Man sieht sich! Predigt zu Johannes 1,35-42 von Wolfgang Vögele
1,35
Man sieht sich! Predigt zu Johannes 1,35-42 von Wolfgang Vögele
„Am nächsten Tag stand Johannes abermals da und zwei seiner Jünger; und als er Jesus vorübergehen sah, sprach er: Siehe, das ist Gottes Lamm! Und die zwei Jünger hörten ihn reden und folgten Jesus nach. Jesus aber wandte sich um und sah sie nachfolgen und sprach zu ihnen: Was sucht ihr? Sie aber sprachen zu ihm: Rabbi – das heißt übersetzt: Meister –, wo ist deine Herberge? Er sprach zu ihnen: Kommt und seht! Sie kamen und sahen's und blieben diesen Tag bei ihm. Es war aber um die zehnte Stunde.
Einer von den zweien, die Johannes gehört hatten und Jesus nachgefolgt waren, war Andreas, der Bruder des Simon Petrus. Der findet zuerst seinen Bruder Simon und spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden, das heißt übersetzt: der Gesalbte. Und er führte ihn zu Jesus. Als Jesus ihn sah, sprach er: Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du sollst Kephas heißen, das heißt übersetzt: Fels.“
Liebe Gemeinde,
Überdrehte bellende Hunde, Hitzeperioden, langanhaltender Schneefall, neuer Tratsch und beliebte Fernsehsendungen sind hervorragend dafür geeignet. Wer das Gespräch sucht, braucht einen unverfänglichen Anlaß. Wer einen anderen Menschen ansprechen will, der nimmt einen harmlosen Anfang. Der unscheinbare Aufhänger eröffnet das Gespräch. Danach muß ich einfach dafür sorgen, daß dieses Gespräch nicht abreißt.
Wie lange haben Sie Ihren Hund schon? Wie füttern Sie ihn?
Schrecklich, diese furchtbare Hitze!
Wie lange mußten Sie heute morgen Schnee schippen?
Haben Sie auch gesehen, was für ein furchtbares Kostüm unsere Abgeordnete gestern im Fernsehen getragen hat?
Aus solchen geringfügigen Anlässen entstehen Gespräche zwischen Unbekannten: auf der Parkbank, an der Supermarktkasse, beim Warten an der roten Ampel. Solche harmlosen Gespräche mit Unbekannten können fünf, zehn, zwanzig Minuten dauern. Wenn sich die Gesprächspartner, die sich oft nicht einmal mit Namen kennen, in Sympathie verabschieden, dann können daraus Freundschaften, langanhaltende Partnerschaften und sogar Ehen entstehen. Zufall verwandelt sich in Dauer, flüchtiger Kontakt in eine Gemeinschaft, die nachhaltig anhält.
Wo und wann haben Sie sich kennengelernt? Diese Frage stelle ich jedem Brautpaar, das in meinem Arbeitszimmer zwei Wochen vor der Trauung verliebt und verlegen auf dem schwarzen Sofa sitzt. Braut und Bräutigam lachen und geben dann zuerst einmal keine Antwort. Ich bin geduldig und warte ab. Beide lächeln innig in sich hinein und stupsen den jeweils anderen an: Sag du zuerst. Dann kommt heraus, daß das Brautpaar sich bei einer Geburtstagsfeier, in einer Berghütte oder beim Betriebsausflug kennengelernt hat, manche schneller bis zum ersten Kuß, manche langsamer bis zur ersten Umarmung.
Wer weiß schon, wenn er seine nette Tischnachbarin beim Abendessen anspricht, daß er diese Frau zwei Jahre später heiraten wird? Oder kann die Festbesucherin sagen, daß der Partygast, der ihr gerade etwas zu trinken holt, in fünf Monaten ihr Ehemann sein wird?
