Mit gutem Grund: Die Vielfalt des Christsein und das, worauf es ankommt.
Liebe Gemeinde,
Was macht eigentlich das Christsein aus?
Dass ich Sonntags in den Gottesdienst gehe?
Dass ich mich an die 10 Gebote halte?
Dass ich nicht rauche und trinke und mich immer an die Geschwindigkeitsbegrenzung halte?
Dass ich das, was in der Bibel steht, für wahrhalte?
Dass ich...
Mal ehrlich – diese auf den ersten Blick so einfache Frage ist auf den zweiten Blick gar nicht mehr so einfach, oder? Natürlich, ich kann wahrscheinlich schnell beschreiben, was für mich zum Christsein dazu gehört. Aber das beschreiben, was es wirklich ausmacht? Das fällt mir schon schwerer.
Manchmal blicke ich fast ein klein wenig neidisch auf jene, die meine Frage so mir nichts, Dir nichts, wie aus der Pistole geschossen gewissermaßen, beantworten können. In vielen evangelikalen Kreisen bekomme ich ganz schnell eine Antwort: Christsein heißt, dass Du Dein Leben Jesus überantwortest, der am Kreuz für Deine Sünden gestorben ist. Glaube das, das ist das entscheidende. – Spricht’s – und lässt mich dann aber doch ein wenig ratlos und mit einem mulmigen Gefühl im Bauch zurück, wenn ich sehe, wie wenig in evangelikalen Kreisen – in manchen, wohlgemerkt, nicht in allen! – letztlich dann doch nicht die Gnade Gottes, die ich umsonst empfange, im Mittelpunkt steht, sondern mehr oder weniger abstruse moralische Forderungen oder Vorstellungen oder der plumpe Anspruch, dass die Bibel nicht nur ein Buch zum Verstehen der Welt, sondern auch zu ihrer Erklärung sei und besser als moderne Wissenschaft und Erkenntnis.
Nein, ich möchte doch auch – und gerade! – als Christ, meinen Kopf nicht abschalten müssen. Ich glaube weder, dass die Welt in sieben Tagen, so wie wir sie kennen, geschaffen wurde, noch dass der Hase ein Widerkäuer ist, noch auch, dass Jesus von einer Jungfrau im biologischen Sinne geboren wurde.
Vielleicht werde ich aber überhaupt skeptisch, wenn mir wichtige Fragen im Leben „wie aus der Pistole geschossen“ beantwortet werden. Leider ist ja für manche das Schießen mit scharfen Waffen von dem Schießen mit Worten gar nicht so weit entfernt. Wenn ich den religiösen Fundamentalismus in unserer Welt sehe, den christlichen, den muslimischen, den atheistischen – dann wird mir Angst und Bange, wie dort mit Andersdenkenden, Andersglaubenden, ja überhaupt nur fragenden Menschen umgegangen wird! Dann wird mir Angst und Bange und ich denke mir: Achtung! Die Gefahr ist so groß, dass wir unsere Vorstellung von Gott mit Gott selber verwechseln. Die Gefahr ist so groß, dass wir unsere Art und Weise zu glauben und zu leben mit dem wahren Glauben und dem wahren Leben verwechseln, dass ich zumindest doch sehr vorsichtig werde, wenn mir jemand die grundlegenden Fragen im Laben „wie aus der Pistole geschossen“ und dann meist sehr apodiktisch und rigoros beantworten kann.
Alle zugleich können sie ja ohnehin nicht wahr sein, diese vielen religiösen Lehren, diese vielen Lehren und Lehrmeinungen und Frömmigketsstile und Glaubensinhalte allein schon in unserem christlichen Glauben. Der eine legt besonderen Wert auf ethisch einwandfreiese Verhalten, weil er meint, dass sich darin das wahre Christsein zeige.
Die andere legt besonderen Wert auf die intensive, fast mystische Begegnung mit Gott im stillen Kämmerlein, weil ihr das das Entscheidende am Christsein ist.
