(Nach den Anschlägen in Brüssel:) Predigt zu 1. Korinther 15,1-11 von Christoph Dinkel
15,1-11

(Nach den Anschlägen in Brüssel:) Predigt zu 1. Korinther 15,1-11 von Christoph Dinkel

Unser Predigttext heute ist der älteste Osterbericht, den wir überhaupt haben. Er stammt vom Apostel Paulus und dürfte etwa um das Jahr 50 nach Christus zu datieren sein, also knapp 20 Jahre nach den ersten Ostererscheinungen. Die Evangelienberichte sind mindestens 20 Jahre später entstanden. Der Apostel Paulus schreibt:

Ich erinnere euch aber, liebe Geschwister, an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht, durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr's festhaltet in der Gestalt, in der ich es euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr umsonst gläubig geworden wärt.

Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift; und dass er begraben worden ist; und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift; und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen. Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen. Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln.

Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden. Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist. Es sei nun ich oder jene: so predigen wir und so habt ihr geglaubt.

Liebe Gemeinde!

1. Seelenvergiftung

Tödliche Mächte haben Jesus das Leben gekostet. Am Karfreitag mussten die Jüngerinnen und Jünger Jesu miterleben, wie ihre große Hoffnung, ihr Freund und Anführer grausam zu Tode gemartert wurde. So viel Gewalt, so viel Schmerz, so viel sinnloses Leid? Wie soll man da noch weiterleben? Welchen Sinn hat es noch, auf eine Veränderung der Welt zu hoffen? Warum Gutes tun, wenn doch überall Tod und Verderben lauern?

Tödliche Mächte erleben wir rings um uns. Am Dienstag haben in Brüssel islamistische Terroristen zugeschlagen. 34 Menschen haben sie in den Tod gerissen (Stand Dienstagabend), viele sind verletzt und fürs Leben an Leib und Seele verwundet. Viele trauern und wissen nicht, wohin mit ihrem Schmerz. Die Grausamkeit des Terrors wirkt selbst auf uns, die wir hunderte Kilometer entfernt leben, beklemmend. Das Leid der Opfer und ihrer Angehörigen berührt uns.

Eine Welt voller Gewalt, eine Welt voller Tod und Schmerz – diese Erfahrung teilen wir mit den Menschen in Brüssel, in Paris, in den Kriegsgebieten des nahen Ostens, wir teilen sie auch mit den Jüngerinnen und Jüngern Jesu. Wir spüren wie sie die Vergiftung der Seelen, die sich ausbreitende Lähmung, das Gefühl, nichts tun zu können, hilflos ausgeliefert zu sein.

2. Strategien im Umgang mit dem Leid

Wie geht man mit solchen Erfahrungen um? – Die neutestamentlichen Berichte liefern uns dafür zwei Modelle. Das eine Modell liefern die Jünger Jesu: Sie fliehen, als Jesus verhaftet wird. Die Flucht vor schrecklichen Erfahrungen treten auch heute manche an. Man schottet sich ab gegen das Leid anderer Menschen, man meidet die grausamen Nachrichten und zerstreut sich: Es geht mich nichts an, was in Brüssel, Paris, in Homs passiert. Sollen sich doch andere darum kümmern. Hauptsache mein eigenes, kleines Lebensumfeld ist in Ordnung. Das andere Modell liefern die Frauen um Jesus. Sie fliehen nicht. Sie stehen unter Jesu Kreuz, halten dem Leid, dem Schmerz, dem Entsetzen stand. Die Frauen um Jesus werden von den Evangelisten als besonders standfest beschrieben. Es ist bemerkenswert, dass gerade diese Frauen auch zu den ersten Osterzeugen werden.

