Die Apostelgeschichte des Lukas 16, 5-15
Der Ruf nach Makedonien
Und Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: Ein Mann aus Makedonien stand da und bat ihn: Komm herüber nach Makedonien und hilf uns! Als er aber die Erscheinung gesehen hatte, da suchten wir sogleich nach Makedonien zu reisen, gewiss, dass uns Gott dahin berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen. Da fuhren wir von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothrake, am nächsten Tag nach Neapolis und von da nach Philippi, das ist eine Stadt des ersten Bezirks von Makedonien, eine römische Kolonie. Wir blieben aber einige Tage in dieser Stadt. Am Sabbattag gingen wir hinaus vor das Stadttor an den Fluss, wo wir dachten, dass man zu beten pflegte, und wir setzten uns und redeten mit den Frauen, die dort zusammenkamen. Und eine Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, eine Gottesfürchtige, hörte zu; der tat der Herr das Herz auf, sodass sie darauf achthatte, was von Paulus geredet wurde. Als sie aber mit ihrem Hause getauft war, bat sie uns und sprach: Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie nötigte uns.
Liebe Gemeinde,
Gott selber sucht sich den Weg in unser Herz. Das nennt man Mission. Das ist die Mission Gottes.
Aber: wenn es um „Mission“ geht, dann kann man sich ja herrlich streiten.
Für die einen ist die christliche Mission den Kolonialmächten hinterher marschiert und hat mit der Bibel in der erhobenen Hand die zum christlichen Glauben gezwungen, die vorher mit den Waffen der Kolonialisten in die Knie gezwungen worden waren.
Für andere ist Mission wahre Nächstenliebe, die Unterdrückte vor Ungerechtigkeit bewahrt, sich für ihre Rechte gegenüber den Machthabern einsetzt, Armut bekämpft und hilft, Bildung und medizinische Versorgung zu entwickeln.
Für beides finden sich reichlich Beispiele in der Missionsgeschichte. Mancher möchte das Wort Mission schon gar nicht mehr in den Mund nehmen, weil er nur Missverständnisse oder Widerstände befürchtet; eine andere, weil sie Mission nur negativ besetzen können.
Aber reden wir heute einfach einmal über Mission; und zwar so, wie es unser Bibelabschnitt hier in der Apostelgeschichte tut.
Und da musste ich erst einmal einen liebgewonnenen Gedanken beiseiteschieben, der mir gleich zu dem Abschnitt aus Apostelgeschichte 16 in den Kopf kam: hier, bei dem Bericht von der Bekehrung der Lydia in der Stadt Philippi, geht es um den Übergang des Christentums von Asien nach Europa. Das hatte ich irgendwann einmal so gelernt oder gehört und behalten: der Apostel Paulus bringt hier das Christentum von Asien nach Europa. Apostelgeschichte 16 beschreibe den Beginn des christlichen Abendlandes. Hier werde Europa zum ersten Mal „der Stempel des christlichen Abendlandes aufgedrückt“, das las ich dann kürzlich auch noch irgendwo bei der Vorbereitung der Predigt.
Aber das ist eigentlich eine recht seltsame Vorstellung. Gott schickt den Paulus doch nicht nach Europa, damit er dann auf seiner Weltkarte die europäischen Länder als christlich missioniert anmalen kann. Solche Weltkarten, solche Missionsatlanten gaben die Missionsgesellschaften um das Jahr 1900 herum heraus. (Ich habe eine kleine Sammlung davon.) Auf so einem Missionsatlas konnte man wie auf der strategischen Karte eines Feldherrn sehen, wie sich das Christentum siegreich auf allen Kontinenten und in allen Ländern ausbreitete. Und heißt es denn nicht im Missionsbefehl: Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker? (Mt. 28,19)
Gott aber denkt nicht geografisch, sondern menschlich. Ihm geht es nicht um die Völker, sondern um die einzelnen Menschen, denen er sich zuwenden will, ganz persönlich; denen er nahe sein will alle Tage bis an der Welt Ende. (Mt. 28, 20)
Zudem: für den Apostel Paulus war seine Bootsfahrt von Troas nach Neapolis und die kurze Weiterreise von dort nach Philippi, wo er dann die Lydia traf, ja kein Übergang von dem asiatischen Kontinent auf den europäischen, keine Reise von Asien nach Europa. Für Paulus als Staatsbürger des römischen Weltreiches war dies lediglich eine Schiffsreise von der römischen Provinz Mysien in die römische Provinz Mazedonien. Er dachte sich nicht: Oiweiwoi, jetzt hat mich Gott sogar nach Europa geschickt!