Ein dritter wiederum betont die Notwendigkeit politischen Handelns, weil es Jesus doch nicht um reine Innerlichkeit gegangen sei, sondern darum, die Gottesherrschaft sichtbar und wirkmächtig auf die Erde zu bringen.
Eine vierte ... ach, die Reihe ließe sich endlos fortsetzen. Und allein hier in der Kirche sind wahrscheinlich unzählige Antworten auf die Frage versammelt, was denn das Eigentliche am Christein sei, worum es denn in unserem Glauben eigentlich und erstlich und letztlich geht.
Der Lehren und Leben und Lehr- und Lebensmeinungen sind so viele – und ich habe manchmal das Gefühl, dass all die verschiedenen Meinungen keinen anderen Sinn haben als uns von dem Eigentlichen abzulenken – oder aber uns darauf hinzulenken?
Paulus an die Gemeinde in Korinth (keine einfache Gemeinde. Neben vielen, die schwach waren im Glauben und froh waren, wenn sie sich einer der vielen christlichen Parteiungen und Strömungen einfach anhängen konnten gab es jene, die die Weisheit mit Löffeln gefressen und den Sinn der Welt schon vor ihrer Grundlegung verstanden hatten. Neben denen, die sich jetzt schon im Himmel wähnten als gäbe es die Erde nicht, standen jene, die auf der Erde klebten, als sei kein Himmel über ihr; neben den zweifelnden und Fragenden jene, die Fragen schon beantworteten, bevor sie gestellt waren; neben den Fundamentalisten die Skeptiker; neben den Anhängern des Apollos jene des Paulus, ...)
9 (W)ir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld und Gottes Bau. 10Ich nach Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe den Grund gelegt als ein weiser Baumeister; ein anderer baut darauf. Ein jeder aber sehe zu, wie er darauf baut. 11Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.
12Wenn aber jemand auf den Grund baut Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stroh, 13so wird das Werk eines jeden offenbar werden. Der Tag des Gerichts wird's klarmachen; denn mit Feuer wird er sich offenbaren. Und von welcher Art eines jeden Werk ist, wird das Feuer erweisen. 14Wird jemandes Werk bleiben, das er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfangen. 15Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden; er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch.
Ihr, die Ihr Euch in Korinth (oder in Oldenburg oder wo auch immer) darüber streitet, welche christliche Lehre nun die richtige sei, welchem Apostel man folgen soll, wer der beste Pastor oder die beste Pastorin ist, welcher Gemeinde man sich am besten anschließt, weil dort – und nur dort – der Glaube wahr (und das heißt doch dann in aller Regel: So, wie ich es für wahr halte!) gepredigt und gelebt wird -, besinnt Euch auf das Wesentliche! Egal, ob Apollos (offensichtlich einer der „Konkurrenten“ in der christlichen Lehr- und Lebenslandschaft in Korinth) oder Paulus, egal ob in dieser Gemeinde oder in der drei Straßen weiter, egal auch, möchte ich ergänzen, ob lutherisch oder reformiert oder freikirchlich oder katholisch – vergesst in Eurem Suchen und Fragen, vergesst vor allem in Eurem Streiten nicht:
Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.
Gewiss, auf den ersten Blick wirft uns dieser Satz des Paulus auf unsere Ausgangsfrage zurück. Denn zum einen würde wohl niemand, der sich überhaupt Christ nennt, die Wahrheit dieses Satzes bestreitet und zum anderen geht ja offensichtlich der Streit zwischen verschiedenen Lehr- und Lebens- und Glaubensmeinungen innerhalb des christlichen Glaubens genau darum, was es denn mit diesem Grund, der Christus ist, auf sich hat; was denn genau das genau bedeutet – und selbst die Ausführungen des Paulus helfen da nur begrenzt weiter, denn wenn er seinen eigenen Satz ernst nimmt, dann müssen ja auch diese sich eben genau an diesem Satz messen lassen.
Dass der Grund, der gelegt ist, und neben dem es keinen anderen geben kann, Christus ist, ist am ehesten als ein regulativer Satz zu verstehen.
Was meine ich damit?