Die Flucht vor dem Leid kann man niemandem empfehlen. Aber natürlich muss man sich schon überlegen, wie viel Unglücksnachrichten man verkraften kann. Die Massenmedien liefern einem ja Terror, Unfälle und alle Schrecklichkeiten des Lebens Tag und Nacht live auf den Bildschirm. Ein solches Dauerfeuer an grausamen Nachrichten halten nur besonders robuste Naturen aus. So mancher und manche wird sich nur dosiert den schlechten Nachrichten aussetzen, um nicht von einem Übermaß an Leid überwältigt zu werden. Dazu muss man sich klarmachen, dass noch vor wenigen hundert Jahren die meisten Menschen in ihrem Leben nur zwei- oder dreihundert anderen Menschen begegnet sind. Man lebte im Dorf und aus dem Dorf kam man normalerweise auch nicht heraus. Die meisten Menschen erreichten nur ganz wenige Nachrichten von außerhalb. So musste man nur das Glück und Unglück weniger anderer teilen. Heute nehmen wir an Glück und Unglück einer fast unbegrenzten Menge an Menschen Anteil. Dass das manchen überlastet, liegt auf der Hand. Man darf daher schon dosieren, was man sich zumuten kann und was nicht.

Man muss sich also nicht jedes Leid der Welt zu eigen machen. Und außerdem schwankt das Maß an Leid, das Menschen verkraften können, von Person zu Person stark. Daher darf und man muss wohl auch dosieren, was die eigene Seele bewältigt und was nicht. Aber vor dem Leid insgesamt zu fliehen, ist in jedem Fall keine christliche Möglichkeit. Der Nächste geht uns immer an – und wenn er leidet, dann geht uns auch das an. Im Mittelpunkt unseres Glaubens steht Nächste, exemplarisch erkennbar im Gekreuzigtem, dem leidenden Menschen schlechthin. In seinem Angesicht begegnet uns Gott, denn der christliche Gott identifiziert sich mit dem Leidenden. Er will in der Niedrigkeit erkannt werden. Dem Leid auszuweichen würde bedeuten Gott auszuweichen.

3. Es braucht Zeit, bis es Ostern wird

Wer sich dem Nächsten zuwendet und dessen Leid standhält, der wird Gott erkennen. Das gehört zu den Grundüberzeugungen des christlichen Glaubens. Die Frauen um Jesus haben das verstanden. Am Ostermorgen machen sie sich auf, um nach den Sitten der Zeit den Leichnam zu salben, ein letzter Dienst der Liebe. Dass sie den Leichnam nicht finden, erfüllt sie mit Schrecken. Zittern und Entsetzen packt sie, so berichtet der Evangelist Markus in seinem Osterbericht, dem nach Paulus zweitältesten Osterbricht, den wir kennen. Die Frauen sagen den anderen erst einmal nichts von der Begegnung mit dem Engel am Grab. Sie trauen der Botschaft von der Auferstehung nicht. Und das ist dann auch ein Grundzug aller Osterberichte: Ostern hat es schwer sich durchzusetzen. Unablässig wird davon erzählt, dass die Jünger zweifeln, unsicher sind, sich nicht nach draußen trauen und in ihrer Trauer festgehalten werden. Besonders krass ist die Erzählung von den Emmausjüngern. Ihnen begegnet der Auferstandene, sie erzählen ihm, was vorgefallen ist und erkennen ihn nicht. Ihre Augen werden gehalten, so beschreibt das Lukas. Der Auferstandene selbst muss die Emmausjünger trösten und ihnen erklären, was es mit Karfreitag und Ostern auf sich hat. Und auch das hilft nur ein wenig weiter. Immerhin lassen die beiden Jünger den Auferstandenen nicht weiterziehen. Sie laden ihn zum Essen ein, üben also Gastfreundschaft und erfüllen so das Gebot Christi. Erst in dem Augenblick, da der Auferstanden ihnen das Brot bricht, erkennen sie ihn. Die Geste des geteilten Brotes dringt durch die Mauer der Traurigkeit hindurch und sie erkennen, dass der Auferstandene die ganze Zeit bei ihnen war.

