Mut zum Glauben! - Predigt zu Matthäus 15,21-28 von C. Bogislav Burandt
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Mut zum Glauben! - Predigt zu Matthäus 15,21-28 von C. Bogislav Burandt

Mut zum Glauben!

Rückzugsgebiete, liebe Gemeinde, braucht jeder. Kein Mensch hält es aus, ständig zu arbeiten oder im Rampenlicht zu stehen. Pausen und die Möglichkeit, sich zurück zu ziehen, sind lebensnotwendig, damit Leib, Seele und Geist wieder aufatmen können. Am beliebtesten sind dabei das Meer und die Berge, zumindest wenn wir auf die Urlaubssaison zurückschauen. Die hohen Berge, die an den Himmel rühren, die Küsten, die ans Meer grenzen, sie üben ihren besonderen Reiz aus. Sie bieten „Grenzerfahrungen“, die uns gut tun.

Rückzugsgebiete braucht jeder. Auch Jesus von Nazareth. Wer genau in den Evangelien liest, wird dies beobachtet haben. Einmal steigt Jesus auf einen Berg, ein andermal geht er allein in die Wüste um zu beten, und noch ein anderes Mal bleibt er allein am Ufer des Sees Genezareth zurück. – Im Evangelium, das wir gehört haben, weicht Jesus mit seinen Jüngern in die Gegend von Tyros und Sidon aus: ein Rückzugsgebiet im Vergleich zu Galiläa, wo schon alle auf den Wanderprediger aus Nazareth aufmerksam geworden sind. Von dort her stammen ja auch alle  seine Jünger. In der Gegend von Tyros und Sidon gibt es jüdische Dörfer, aber im Bewusstsein der Israeliten damals ist das Zonen-Randgebiet.

Der Tag ist entspannt und friedlich, aber plötzlich werden Jesus und die Seinen empfindlich gestört. Eine Frau beginnt zu schreien. Geradezu hysterisch. Schon auf den ersten Blick ist sie an ihrer Kleidung als Kanaanäerin zu erkennen und ihre harte Aussprache bestätigt voll und ganz: Das ist keine Jüdin! Die Frau ruft: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.

Durchaus bemerkenswert: Da im Zonenrand-Gebiet gibt es eine Heidin, die sich mit der Gebetssprache der Psalmen auskennt. Gedenke meiner nach deiner Barmherzigkeit, HERR, um deiner Güte willen, heißt es etwa in Psalm 25. So wie es die Frau hier tut, rufen die frommen Juden in ihren Gebeten zu Gott. Und dass diese Frau Jesus als „Sohn Davids“ bezeichnet, ist noch bemerkenswerter! Denn „Sohn Davids“, das ist der verheißene Messias und Erretter Israels. Diese wildfremde Frau traut also Jesus zu, dass er der kommende Erlöser ist! Sie traut ihm damit jene besondere Nähe zu Gott zu, die die meisten Israeliten in Galiläa gerade nicht mit Jesus in Verbindung bringen wollen!

Die Tochter der Frau wird von einem bösen Geist geplagt, von einem Dämon. Auch heutzutage bilden bestimmte Abhängigkeiten oder Suchtverflechtungen Teufelskreise aus... Über die Medizin der Antike sollten wir nicht zu gering denken. Aber die Wortwahl der Kanaanäerin macht deutlich: Normale Ärzte können bei der Tochter nicht weiterhelfen - für Dämonen sind sie nicht zuständig. Die Frau schreit das Leid der Tochter hinaus; Erbarmen mit der Mutter bedeutet Heilung für die Tochter.

Jesus ist im Urlaub; außerdem ist er nicht zuständig, darum schweigt er. Seinen Jüngern wird die Angelegenheit allerdings peinlich. Mit einer schreienden Frau auf den Fersen ist Entspannung unmöglich. Sie bitten Jesus die Frau wegzuschicken. Eine Begegnung mit ihr wird so unausweichlich. Jesus dreht sich also um und gibt eine ablehnende Antwort: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.

