Nach Hause kommen - Predigt zu 2. Samuel 7,4–6.12–14a von Kathrin Oxen
7,4–6.12–14a

Weihnachten heißt nach Hause kommen. Trotz widriger Witterungsverhältnisse, Schritttempo auf den Autobahnen und erheblicher Zugverspätungen, allen Warnungen und dem Gebot zum Trotz, man möge doch am besten zuhause bleiben, haben sich auch in diesem Jahr wieder viele Menschen zu Weihnachten auf den Weg in ihre Heimatstadt gemacht, auch nach Wittenberg. Nicht, um sich in Steuerlisten eintragen zu lassen, sondern um sich wiederzusehen, zurückzukehren zur Familie, nach Hause zu kommen.

In den Tagen um Weihnachten hat unsere Stadt ein anderes Gesicht als sonst. Viel mehr junge Menschen, viel mehr Familien mit Kindern werden in den kommenden Tagen als Weihnachtsspaziergänger unterwegs sein. Man bekommt ein Gefühl dafür, wie es wäre, wenn nicht so viele, die aus Wittenberg kommen, ihre Arbeit und ihr Auskommen woanders gefunden hätten, sondern noch hier leben würden. Unsere Stadt hätte ein anderes Gesicht, das Leben hier würde sich anders anfühlen. Wir spüren etwas von dem, was aus wissenschaftlicher Sicht relativ kühl als Folge des „demografischen Wandels“ bezeichnet wird. Uns lässt das nicht kalt.

Weihnachten heißt nach Hause kommen, zurückkehren, ein Zuhause haben, einen Ort, an dem man nicht erst mühsam heimisch werden muss, sondern es immer schon ist. Die Schattenseiten, die diese Rückkehr hätte, wenn sie von Dauer wäre, spielen in diesen Tagen keine Rolle. Die Enge der Kleinstadt, die Enge im Wohnzimmer bei den Eltern, die Reibung durch das engere Miteinander in der Familie, die nicht nur Wärme erzeugt, sondern manchmal auch zu kleineren und größeren Explosionen führen kann, können ausgeblendet bleiben. Nach Hause kommen, ein Zuhause haben, Eine Sehnsucht, nicht nur zu Weihnachten.

In jener Nacht aber erging das Wort des HERRN an Natan: Geh, und sage zu meinem Diener, zu David: So spricht der HERR: Du willst mir ein Haus bauen, damit ich darin wohne? Ich habe nicht in einem Haus gewohnt seit dem Tag, an dem ich die Israeliten aus Ägypten heraufgeführt habe, bis auf den heutigen Tag, ich bin umhergezogen in einem Zelt als Wohnung. (2.Sam 7,4-6)

Nach Hause kommen, eine Zuhause haben. Eine Sehnsucht, die zu uns Menschen gehört. Eine Sehnsucht, die auch Gott haben muss. So denkt König David sich das, als er mit dem Propheten Natan spricht.

Er selbst hat es endlich geschafft, nach Jahren der Ruhelosigkeit und des Umherziehens. Immer auf der Flucht vor seinen Feinden. Jetzt ist er sesshaft geworden und wohnt in einem festen Haus, während die Bundeslade, das Symbol der Gegenwart Gottes bei seinem Volk, immer noch in einem Zelt untergebracht ist. Ein Provisorium, so mag das David vorgekommen sein. Gut, solange das Volk Gottes in der Wüste unterwegs gewesen ist.

Aber nun wird es Zeit. Auch Gott will doch irgendwann einmal ankommen, ein Zuhause haben und einen festen Wohnsitz. Aber meine Sehnsucht, die ist nicht zwangsläufig auch die Sehnsucht eines anderen. Gott sehnt sich offenbar nicht nach einem eigenen Haus, das lässt er David durch den Propheten Natan ziemlich unmissverständlich ausrichten.
Was einer aufgibt, der sich ein Haus baut, wissen wir aus eigener, menschlicher Erfahrung. Die Sicherheit, Verlässlichkeit und Geborgenheit, die ein eigenes Haus bietet, haben ihren Preis. Es wird schwerer, sich noch zu verändern, aufzubrechen und neue Wege zu gehen. Man bindet sich, nicht nur durch den Kredit bei der Bank, sondern auch an den einen Ort, an das eine Leben.

Nach Hause kommen, das ist keine Sehnsucht für Gott. Er lässt sich nicht binden, so gut es David auch mit ihm meint. Wie häufig bei sehr gut gemeinten Vorschlägen, steckt auch in dem Vorschlag Davids ein bisschen Eigennutz. Es geht um Sicherheit, Verlässlichkeit, Geborgenheit, auch für David. Wer Gott ein Haus baut, wer so investiert, zeigt seine Dankbarkeit und hofft gleichzeitig auch wieder auf Dankbarkeit. Ein Haus zu bauen und so ein kleines Guthaben bei Gott einzurichten, das wünscht sich David vielleicht für sein Leben, das wahrhaftig nicht nur gottgefällig gewesen ist und es auch in Zukunft nicht sein wird. Aber mit Gott geht das nicht.

