Nine eleven und die drei guten Geister Gottes – Predigt zu 2. Timotheus 1,7-10 von Jürgen Kaiser
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Nine eleven und die drei guten Geister Gottes – Predigt zu 2. Timotheus 1,7-10 von Jürgen Kaiser

Ein Flugzeug fliegt in das Hochhaus. Ein Feuerball, schwarzer Rauch. Ein anderes Flugzeug fliegt in das andere Hochhaus. Ein Feuerball, schwarzer Rauch. Das eine Hochhaus sackt in sich zusammen, das andere Hochhaus sackt in sich zusammen. Wie Schnee legt sich der Staub auf die Straßen Manhattans, doch weniger unschuldig. An den Bildschirmen hält die Welt den Atem an.
An diesem Tag, liebe Gemeinde, begann der Krieg. Ein Krieg mit einer neuen Kriegsführung: Es gibt keine Kriegserklärung und es gibt keine Soldaten. Menschen selbst werden zu Waffen. Sie töten viele andere mit Flugzeugen, mit Lastern, mit Sprengstoff oder noch klassisch mit der Kalaschnikow. Damit das Töten die größten Effekte erzielt, setzen sie sich selbst ein. Menschen töten andere, indem sie sich selbst töten.
Ich spreche von Menschen. Darf man die, die das tun, noch so nennen?

Als die weiße Wand des World Trade Centers vor den Cockpitscheiben von American Airline 11 zum Greifen nahe war, rief Mohammed Atta mit rasendem Herzen, die Finger um den Steuerknüppel verkrampft: „Allahu akbar.“ Als der weiße Laster in Nizza am 14. Juli Fahrt in Richtung Menschenmenge aufnahm – „Allons enfants de la Patrie!“ –vernahm man aus dem Führerhaus: „Allahu akbar.“ Bevor sie sich in die Luft sprengen oder Flugzeuge in Häuser steuern oder Lastwagen in Menschenmengen oder mit den Kalaschnikow zielen, rufen sie: „Allahu akbar“.
Die Reisetasche von Mohammed Atta war nicht im Flugzeug, mit dem er in den Nordturm flog. In ihr fand man einen vierseitigen handgeschriebenen Text auf Arabisch. Fragmente des gleichen Textes fand man in der Maschine, die in Pennsylvania abstürzte. Man nennt den Text: „Geistliche Anleitung.“ Der Text fordert zu innerer Ruhe, Gehorsam und Furchtlosigkeit beim Töten auf, empfiehlt mentale Ablenkung durch intensives Rezitieren religiöser Formeln sowie das Ausrufen der Formel „Allahu akbar“ zur Einschüchterung der Ungläubigen (Wikipedia, Art. „Geistliche Anleitung“)
In diesem Krieg ist der Ruf „Allahu akbar“ ein Schlachtruf geworden, ein Schreckensschrei, die Ankündigung des Todes. „Allahu akbar“ heißt aber nicht: „Jetzt werdet ihr sterben!“ „Allahu akbar“ heißt: „Gott ist groß.“
Das versteht keiner. Dass Menschen denken, Gott zu loben, indem sie viele andere Menschen töten. Man muss zugeben: Auch die, die Gott mit den gleichen arabischen Worten loben, während sie auf kleinen Teppichen knien, verstehen es nicht. Das versteht keiner, außer den wenigen, die es tun. Wann endlich sagt Gott es auch diesen wenigen, dass er sich solch ein Lob verbittet?

Heute, am 11. September, 15 Jahre nach Ausbruch des Terrorkriegs, der inzwischen auch Europa erreicht hat, hören wir einen tröstlichen Satz:
Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Gott lässt uns in bedrohlichen Zeiten nicht allein. Er gibt seinen Geist. Und da das Leben anstrengend ist, die Lage unübersichtlich und die Zukunft unabsehbar, gibt Gott seinen Geist in vielen Facetten und mit manchen Effekten. Vier nennt der Apostel, aber nur drei sind von Gott: Liebe und Kraft und Besonnenheit. Die Verzagtheit – weiß der Teufel, wo die herkommt!
Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Mit diesen Geistern leitet Gott uns tagein, tagaus durch die Zeiten. Nicht alle Geister sind von Gott. Aber mit denen, die von ihm sind, überwindet er die anderen Geister, die nicht von ihm sind.

Der Geist der Kraft.
Paulus sitzt im Gefängnis. Berufsrisiko eines berufenen Missionars. Sein Freund Timotheus ist verzweifelt. Ihm schreibt Paulus: Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Schäme dich nicht, Zeugnis abzulegen für unseren Herrn, auch nicht dafür, dass ich für ihn im Gefängnis bin, sondern ertrage für das Evangelium Mühsal und Plage in der Kraft Gottes, der uns errettet und uns berufen hat mit heiligem Ruf, nicht aufgrund unseres Tuns, sondern aufgrund seiner freien Entscheidung und seiner Gnade, die uns in Christus Jesus zugedacht wurde, vor aller Zeit.(2.Tim 1,7-9, Zürcher Bibel)

