Non moriar, sed vivam! – Predigt zu 2. Korinther 6,1-10 von Markus Nietzke
6,1-10

Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt. Denn er spricht (Jesaja 49,8): »Ich habe dich zur willkommenen Zeit erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.« Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils! 3 Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit dieser Dienst nicht verlästert werde; sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Bedrängnissen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhr, in Mühen, im Wachen, im Fasten, in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im Heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten, als Verführer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht getötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles haben.

I.

Der Ausflug war nicht besonders spannend. Das änderte sich, als ich die Konfirmanden bat, vor einem Haus stehen zu bleiben und mit meiner Hand auf einen Querbalken  zeigte: „Das ist ein seltsamer Haussegen!". Ich fragte: "Kann das vielleicht jemand von euch lesen und übersetzen?" und schaute Philipp - einen Lateinschüler aus der 7. Klasse - erwartungsvoll an. Sarah, eine Mitschülerin, lächelte: "Natürlich kann Philipp das!" Nun überlegte Philipp: "O.k., ich kann es versuchen. Da steht 'non moriar, sed vivam'". Ich freute mich. "Richtig! Und auf Deutsch?". "Tja, so leicht ist das nicht" antwortete er und sah sich fragend um, ob jemand ihm helfen könnte. Sarah sprang ihm zur Seite: „'Non' heißt ‚nicht' und ‚sed‘ aber". „Weiß ich doch!", sagte Philipp, "aber ‚moriar‘ kenne ich nicht, ‚vivam', hat wohl etwas mit ‚Leben‘ zu tun, denke ich." Er überlegte kurz und sagte dann: „Ich komme nicht weiter." Ich wollte es nicht verraten und meinte: "Vielleicht hilft es, wenn ich Dir sage, dass es um einen Gegensatz geht." Philipp konterte: „Hilft mir jetzt auch nicht wirklich... Moment mal... mori heißt doch ‚sterben'!" „Genau!" sagte ich: „Es hat etwas mit Sterben und Leben zu tun." Jetzt schien Philipp es zu erahnen: „O.k. ‚Ich werde sterben‘, aber mit dem ‚non', muss es heißen: ‚Ich werde nicht sterben, sondern leben'. Die Konfirmanden freuten sich, ich mich auch. Dann erklärte ich ihnen den Sinn der Aussage: „Da betet ein frommer Mensch: Wenn es mir noch so dreckig gehen mag, auf Gott kann ich bauen, mich fest an seine Zusagen klammern. Dass will ich bezeugen. Gott ist bei mir im Leid, will aber mein Leben. Davon rede ich. Martin Luther hat diesen Bibelvers - so sagt man - auf der Coburg an die Hauswand geschrieben, als Mutmacherspruch in schweren Zeiten: Non moriar sed vivam et narrabo opera domini. Hier, vor Ort, scheint das jemand gewusst zu haben und hat diesen Spruch als Haussegen für dieses Haus ausgewählt." „Kein Wunder!“ meinte eine Konfirmandin, „wir stehen ja direkt neben einer Kirche!"

II.

Liebe Gemeinde, die Worte: „Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werke verkündigen“ stammen aus dem Gebet- und Gesangbuch aus dem Alten, dem Ersten Testament. Es sind Worte voller Dankbarkeit. Gott hat geholfen. Das kann man erfahren, heißt es in Psalm 118: Gott hilft, auch wenn es einem Menschen richtig dreckig geht; ja, selbst dann noch, wenn es so scheint, als meinte Gott selbst es nicht mehr gut mit einem Menschen. Ein ‚Aber‘ und ‚Dennoch‘ klingt durch: Gott hilft. Dabei bleibt es. Gott hilft. Selbst dort, wo man es nicht vermutet oder meint.

III.

Dass Gott in unter allen Umständen hilft, ist nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Josef, einer der zwölf Söhne Jakobs, hat dieses konkret erfahren. Obwohl er von seinen Brüdern an Sklavenhändler verkauft wurde. Einige Jahre saß er – unschuldig verurteilt – im Gefängnis. Er konnte mit Gottes Hilfe Träume deuten und gelangte so schließlich an den Hof des Pharao. Josef wurde zum Segen sowohl für die Ägypter als auch alle umliegenden Völker in der Zeit einer großen Hungersnot. Am Ende seines Lebens bekennt Josef seinen Brüdern: ‚Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk‘ (1. Mose 50,20)

IV.