Freundschaften und Partnerschaften nehmen oft einen unscheinbaren Anfang. Aus kleinsten Begegnungen kann Großes, ein Menschenleben Bewegendes entstehen. Und solche Begegnungen ergeben sich in einer Mischung aus Zufall, Wunschdenken und glücklicher Fügung. Aus der Frage: Wie geht es Dir? wird die dauerhafte Zuneigung zum geliebten Partner (oder der geliebten Partnerin). Aus dem belanglosen Gespräch über das Wetter und den neuesten Tratsch wird das nachhaltige gegenseitige Erzählen der eigenen Lebensgeschichte. Aus dem flüchtig streifenden Blick wird der tiefe Blick in die Augen. Aus dem unverbindlichen small talk wird dauerhafte Liebe, und aus der oberflächlichen Belanglosigkeit plötzlich eine heftige emotionale Bewegung, die sich alle herbeisehnen, die auf der Suche nach einem Partner sind.
Hört man immer wieder gern, solche Geschichten, weil sie so rührend sind, besonders wenn noch eine Prise Adel hinzukommt: Charlène und Albert, Kate und William, Victoria und Daniel. Falls Sie die Regenbogenpresse nicht regelmäßig lesen: Olof Daniel Westling Bernadotte, Prinz von Schweden, Herzog von Västergötland ist der Fitnesstrainer, der beim personal training 2001 die schwedische Kronprinzessin Viktoria kennenlernte und am 19.Juni 2010 heiratete.
Aus einer zufälligen und auf den ersten Blick ganz unbedeutenden Begegnung kann Großes, Überwältigendes, lebenslang Anhaltendes entstehen: Freundschaft, Liebe, Gemeinschaft, Ehe und Trauung. Das muß aber nicht so sein. Jeder weiß: Nicht jedes zufällige Gespräch endet mit einem neuen Kontakt. Aus dem Gespräch kann Freundschaft entstehen, aber genau so auch Streit. Oder es kann sich im Leeren verlaufen. Aber das Ergebnis ist nicht zwingen, deswegen lohnt sich stets die Offenheit gegenüber anderen Menschen.
Ich habe mit Ihnen darüber nachgedacht, was aus einem zufälligen Gespräch folgen kann, weil auch die Geschichte aus dem Johannesevangelium von einer zufälligen Begegnung erzählt. Zwei Anhänger Johannes' des Täufers hören Johannes über Jesus reden. Sie laufen dem Mann aus Nazareth nach und lassen sich von ihm ansprechen. Jesus fragt: Was sucht ihr? Das ist der Anfang. Zum ersten Mal spricht der Jesus des Johannesevangeliums, nicht das großgewordene, pubertierende Kind aus dem Bethlehemer Stall, das ein wenig altklug mit den Schriftgelehrten im Tempel theologische Fragen erörtert. Nein, im Johannesevangelium spricht das Wort, das Fleisch geworden ist, der allmächtige unsichtbare Gott, der zum sterblichen, sichtbaren Menschen wurde. Bei Johannes suchen wir vergeblich nach den anrührenden Kindergeschichten. Bei ihm steigt Gott vom Himmel auf die Erde.
Die zukünftigen Jünger begegnen Jesus sofort als Suchende. Das Gespräch erhebt sich sofort in theologische Höhen. Wer sucht, dem fehlt etwas, das er noch nicht oder noch nicht wieder hat: der verlorene Schlüssel und das liegen gelassene Portemonnaie. Geborgenheit und Liebe können einem Menschen fehlen, aber auch der Sinn seines Lebens, das Bewußtsein darüber, daß ich nicht umsonst in dieser Welt lebe, sondern einem Ziel folge, die mich diesem Sinn näher bringt.
Die beiden zukünftigen Jünger geben eine merkwürdige Antwort auf die Frage Jesu nach ihrem Suchen. Sie antworten mit der Gegenfrage: Wo ist deine Herberge? Für uns hat sich das Wort Herberge nur noch in der verstaubten Jugendherberge mit Stockbetten, Etagenduschen und kleinen Plastikdöschen mit überzuckerter Marmalade zum Frühstück gehalten. Wörtlich erzählt die Geschichte nicht von einer Herberge oder einem Fünfsternehotel die Rede.