Die Kraft Gottes: Sie erwählt, sie errettet, sie beruft. Erinnere dich und glaube deiner Erwählung! Nicht die Natur hat uns in die Welt gesetzt, nicht die Gene haben uns geformt, nicht der Zufall hat mit uns gespielt. Gott hat erwählt, er hat uns errettet, er hat uns berufen, er wird uns erhalten. Das hat Gott längst entschieden, ohne abzuwarten, was wir aus uns machen. Die Würfel sind gefallen – aus Gottes Hand: Es ist entschieden: Wir sind gewollt. Wir werden gebraucht.
Nichts baut mehr Selbstbewusstsein auf und nichts mobilisiert mehr Kraft als ein kräftiges Erwählungsbewusstsein. Es produziert die Helden und die Heiligen. Aus dem Bewusstsein ihrer Erwählung ziehen Menschen enorme Kraft. Das ist der Geist der Kraft.
Aber dieser Geist ist schillernd. Die Islamisten haben einen ähnlichen Geist. Auch sie fühlen sich erwählt und berufen. Auch die Terroristen glauben sich von Gott berufen. Aus diesem Erwählungsbewusstsein ziehen sie Kraft. Ungeheure Kraft sogar. Die Kraft, ein großes Flugzeug in ein Hochhaus zu steuern. Die Kraft, sich selbst zu töten und viele andere mit in den Tod zu reißen. Weil sie sich dazu erwählt und berufen glauben, können sie sich auf die Ausführung ebenso grausamer wie komplexer Attentate konzentrieren.
Der Geist der Kraft aus dem Bewusstsein einer Erwählung ist ein schillernder Geist. Er ist zu allem fähig, zu Taten und zu Untaten. Er macht Helden und Heilige ebenso wie Terroristen und Fanatiker.
Deshalb lässt Gott uns mit diesem Geist nicht allein. Der Geist der Kraft braucht eine Schwester, die gut zu ihm ist, die ihn erzieht und zivilisiert. Das ist die Liebe. Die Liebe macht die Kraft menschenfreundlich. Kraft ohne Liebe läuft Gefahr, fanatisch zu werden. Ohne Liebe wird die Kraft blind und verliert das Menschliche aus den Augen. Ohne den Geist der Liebe ist ein Geist der Kraft nicht mehr Gottes Geist. Also gibt Gott uns nicht nur den Geist der Kraft, sondern auch den Geist der Liebe.

Der Geist der Liebe.
Wie dieser Geist wirkt, kann ich nicht besser sagen, als Paulus es gesagt hat. Deshalb lasse ich es ihn sagen: Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. (1.Kor 13,4-7, Lutherbibel)
Die Liebe hält die Kraft im Zaum. Die Liebe impft gegen Fanatismus. Die Liebe wird niemals dulden, dass einer einen anderen tötet, um Gott einen Gefallen zu tun.
Die Geschwister Kraft und Liebe sind beide schnell und impulsiv. Doch Gott denkt, dass auch wir denken sollten. Gerade in unübersichtlichen Lagen und den Zeiten von Krieg und Terror ist es gut, erst nachzudenken und dann zu reagieren. Daher gibt Gott zu Liebe und Kraft noch einen dritten Geist.

Der Geist der Besonnenheit.
Der funkt den Geschwistern Kraft und Liebe oft dazwischen, nimmt die Eile raus, kühlt die Hitze runter. „Erst mal drüber schlafen! Mal sehen, wie die Sache morgen aussieht.“ Der Geist der Besonnenheit ist ein solider, nachdenklicher, geordneter Geist, könnte ein deutscher, gar ein preußischer Geist sein. Aber auch er ist ein Geist von Gott. Seine Vernünftigkeit ärgert die Enthusiasten. Damit könne man einen Staat machen, aber keine Kirche, in der ein Feuer brennt, sagen sie. Der Geist der Besonnenheit sei der Tod der Begeisterung. Doch auch dieser Geist kommt von Gott. „Prüft alles und das Gute behaltet.“ (1.Thess 5,21, Lutherbibel) Von diesem Geist hatte die Bush-Administration nach dem 11. September zu wenig. Mit dem Irakkrieg reagierte sie auf die Anschläge zu schnell und falsch.
Man kann es in Zeiten wie diesen nicht oft genug sagen: Auch die Besonnenheit ist eine Gabe Gottes!

Kraft, Liebe, Besonnenheit – drei Geister, die von Gott kommen. Nichts, was man trainieren könnte. Nichts, was man bei Fortbildungen in Rollenspielen üben könnte. Geister von Gott. Er gibt sie denen, die er erwählt hat. Er gibt sie denen, die er berufen hat. Er gibt sie denen, die hören, was er sagt.
Drei, die sich gegenseitig in Schach halten. Drei gegen den einen, der nicht von Gott ist: die Verzagtheit. Denn die Zeiten sind bedrohlich, die Lage ist unübersichtlich und das Leben ist anstrengend.

An Ground Zero in New York markieren zwei quadratische Bassins die Stelle, an der die Türme standen. Drum herum werden neue Hochhäuser gebaut, noch höher als die alten. Das höchste steht bereits, es heißt „One World Trade Center.“ Dort wird man heute zusammenkommen und gedenken und miteinander beten: Christen, Juden, Muslime.
Es gibt nicht eine Welt der Gläubigen und eine andere der Ungläubigen. Wir leben alle in einer Welt. Sie wird nicht nur durch den Welthandel, sie wird auch durch das Gebet zusammengehalten.
Irgendwann wird auch der Ruf „Allahu akbarseinen Schrecken verlieren und er wird auch in unseren Ohren wieder das sagen, was er sagen soll: „Gott ist groß!“ Dieser große Gott fordert nicht unsere Unterwerfung, sondern er gibt uns seinen Geist. Er gibt ihn allen Menschen, damit wir leben und lieben und den loben, der uns dazu berufen hat mit heiligem Ruf, nicht aufgrund unseres Tuns, sondern aufgrund seiner freien Entscheidung und seiner Gnade, die uns in Christus Jesus zugedacht wurde, vor aller Zeit, jetzt aber sichtbar geworden ist im Erscheinen unseres Retters, Christus Jesus: Er hat den Tod besiegt und hat aufleuchten lassen Leben und Unsterblichkeit, durch das Evangelium.(2.Tim 1,10)
Amen.