„Mir geht‘s mega-gut“ - Predigt zu Titus 2,11-14 von Jens Junginger
„Mir geht‘s mega-gut“
Die Weihnachtsgeschichte,
das ist die Liebesgeschichte Gottes mit uns Menschen,
Lässt sie doch den krassen Alltag der Welt
und die friedlich anmutende heile Beschaulichkeit
aufeinanderprallen und ineinanderfließen:
Härte und Sanftmut
Kälte und Wärme
Flucht und neue Heimat
Ablehnung und Annahme.
Die Weihnachtsgeschichte lässt uns eintauchen
und uns bei sich zuhause sein, bei Ochs und Esel, im Stall.
Sie holt uns her zu sich, zur Krippe hin.
Sie lässt uns dem hier und jetzt entfliehen.
Es ist schön, ein bisschen unwahr vielleicht, romantisch.
Das aber muss auch mal sein.
Wir wissen, dass die Wirklichkeit weder so war noch so ist.
Aber das lieben wir an ihr, an der Liebegeschichte Gottes mit uns.
So stillt sie unsere tiefe Sehnsucht – für einen Augenblick, für ein paar Stunden.
Und dafür sind wir ihr dankbar.
Welch‘ eine Gnade dass wir sie haben.
Mit dieser und in dieser Weihnachtsgeschichte
ist uns,
wie es in einem Brief an den Gemeindeleiter Titus auf Kreta, formuliert ist,
die Gnade Gottes erschienen.
Gottes liebevolle Zuwendung, ohne jede Vorbedingung
die allen Menschen Rettung bringt.
Rettung, inwiefern? Fragt man sich.
Rettung für mich? Für uns?
Wie und wo denn bitte?
Rettung!
Indem Gott die radikale Trennung aufgibt:
Ich, Gott, hier und ihr Menschen dort.
Zugegeben, manchmal wär‘s einem lieber es gäbe sie noch, diese Aufteilung. Dann könnte man sehr viel leichter sagen:
Mach du doch, greif ein, bring das Chaos in Ordnung, rette uns alle,
schaff Frieden.
Und man könnte auch sagen:
Wenn du nicht eingreifst, dann gibt’s dich halt nicht, fertig.
Die Gnade, die allen Menschen Rettung bringt, beginnt unscheinbarer, versteckter, kleiner.
In Gottes Entgegenkommen.
In dem Gott Mensch wird, niedrig und gering, ein Kind.
Wir können jenen dankbar sein, die diese Glaubenserfahrung uns weitergegeben haben.
Sie ist erwachsen, ja, erwachsen geworden,
Sie ist erst erwachsen aus dem Erleben der Hingabe jenes außergewöhnlichen Wanderpredigers und streitbaren Anwalt der Schwächsten,
aus dem Miterleben seines Todes, und der weiterhin kraftspendenden Präsenz, über seinen Tod hinaus, kraft der Auferstehung.
Da gingen den Menschen die Augen auf, rückblickend auch, für die Umstände und die Ereignisse um seine Geburt.
Das war der Anfang der Rettung. Der Anfang einer lange ersehnten Rettung vieler Menschen.
Sie begann in dem Gott uns Menschen entgegenkam.
Sie begann mit der Menschwerdung Gottes.
Und:
Gottes Entgegenkommen setzt sich fort
im Entgegenkommen der Menschen untereinander,
im überwältigend offenen Entgegenkommen unzählig vieler Menschen gegenüber anderen, die gerade nicht zuerst gefragt wurden:
Warum kommst du? Was bringst du mit?
Hast du ein Recht? Wie lange bleibst du? Was kannst du?
Und all das ereignet sich weit öfter, und weit unscheinbarer, als es uns angesichts der erdrückenden Bilder und Nachrichten bewusst und vor Augen ist. Im Kleinen aber in großer Zahl.
Ich denke an ein Ehepaar.
Für beide es eine echte Berufung eine Kultur der Gastlichkeit pflegen.
Sie kochen, sie kochen gut und fein. Sie bedienen gerne.
Sie wollen ganz bewusst Zufluchtssuchenden in ihr gehobenes Restaurant
einladen, so viel wie nun mal rein gehen
und einander auf Augenhöhe begegnen.