Wörtlich fragen die zukünftigen Jünger: Sage uns, wo du bleibst. Wo ich bleibe und mich dauernd aufhalte, da fühle ich mich zuhause. Dort, wo ich bleibe, habe ich meine Heimat und Bleibe gefunden. Meine Wohnung nehme ich dort, wo ich mich wohl fühle. All das schwingt in der Frage der Jünger mit. Und die Leser des Johannesevangeliums wissen auch, daß Jesus später sagen wird: „In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen.“ (Joh 14,2) Bisher sind die zukünftigen Jünger noch Obdachlose im Glauben; ihrem Gottvertrauen fehlt eine Bleibe, ein Ort, ein Anhaltspunkt. Ihnen fehlt das Gegenüber des Lehrers und Rabbis, des Gottmenschen Jesus.
Am Anfang des Glaubens steht die zufällige, unscheinbare Begegnung mit Jesus. Die suchenden Jünger sehen den Menschen, den weisen Rabbi, das leidende Lamm, den von Gott ausgezeichneten Gesalbten, in dessen Leben sich wie in keinem anderen Leben die Wirklichkeit Gottes spiegelt. Er ist das Ziel ihrer lebenslangen Suche, er ist für sie Heimat, die Geborgenheit bereithält, er ist Fixstern und Orientierungspunkt. Nach der Begegnung mit dem Rabbi aus Nazareth ist die Suche zu Ende: Diese Jünger, die ersten einer langen Reihe von Nachfolgern, haben ihre Heimat des Glaubens gefunden.
Sie haben erfahren, was die Brautleute und die guten Freunde erfahren haben. Aus der zufälligen Begegnung hat sich bei den einen Ehe, Liebe und Zuneigung, bei den anderen Vertrauen und Lebenssinn entwickelt. Christlichen Glauben kann man nicht lernen, er ist gebunden an die Begegnung mit anderen Menschen, ja im Fall der Jünger an die Begegnung mit dem Heiland selbst.
Johannes der Täufer sagt: Er ist das Lamm. Die zukünftigen Jünger sagen: Er ist unser Lehrer. Andreas, der zweite Jünger sagt: Er ist der Gesalbte. Es kommt nicht nur auf den Menschen Jesus an, sondern der heilige Mensch, der Mittler und Heiland erfüllt eine Aufgabe. Er geht auf ein Ziel zu.
Die Aufgabe des Lehrers ist am leichtesten zu verstehen. Menschen, die nach dem Sinn des Lebens suchen, brauchen einen Lehrer, der Erfahrung und Wissen verbindet. Zu beidem muß noch das Vertrauen kommen, daß derjenige, der dem Jünger und Schüler den Weg weist, auch die richtige Richtung angibt. Es ist ein Lehrer gemeint, der nicht bevormundet, sondern Freiheit, Würde und Persönlichkeit der Jünger angemessenen Raum gibt. Der theologische Lehrer Jesus, der Rabbi, der Deuter und Ausleger der hebräischen Bibel, zielt auf die neue Heimat des Reiches Gottes. Damit die Jünger den Weg dorthin finden, erzählt er Gleichnisse und Geschichte, er läßt sich auf Fragen und Gespräche ein. Heute ist das Bedürfnis nach Beratung allgegenwärtig geworden, man sucht den Berater, den Betreuer, den coach, den Supervisor, den personal trainer, den Analytiker. Sie alle versuchen, die Bedürfnisse der Menschen nach Orientierung zu befriedigen. Aber die Orientierung des Rabbi Jesus steht vor allen anderen Orientierungen.
Aber Jesus ist mehr als ein Rabbi. Johannes sagt: Jesus ist das Lamm. Ich bin mir nicht sicher, ob die Jünger dieses Wort des Täufers verstanden haben. Ich bin mir nicht sicher, ob die Leser des Johannesevangeliums dieses dunkle Wort vom Lamm am Anfang des Evangeliums verstehen. Denn das Bild vom Lamm zielt auf das Kreuz, auf den leidenden Gerechten, der sein Leben für die Menschen opfert. Das Lamm ist unschuldig, schwach, den Menschen ausgeliefert, und es stirbt. Es wird zur Schlachtbank geführt. An der Gestalt des Lammes entscheidet sich der Weg zum Reich Gottes. Der theologische Lehrer, der den richtigen Weg zum Reich Gottes weisen kann, wird plötzlich zum Opfer, zum Symbol größtmöglichen Schmerzes, zum Symbol einer grauenhaften, katastrophalen Niederlage.
