"Mein Schatz!" Predigt über Matthäus 6,19-24 von Christoph Dinkel
6,19
Prof. Dr. Christoph Dinkel
Predigt über Matthäus 6,19-24: „Mein Schatz“
Der Predigttext für das Erntedankfest ist der Bergpredigt Jesu entnommen. Dort heißt es:
Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen und wo die Diebe einbrechen und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. […] Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.
Liebe Gemeinde!
Wer von J.R.R. Tolkien den Hobbit oder die Ringtrilogie gelesen oder im Kino gesehen hat, wird diese Worte nie wieder vergessen: „Mein Schatz!“ Es ist der unselige Gollum, der diese Worte zum ersten Mal spricht. Gemeint ist mit dem Schatz ein goldener Ring, der seinen Besitzer – trägt er den Ring am Finger – unsichtbar macht. Das klingt erst einmal ganz praktisch und in der Tat hilft der Ring seinem jeweiligen Träger immer wieder aus der Patsche, wenn Gefahr droht. Wer wäre nicht gerne manchmal unsichtbar? So ein Ring ist also eine feine Sache. Wertvoll ist er auch. Schön, wenn man einen solchen Ring hat.
Doch neben dieser praktischen Seite hat der Ring auch eine dunkle Seite, die im Laufe von vier Büchern immer mehr zu Tage tritt. Ich erzähle gleich noch mehr dazu. Zuvor aber muss ich etwas über den Autor sagen: J.R.R. Tolkien war Professor für englische Sprache und Literatur in Oxford. Er lebte von 1892 bis 1973. Tolkien war ein großer Kenner der nordischen Sagenwelt und ein überzeugter und engagierter katholischer Christ. Berühmt geworden ist er aber durch seinen Beitrag zur Fantasy-Literatur. Die Verfilmungen seiner Werke zählen zu den größten Kassenerfolgen der Kinogeschichte. Tolkien selbst schreibt zu seinen Werken, dass sie durch und durch vom Geist und der Ethik des Christentums inspiriert sind, auch wenn das auf den ersten Blick gar nicht auffällt, weil Religion in den Büchern nicht wirklich zum Thema wird. (Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/J._R._R._Tolkien).
Man muss diesen Hintergrund bedenken, um die Verbindung zu sehen. In seiner Bergpredigt sagt Jesus: „Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“ Und er fordert dazu auf, sein Herz nicht an Geld, Reichtum oder Macht zu hängen, weil das ins Unglück führt. Jesus sagt: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ Ihr müsst euch entscheiden, sagt Jesus – und die Fantasy-Romane Tolkiens sind nichts anderes als große Illustrationen zu dieser Aufforderung Jesu, sich zwischen Gott und dem Mammon, zwischen den guten und den bösen Mächten zu entscheiden. „Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“ – Diesen Satz Jesu muss man mithören, wenn im Hobbit und in der Ringtrilogie erst Gollum und später die anderen Träger des Rings voll Entzücken und zunehmend voller Wahnsinn zum goldenen Ring die Worte sagen: „Mein Schatz!“
Der Ring ist der Schatz, an den die Träger des Rings ihr Herz hängen. Der Ring macht sie unsichtbar, er verleiht ihnen Macht und er verhindert – jedenfalls äußerlich – sogar das Altern. Doch der Ring hat eine unheimliche Macht. Er ist ein Werkzeug des größten Bösewichts der Geschichte – Sauron. Mit Hilfe des Rings will Sauron die Macht über die Welt zurückerobern, nachdem er einst von den verbündeten guten Mächten der Welt besiegt worden war. Wer den Ring über den Finger streift, von dem ergreift der Ring Besitz. Wer unter der Macht des Rings steht, wird sein Gefangener. Gollum wird durch die Macht des Rings zum gemeinden Mörder. Seine gute Seite, die er an sich auch hat, wird durch den Ring unterdrückt. Wer der Versuchung nicht widerstehen kann, wird Opfer des Rings und endet in Tod und Verderben. Nur Gandalf, ein großer Zauberer, kann – wenn auch mühsam – der Versuchung des Rings widerstehen. Und er weiß auch wie der Ring zu vernichten und die Macht Saurons endgültig zu brechen ist. Weil Menschen gegen die Macht des Rings zu wenig Widerstandskraft haben, holt Gandalf die Hobbits zu Hilfe. Das ist eine kleinere Sorte Mensch, die sehr fröhlich und unbeschwert im sogenannten Auenland lebt. Die Hobbits sind Spießbürger und Genussmenschen, sie sind alles andere als Abenteurer. Einer der Hobbits, Bilbo Beutlin, ist der erste Verbündete Gandalfs bei der Vernichtung des Rings, er ist der kleine Hobbit, dessen Geschichte zu Weihnachten wieder in die Kinos kommt. Bilbos Neffe Frodo Beutlin setzt dann in der großen Ringtrilogie das Werk fort. Auch Frodo Beutlin verfällt fast der Macht des Ringes. Mit Gollum, dem ersten Ringträger, kämpft er am Ende einen tödlichen Kampf um den Ring am Rande eines brodelnden Vulkanschlundes. Gollum gewinnt den Kampf um den Ring, indem er Frodo den Finger, an dem der Ring steckt, im Kampf abbeißt. Doch in seinem Triumph stürzt Gollum mit dem Ring in die Tiefe. Sein Schatz reißt ihn ins tödliche Verderben und Frodo, der den Kampf um den gefährlichen Schatz verloren hat, wird gerettet.
„Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“ – Die Fantasy-Literatur lebt von starken Bildern und deutlichen Gegensätzen. Schwarz und Weiß, Gut und Böse sind gut zu unterscheiden. Im wirklichen Leben gibt es viel mehr Zwischenstufen. Zwischen Weiß und Schwarz gibt es Grautöne, Entscheidungen fallen meist nicht zwischen Gut und Böse, sondern zwischen besser und schlechter. Und viele Entscheidungen in unserem Leben sind vom Unterschied zwischen Gut und Böse auch gar nicht berührt.
Dennoch: Auch wir kennen Dinge, an die wir unser Herz hängen und die uns unfrei machen. Auch wir kennen Güter, die uns in den Bann ziehen und die uns von Wichtigerem und Besserem abhalten. Wieviel Energie, Geld und Zeit stecken wir in das, woran wir unser Herz hängen? – In Kleidung und Schuhe, in Auto oder Smartphone, in Zerstreuung und Geschwätz, in Urlaubsreisen oder Wellness, in der Suche nach Aufmerksamkeit oder in das Streben nach Erfolg, in den Kampf um Macht oder in die Suche nach Reichtum. Für manche Eltern wird auch ihr Kind zum Schatz, von dem sie die Erfüllung ihres Lebens erwarten. Unsere Kinder sind uns von Herzen wichtig, aber wenn wir an unser Kind unser Herz hängen, wenn es unser Ein und Alles wird, dann läuft etwas schief, dann wird vor allem das Kind überfordert, weil es die Glückserwartungen der Eltern erfüllen muss. Eltern und Kind werden gefangen in Ansprüchen und Erwartungen, die niemals befriedigt werden können.
„Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“ – Dieser Satz Jesu ist nicht als Vermiesung des Lebens gedacht. Es ist kein Satz, der das lustige Spiel oder die Liebe zu unseren Kindern verderben will. Jesu Satz greift vielmehr dort, wo das, was im Allgemeinen gut und sinnvoll und schön ist, von uns Besitz ergreift und uns unfrei macht. Jede und jeder von uns muss selbst überlegen, ob es solche Bereiche in seinem oder ihrem Leben gibt. Gefährlich wird es auf jeden Fall dann, wenn wir merken, dass wir uns in unserem Verhalten und in unserem Streben der Figur des Gollums nähern. Spätestens dann, wenn wir uns an etwas klammern und denken „Mein Schatz!“ – dann sollten wir in uns gehen und überlegen, wie wir aus dieser Gefangenschaft frei werden können.
Das Erntedankfest heute ist vor diesem Hintergrund als Lebenshilfe zu verstehen: Damit wir nicht dem Mammon, dem bösen Geist des Geldes verfallen und damit wir unser Herz nicht an Geld und Gut hängen, geben wir heute von dem, was wir haben, ab an andere, die weniger haben als wir. Denn den Mammon besiegt man, indem man verschenkt und spendet und abgibt. Die Übung ist ganz leicht und sie wirkt sofort. Am Ausgang stehen Opfer- und Kollektenbüchsen. Wer da etwas einlegt, unterstützt die Tafelläden, in denen Menschen mit geringem Einkommen sehr günstig Lebensmittel kaufen können. Oder, mit den Worten Jesu:
Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen und wo die Diebe einbrechen und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel […]. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. – Amen.
Perikope