Nein Paulus wusste nur: Gott hat mich in diese andere Provinz, hierher in die Stadt Philippi geschickt. In den Versen vor unserem Predigttext erfahren wir, dass er vorher in dem Gebiet Asias, durch das er gereist war (das ist in etwa da, wo heute die westliche Türkei liegt) so gar nichts hatte bewirken können. Da wo er zu missionieren versucht hatte, war ihm kein Erfolg vergönnt. Ja, er merkte: Gott will nicht, dass ich hier bin. Mir ist es hier verwehrt, in seinem Geist zu wirken.
Gott selber sucht sich den Weg in unser Herz. Das nennt man Mission. Das ist die Mission Gottes.
Es fällt auf, wie wenig unser Missionar Paulus hier selber ausrichten kann. Wie wenig er dem Bild entspricht, das viele Menschen von einem Missionar im Kopf haben.
Was tut Paulus denn schon: er schläft und er redet, unterhält sich. Er hat keine besonderen Pläne und Strategien. Er ist offen für das, was Gott ihm vor die Füße legt. Er hält in Philippi keine ausführliche Missionspredigt von einer Kanzel herab oder an einem öffentlichen Platz. Er vertraut, dass Gott ihm seinen Weg zeigen wird; und er spricht zu anderen und mit anderen über Gott. Er hört die Bitte des Menschen aus Makedonien im Traum. Bitte, komm, und hilf uns. Und er leistet dieser Bitte Folge.
Mission, so kann man sagen, hört auf das, was andere sagen. Sie geht nicht einfach los, weil man missionieren will. Um Gottes Willen hört sie, worum andere bitten, was andere brauchen. Und Mission nimmt den anderen wirklich als anderen wahr. Paulus erkennt im Traum, dass er von einem Menschen aus Makedonien angesprochen wird. Woran Paulus das erkennt, wird nicht gesagt. War es die Kleidung oder die Sprache, ein besonderer Dialekt? Paulus hat auf seinen Reisen durch das römische Weltreich sehr viele unterschiedliche Provinzen mit ihren je eigenen Kulturen und Sprachen kennen gelernt.
Mission achtet andere Sprachen und Kulturen. Ihre Aufgabe ist es nicht, die eigene Kultur zu exportieren und anderen überzustülpen. Ihre Aufgabe ist, zuzuhören auf das, was andere sagen, bitten, raten und loszugehen im Namen Gottes; nicht im eigenen Namen.
In Philippi trifft Paulus auf Lydia. Er setzt sich zu ihr und den anderen Frauen. Er begegnet ihnen auf Augenhöhe. Am Fluss vor der Stadt Philippi treffen sich am Sabbat die Frauen zum jüdischen Gebet. Unter diesen jüdischen Frauen ist auch Lydia. Sie ist eine Gottesfürchtige, und das heißt, sie ist keine geborene Jüdin, aber sie möchte zur jüdischen Gemeinde dazu gehören. Sie kennt die jüdische Bibel, unser Altes Testament, und sie vertraut dem Gott, den sie aus der Bibel und den jüdischen Gebeten kennt.
Mit ihr spricht Paulus über Jesus Christus, den Messias, der aus dem Volk Israel herkommt und allen Menschen nahe sein will. Der hilft, der zu Recht bringt, der heilt an Leib und Seele, der vergibt und der den Tod überwand.
Und ganz unspektakulär wird dann berichtet, dass Gott der Purpurhändlerin Lydia das Herz auftut, dass sie glaubt und dass sie sich taufen lässt. Nicht nur sie lässt sich taufen; nein, sie ist wirkich überzeugt von ihrem Entschluss sich auf den Namen Jesu Christi taufen zu lassen. Und sie sagt das ihrer ganzen Familie und allen, die zu ihrem Haushalt gehören: es ist auch gut für euch; es tut euch gut, wenn ihr euch taufen lasst. Und aus diesem Anfang mit Lydia wird eine Gemeinde in Philippi entstehen.
Gott selber sucht sich den Weg in unser Herz. Das nennt man Mission. Das ist die Mission Gottes.
Und wenn man bedenkt, dass diese Lydia eine reiche Purpurhändlerin war und wenn man sich zugleich daran erinnert, dass Jesus einmal sagte, dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als eine Reiche in das Reich Gottes, dann wird das hier noch zusätzlich eine ganz besondere Missionsgeschichte. Diese Lydia war keine arme, an den Rand gedrängte oder unterdrückte Frau. Sie war Asiatin, denn sie stammte aus Tyatira, der Gegend, in der Paulus zuvor nichts hatte bewirken können. Sie war reich, erfolgreich und aus Asien. Und Gott tat ihr das Herz auf.
Was ist Mission? Mission ist hinhören und hingehen. Auf Augenhöhe. Und offen für jede Begegnung.
Gott selber sucht sich den Weg in unser Herz. Das nennt man Mission. Das ist die Mission Gottes.
Amen