Und dieses unschuldig leidende Lamm ist gleichzeitig der Heiland, der Messias, der Gesalbte. Zum Lehrer und zum Leidenden kommt noch der Heilsbringer. Der Messias, Gesalbter ist ein Titel des Königs, denn er wird bei der Krönung mit Salbe übergossen. Aber dieser Jesus ist mehr als der Herrscher eines Landes, er führt die Menschen in Gottes Reich, das zur neuen Heimat der Glaubenden wird.
Wenn die Jünger mit Jesus sprechen, bleibt in diesen drei Rollen – Rabbi, Messias, Lamm – noch vieles unklar. Die folgenden Geschichten des Johannesevangeliums schlüsseln diese Rollen auf und weisen den Glaubenden den Weg in die Nachfolge. Wer glauben und vertrauen, will, der geht einen einfachen Weg, denselben Weg wie die Jünger. Er schaut Jesus an und hört ihm zu. Aber der Evangelist Johannes war sich des wichtigsten Einwandes gegen diese Art von Nachfolge wohl bewußt. Nach Jesu Tod am Kreuz kann niemand mehr dem Heiland persönlich begegnen. Aber wer nicht sehen kann, der kann sich die Geschichten Jesu anhören, seinen aufgezeichneten Predigten lauschen und darin Glauben und Vertrauen fassen. Für das Leben Jesu sind wir auf die Erinnerungen und Aufzeichnungen der Evangelisten angewiesen. Wir glauben, obwohl wir diesen Rabbi nie kennengelernt haben. Deswegen heißt es beim ungläubigen Thomas, am Ende des Johannesevangeliums: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ (Joh 20, 29)
Glaube und Gottvertrauen entstehen aus Begegnungen, die einen unscheinbaren, harmlosen und unverbindlichen Anfang nehmen. Aus dieser Begegnung des Glaubens können wir die Kraft schöpfen, über das eigene Leben hinauszusehen und daraus Glaube und Lebenssinn zu gewinnen. Den Jesus, den wir einmal im unscheinbaren Gespräch kennengelernt haben, werden wir wieder sehen, in dem Reich, das er verheißen hat.
Wie heißt es, wenn zwei Freunde sich verabschieden? Man sieht sich.
Und wer sich beruhigt so verabschiedet hat, der geht vertrauensvoll weiter auf den Wegen und Umwegen des Glaubens. Amen.
Einer von den zweien, die Johannes gehört hatten und Jesus nachgefolgt waren, war Andreas, der Bruder des Simon Petrus. Der findet zuerst seinen Bruder Simon und spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden, das heißt übersetzt: der Gesalbte. Und er führte ihn zu Jesus. Als Jesus ihn sah, sprach er: Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du sollst Kephas heißen, das heißt übersetzt: Fels.“
Liebe Gemeinde,
Überdrehte bellende Hunde, Hitzeperioden, langanhaltender Schneefall, neuer Tratsch und beliebte Fernsehsendungen sind hervorragend dafür geeignet. Wer das Gespräch sucht, braucht einen unverfänglichen Anlaß. Wer einen anderen Menschen ansprechen will, der nimmt einen harmlosen Anfang. Der unscheinbare Aufhänger eröffnet das Gespräch. Danach muß ich einfach dafür sorgen, daß dieses Gespräch nicht abreißt.
Wie lange haben Sie Ihren Hund schon? Wie füttern Sie ihn?
Schrecklich, diese furchtbare Hitze!
Wie lange mußten Sie heute morgen Schnee schippen?
Haben Sie auch gesehen, was für ein furchtbares Kostüm unsere Abgeordnete gestern im Fernsehen getragen hat?
Aus solchen geringfügigen Anlässen entstehen Gespräche zwischen Unbekannten: auf der Parkbank, an der Supermarktkasse, beim Warten an der roten Ampel. Solche harmlosen Gespräche mit Unbekannten können fünf, zehn, zwanzig Minuten dauern. Wenn sich die Gesprächspartner, die sich oft nicht einmal mit Namen kennen, in Sympathie verabschieden, dann können daraus Freundschaften, langanhaltende Partnerschaften und sogar Ehen entstehen. Zufall verwandelt sich in Dauer, flüchtiger Kontakt in eine Gemeinschaft, die nachhaltig anhält.