Dass Gott konkret unter allen Umständen hilft, ist wirklich nicht auf den ersten Blick erkennbar. Der letzte Weg von Jesus nach Jerusalem -. Das letzte Abendmahl -. Gefangennahme im Garten Gethsemane -. Der Tod am Kreuz – ohne Zweifel kein leichter Weg – das alles wird schließlich positiv gedeutet: ‚Er [Jesus] erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist...‘ (Philipper 2,8+9). 

 

V.

In den Wochen bis Ostern bedenken wir den Weg Jesu ans Kreuz, seinen Tod und das verheißene Leben nach dem Tod. Vielleicht übt die eine oder der andere Verzicht, versucht etwas achtsamer durchs Leben zu gehen, nimmt sich ein wenig mehr Zeit als sonst für ein Nachdenken über das Leben und unsere Zeit.

 

VI.

Diesen Gedanken, dass Gott unter allen Umständen hilft – auch im Leid – spielt der Apostel Paulus in seinem zweiten Brief an die Korinther durch. Er und andere Mitarbeiter sind Botschafter an Christi statt, so beginnt er seine Argumentation. Gott ruft durch sie zur Umkehr auf. Gott bietet durch ihre Predigt Versöhnung an; Versöhnung, die Gott durch Jesus und seinen Tod am Kreuz mit sich selbst bewirkt hat. Einer für alle, führt Paulus aus. Dieser Eine, Jesus, ist für alle gestorben und hat dadurch allen eine neue Chance auf ein Leben mit Gott eröffnet. Jetzt sei es an der Zeit, sich daran zu orientieren, bittet Paulus. Dann wird er persönlich. ‚Meine Mitarbeiter und ich‘, sagt er, ‚geben durch nichts einen Anstoß, damit diese Hauptsache nicht in den Hintergrund tritt.‘ Dann geht Paulus noch weiter in seiner Argumentation: ‚Bedrängnisse, Ängste, Schläge, Gefängnisaufenthalte --, ich, Paulus, beziehungsweise wir als Botschafter an Christi statt, wir nehmen das alles in Kauf. Das gilt auch in weitaus fröhlicheren Umständen. Die Klammer, die sowohl Gutes als auch Schreckliches zusammenhält ist: Gott hilft unter allen Umständen. Deswegen hören wir nicht auf, diesen Jesus Christus zu bezeugen.‘

 

VII.

„Ein Podium und ein Gefängnis sind jeder ein Ort für sich, der eine liegt oben, der andere unten. An beiden Orten wirst du die Entscheidungsfreiheit behalten, wenn Du es wünschst“ meint der Stoiker Epiktet. (Lehrgespräche, 2.6.25). In solcher Freiheit kann Paulus nun – wahrscheinlich schreibt er diesen Brief gerade aus dem Gefängnis – sagen: ‚Wir sind unbekannt, und doch bekannt. Wir sterben und doch leben wir. Wir sind traurig und doch fröhlich. Arm und doch reich. Haben nichts und doch alles.‘

 

VIII.

Das sind eigenartige Sätze. Man muss sie sich langsam auf der Zunge zergehen lassen. Wieso heißt es: ‚Als die Unbekannten und doch bekannt?‘ Was soll das bedeuten, dieser   Gegensatz: Einerseits: ‚Als die Sterbenden‘ und andererseits ‚siehe, wir leben‘?  Der Katalog setzt sich noch fort: Hier: Traurig, dort: Fröhlich. Hier: Arm; dort: andere Reich machen, hier: Nichts haben; dort: Alles Haben? Fügen wir für unser Hören und Reden heute einmal die Worte ‚in Gott‘, ‚durch Gott‘ oder ‚bei Gott‘ hinzu. Dann klingt diese Wort-Kaskade des Apostels so: Wir sind unbekannt, und doch bekannt – bei Gott! Wir sterben und doch leben wir – durch Gott! Wir sind traurig und doch fröhlich – in Gott! Wir sind arm und doch reich – durch Gott! Wir haben nichts und doch alles – in Gott!

 

IX.