Gottes gnädiges Entgegenkommen ohne Vorleistung begegnet uns jedoch auch in den kleinen überraschend beglückenden Gesten des Alltags:
„Mir geht’s zur Zeit Mega-Gut“
sagt ein alter Bekannter über die Ladentheke hinweg
und strahlt einen an:
Dann fügt er nachdenklich hinzu: „Ja es war auch schon anders!“
Und er merkt, dass da beim Gegenüber etwas ankommt von seiner guten Stimmung und inneren Zufriedenheit.
Und dass er sie eben aus vollem Herzen empfindet.
Und wie er merkt, dass da offenbar ein Funke überspringt und etwas auslöst, was dem Gegenüber gut tut, da reicht er die Hand, einfach so.
Mit der stillen Aufforderung: Schlag rein, ich will dir was weitergeben.
Sein greifbares Entgegenkommen, diese Geste, das ist Ausdruck wohltuender und aufrichtender Gnade.
Der Gnade Gottes durch Menschen weitergereicht.
Es tut gut diese Gnade bisweilen in den kleinen alltäglichen, Selbstverständlichkeiten achtsam zu registrieren – für sich selbst.
In den strahlenden Gesichtern und ausgestreckten Händen einer Familie,
die unerwartet gezielt auf einen zukommt, um zu sagen:
„Wir sind hier vor kurzem neu hergezogen“.
Vorbehaltloses, freundliches Entgegenkommen, offen, neugierig, interessiert – ohne dass eine Vorleistung erbracht wurde.
Und so anders, als das, was man gewohnt ist.
Man merkt erst Stunden, Tage, Wochen später, wie einen eine solche Begegnung nachhaltig berührt hat.
Diese Gnade – so lässt uns der Schreiber des Titusbriefes wissen,
bewegt uns dazu,
uns von der Gottlosigkeit
und den irdischen Begierden loszusagen.
Liebe Heilig Abend Gemeinde,
entgegenkommende vorbehaltlose Zuwendung, die macht etwas mit einem.
Sie ist bewegt einen. Sie bewegt etwas beim Gegenüber und in einem selbst.
Wir haben in diesen Monaten an uns selbst erlebt wie durch die Menschen, die gekommen sind, etwas in den Köpfen und Herzen, in Bewegung gekommen ist, bei den Ankommenden und bei uns selbst.
Wir haben unsere eigene Lebenslage, unseren Lebensstil, unsere Ziele und Begehrlichkeiten, auch unsere soziale Sicherheiten, schlicht unseren Wohlstand ein bisschen mehr mit den Augen anderer Menschen zu sehen und zu sehen und zu begreifen gelernt.
Wir besitzen in diesem Land mehr als 5 Milliarden Kleidungsstücke, tragen aber fast die Hälfte davon gar nicht.
Reiner Überfluss.
Altkleidersammeln – kein Problem. Auch kein Verzicht.
Von diesen „irdischen Begierden“ wie es im Titusbrief heißt, können wir uns leicht lossagen und merken insgeheim, dass da irgendwas nicht stimmt.
Oder wenn ein junger Afrikaner beim Blick auf Schokoladenbilder unter den Weihnachtsbackrezepten plötzlich davon zu erzählen beginnt, wie übel und schmerzhaft sich das Ernten der Kakaobohnen real anfühlt und dass es ihm schwer falle diese Erfahrung zu vergessen.
Da beginnt man sich angestiftet durch den Briefschreiber vorsichtig zu fragen:
Welchen Göttern oder gottlosen Idealen huldigen und dienen wir?
Wovon müssten wir uns lossagen?
Man hält inne, weil es einem plötzlich die Augen öffnet für die Ursachen der globalen Wanderbewegung.
Zugleich sind wir über uns selbst überrascht.
Über das Engagement, die menschliche Zuwendung, inmitten einer vielgescholtenen Ego Gesellschaft, die nichts anders kennt, als sich ständig selbst zu optimieren.
Helfen uns Menschen aus teilweise vormodernen Gesellschaften bei uns selbst wieder zu entdecken, was verloren gegangen ist?
Was wir irgendwo in der Vergangenheit suchen, im Erzählen von früher
beim Trödler, im Blättern von Landlust-Magazinen?
Herzenswärme, Zusammenhalt, Menschlichkeit ?
Ja, es hat sich etwas bewegt in uns.