Nichts anderes, als dass wir im Grunde an alle Sätze, die den christlichen Glauben und das christliche Leben zum Ausdruck zu bringen versuchen, genau die Frage stellen können: Wird hier von Christus als Grund des Glaubens gesprochen? Ja, vielleicht in einem anderen Sinne, als ich selber das tun würde; vielleicht mit anderen Schwerpunkten und Akzenten, als ich sie setzen würde – aber doch klar und erkennbar: Christus als Grund?
Oder wird in der Antwort auf die Frage, worum es im Christsein eigentlich geht, etwas anderes zum Grund gemacht, was doch allenfalls auf diesem Grund gebaut sein kann und über dessen Wertigkeit und Wahrheit, über dessen Dauer und Bedeutung an anderer Stelle von Gott – und nur von Gott! – entschieden wird.
Du legst besonderen Wert auf die Innerlichkeit des Glaubens und die Begegnung mit Gott in der Stille des Gebets? – Tu das, aber setze nicht Deinen Weg zum Maßstab für alle Menschen!
Du betonst die Notwendigkeit des weltgestaltenden Handelns der Christinnen und Christen? Recht hast Du, wenn Du nicht die Maßstäbe, die Du an Dich selber anlegst auch zum Maßstab für die machst, die neben Dir anders glauben und leben.
So, liebe Gemeinde, könnten wir alles, was uns am christlichen Glauben wichtig ist, danach befragen, ob wir es für uns für wichtig und sinnvoll halten oder ob wir Gefahr laufen, Wahrheiten zu behaupten, die auf einmal mir nichts, dir nichts, selber Grund sein wollen, wo doch nur ein Grund ist, der gelegt ist, welcher ist Christus.
Genau das ist ja die Gefahr eines jeden Fundamentalismus, ganz gleich ob er sich mit Waffengewalt und Drohungen gegen die Menschen richtet oder ob er gewaltfrei – und letztlich doch gewaltsam – eigene Lehre und eigenes Leben als absolute Wahrheit nicht nur für mich, sondern auch für alle anderen behauptet.
Wir haben Christus, den Grund unseres Glaubens, nicht anders als durch die Schriften des Neuen und des Alten Testaments und 2000 Jahre Christentum vermittelt; wir haben den Grund unseres Glaubens nie anders als immer wieder neu der Auslegung ins Hier und Jetzt bedürftig. Und dieses Hier und Jetzt ist so zahlreich wie wir Menschen zahlreich sind, die damals und dort und hier und jetzt gelebt haben und leben.
Die Vielfalt dessen, was Christsein – damals in Korinth und heute in Oldenburg oder wo auch immer – ist und sein kann, können wir nicht zugunsten einer einzigen Lehre, die alles erklären würde oder einer einzigen Art und Weise des Glaubens uns Lebens aufheben. Ja ich möchte sogar so weit gehen und sagen: Wenn jemand behauptet, dass er oder sie die einzig wahre Art und Weise des Christseins entdeckt habe, dürfen wir sicher sein, dass hier nicht Christus, sondern menschliche Meinung der Grund des Glaubens und Lebens ist.
Einen anderen Grund aber kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.
Was wir an eigenem Glauben und Leben als einzelne und als Gemeinde auf diesem Grund bauen, das liegt in unserer Verantwortung. Jeder Bau will dabei immer wieder zurückbezogen und fest gegründet sein auf Christus als unser aller Grund. Jeder Bau und jeder Handstreich nur daran bewahre sich davor, selber Grund sein zu wollen. Es mag am Ende sich als Gold oder Silber, als Holz oder Heu erweisen – doch solange wir den Grund nicht aus dem Blick verlieren, dürfen wir getrost sein 1) dass wir Gott die Entscheidung über Angemessenheit, Wert und Würde unseres Baus überlassen dürfen und 2) dass wir in diesem Grund gut aufgehoben sein werden, auch wenn der konkrete Bau unseres Glaubens-Lebens vergeht.
Amen.
Mit gutem Grund: Die Vielfalt des Christsein und das, worauf es ankommt - Predigt zu 1 Korinther 3,9–15 von Sven Evers
3,9-15
Perikope