Wo und wann haben Sie sich kennengelernt? Diese Frage stelle ich jedem Brautpaar, das in meinem Arbeitszimmer zwei Wochen vor der Trauung verliebt und verlegen auf dem schwarzen Sofa sitzt. Braut und Bräutigam lachen und geben dann zuerst einmal keine Antwort. Ich bin geduldig und warte ab. Beide lächeln innig in sich hinein und stupsen den jeweils anderen an: Sag du zuerst. Dann kommt heraus, daß das Brautpaar sich bei einer Geburtstagsfeier, in einer Berghütte oder beim Betriebsausflug kennengelernt hat, manche schneller bis zum ersten Kuß, manche langsamer bis zur ersten Umarmung.
Wer weiß schon, wenn er seine nette Tischnachbarin beim Abendessen anspricht, daß er diese Frau zwei Jahre später heiraten wird? Oder kann die Festbesucherin sagen, daß der Partygast, der ihr gerade etwas zu trinken holt, in fünf Monaten ihr Ehemann sein wird?
Freundschaften und Partnerschaften nehmen oft einen unscheinbaren Anfang. Aus kleinsten Begegnungen kann Großes, ein Menschenleben Bewegendes entstehen. Und solche Begegnungen ergeben sich in einer Mischung aus Zufall, Wunschdenken und glücklicher Fügung. Aus der Frage: Wie geht es Dir? wird die dauerhafte Zuneigung zum geliebten Partner (oder der geliebten Partnerin). Aus dem belanglosen Gespräch über das Wetter und den neuesten Tratsch wird das nachhaltige gegenseitige Erzählen der eigenen Lebensgeschichte. Aus dem flüchtig streifenden Blick wird der tiefe Blick in die Augen. Aus dem unverbindlichen small talk wird dauerhafte Liebe, und aus der oberflächlichen Belanglosigkeit plötzlich eine heftige emotionale Bewegung, die sich alle herbeisehnen, die auf der Suche nach einem Partner sind.
Hört man immer wieder gern, solche Geschichten, weil sie so rührend sind, besonders wenn noch eine Prise Adel hinzukommt: Charlène und Albert, Kate und William, Victoria und Daniel. Falls Sie die Regenbogenpresse nicht regelmäßig lesen: Olof Daniel Westling Bernadotte, Prinz von Schweden, Herzog von Västergötland ist der Fitnesstrainer, der beim personal training 2001 die schwedische Kronprinzessin Viktoria kennenlernte und am 19.Juni 2010 heiratete.
Aus einer zufälligen und auf den ersten Blick ganz unbedeutenden Begegnung kann Großes, Überwältigendes, lebenslang Anhaltendes entstehen: Freundschaft, Liebe, Gemeinschaft, Ehe und Trauung. Das muß aber nicht so sein. Jeder weiß: Nicht jedes zufällige Gespräch endet mit einem neuen Kontakt. Aus dem Gespräch kann Freundschaft entstehen, aber genau so auch Streit. Oder es kann sich im Leeren verlaufen. Aber das Ergebnis ist nicht zwingen, deswegen lohnt sich stets die Offenheit gegenüber anderen Menschen.
Ich habe mit Ihnen darüber nachgedacht, was aus einem zufälligen Gespräch folgen kann, weil auch die Geschichte aus dem Johannesevangelium von einer zufälligen Begegnung erzählt. Zwei Anhänger Johannes' des Täufers hören Johannes über Jesus reden. Sie laufen dem Mann aus Nazareth nach und lassen sich von ihm ansprechen. Jesus fragt: Was sucht ihr? Das ist der Anfang. Zum ersten Mal spricht der Jesus des Johannesevangeliums, nicht das großgewordene, pubertierende Kind aus dem Bethlehemer Stall, das ein wenig altklug mit den Schriftgelehrten im Tempel theologische Fragen erörtert. Nein, im Johannesevangelium spricht das Wort, das Fleisch geworden ist, der allmächtige unsichtbare Gott, der zum sterblichen, sichtbaren Menschen wurde. Bei Johannes suchen wir vergeblich nach den anrührenden Kindergeschichten. Bei ihm steigt Gott vom Himmel auf die Erde.
