Mutige Menschen gesucht - Predigt zu Jesaja 1,10-17 von Peter Schuchardt,
1,10-17

Mutige Menschen gesucht

Liebe Schwestern und Brüder!

Heute brauchen wir alle Mut. In den letzten Tagen war viel von Mut die Rede. Wir haben an den Mut Martin Luthers erinnert. Er wagt es, das System der Kirche seiner Zeit in Frage zu stellen. Wir haben den Mut der Menschen vor Augen, die in der DDR für Freiheit und Grundrechte demonstriert haben und dadurch die Mauer zum Fallen brachten. Auch davon werden wir heute hören, von dem Mut, offen gegen die Mächtigen anzugehen, ein festes System zu hinterfragen. Doch vor allem geht es heute um den Mut, in uns selbst zu sehen. Ihr meint, dazu braucht es nicht viel Mut? Ich sage: Doch. Denn wir blicken heute ehrlich und wahrhaftig in uns und unser Herz. Heute, am Buß- und Bettag, geht es genau darum: um Ehrlichkeit und Wahrheit. Der Mut des Herzens ist heute gefragt. Es geht nicht darum, wie wir gerne sein wollen. Es geht nicht darum, wie andere uns sehen sollen. Es geht darum, wie wir sind. Wirklich, ehrlich und wahrhaftig. Das klingt so einfach und ist doch mit das schwerste, was wir Menschen tun können.

Und darum kommen wir heute zusammen vor Gott, unserem Herrn, der die Liebe ist. Wir kommen zusammen als Gemeinde, die auf Jesus Christus vertraut. Und es ist so einfach und so wahr: Vor Gott können wir uns nicht verstecken. Gott können wir nicht belügen. Der sieht doch in unser Herz, der weiß doch schon längst, was dort alles ist an Schuld, an eitlen Träumen, an gebrochenen Versprechen, an Hochmut und Versagen. Gott weiß auch: so oft wollen wir ihm etwas vormachen, wollen uns vor ihm im besten Licht und von unserer Schokoladenseite zeigen. So wie wir es so oft vor anderen Menschen tun. Doch heute Abend sind wir zusammen mit anderen, die auf Christus vertrauen, der uns sagt: Ich bin die Wahrheit. Und der uns sagt: Nur die Wahrheit wird euch frei machen. Heute Abend sind wir Menschen, die es wagen wollen, ehrlich und wahrhaftig zu sein. Dazu braucht es den Mut unseres Herzens. So möchten wir heute wieder seiner Liebe vertrauen und uns zeigen, wie wir wirklich sind. Unsere Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit wird unser Herz für seine Liebe öffnen.

Oft machen wir das nicht. Denn oft meinen wir: wir können uns Gottes Liebe erkaufen. Wir möchten sie erkaufen mit unserem Tollsein, mit unseren beeindruckenden Leistungen, mit unserem Einsatz für die Schwachen der Welt, für den Frieden, für Gerechtigkeit. Das sind die Ablassbriefe unserer Zeit. Wir versuchen, uns damit Gottes Gunst zu erkaufen. Gott freut sich sicher, wenn wir seine Gaben nutzen für uns und für andere. Er freut sich, wenn wir uns für Frieden und Gerechtigkeit und den Nächsten einsetzen. Doch beeindrucken werden wir ihn damit niemals. Und lieben wird er uns dafür auch nicht. Gott möchte anderes von uns. Zu allen Zeiten fragt er nach dem Herzen und dem Vertrauen zu ihm, das dort wohnt. Dieses Vertrauen nennt die Bibel Glauben. Martin Luther will uns das mit seinem „allein der Glaube“ vor Augen und eben vor das Herz führen.