Da an der Grenze des jüdischen Landes, da besinnt Jesus sich auf seine Sendung. Das ist die Chance eines Rückzugsgebietes: Klarheit darüber zu gewinnen, was der eigene Auftrag ist und was nicht.

Die Kanaanäerin lässt sich durch diese Grenzziehung nicht abhalten. Sie wirft sich Jesus zu Füßen mit dem Ruf: Herr, hilf mir! Durch ihr Verhalten zeigt die Frau, dass sie die Anrede an Jesus mit „Sohn Davids“ ernst meint. Denn wenn Jesus der verheißene Messias und Erlöser ist, dann gebührt ihm alle Verehrung, die sonst die Herrscher für sich einfordern. Zugleich ist der Hilferuf ein Zeichen für die Verzweiflung, die die Frau umtreibt.

Grenzen sind dazu da, respektiert zu werden. Jesus denkt an die Begebenheit, wie er vor kurzem ganz viele Menschen gesättigt hat, und formuliert dann seine Abfuhr an die Frau: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.
Jesus hat nichts gegen Hunde. Und die Israeliten seiner Zeit haben wie viele Menschen der Antike Haushunde geschätzt. Jesus geht es hier vielmehr um den Unterschied und die Grenze zwischen Kindern und Hunden, zwischen Juden und Heiden. Basta.

Die Kanaanäerin gibt Jesus Recht. Sie respektiert den Unterschied zwischen Kindern und Hunden, zwischen Juden und Heiden. Sie sagt: Ja, Herr, aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.
Ganz genau hat sie aufgepasst die Frau. Bei aller Angst und Verzweiflung im Blick auf die Tochter - ihren Kopf hat sie nicht verloren. Keine Sekunde denkt sie darüber nach, wie nachteilig der Tiervergleich für sie persönlich ausfällt. Wenn die Worte Schaf, Schwein, Esel, Kuh oder Hund als Bezeichnung für Menschen fallen, ist normalerweise das Gespräch zu Ende: Entweder es entsteht eisiges Schweigen oder es fallen stärkere Schimpfwörter als Vorboten für eine Schlägerei. Hier nicht. Die Frau nimmt Jesus ganz ernst und sie nimmt ihn beim Wort: Die Haushunde bekommen nicht das Brot der Kinder, aber doch die Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen. Und darum kann die Frau ihre Bitte aufrecht halten.

Und da gibt Jesus nach: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Das bedeutet dann für die Frau, dass ihre Tochter zur selben Stunde geheilt wird.

Jesus hat eine Grenzerfahrung der besonderen Art gemacht: Erkennt Jesus in dem Willen der Frau den Willen seines Vaters im Himmel im Sinne von „Dein Wille geschehe“? Geht der Heilswille des göttlichen Vaters über das Volk Israel hinaus? Oder will der gnädige Gott eben nicht, dass Mitmenschlichkeit und Erbarmen Urlaub machen?

Eine starke Geschichte, liebe Gemeinde, erzählt uns der Evangelist Matthäus, eine Geschichte, mit der er uns in Bewegung setzen möchte. So beeindruckend das Auftreten der Kanaanäerin ist, sie trägt keinen Namen. Und das hat, so denke ich, seinen guten Grund. Denn wir, liebe Gemeinde, wir sollen uns mit dieser Frau identifizieren; wir sollen uns bemühen ihrem Glauben nachzueifern. Jesu Wort vom großen Glauben der Frau leuchtet uns einladend aus der Geschichte entgegen. Schauen wir deshalb noch einmal genauer hin, was uns die Geschichte über den Glauben erzählt.