Die zukünftigen Jünger begegnen Jesus sofort als Suchende. Das Gespräch erhebt sich sofort in theologische Höhen. Wer sucht, dem fehlt etwas, das er noch nicht oder noch nicht wieder hat: der verlorene Schlüssel und das liegen gelassene Portemonnaie. Geborgenheit und Liebe können einem Menschen fehlen, aber auch der Sinn seines Lebens, das Bewußtsein darüber, daß ich nicht umsonst in dieser Welt lebe, sondern einem Ziel folge, die mich diesem Sinn näher bringt.
Die beiden zukünftigen Jünger geben eine merkwürdige Antwort auf die Frage Jesu nach ihrem Suchen. Sie antworten mit der Gegenfrage: Wo ist deine Herberge? Für uns hat sich das Wort Herberge nur noch in der verstaubten Jugendherberge mit Stockbetten, Etagenduschen und kleinen Plastikdöschen mit überzuckerter Marmalade zum Frühstück gehalten. Wörtlich erzählt die Geschichte nicht von einer Herberge oder einem Fünfsternehotel die Rede.
Wörtlich fragen die zukünftigen Jünger: Sage uns, wo du bleibst. Wo ich bleibe und mich dauernd aufhalte, da fühle ich mich zuhause. Dort, wo ich bleibe, habe ich meine Heimat und Bleibe gefunden. Meine Wohnung nehme ich dort, wo ich mich wohl fühle. All das schwingt in der Frage der Jünger mit. Und die Leser des Johannesevangeliums wissen auch, daß Jesus später sagen wird: „In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen.“ (Joh 14,2) Bisher sind die zukünftigen Jünger noch Obdachlose im Glauben; ihrem Gottvertrauen fehlt eine Bleibe, ein Ort, ein Anhaltspunkt. Ihnen fehlt das Gegenüber des Lehrers und Rabbis, des Gottmenschen Jesus.
Am Anfang des Glaubens steht die zufällige, unscheinbare Begegnung mit Jesus. Die suchenden Jünger sehen den Menschen, den weisen Rabbi, das leidende Lamm, den von Gott ausgezeichneten Gesalbten, in dessen Leben sich wie in keinem anderen Leben die Wirklichkeit Gottes spiegelt. Er ist das Ziel ihrer lebenslangen Suche, er ist für sie Heimat, die Geborgenheit bereithält, er ist Fixstern und Orientierungspunkt. Nach der Begegnung mit dem Rabbi aus Nazareth ist die Suche zu Ende: Diese Jünger, die ersten einer langen Reihe von Nachfolgern, haben ihre Heimat des Glaubens gefunden.
Sie haben erfahren, was die Brautleute und die guten Freunde erfahren haben. Aus der zufälligen Begegnung hat sich bei den einen Ehe, Liebe und Zuneigung, bei den anderen Vertrauen und Lebenssinn entwickelt. Christlichen Glauben kann man nicht lernen, er ist gebunden an die Begegnung mit anderen Menschen, ja im Fall der Jünger an die Begegnung mit dem Heiland selbst.
Johannes der Täufer sagt: Er ist das Lamm. Die zukünftigen Jünger sagen: Er ist unser Lehrer. Andreas, der zweite Jünger sagt: Er ist der Gesalbte. Es kommt nicht nur auf den Menschen Jesus an, sondern der heilige Mensch, der Mittler und Heiland erfüllt eine Aufgabe. Er geht auf ein Ziel zu.