Auch der Prophet Jesaja erhebt in seiner Zeit die Stimme, weil die Menschen den Weg der Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit vor Gott verlassen haben. Auch er zeigt den Mut, den später Luther und die Demonstranten in der DDR zeigen. Es ist der Mut, sich gegen gängige Vorstellungen und ein starres System zu wenden. Und so stellt sich Jesaja hin, beim großen Fest in Jerusalem. So viele sind gekommen, um zu feiern, um Gott Opfer darzubringen. Tiere sind von weither hergebracht worden. Die Feuer sind angezündet, das Fett zischt. Das Blut der Opfertiere fließt. Ein vielstimmiges Blöken und Mähen und eine heilige Stimmung liegen in der Luft. Mitten hinein beginnt Jesaja seine Rede (Jes 1, 10-17):

10Höret des HERRN Wort, ihr Herren von Sodom! Nimm zu Ohren die Weisung unsres Gottes, du Volk von Gomorra! 11Was soll mir die Menge eurer Opfer?, spricht der HERR. Ich bin satt der Brandopfer von Widdern und des Fettes von Mastkälbern und habe kein Gefallen am Blut der Stiere, der Lämmer und Böcke. 12Wenn ihr kommt, zu erscheinen vor mir – wer fordert denn von euch, dass ihr meinen Vorhof zertretet? 13Bringt nicht mehr dar so vergebliche Speisopfer! Das Räucherwerk ist mir ein Gräuel! Neumonde und Sabbate, wenn ihr zusammenkommt, Frevel und Festversammlung mag ich nicht! 14Meine Seele ist Feind euren Neumonden und Jahresfesten; sie sind mir eine Last, ich bin's müde, sie zu tragen. 15Und wenn ihr auch eure Hände ausbreitet, verberge ich doch meine Augen vor euch; und wenn ihr auch viel betet, höre ich euch doch nicht; denn eure Hände sind voll Blut. 16Wascht euch, reinigt euch, tut eure bösen Taten aus meinen Augen, lasst ab vom Bösen! 17Lernt Gutes tun, trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten, schafft den Waisen Recht, führt der Witwen Sache!

Das sind harte Worte, liebe Schwestern und Brüder, und es sind mutige Worte. Hart sind sie, weil Jesaja es wagt, die ganze heilige Stimmung in Frage zu stellen. So beginnt er gleich nicht  mit „du Volk von Jerusalem“, sondern „Ihr Herren von Sodom! Du Volk von Gomorra!“ Sodom und Gomorra: Jeder der Anwesenden kennt die Geschichte der beiden Städte. Wegen ihres sündigen Wandelns sind sie von Gott vernichtet wurden. Sogar bis in unsere Zeit sind diese beiden Namen sprichwörtlich geblieben. Das ist hart! Nicht „Ihr Bewohner der strahlenden Hauptstadt“, sondern „Ihr seid nicht besser als die Menschen dieser zerstörten Unheilsstädte!“ Die ganze feierliche Stimmung ist kaputt. Und Jesaja redet weiter: „Alles was ihr hier als Opfer bringt, Speisopfer, Brandopfer, Räucherwerk, das alles ist sinnlos. Es bringt euch nichts.“ Ja, er geht sogar so weit, dass er sagt: „Gott ekelt das Ganze hier an. Er ist müde davon, alles wird ihm lästig.“ Denn das ist es doch nicht, was Gott möchte, von den Menschen in Jerusalem wie auch von uns. Wie einfach denken sich die Menschen, denken wir uns Gott, dass wir ihn uns kaufen könnten! Dieser simple, einfache Gott ist aber doch nur unser ausgedachter Gott.

