Meditation für die Christnacht von Karl Hardecker
Liebe Gemeinde,
In mitten dieser unruhigen und friedlosen Welt wird ein Kind geboren, und mit ihm tausend andere Kinder jener Zeit. In jener Nacht wird ein Kind geboren, das mit anderen Kindern alles teilt, - den Hunger, das Geschrei und die noch blinde Lust auf diese Welt. In dieser Nacht wird ein Kind geboren, auf dem der Geist des Herrn ruht. Die Hirten erahnen dies und eilen herbei. Andere übersehen dies und wieder andere fühlen sich von diesem Kinde bedroht. Und das zu Recht, denn der Geist, der auf dem Kinde ruht, ist stark. In der Kraft dieses Geistes wird dieses Kind später einmal Menschen heilen und böse Geister vertreiben. In der Kraft dieses Geistes wird dieses Kind die Gewalt überwinden und die Feindesliebe lehren und leben.
Und in all dem bringt es uns die Schöpfung wieder nahe, die Schöpfung, die uns fast verloren ging, - ihre Schönheit und Anmut, ihre Würde und ihren Glanz. Das Jesuskind bringt uns den Glanz zurück in diese Welt, - diesen Glanz, den wir verloren haben, weil wir nichts mehr erwartet haben von Gott und von unserem Nächsten, weil wir traurig waren wegen all dem, was wir in unserem Leben schon verloren haben.
Dass dieses Jesuskind den Glanz in unsere Welt zurückbringt, zeigen uns am schönsten die Bilder der alten Meister. Das Licht, das aus ihren Bildern strahlt, kommt aus dem Stall und aus der Krippe und hat seine Quelle im Leuchten dieses kleinen Gesichts. Damit zeigen uns die alten Meister, dass das Jesuskind uns wieder das Antlitz schenkt, mit dem uns der Herr erschaffen hat, dieses Antlitz, das uns zu Menschen macht, dieses Antlitz, auf dem der Glanz der Schöpfung liegt. Von diesen Bildern können wir ablesen, dass der Schöpfer einmal zu seinen Werken sprach: Und siehe, es war gut.
Was Wunder, dass da Blumen blühen in tiefster Winternacht, was Wunder, dass eine Rose blüht zur halben Nacht, was Wunder, dass Löwe und Lamm beieinander lagern und die ganze Schöpfung tiefen Frieden atmet.
In dieser Nacht zeigt Gott uns Menschen, wie er uns meint, Dich und mich und uns alle zusammen. In dieser Nacht zeigt er uns, dass er uns als seine Geschöpfe meint, die leben im Gegenüber zu ihm, die miteinander die Erde gestalten, die miteinander den Reichtum und die Armut teilen, die reden und antworten, die geben und nehmen, die lachen und weinen zusammen.
In dieser Nacht zeigt er uns, wie wir von ihm gemeint sind, als Geschöpfe, die versöhnt mit sich selbst leben können, und, weil sie versöhnt mit sich sind, ein Licht sein können für andere.  
Die Völker, die im Finstern wohnen, sehnen sich nach diesem Licht. Sie sehnen sich danach, dass die Soldaten endlich abziehen und eine friedliche Zeit beginnt, dass keine Stiefel nachts mehr auf das Pflaster schlagen. Die Völker, die im Finstern wohnen, sehen dieses Licht. Sie sehen, dass mit der Menschwerdung Gottes unsere Menschwerdung beginnt. Sie sehen, dass mit der Geburt dieses Kindes die Mäntel verbrannt werden, die durch Blut geschleift wurden und dass der Frieden beginnt. Dieses Licht der Menschwerdung Gottes geht auf über den Menschen in Syrien, deren Armee immer noch wie damals die Würde anders denkender Menschen mit ihren Stiefeln nieder drückt. Dieses Licht der Menschwerdung geht auf über all den Menschen unter uns, die sich nicht getrauen ihr Haupt frei zu heben, weil sie überschuldet sind oder weil sie in Trennung leben. Nicht zu vergessen die vielen, die sich ausgebrannt fühlen oder von ihren eigenen Ängsten geplagt sind.
Der als Kind geboren wird, der stärkt und stützt sie und erhebt sie wieder vom Boden.
Der als Kind geboren wird, teilt mit uns unser Fremdsein. Der als Kind geboren wird, versteht die Frau, deren Sehnsucht nicht in Erfüllung ging und die ohne Kinder und Enkel alt werden muss. Dieser große Satz, dass das heilige Paar damals keine Herberge fand, - dieser Satz gilt doch auch für viele von uns. Wir fühlen uns fremd und fremdbestimmt. Deshalb kommt alles darauf an, dass wir aus dieser erfahrenen Fremde wieder nach Hause finden. Der als Mensch geboren wird, bietet uns seine Hilfe an. Seinen Geist und seine Kraft, die in den Schwachen mächtig ist. Diese Kraft ist stark genug, um erfahrene Fremde zu überwinden, - mit anderen zusammen.
In dieser Nacht zeigt er uns seinen Frieden und das, woraufhin wir alle zielen, nämlich auf Heimat. Das, was wir alle ersehnen seit unserer Kindheit, was wir nur selten erreichen, aber bis in unsere letzten Tage suchen, das zeigt er uns im Stall: Heimat. Er sagt noch einmal: Siehe, es war gut und meint damit auch Dich und mich. Er bringt uns das zurück, was wir verloren glaubten. All die, die von uns gingen, beten mit uns das Jesuskind an.  Er bringt uns tiefsten Frieden zurück in unsere Seele und das Gefühl, erwünscht zu sein auf dieser Erde. Darin ist er der große Hirte seiner Herde. Darin weidet er seine Schafe, wie damals die Hirten geweidet haben, als alles begann. Ja, dieser ist alles: Friedefürst, Hirte und Lamm. Amen
Perikope