Die Frage nach dem Wesentlichen, was wirklich wichtig ist, die rückt wieder mehr in den Vordergrund.
Und lässt uns offenbar– wieder mehr – wie es der Briefschreiber ausdrückt
…. in der jetzigen Zeit
als besonnene und gerechte Menschen leben
und - unseren Glauben ausüben
Ja, auch das: Unseren Glauben ausüben.
Liebe Gemeinde,
Wer so schreibt, der hat einen Grund dafür.
Der Schreiber dieser Zeile nimmt offenbar wahr, dass die christliche Gemeinde auf Kreta, die Titus dort leitete, herausgefordert ist.
Und dem ist so: Sie ist herausgefordert ihren Glauben zu bewahren und auszuüben, weil es dort ganz unterschiedliche religiöse Strömungen gab und auch eigene religiöse Weltanschauungen.
Es war nicht ganz einfach für die kleinen jungen Christengemeinden da eine eigene Gewissheit zu finden und zu bewahren, was sie tatsächlich glaubten, was für sie galt, woran sie festhielten.
Den Glauben auszuüben, das Christsein leben, im alltäglichen Zusammenleben mit Zweiflern und Fragenden und Anhängern anderer Religionen und Ideologien, das fordert. Das fordert tatsächlich heraus.
Die Erzieherinnen in unseren Kitas könnten davon erzählen wie das ist.
Es fordert heraus sich selbst im eigenen Glauben gewiss zu sein. Denn nur so kann man den offen Fragenden, den religiös Verunsicherten, den Neugierigen und anders Gläubigen authentische und glaubwürdige Antworten geben, zum Beispiel auf die Frage:
Was feiert ihr da eigentlich an Weihnachten?
Oder, was ist gemeint mit dem viel zitierten „christlichen Abendland“?
Navid Kermani vermerkt in seinem Buch „Ungläubiges Staunen. Über das Christentum“: Viele Begriffe des Christentums sind im Alltag dieser Gesellschaft zwar noch da, „aber sie sind religiös entkernt“. Wir kennen vielfach ihren religiösen Ursprung und ihre Bedeutung nicht mehr.
Der Stellenwert der Religion, im privaten wie im öffentlichen Leben ist deutlich höher wie noch vor einigen Jahren. So gilt es die Reflektion über das Verhältnis der Religionen untereinander, verstärkt aufzunehmen und weiter zu treiben.
Einen kleinen Anfang haben wir in diesem Jahr beim ökumenischen Kirchentag gemacht.
Das gegenseitige Fragen, Verstehen, Aufklären, aber auch das Festhalten von Unterschieden und Gemeinsamkeiten wird fortzuführen sein.
Zugleich bedürfen wir auch einer biblischen Selbstvergewisserung.
Wie können wir teilen, was da in der Bibel steht?
Was lesen wir da, wie verstehe ich es, was verstehe ich nicht, was sagt mir die die Geschichte, was sagen mir die Erzählungen?
Können sie bei mir Impulse setzen, etwas vermitteln? Trost, Ermutigung, Hoffnung?
Die Bibel lädt ein in ihr zu lesen und mit ihr uns selbst zu lesen.
Im Brief an Titus und seine Gemeinde ist von Erwartungen und von Hoffnung die Rede:
13Gleichzeitig – so ist da zu lesen -warten wir darauf,
dass die Hoffnung in Erfüllung geht,
die uns glückselig macht –
und darauf,
dass die Herrlichkeit unseres großen Gottes
und Retters Jesus Christus erscheint.
„Ich werde die Hoffnung nie aufgeben, dass er freigelassen wird“ sagt Esaf Haidar, die Ehefrau des in Saudi Arabien inhaftierten Bloggers Raif Badawi“ und es gibt mir Kraft, dass mich so viele Menschen dabei unterstützen.(SZ)
Christlich gewendet heißt das :
Auf die Dauer gibt es Glaube und Hoffnung nicht ohne eine Gemeinschaft.
„Man muss sich vergesellschaften“ (Steffensky). Lassen Sie uns die Bilder, die biblischen Geschichten und die Lieder der Hoffnung teilen – ja vielleicht wieder mehr, deutlich mehr - um sie hören und singen zu können“ – so auch hier in dieser Kirche, heute, am Heiligen Abend.