Paulus wagt schließlich einen Vergleich, der es in sich hat: Er, dem Jesus vor Damaskus erschienen ist, er, den Jesus zum Apostel berufen hat, er, Paulus versteht sich als einer, der Jesus auch auf eine ganz besondere Weise nachfolgt. Der Vergleich sieht so aus: Christus geht den Leidensweg bis zum Tod am Kreuz. Paulus wird Jesus nun durch sein eigenes Leiden um der Sache Jesu willen nachgestaltet. Das ist in etwa so zu verstehen: Jesus ist durch Aufruhr in Jerusalem, trotz Wachen, Beten und Fasten im Garten Gethsemane verraten und gefangen genommen worden. Jesus wurde von Soldaten bedrängt, bespuckt, geschlagen und gefoltert. Jesus hat dieses alles in Geduld ertragen, bis hin zum Tod am Kreuz. Diesen Leidensweg geht Paulus nicht nur in Gedanken nach, sondern er erlebt Ähnliches – um Christi Willen! –- Das ist ganz schön starker Tobak! Aber warum das Ganze? Hier erreicht die lange Argumention von Paulus die höchste Zuspitzung: Gerade darin, Jesus im Leiden so konkret nachgestaltet zu werden, gerade darin erweist sich seine außerordentliche Berufung als Apostel. Liebe Gemeinde, das ist heftig! Auf solch eine Weise zu argumentieren, ist uns völlig fremd und fern!

 

X.

In Dankbarkeit den Weg Jesu nachgehen? Auch im Leiden? Paulus sieht sich dadurch legitimiert, mit den Korinthern über das Amt und den Dienst eines Apostels zu diskutieren und zu streiten. Dies wird damals nicht jedem geschmeckt haben – und uns kommt diese Argumentation wirklich sehr, sehr  fremd vor. Wir lassen das Argument so stehen.

 

XI.

Die vor uns liegende Fasten- oder Passionszeit dient ja nicht dazu, dass wir Jesus oder Paulus durch eigenes Leid versuchen nachzueifern. Uns mit Jesus gleichzustellen wäre völlig absurd! Nein, das wollen wir bestimmt nicht!  Wir schauen auf den Weg Jesu. Wir sehen hin und staunen. Womöglich läuft uns auch einer kalter Schauer über den Rücken bei dem Gedanken, warum, wieso und weshalb nun gerade dieser Weg Jesu durch Angst, Not, Leid und Schmerzen ein Weg zur Erlösung und Versöhnung mit Gott sein soll. Vielleicht wenden wir uns scheu ab, angesichts solcher Ausmaße an Leid. Manche halten es heute für unlogisch und völlig undenkbar. Vielleicht halten wir dem aber auch stand: Wir schauen und staunen, dass dieser Weg durch den Tod neues Leben in sich birgt und wirkt.

 

XII.

Das wirklich Neue, was Paulus in seinem Brief unbedingt zur Geltung bringen will, ist: Die Fülle und die Herrlichkeit des neuen Lebens in Jesus Christus zeigt sich; offenbart sich, wird wirksam – bei allen äußerlichen Unannehmlichkeiten, bei Armut, mitten im Leid. Sogar im Sterben!

 

XIII.

Als Jesus am Kreuz hing und schrie: „Mein, Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ werden Klage und Anklage laut. Ganz laut herausgeschrien. Angst und Verlassenheit sind unübersehbar. Es ist die Klage dessen, der mit Verzweiflung ringt. Es ist aber auch die Klage dessen, der das Flehen, Klagen, Schreien und Weinen aller Verzweifelten und Verdammten auf sich nimmt (J.F. König: Theoligia positiva acromatica, De Principiis Ac Mediis Salutis, § 330, 1666). Gott hat es mit Jesus am Kreuz durchgestanden.

 

XIV.

Vielleicht ist es deswegen ein kleines bisschen Hoffnung, die wir aus dieser eigenartigen Argumentation des Apostels Paulus schöpfen können. Mitten in allem unseren Leid trägt uns Gott. Oft unbewusst. Wir hätten es so gerne anders. Deutlich spürbar. Gerne viel deutlicher spürbar! Gott hilft! Gott überlässt keinen von uns einfach so seinem Schicksal. Gott hilft. Auch im Leiden. Das wird uns zugesagt. Gott bekräftigt es, gerade in dem er uns im Leiden nicht im Stich lässt.

 

XV.

Es mag also nur ein Gedanke, ein kleiner Merksatz sein, der noch ein wenig in unserem Leben nachklingt, nachher, beim Mittagessen oder in der Mittagsruhe. Es mag sein, dass wir diesen Worten bis Ostern noch ein wenig nachspüren: „als die Sterbenden, und siehe, wir leben; … als die Traurigen, aber fröhlich; … als als die nichts haben und doch alles haben.“

Perikope
18.02.2018
6,1-10