Die Kanaanäerin muss zunächst irgendwie von Jesus gehört haben.
Martin Luther meinte „ohne Zweifel ein gutes Gerücht und gutes Geschrei, dass Christus ein frommer Mann wäre, der gerne hülfe. Solches Gerücht von Gott ist ein rechtes Evangelium und Wort der Gnade“.[i] Der Glaube kommt aus dem Hören (Röm 10,17). Zuerst muss jemand etwas von Jesus Christus gehört haben, damit es zum Glauben kommen kann. Und dies Gehörte muss als ermutigend, erhellend und hilfreich empfunden werden, damit es festgehalten wird und nicht vorbeirauscht. Ja, die Kanaanäerin muss sich selber auch noch weiter informiert haben.

Johannes Calvin meinte: Die Frau hatte „doch schon einen gewissen Geschmack von Frömmigkeit aufgesogen. Denn wenn sie die Verheißungen gar nicht gekannt hätte, hätte sie Christus nicht Sohn Davids nennen können.“[ii]

Und schließlich muss die Frau zu der Überzeugung gekommen sein: Ich vertraue auf das Gehörte. Glaube hilft im Ernstfall. Wer glaubt, darf bitten. Und darum geht sie los. Glaube setzt in Bewegung und vertraut auf Jesus Christus als auf den Sohn Davids. Vertrauen auf ihn, als auf die Liebe Gottes in Person lässt sich nicht begrenzen.

Natürlich. Wer glaubt hat mit Widerständen zu tun. Oft genug meinen wir, Gott hört uns nicht, er berücksichtigt nicht, was wir wollen. Die Kanaanäerin lehrt uns da nicht aufzugeben. Auch wenn wir die Welt nicht mehr verstehen, wenn wir nur auf Ablehnung stoßen und uns ohnmächtig fühlen, wir dürfen auf das gehörte Evangelium vertrauen: darauf, dass Gott durch Jesus Christus uns liebt und uns Heil verheißt.

Aber: Wenn wir Gott um etwas bitten, dann kommt es nicht darauf an, dass wir über besondere religiöse Kräfte verfügen oder dass wir groß dastehen oder dass wir gegenüber irgendjemandem Recht bekommen. Nein. In der Bitte können und dürfen wir wie die Kanaanäerin ganz von uns selber absehen und auf Gottes Güte vertrauen, gerade auch wenn alles dagegen zu sprechen scheint.

Eine verstorbene Frau aus der Gemeinde kommt mir in den Sinn. Sehr anschaulich konnte sie erzählen, wie sie - schwanger und als Mutter von drei Kindern - in den schlechten Jahren nach dem Krieg plötzlich Witwe wurde. Sie betete viel, wusste nicht, wie sie ihre Familie ernähren sollte. Aber Menschen halfen ihr, brachten ihr Lebensmittel, auch die damalige Pfarrsekretärin der Lukasgemeinde beteiligte sich.

‚Grundlage unseres Glaubens ist der Zuspruch Gottes. Verlassen können wir uns – gerade auch gegen alle Erfahrung – ausschließlich auf sein Wort, dass er unbedingt zu uns steht und dass er das vollenden will, was er in uns begonnen hat.’[iii]

 


[i] Texte zum Neuen Testament Bd. 3, Auslegungen der Reformatoren, gemeinsam mit Ulrich Asendorf, Samuel Lutz und Wilhelm Neuser hg von Gerhard Friedrich, Göttingen 1984, S.80.

[ii] s.o. S.82/83.

[iii] Du liebst mich also bin ich. Gedanken, Gebete Meditationen. Hans-Joachim Eckstein, 7. Auflage Stuttgart 1994, S.42 erweitert durch den Zusatz „gerade auch gegen alle Erfahrung“.

Hilfen bei der Vorbereitung:

GPM 69, H. 4, 2015, Der Himmel auf Erden und die Rettung eines einzigen Lebens. Die kanaanäische Frau und das Gottvertrauen der Völker, Marlene Crüsemann, S.436-441.

EKK I/2, Das Evangelium nach Matthäus 2. Teilband Mt 8-17, Ulrich Luz, Zürich 1990, S.429-438.