Der wahre, der lebendige Gott aber fragt nach unserem Herzen. Und so kann er Jesaja sagen lassen: Reinigt euch, tut eure bösen Taten weg, lasst ab vom Bösen! Und dann ändert euch. Lernt Gutes zu tun. Kümmert euch um die Unterdrückten. Sorgt euch um die, die sonst ohne Hilfe sind, wie zu Jesajas Zeiten die Witwen und Waisen. Das zu sagen ist mutig. Denn es stellt nun die Menschen in Frage. Nehmen sie sich das zu Herzen? Wir lesen, wie oft, nichts davon, wie die Menschen darauf reagiert haben. Das müssen wir auch nicht, denn es geht ja um uns. Wenn wir jetzt weiter hören würden: Da regten sich die Leute von Jerusalem aber mächtig auf, oder: Da gingen die Menschen in sich und besserten ihr Leben, dann wäre es eine historische Notiz. Wir würden sagen: Aha, so haben die das damals gemacht. Dabei geht es doch um uns. In der Bibel sind ja, wie Luther sagt, keine Lese-, sondern lauter Lebensworte. Worte, die uns in unserem Leben berühren, ansprechen und verändern können.

Manchmal treffen sie uns hart, wie die Worte des Jesaja. Wir machen aus Gott manchmal den Kuschelgott, der uns nicht wehtun wird. Doch Gott wird uns auch harte Fragen stellen, wenn unser Leben völlig aus dem Ruder läuft, wenn wir vom guten Weg abgekommen sind. So müssen die Menschen im Tempel in Jerusalem diese Fragen aushalten. So stellt Gott uns heute am Buß- und Bettag diese Frage: Was ist verkehrt gelaufen in deinem Leben? Wo bist du von der richtigen Bahn abgekommen? Wo hast du nicht so gelebt,  wie ich es eigentlich von dir möchte? Wo hast du andere verletzt, mit Worten und mit Taten? Wo war dir dein eigenes Wohlergehen so wichtig, dass du andere dabei vergessen hast? Wo hast du nur so getan, als ob du an mich glaubst? Um uns diesen Fragen zu stellen, braucht es unseren Mut. Den Mut unseres Herzens. Und wenn wir unser Herz mutig diesen Fragen öffnen, dann werden wir auch den Trost hören. Denn sogar den Leuten in Jerusalem erzählt Jesaja vom Trost. Der Trost heißt: Das, was verkehrt läuft und schlecht ist, muss doch nicht so bleiben. Du kannst dich ändern. Du kannst dein Leben ändern. Das ist doch die tröstlichste Botschaft für unser Leben. Darum beginnt unser Herr Jesus Christus ja so seine Predigt im Neuen Testament: Kehrt um, denn das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Ein anderes Wort für „Kehrt um!“ ist „Tut Buße!“ Das ist der Sinn des Bußtags heute: Gott nagelt uns nicht auf unsere Fehler fest, sondern öffnet uns mit seinem Wort den Weg in eine neue, andere Zukunft. Er sagt ja nicht: Mit euch will ich nichts mehr zu tun haben, sondern: Kommt, hier ist der Weg, so wird euer Leben anders aussehen. Guck in dein Herz. Sag, was du bereust, was du ändern möchtest. Ich werde dir vergeben und dir einen neuen Anfang schenken. Und dann sieh auf deinen Nächsten, der deine Hilfe braucht. So wird dein Leben gelingen.

Denn das ist es doch, wohin Gott uns mit seinem Wort führen möchte: ins gelingende Leben. Durch alle Schuld, durch alles Versagen, durch alle eitlen Träume und allen Hochmut hindurch. Dazu braucht es unseren Mut, ehrlich und wahrhaftig zu sein. Aber Gott ist doch an unserer Seite. Öffnen wir ihm unser Herz. Lassen wir uns ruhig auch hart befragen, was nicht gut ist. Denn der, der uns fragt, ist doch Gott selbst, der barmherzige, liebevolle Gott. Und dann dürfen wir einen neuen, anderen Weg einschlagen. Wir dürfen darauf vertrauen: Er, unser Herr, geht mit. Wenn er bei uns ist, muss nichts so bleiben, wie es ist. Das hat Martin Luther erlebt und auch die Demonstranten in der DDR. Heute hören wir wieder seine Einladung dazu. Als Menschen, die auf Jesus Christus vertrauen dürfen. Gott sei Dank. Amen

 

Perikope
19.11.2014
1,10-17