Wenn sich deine Tage vollenden und du dich zu deinen Vorfahren legst, werde ich nach dir deinen Nachkommen, der von dir abstammt, auftreten lassen, und ich werde sein Königtum befestigen. Er wird meinem Namen ein Haus bauen, und für alle Zeiten werde ich den Thron seines Königtums fest stehen lassen. Ich werde ihm Vater sein, und er wird mir Sohn sein. (2.Sam 7,12-14a)

Nach Hause kommen, ein Zuhause haben. Wenn es einen gibt, der diese Sehnsucht erfüllen kann, dann ist es Gott selbst. Es wird ganz anders sein, als du es dir vorstellst, lässt er David ausrichten. Was ich baue, unterscheidet sich sehr von dem, was du da konstruierst.

Wie zerbrechlich alles ist, auf das wir bauen, wissen wir selbst am besten. Gerade zu Weihnachten werden wir an empfindlichen Stellen berührt.
Nicht nach Hause kommen können, nicht wegen der Witterungsverhältnisse, sondern weil das Zuhause, nach dem ich Sehnsucht habe, nicht mehr da ist. Weil die Menschen, die es mit Leben gefüllt haben, nicht mehr da sind. Oder kein Zuhause haben, weil da nie eines gewesen ist in meinem Leben.

Um Häuser aus Steinen geht es beim Nachhausekommen nicht zuerst. Das Zuhause, das sind Menschen. Die Menschen, die vor mir da waren, wie meine Eltern und Großeltern. Menschen, die nach mir da sein werden, wie meine Kinder und Enkelkinder. Und Menschen, die jetzt für mich da sind, bei denen ich mich wohl und zuhause fühle.

Gott baut keine Häuser, sondern bindet sich an Menschen. Dass es dann später auch einen Tempel gegeben hat, den Davids Sohn Salomo gebaut hat, können wir zur Kenntnis nehmen – müssen dann aber gleichzeitig auch zur Kenntnis nehmen, dass auch dieser Tempel wieder zerstört worden ist.

Gott wohnt nicht in Häusern. Deswegen kann die Beziehung zu ihm nicht zerstört werden, wie ein Haus, das erst leer steht und dann irgendwann verfällt. Gott hat sich gebunden an Menschen, an die, die vor uns da waren. Er bindet sich an uns und wird sich auch an die binden, die nach uns da sein werden. Eine Beziehung, die immer weiter geht, die mit David nicht zuende war und mit Salomo nicht und nicht mit ihren Nachkommen. Jesus von Nazareth, aus dem Haus und Geschlecht Davids, hat uns, die wir nicht von Geburt zu Gottes Volk gehören, in diese Beziehung mit hineingenommen. Wir sind eingeladen und willkommen geheißen in einem  Haus, das wir nicht selbst gebaut haben.

Nach Hause kommen, ein Zuhause haben.
Gott sucht sich sein Zuhause unter uns anders, als wir uns das vorstellen. Nicht auf der Suche nach Sicherheit, Geborgenheit und Zuverlässigkeit, nicht festgelegt.
Ein Gott, der mitgeht, bei uns ist, für den keine Vorbereitungen zu treffen sind und der nichts voraussetzt. Wie Gott zur Welt kommt, zeigt sich noch einmal deutlich in dem Kind in der Krippe, dem Bündelchen Mensch, zur Welt gekommen am Rande der Nacht, am Rand der Stadt, am Rand der damals bekannten Welt. Es gibt keinen schlechteren Ort, an dem Gott zur Welt kommen könnte und es gibt keinen anderen Ort dafür.

Nach Hause kommen, ein Zuhause haben. Die tiefe Sehnsucht danach berührt uns und alle in dieser Nacht. Sie berührt die, die jetzt endlich einmal wieder zuhause sind – und mehr noch die, die es nicht sind.

Ich denke an  die Flüchtlinge, die hier bei uns angekommen sind und versuchen, hier eine Heimat zu finden. An die Kranken in unserem Krankenhaus, an die Alten in den Pflegeheimen, an die Kinder im Heim, alle in Häusern und doch nicht zuhause.

Für sie und auch für mich selbst möchte ich bauen auf die Hoffnung, dass es so ist, wie Gott es David ausrichten lässt. Und dass Gott nicht aufhört, es ausrichten zu lassen unter uns. Ich möchte die Stimme hören in dieser Nacht, die sagt:

Siehe, die Wohnung Gottes bei den Menschen! Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und Gott selbst wird mit ihnen sein, ihr Gott. Und abwischen wird er jede Träne von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, und kein Leid, kein Geschrei und keine Mühsal wird mehr sein. (Off 21,3f)

Gott kommt zu uns. Wir kommen nach Hause. Heute nacht.
Amen.

Perikope
24.12.2016
7,4–6.12–14a