Anruf im Büro
Ihr Lieben: Mitten im Arbeitsleben. Eine Angestellte sitzt an ihrem Schreibtisch im offenen Bürobereich eines großen Betriebs. Plötzlich klingelt das Telefon auf ihrem Tisch. Sie erschrickt. Der Ton klingt durchdringend. Er ist nicht zu überhören im sonst eher gedämpften Geräuschpegel des Büros. Sie hebt den Hörer ab und hört die tiefe Stimme ihres Chefs, der sie höflich, förmlich und bestimmt in sein Büro bittet. Sie sagt zu und steht sofort auf. Ihre Schritte klingen leise auf dem weichen Teppichboden, der unter ihren Füßen leicht nachgibt. Sie spürt eine leichte Anspannung in ihrem Körper. Der Geruch von frischem Kaffee, der aus der Büro-Küche herüberweht, beruhigt sie ein wenig, doch ein Knoten im Magen bleibt. Sie fühlt sich nicht wirklich frei. Im Büro empfängt sie das helle Tageslicht, das durch das große Fenster fällt. Die Sonne blendet sie für einen Moment, und sie kann den weitläufigen Betrieb im Hintergrund erkennen. Der Anblick erinnert sie daran, wie viel Verantwortung auf den Schultern ihres Chefs lastet und welche Rolle sie selbst in diesem großen Ganzen spielt. Gedanken schießen ihr durch den Kopf. Hat sie etwas falsch gemacht? Erwartet sie eine neue Herausforderung? Unsicherheit macht sie nervös. Sie riecht den dezenten Duft der Rosen, die in einer Vase auf einem Seitentisch stehen. Sie hört das leise Rascheln von Papieren, während er sich auf das Gespräch einstellt. Sie setzt sich, aufrecht. Sie wird ihre Worte förmlich und mit Bedacht wählen. Sicher spricht sie ihn nicht mit dem Wort „Vater“ oder „Papa“ an. Die Anrede wird förmlich sein. Gespannt wartet sie darauf, dass der Chef ihr eröffnet, warum er sie so bestimmt in sein Büro gerufen hat.
Der Ton macht die Musik
Wir verweilen einen Moment lang im Bild: Welch ein Verhältnis zwischen dem Chef und seiner Angestellten besteht, wird sich an der Sprache deutlich machen. An der Art und Weise, wie andere Menschen mit uns sprechen, kann man schnell erkennen, wes Geistes Kind unser Gegenüber ist. In der Chefetage weht vermutlich am Vormittag im Betrieb ein anderer Geist als am frühen Abend in der Sporthalle schräg gegenüber. Beim Volleyball-Training wird die Angestellte mit Vornamen angesprochen. Man kennt sich. Vertrauen spielt die entscheidende Rolle. Im Eifer des Gefechts wird man sich schon mal ein Schimpfwort an den Kopf werfen. Gerade in einem Spiel gegen eine andere Mannschaft. Da nimmt man sich das nicht krumm, wenn mal scharfe Worte fallen.
Es gibt also einen entscheidenden Unterschied, ob der Chef mit der Angestellten ins förmliche Gespräch geht oder ob zwei Volleyball-Athletinnen freundschaftlich-spontan miteinander Worte wechseln. Nach dem Training sitzt man entspannt zusammen, redet über alles Mögliche, ohne Hemmungen, ohne Angst, einfach freiweg. Im Büro beim Chef ganz anders: Förmlich, die Worte sind eher gesetzt, mit Bedacht gewählt. Zwei Welten, zwei Arten zu reden und zu handeln.
Predigttext
Im Römerbrief werden wir auf eine interessante Weise aufmerksam gemacht, wie wir mit Gott ins Gespräch finden können. Wir lesen:
14 Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. 15 Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen Geist der Kindschaft empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! 16 Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind. 17 Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, da wir ja mit ihm leiden, damit wir auch mit ihm zur Herrlichkeit erhoben werden.
Erklärung des Predigttextes
Paulus spricht hier von einem Unterschied: Den Unterschied zwischen einem formalen Verhältnis und das Gespräch miteinander und einer tiefen, vertrauten Beziehung.
Gespräche im Büro
Denken wir kurz an das erwartete Gespräch zwischen Chef und Angestellter. Distanz, Respekt und möglicherweise Angst und Unfreiheit sind präsent. Die Angestellte überlegt ihre Worte sorgfältig und achtet auf ihr Auftreten, da viel auf dem Spiel steht. Diese Beziehung ist von Erwartungen und Regeln geprägt. Manche Angestellte haben den Eindruck, sich ständig beweisen zu müssen. Sind sie gut genug, um ihren Job zu behalten? Das frustriert!
Gott als Chef?
Manche Menschen haben so ein Bild von Gott – als ob er ein strenger Chef wäre, dem man es ständig recht machen muss, um nicht aufzufallen oder gar bestraft zu werden. Sie leben in einer Art geistlichen Knechtschaft, immer bemüht, Gottes Gunst zu verdienen.
Paulus zeigt auf, dass unsere Beziehung zu Gott nicht so sein muss – sie kann vielmehr wie die Beziehung zu einem guten Freund oder Vater sein: „…ihr habt einen Geist der Kindschaft empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind.“
Vertrautes Gespräch
Während des Treffens mit den Freunden beim Volleyballtraining kann man viel entspannter, lockerer, freier sprechen. Ein vertrauensvolles Umfeld, in dem man offen reden kann und akzeptiert wird, so wie man ist. Solch eine Beziehung basiert auf festem Vertrauen, frei von Unsicherheiten oder Ängsten.