Es sind die Bilder der prophetischen Visionen, der Geschichten, Gleichnisse, die unsere Hoffnung nähren und „an unseren inneren Bildern bauen“ können und an denen der Kinder.
Sie entfalten sich und lassen uns tatsächlich noch etwas erwarten, ja, wieder mehr erwarten
Sie mögen uns, nein, sie können uns aus der latenten Skepsis, dem immerwährenden Bedenkentragen oder der sprichwörtlichen wieder zunehmenden „German Angst“ befreien.
„Fürchtet Euch nicht“, heißt doch die Botschaft des heutigen Abends.
Lassen wir sie uns von Engelszungen zurufen und beherzigen.
Betrachten wir die weitere Lebensgeschichte des Neugeborenen im Stall zu Bethlehem, dann erkennen wir auch:
Lebensmut und Hoffnung kommt „nicht allein aus der begründeten Annahme des guten Ausgangs der Dinge.“(Steffensky)
Die Hoffnung ist immer brüchig. So wie die Lebensperspektive eines kleinen Menschleins, das da unter armseligen und recht hoffnungslosen ja, lebensbedrohenden Umständen das Licht der Welt erblickte.
Aber gerade das macht diese christliche, das macht unsere christliche Religion aus.
Das Leben Jesu, das im Stall beginnt und über die erfrischend, streitbaren und beglückenden Reden und Taten bis nach Golgatha reicht und Gottes konsequente Präsenz, gerade da, wo etwas zerbricht, brüchig ist, wo Gegensätze aufeinanderprallen, auch heute Abend,
wo die Finsternis erdrückt und doch das Licht aufflackert, wie bei „Gemeinsam statt einsam heute“ drüben im Gemeindehaus,
wo Leiden, Gewalt und der Tod an der Tagesordnung ist und doch auch wieder neues Leben erwacht und Friedenslichter entzündet werden.
Der, an dessen Geburt wir heute erinnern, die wir in der Weitergabe der Liebe untereinander feiern,
14Der – so schreibt der Briefautor –
hat sein Leben für uns gegeben.
So hat er uns von allem erlöst,
was aus der Gesetzlosigkeit entsteht.
Für uns gegeben, das heißt: Er hat sich hingegeben,
um Missstände, Not, Elend, Lieblosigkeit und Gewalt zu überwinden.
Das ist „ein wesentliches Charakteristikum unserer christlichen Glaubens“(Bedford-Strohm)
Das mag nicht jeder verstehen, nicht verstehen oder nachvollziehen können.
Aber der Weg, den Jesus ging, eben bis zu letzten Konsequenz, der eröffnet uns Christenmenschen - in aller Freiheit - die Chance selbst „Triebkraft für Veränderung“ (Bedford-Strohm) zu sein oder zu werden, Hass, Rassismus und Krieg entgegenzutreten und die unerträglich zunehmenden deutschen Waffenexporte anzumahnen und die weiter zunehmen Spaltung zwischen Arm und Reich nicht hinzunehmen.
Gott kommt uns entgegen,
auf der Herbergssuche,
im Stall,
in Gestalt der Hirten,
im Ruf des Engels,
und bringt Gegensätze und Lebenswelten zusammen.
Und so wollte er sich – wie der Briefscheiber formuliert
- ein reines Volk erschaffen,
das ihm gehört – ein Volk,
das nur darauf aus ist,
Gutes zu tun.
„Wir können das Kind
in der Krippe nicht fassen.
Wir können die Botschaft nur
wahr sein lassen“. (Goes)
Uns ist die Gnade Gottes erschienen.
Amen
Literatur:
http://www.zeit.de/2015/34/navid-kermani-christentum-kunst-unglaeubiges-staunen
http://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/819312/
Heinrich Bedford-Strohm, Verantwortung aus christlicher Gesinnung, FAZ vom 7. Dezember 2015.
http://www.faz.net/aktuell/politik/die-gegenwart/gesellschaft-die-kraft-der-religion-13534053.html
Art.:„Nicht ohne meinen Mann“, SZ vom 16.Dezember 2015
Fulbert Steffensky, Das Haus, das die Träume verwaltet, 1998
Fulbert Steffensky, Wo der Glaube wohnen kann, 1989
Albrecht Goes, Wir suchen dich, in: Ein seltsamer Freudenmonat, (Hg. Fulbert Steffensky, 2011)