstehungsgeschehen Jesu von Nazareth in Jerusalem zu bringen. Danach ist es zunächst längere Zeit um den Apostel Paulus still geworden. Erst ca. 50 n.Chr. greift er zur Feder und schreibt den uns als ersten Text bekannten Thessalonicherbrief. Geschrieben hat ihn der Apostel wohl in der Stadt Korinth. Aber warum nun der Brief? Warum wurde ein solcher schriftlicher Gedankenaustausch notwendig? Scheinbar drängt den Apostel etwas diesen zu schreiben. Aber was?

Die kleine Passage aus dem Brief (1. Thess. 1,2-10) gewährt uns tiefen Einblick in die Geschichte, die den Apostel mit der Gemeinde verbindet. Der Text kann als solcher für sich stehen ohne in Verbindung mit dem danach folgenden Kapitel gebracht zu werden, welches einerseits eine Wiederholung darstellt und andererseits weit über das am Anfang Gesagte hinausgeht. Der Apostel kennt die Mitglieder der Gemeinde persönlich. Er war bei ihnen und hat ihnen das Evangelium gepredigt. Und nun erinnert er sie an diese gemeinsame Zeit, die offensichtlich besonders war. Am Anfang der Mission – so kann man wohl die Gründung der Gemeinden durch den Apostel nennen – steht die „Predigt des Evangeliums“ durch das Wort. Dem korrespondiert dann der Glaube der Gemeinde. Von heute aus betrachtet sieht dies so spielerisch einfach aus – so als ob die Gemeinde gar nicht anders konnte und dann der Predigt der Glaube auf dem Fuße folgt. Wie schwierig erscheint es aus heutiger Sicht überzeugend vom Glauben zu reden! Die Geschwätzigkeit der Medien fällt der Konzentration einer Predigt rigide ins Wort. 15 Minuten ohne Smartphone – das geht gar nicht und so wird auch die Predigt im Radio-Format auf 1,30 Minuten getrimmt. Aber hat sie dann auch noch die „Kraft“ (1. Thess. 1,5) oder vermittelt sie „Gewissheit“?  Manch einer mag sich im Angesicht dieser apostolischen Leichtigkeit der Verkündigung an die Zeiten des Anfangs zurück sehnen.

Vor allem aber redet der Apostel dann von der Gemeinde, die zum Vorbild geworden ist. Sie hat das „Wort aufgenommen in großer Bedrängnis mit Freuden im Heiligen Geist“ (1. Thess. 1,6). Wenn ich das lese, denke ich: Mein Gott – da ist Power drin. Es ist nicht genau bekannt, auf welche Bedrängnis der Apostel hier abzielt, aber er lobt sehr deutlich die Geduld in der Hoffnung, die die Gemeinde zusammenhält. Es ist wohl eine Gemeinde, die zusammenhält. Aber der Apostel schreibt auch, dass die Gemeinde eine „Arbeit in der Liebe“ verlangt. Hier wird erkennbar, dass sich der Apostel und in seiner Nachfolge dann viele Predigerinnen und Prediger bis heute als „Diener vor Gott“ bezeichneten. Es stellt schon eine besondere Herausforderung dar und kostet auch Mut, wenn am Sonntag bei strahlendem Sonnenschein die meisten Menschen ihre Freizeit auskosten und nur eine kleine Schar der Gemeinde in den Gottesdienst kommt. 

Manche Anklänge in der Briefpassage erinnern mich etwas an die Gegenwart. Nach wie vor bildet die Gemeinde – in der Gestalt der Kirchengemeinde – das Rückgrat der Kirche. Dort geschieht Sonntag für Sonntag die Verkündigung im Wort durch die Predigt des Evangeliums. Und die Gemeinde – wie groß sie auch sein mag – nimmt das Wort auf. Durchaus in „großer Bedrängnis“, denn die Kirche und mit ihr „die Gemeinde“, sind ins Abseits geraten. Was wird aus den Gemeinden? Ein „Wachstum gegen den Trend“ ist ja nur in Ausnahmefällen zu beobachten. Aber Kirche ohne Gemeinde – das geht nach Auffassung des Apostels wohl auch nicht. So dankt er Gott immer wieder dafür, dass die Gemeinde durchhält. Und das hat wohl noch im Falle der Gemeinde in Thessalonich einen spezifischen Grund.  

II. In der Mitte die Hoffnung

Es sind zwei kleine Textstellen, die etwas von dem Geheimnis lüften, das den Apostel dazu veranlasst hat, seiner von ihm selbst gegründeten Gemeinde einen Brief zu schreiben. Zur Erinnerung: Der Apostel befindet sich in Korinth – weit weg von der Gemeinde und erfährt von einer Bedrängnis. Mit allen Gemeinden, die er selbst als Apostel gegründet hat, verbindet ihn ein intensives persönliches Verhältnis, auch wenn die Leitung der Gemeinde Andere haben. So sagt Paulus an anderer Stelle im Korintherbrief einmal: „Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen; aber Gott hat das Gedeihen gegeben. […] Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau.“ (1. Kor. 3,6;9)

Es zählt für mich zu den großen protestantischen Traditionen in der Weiterführung paulinischer Theologie seit der Reformation, dass das Verhältnis von Pfarrerin/Pfarrer und Gemeinde oftmals als eine sehr langjährige intensive Beziehung gelebt wird, die Höhen und Tiefen in der Gemeindearbeit erlebt und auch manche Friktionen oder auch enge persönliche Bindungen hervorbringt. Fast bin ich versucht zu vermuten, dass wir in der real existierenden Kirche zu wenig dieses enge und manchmal intime Verhältnis zwischen Pastorenschaft und Gemeinde als positives Erbe berücksichtigen und würdigen.

