Liebe Gemeinde, was für ein Jahr!
2015 liegt fast hinter uns. Und ich vermute, nicht wenige sagen: Gott sei Dank! Geschafft. Freilich,
-- es ist schon eine harte Nuss, dieses Leben.
Der eine hatte geplant, im August eine Tour durch Australien zu machen doch er verbringt den Sommer in der Klinik. Eine andere plante ihren schönsten Tag im Leben. Hochzeit in weiß. - Aber dann zerbrach mitten - in den Vorbereitungen die Beziehung... Da plante eine Familie in Aleppo, Weihnachten wieder gemeinsam zu feiern und nun finden sie sich vor zwei Monaten in einer Turnhalle in Passau wieder – der Bruder wird noch vermisst...
Was alles passieren kann, liebe Gemeinde, das können wir nicht absehen. Es ergibt sich... Manche sagen auch: Es ist Bestimmung. Oder Schicksal.
Vielleicht ist es deswegen nicht mehr üblich, die Zeit zu bestimmen, wie unsere Vorfahren es taten. Sie hätten zum heutigen Tag gesagt: „27. Tag des Monats Dezember im 2015ten Anno Domini Christi“. Also: 2015 im Jahre des Herrn. A und D – Anno Domini. Das sind nicht nur zwei geheimnisvolle Buchstaben- - die sagen: Du, die Zeit vergeht nicht einfach. Sie wird gehalten. So sind diese beiden Buchstaben streng genommen ein christliches Glaubensbekenntnis.
Wie bestimmen Sie Ihre Zeit? Schreiben Sie: „im elften Regierungsjahr der Kanzlerin Merkel“…oder verabreden sich „im dritten Jahr nach meiner Hüft-OP“? Wohl kaum. Wir Christen − und viele andere mit uns − zählen unsere Jahre nach Christi Geburt, selbst wenn wir kein A.D. mehr in den Briefkopf setzen.
Warum, liebe Gemeinde? Mit Christi Geburt gab Gott uns ein Versprechen. Joseph erfuhr davon als erster: Ein Engel erschien ihm im Traum und sagte: Du, Josef, nenn das Christkind, das deine Braut Maria zur Welt bringt, Im-Manu-EL. Das ist Hebräisch und heißt: Gott mit uns. Joseph, dieses Kind heißt: Gott ist bei euch. - Es ist die Antwort auf all eure Sehnsucht. -
Und vielleicht erinnern Sie sich daran, wie Sie merkten, dass dieses „Immanuel“ auch Ihnen gilt? - Dieser einmalige Augenblick, in dem Sie gespürt, gehört, begriffen haben, dass alle Zeichen auf Leben stehen, und Zukunft und Heil und Himmel?
War es damals, als Sie zum ersten Mal Ihr Kind in Händen hielten? … Oder als der Arzt mit der guten Diagnose kam? …. Als die Mauer aus Schweigen fiel und Sie wieder erste warme Worte wechselten?
Wann wussten Sie, dass Sie von Gott gemeint sind? Gesehen, geliebt und gehalten.
Wann haben Sie es gespürt – vielleicht mit feuchten Augen. - Als tiefe, ehrliche Gewissheit. Ganz still und leise...
Leise, ganz leise ist Großes geschehn. Damals vor mehr als 2000 Jahren. Doch wenn dieses Jahr 2015 wie alle anderen zuvor ein Jahr des Herrn war – wieso ist in diesem Jahr wieder so viel Unglück über die Welt gekommen?
Die Tragödien auf dem Mittelmeer, die Terroranschläge. Ungezählte Familien auf der Flucht. Dieses große und beklemmende Durcheinander weltweit und Ja – dann auch die zahllosen privaten Desaster. Die Krebsdiagose. Die Scheidung. Der Bankrott.
Ist Im-Manu-EL- Gott wirklich bei uns? Gab da wirklich Jemand Acht 2015? Wird da wirklich jemand Acht geben 2016? Es sind gerade die Gottvertrauenden, denen hier heiß und kalt werden müsste: Anno Domini… Man ist bei manchen Ereignissen im Lauf eines Jahres schon schwer in der Versuchung zu sagen: löscht das „Anno Domini“ lieber.
Aber was wäre die Alternative? Sollen wir uns dem Schicksal ergeben? Sterne lesen und alles hinnehmen, wie es kommt? Mit einem traurigen oder grantigen Achselzucken abwinken und denen glauben, die sagen, dass eh alles „den Bach runter“ geht?
Ich möchte lieber der Weihnachtsgeschichte trauen. Die habe ich dieses Jahr nochmal anders gedeutet bekommen. Mit Humor. Da schrieb mir ein Freund folgende email:
Wenn du deine frühe Kindheit in den siebziger Jahren verbracht hast, dann bist du ein wandelndes Immanuelszeichen. Dann hast du nämlich Dinge überlebt, von denen man heute annimmt, dass sie unausweichlich zum sofortigen Tod führen.
Du wurdest als Kind in Wohnungen, Gaststätten und anderen Orten gehalten, wo sich Menschen aufhielten, die Kette rauchten bis die Sprinkleranlage einsetzte.
Oder du radeltest mit deinem mit Stützrädern bewährten Fahrrad die Straßen runter ohne Helm, manchmal mit versagenden Bremsen, und hast draus gelernt, wenn´s dich zum x-Mal in die Büsche gehauen hat. Du hast überlebt.
Ich könnte noch weiter machen, liebe Gemeinde. Aber die Mail zu meinem Vierzigsten endete mit den Worten: Wenn Du meinst, das wäre alles purer Zufall gewesen, dann vergiss das Immanuel – vergiss Weihnachten, vergiss den Gott-mit-uns.
Lesung des Predigttextes
Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in alle Ewigkeit! Lasst euch nicht durch alle möglichen fremden Lehren verführen. Gottes Gnade wird euch berühren, auf dass das Herz fest werde. (…) Denn auf der Erde gibt es keine Stadt, in der wir bleiben können. Wir sind unterwegs zu der Stadt, die kommen wird.
Pfarrer Dr. Norbert Roth:
Dass das Herz fest werde. Genau, das ist Weihnachten: Es wir nie so sein, dass wir Gottes Gedanken verstehen lernen. Es wird nie so sein, dass wir die Welt in eine heile und durch und durch heilige Stadt verwandeln. Wie oft bleibt das für uns dunkel, rätselhaft und nicht selten erscheint das Leben, erscheint sogar Gott hart wie das Schicksal, dem niemand zu entkommen scheint.
Schauen Sie noch einmal auf das Bild hier. Als man das Jahr des Herrn 1955 zählte, haben Menschen sich ihre Zukunft vor die Augen malen lassen. Das Neue Jerusalem. Die Stadt des Friedens. Noch ist es nicht erreicht – aber für den Weg dorthin haben wir seine Zusage. Gott sagt uns in Christus: „Ich bin bei euch. Ich bleibe bei euch.“ Auch im Jahre des Herrn 2016. Amen.