Vertrautes Gespräch mit Gott
Davon spricht der Apostel. Gott bietet sie uns durch den Heiligen Geist an. Wende dich in deinem Gebet mit „Abba“, also „Vater“, an Gott – ähnlich wie unser vertrauliches „Papa“. Es ist ein Ausdruck größter Nähe und Zuneigung. Lebe in dieser Vertrautheit! Mit Gott, sowohl im Alltag als auch am Sonntag! Sprich einfach offen und frei, ungezwungen mit Gott. Dazu macht Paulus Mut.
Knechtschaft der Sünde
Ein Wort im Predigttext stößt auf: „Knechtschaft“. „Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen…“. Paulus nutzt diesen alten Begriff, um etwas zu verdeutlichen. Knechtschaft bringt oft Furcht mit sich – die Angst vor Strafe, vor dem Scheitern und im übertragenen theologischen Sinn auch die Furcht vor Gottes Zorn. Aus eigener Kraft sind wir unfähig, gerecht zu werden. Unsere Taten allein verschaffen uns keine Gnade vor Gott.
Geist der Kindschaft gibt Vertrauen
Doch der zweite Teil des Verses bringt etwas zum Leuchten: … ihr habt einen Geist der Kindschaft empfangen“. Durch Jesus Christus sind wir zu Kindern Gottes geworden. Der Heilige Geist gibt uns das Vertrauen, Gott als „Abba, lieber Vater“ anzurufen. Dieses intime Verhältnis zu Gott ist ein Geschenk Gottes an uns. Diese Freiheit klingt in den weiteren Stichworten aus dem Abschnitt im Römerbrief nach: Wir sind Gottes Kinder! Wir sind Erben – ebenso wie Gottes auserwähltes Volk Erbe der Verheißungen an Abraham, Isaak und Jakob ist. Wir hören gemeinsam auf Gottes Wort und seine Verheißungen. Selbst im Leiden und allen Verunsicherungen des Lebens bleibt Gott uns zugewandt – steht uns zur Seite, manchmal „still und unerkannt“. Und doch da. Wir sind durch Jesus befreit zur Liebe Gottes. Dies ist nicht nur auf den Vater bezogen, sondern wirkt sich auch auf die Kinder Gottes untereinander aus. In ihrem Stand als Freie und Erbberechtigte anerkennen sie sich gegenseitig – als Gottes geliebte Kinder.
Als Kind Gottes in der Welt unterwegs
Paulus schreibt an die Römer. Das war keine klassenlose Gesellschaft. Die Statusunterschiede in der Gemeinde, Freie, Rechtlose, Mächtige und Schwache standen allen vor Augen. Der neue Geist, der in der Gemeinde wirkt, befreit aus der Sklaverei von Ungleichheit, Unrecht und Schwäche. Die wichtigste Wirkung des Geistes ist nach Paulus das „Wir“. Alle dürfen Gott gemeinsam anreden als „Abba“, als Vater! Bis heute nehmen wir diesen Faden auf: Wir beten gemeinsam und gern: „Vater unser im Himmel.“ Ist das nicht eine besondere Gemeinschaftserfahrung jenseits aller sonstigen Unterschiede?
Die Frage, „wes Geistes Kind man ist“, bedeutet, wessen Einfluss und wessen Geist in uns wirkt. Wenn wir in der Freiheit der Kinder Gottes leben, wird das auch unser Verhalten im Alltag prägen. Als Chef, als Angestellte und als Volleyball-Spielerinnen.
Bürogespräch
Und wie ging das eingangs genannte Gespräch zwischen Chef und Angestellte aus? Der Chef räusperte die Stimme: „Einer unserer Großkunden rief mich an und fand Ihr Agieren, Ihre guten Worte und das kleine bisschen Extra-Aufwand erneut beeindruckend. Ich danke Ihnen für Ihren Dienst von ganzem Herzen! Ich möchte Ihnen mitteilen, dass sie eine Gehaltserhöhung bekommen!“ – und dabei überreichte er ihr einen Blumenstrauß.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich denke an eine Angestellte, die zum Chef gerufen wird, und nicht weiß, was sie erwartet. Zugleich ist diese junge Frau eine begeisterte Volleyballspielerin. Ich hoffe damit eine für einige Gottesdienst-Besuchende vertraute oder vergleichbare „Alltagssituation“ einzufangen. An der Art und Weise, wie andere Menschen mit uns sprechen, kann man schnell erkennen, wes Geistes Kind unser Gegenüber ist. In der Chefetage weht vermutlich am Vormittag im Betrieb ein anderer Geist als am frühen Abend in der Sporthalle schräg gegenüber. Im Reden mit Gott ist das Förmliche nicht zwingend. Wir können ungezwungen mit Gott ins Gespräch kommen.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Neue exegetische Erkenntnisse helfen – zum besseren Verstehen des Textes. Man muss nur davon wissen, bzw. ein wenig up-to-date bleiben.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Wes Geistes Kind bin ich? Wie rede ich mit Gott? Wirkt sich die Freiheit der Kinder Gottes auch in meinem Leben durch meinen Sprachgebrauch und Verhalten aus? Diese Gedanken werden mich weiter beschäftigen, im Versuch, möglichst konkret und nah an den Menschen zu bleiben – in meinen Predigten.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Predigtcoaching ist für mich unverzichtbar. Ein neuer Blick auf die Predigt, die Beispiele, die Schlüssigkeit der Gedanken. Dankenswerterweise auch das Benennen von Modalverben – immer wieder eine Predigtfalle, in die ich tapse.