In deren Mitte steht der Gedanke der Hoffnung und der Überwindung aller irdischen Bedrängnis. Inmitten des kleinen, die Gemeine lobenden Textes findet sich am Schluss die Bemerkung „zu warten auf seinen Sohn vom Himmel, den er auferweckt hat von den Toten.“ Hier gewährt uns der Brieftext einen kleinen Einblick in die Missionsverkündigung, die der Apostel persönlich der Gemeinde gepredigt hat. In der Mitte seiner Predigt des Evangeliums steht die Verkündigung von der Auferstehung Jesu Christi. (1. Thess. 1,10) Die Zentralität dieses Gedankens wird wohl ein Reflex auf die selbst erfahrene Umkehr sein, die der Apostel an anderer Stelle als eine „Lichterfahrung“  beschreibt. Diese Auferstehung gilt ihm als die rettende Mitte des Heils. Aber warum steht die Rückerinnerung an die Botschaft der Auferstehung so im Zentrum? Was veranlasst den Apostel erneut darauf hinzuweisen?

Erkennbar wird dies wohl aus den ersten Zeilen des Textes in der Mut machenden Feststellung: „Liebe Brüder, von Gott geliebt, wir wissen, dass ihr erwählt seid.“ (1. Thess. 1,4) Paulus erinnert also die Gemeinde in Thessalonich an ihre Erwählung und verweist dann gleichzeitig auf die Hoffnung, dass der auferstandene Jesus Christus wieder vom Himmel auf die Erde zurückkommen wird.  Beide Texthinweise – die Erinnerung an die Auferstehung und die Erinnerung an die Erwählung – stehen in einem thematischen Zusammenhang. Dieser erschließt sich aber nicht aus dem Predigttext allein, sondern hierzu muss man den Thessalonicher Brief im weiteren Verlauf kennen. In 1. Thess. 4, 13-14 heißt es: „Wir wollen euch aber, liebe Brüder, nicht im Ungewissen lassen über die, die entschlafen sind, damit ihr nicht traurig seid wie die anderen, die keine Hoffnung haben. Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott auch die, die entschlafen sind, durch Jesus mit ihm einherführen.“

Hier also liegen das Geheimnis und der eigentliche Grund, warum der Apostel einen Brief an die Gemeinde schreibt. Seine Missionspredigt, die ausgeht von der Auferstehung, beinhaltete den Gedanken der nahen Wiederkunft des Herrn. „Ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommen wird.“ (1. Thess. 5,2) Was aber, wenn während der Abwesenheit des Apostels Mitglieder der Gemeinde versterben, ohne dass das Reich Gottes herbeigekommen ist? Ist seine Predigt dann  Lug und Trug? Die Glaubwürdigkeit des Apostels als „Prediger des Evangeliums“ stand somit auf dem Spiel. Dies betraf seine Identität als Apostel und wühlte sein Innerstes auf. Der Brief beschwört die Gemeinde geradezu, ihm zu glauben. Seine Antwort an die Gemeinde besteht in der Betonung der Gleichrangigkeit. Die, die leben bei der Ankunft des Herrn, werden denen, die entschlafen sind, eben nicht zuvorkommen. (1. Thess. 4,15) In dieser Hoffnung kann die Gemeinde getrost weiter leben. Eigentlich kann dies auch Trost für heute sein.  

III. Nothing new happens …

Die beruhigende Botschaft im Dschungel der Medienmonopolisten und WhatsApp-Junkies von heute lautet mit der Gewissheit der paulinischen Aussagen: Es passiert nichts! Ihr verpasst nichts, wenn ihr nicht sofort auf die Nachricht reagiert und der Messenger still bleibt.  Nur die Werbung suggeriert uns, dass wer am schnellsten beim Angebot zugreift der Gewinner ist. In den wahren Dingen des Lebens wird nicht der eine dem anderen zuvorkommen. Der Tod kommt zu jedem zu seiner Zeit.

Der Predigttext ist neben seiner innigen Beziehung zu der Gemeinde, die der Apostel in seinem sehr persönlich gehaltenen Brief beschreibt, eine Hommage an die Geduld und an die Verlangsamung, die mit der Intensität eines Briefes einhergeht. Es ist geradezu wohltuend und ein ästhetischer Genuss, in die verschachtelten Sätze des Textes einzudringen. Schon das Lesen zwingt uns zur Langsamkeit. Im langsamen Lesen öffnet sich das Verstehen. Die Predigt des Evangeliums entfaltet vor allem auch als geschriebenes Wort seine „Kraft“. Hier wirkt der Heilige Geist und führt zu glaubender Gewissheit. Nicht umsonst begaben sich die Mönche in den Klöstern des Mittelalters in einen Zirkel von Lesen, Schreiben und Abschreiben.

Lassen Sie sich auch einfach ermuntern von der Langsamkeit des Lesens und schreiben Sie mal wieder einen Brief, in dem Sie von Liebe, Geduld und Hoffnung reden. Sie können gewiss sein: Neben dem Adressaten selbst wird ihn auch Gott im Himmel lesen und sich daran erfreuen!