Es braucht Zeit, bis es Ostern wird. Die Schatten des Todes lassen sich nicht schnell vertreiben. Vierzig Tage dauern der Überlieferung nach die Ostererscheinungen an. So lange braucht es, bis sich die Erkenntnis durchsetzt, dass der Gekreuzigte den Tod überwunden hat, dass er lebendig ist und unter den Menschen wirkt – wenn auch anders und geheimnisvoller als vor seiner Hinrichtung. Die Jüngerinnen und Jünger Jesu erleben die Macht seiner Gegenwart in ihrer Gemeinschaft, sie erleben sie im Brotbrechen, in der Hinwendung zum Nächsten, im gemeinsamen Feiern, Singen und Bekennen. Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden – mit diesen Worten geben sie weiter, was sie erlebt haben. Noch in diesen Worten merkt man das ungläubige Staunen darüber, dass mit Jesu Tod doch nicht alles aus ist.

4. Paulus, die Spätgeburt

Es braucht Zeit, bis es Ostern wird. Noch viel länger braucht der Apostel Paulus bis es auch für ihn Ostern wird. Er selbst zählt sich zu den authentischen Osterzeugen und reiht sich ein in die Reihe derer, denen Christus als Lebendiger erschienen ist: Er wurde gesehen „von Kephas [das ist Petrus], danach von den Zwölfen. Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen. Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln. Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden“.

Paulus hat Jesus nicht persönlich gekannt. Er war ein Feind der ersten Christen und suchte sie zu verfolgen. Dass gerade er einer Ostererscheinung gewürdigt wurde, nimmt Paulus noch fünfzehn Jahre später als großes Wunder und als besondere Gnade wahr. Ostern ist auch für ihn bleibend etwas Unwahrscheinliches, Überraschendes, nicht fest Einzukalkulierendes. Und auch für die Korinther, denen er seinen Brief schreibt, scheint Ostern immer wieder verloren zu gehen. Die Macht des Bösen, die viel zu vielen schlechten Nachrichten, zerstörerische Erlebnisse und immer wieder der Tod nagen beständig an der Hoffnung der Menschen. Ostern bleibt gefährdet, man muss es sich immer wieder neu aneignen. Immer wieder muss man sich gegenseitig an die Botschaft erinnern, dass der Tod seine Macht verloren hat, dass das Leben siegt und die bösen Mächte zum Untergang verdammt sind.

5. Die Macht des Lebens

Ostern feiern wir nicht, weil wir jederzeit sicher sind, dass unser Leben gelingt und alles immer gut geht. Ostern feiern wir vielmehr deshalb, weil unsere Hoffnung gefährdet und unser Glauben an das Gute und die Macht der Liebe brüchig sind. Wir lassen uns leicht erschüttern und in der vergangenen Woche hat die Macht des Terrors uns wieder aufs Neue unsicher gemacht. Diese Erschütterung teilen wir mit den Frauen und Männern um Jesus. Sein Tod am Kreuz traf sie mit fundamentaler Macht. Sein Leiden zerstörte ihren Glauben. Der Zweifel am Sinn des Lebens und an der Güte von Gottes Schöpfung brub sich tief in ihre Seelen. Doch dann kam unerwartet, kam von außen, kam gegen alle Wahrscheinlichkeit vom Himmel das Zeichen: Der Gekreuzigte blieb nicht im Tode. Gott hat zu ihm gehalten. Jesus ging nicht verloren. Er ist ein Teil von Gottes Leben geworden. Gottes Macht reicht weiter als die Macht des Todes. Gottes Licht ist stärker als die Finsternis. Gottes Kraft erneuert die Welt und überwindet das Böse.

Wir heutigen müssen nicht glaubensvoller sein als die Jüngerinnen und Jünger Jesu damals. Auch wir in unserer Erschütterung brauchen das Signal von außen, die helfende Hand, das tröstende Wort, die Kraft der Auferstehung, um neu Vertrauen ins Leben zu gewinnen. An Ostern rufen und singen wir es uns gegenseitig zu: Der Herr ist auferstanden! – Damit unsere Seele sich daran festhalten kann und wir begreifen, was wir uns selbst nicht sagen können: Die Macht des Lebens siegt. Sie überwindet das Böse. Sie schafft Frieden und heilt Wunden. Gott erneuert die Welt. – Amen.