Die Aufgabe des Lehrers ist am leichtesten zu verstehen. Menschen, die nach dem Sinn des Lebens suchen, brauchen einen Lehrer, der Erfahrung und Wissen verbindet. Zu beidem muß noch das Vertrauen kommen, daß derjenige, der dem Jünger und Schüler den Weg weist, auch die richtige Richtung angibt. Es ist ein Lehrer gemeint, der nicht bevormundet, sondern Freiheit, Würde und Persönlichkeit der Jünger angemessenen Raum gibt. Der theologische Lehrer Jesus, der Rabbi, der Deuter und Ausleger der hebräischen Bibel, zielt auf die neue Heimat des Reiches Gottes. Damit die Jünger den Weg dorthin finden, erzählt er Gleichnisse und Geschichte, er läßt sich auf Fragen und Gespräche ein. Heute ist das Bedürfnis nach Beratung allgegenwärtig geworden, man sucht den Berater, den Betreuer, den coach, den Supervisor, den personal trainer, den Analytiker. Sie alle versuchen, die Bedürfnisse der Menschen nach Orientierung zu befriedigen. Aber die Orientierung des Rabbi Jesus steht vor allen anderen Orientierungen.
Aber Jesus ist mehr als ein Rabbi. Johannes sagt: Jesus ist das Lamm. Ich bin mir nicht sicher, ob die Jünger dieses Wort des Täufers verstanden haben. Ich bin mir nicht sicher, ob die Leser des Johannesevangeliums dieses dunkle Wort vom Lamm am Anfang des Evangeliums verstehen. Denn das Bild vom Lamm zielt auf das Kreuz, auf den leidenden Gerechten, der sein Leben für die Menschen opfert. Das Lamm ist unschuldig, schwach, den Menschen ausgeliefert, und es stirbt. Es wird zur Schlachtbank geführt. An der Gestalt des Lammes entscheidet sich der Weg zum Reich Gottes. Der theologische Lehrer, der den richtigen Weg zum Reich Gottes weisen kann, wird plötzlich zum Opfer, zum Symbol größtmöglichen Schmerzes, zum Symbol einer grauenhaften, katastrophalen Niederlage.
Und dieses unschuldig leidende Lamm ist gleichzeitig der Heiland, der Messias, der Gesalbte. Zum Lehrer und zum Leidenden kommt noch der Heilsbringer. Der Messias, Gesalbter ist ein Titel des Königs, denn er wird bei der Krönung mit Salbe übergossen. Aber dieser Jesus ist mehr als der Herrscher eines Landes, er führt die Menschen in Gottes Reich, das zur neuen Heimat der Glaubenden wird.
Wenn die Jünger mit Jesus sprechen, bleibt in diesen drei Rollen – Rabbi, Messias, Lamm – noch vieles unklar. Die folgenden Geschichten des Johannesevangeliums schlüsseln diese Rollen auf und weisen den Glaubenden den Weg in die Nachfolge. Wer glauben und vertrauen, will, der geht einen einfachen Weg, denselben Weg wie die Jünger. Er schaut Jesus an und hört ihm zu. Aber der Evangelist Johannes war sich des wichtigsten Einwandes gegen diese Art von Nachfolge wohl bewußt. Nach Jesu Tod am Kreuz kann niemand mehr dem Heiland persönlich begegnen. Aber wer nicht sehen kann, der kann sich die Geschichten Jesu anhören, seinen aufgezeichneten Predigten lauschen und darin Glauben und Vertrauen fassen. Für das Leben Jesu sind wir auf die Erinnerungen und Aufzeichnungen der Evangelisten angewiesen. Wir glauben, obwohl wir diesen Rabbi nie kennengelernt haben. Deswegen heißt es beim ungläubigen Thomas, am Ende des Johannesevangeliums: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ (Joh 20, 29)
Glaube und Gottvertrauen entstehen aus Begegnungen, die einen unscheinbaren, harmlosen und unverbindlichen Anfang nehmen. Aus dieser Begegnung des Glaubens können wir die Kraft schöpfen, über das eigene Leben hinauszusehen und daraus Glaube und Lebenssinn zu gewinnen. Den Jesus, den wir einmal im unscheinbaren Gespräch kennengelernt haben, werden wir wieder sehen, in dem Reich, das er verheißen hat.
Wie heißt es, wenn zwei Freunde sich verabschieden? Man sieht sich.
Und wer sich beruhigt so verabschiedet hat, der geht vertrauensvoll weiter auf den Wegen und Umwegen des Glaubens. Amen.
Perikope
Datum 24.07.2013
Reihe: 2010/2011 Reihe 3
Bibelbuch: Johannes
Kapitel / Verse: 1,35
Wochenlied: 245 241
Wochenspruch: Eph 2,8