Nun aufwärts froh den Blick gewandt – oder auch: Such, wer da will, ein ander Ziel
24Ihr wisst doch: Die Läufer im Stadion, sie laufen zwar alle, den Siegespreis aber erhält nur einer. Lauft so, dass ihr den Sieg davontragt! 25Wettkämpfer aber verzichten auf alles, jene, um einen vergänglichen Kranz zu erlangen, wir dagegen einen unvergänglichen. 26Ich laufe also, aber nicht wie einer, der ziellos läuft, ich boxe, aber nicht wie einer, der ins Leere schlägt; 27vielmehr traktiere ich meinen Körper und mache ihn mir gefügig, denn ich will nicht einer werden, der anderen predigt, sich selber aber nicht bewährt. (Zürcher Übersetzung)
Ein ganzes Jahr lang hat er sich konzentriert, fokussiert, alles diesem einen Ziel untergeordnet. Jeden Tag hat er trainiert. Stundenlang, bis es nicht mehr ging. Ausgegangen ist er schon lange nicht mehr – dazu war er abends zu müde und morgens zu früh zum Joggen unterwegs. Nicht nur den Alkohol hat er weggelassen, sondern alles, was auch nur ansatzweise seine Leistung beeinträchtigen, schmälern könnte. Ein Jahr der Entbehrungen, ein regelrecht asketisches Jahr. Nur dieses eine Ziel vor Augen. Alles andere unwichtig. Jetzt steht er hier im Stadion. Die Menschenmassen applaudieren. Gleich wird es los gehen. Den Startblock unter den Füßen. Das Ziel im Blick. Endlich!
Beneidenswert, solch eine Disziplin, oder? So eine Zielstrebigkeit, solch eine Konzentration auf dieses eine, was wirklich wichtig ist. Alles wird diesem einen untergeordnet, alles auf dieses eine Ziel hin fokussiert – einfach weil es zu wichtig ist, als dass es Ablenkung vertragen könnte oder noch andere, konkurrierende Ziele.
Dieses eine Ziel – für Paulus natürlich nicht der Sieg bei den Olympischen Spielen – bei allem, was wir über Paulus wissen – ein großer Sportler war er wohl nicht.
Dieses eine Ziel – für Paulus nicht der Lorbeerkranz, der doch irgendwann verwelkt, die Medaille, die doch irgendwann ihren Glanz verliert – sondern der unvergängliche Siegeskranz des ewigen Lebens, des Lebens in der Gegenwart Gottes, die jetzt schon Wirklichkeit ist, und die doch im Alltag – also genau dort, wo das Leben stattfindet, genau dort, wo der tägliche Kampf stattfindet um die vielen kleinen und großen Ziele, genau dort, wo so viele Ziele miteinander konkurrieren – so leicht in Vergessenheit gerät.
Vielleicht genau das die große Sorge des Paulus.
Ich laufe nicht aufs Ungewisse, sagt er – nein, das Ziel ist gewiss – und doch weiß Paulus, wie leicht dieses Ziel aus den Augen geraten kann.
Ich glaube – ja, natürlich tue ich das. Aber reicht es nicht, wenn ich das am Sonntag Vormittag tue?
Ich vertraue auf Gott – natürlich tue ich das. Aber es schadet doch nichts, wenn ich mir hier und da noch die ein oder andere zusätzliche Sicherheit einbaue?
Es reicht nicht, einmal theoretisch oder meinetwegen auch praktisch sich zum „Glauben“ entschlossen zu haben.
Kämpft, sagt Paulus, wie jemand, der um den Siegeskranz in der Arena rennt.
Ja, das Heil (die Gegenwart Gottes) ist gewiß – aber lasst sie nicht beliebig werden, sondern fokussiert Euch immer wieder neu darauf! Laßt Gott, laßt Euer Leben in der Perspektive des Glaubens nicht beliebig werden. Es ist nicht „egal“, ob da jemand auf Gott vertraut oder nicht. Es ist nicht „egal“, ob Ihr nach Gottes Willen fragt oder nicht.
Jeder, der kämpft, jeder, der ein wirkliches Ziel hat, enthält sich aller Dinge – eben um genau dieses eine Ziel zu erreichen und sich nicht zu verheddern in so vielem, das ablenkt.
Paulus wählt drastische Worte: Ja, auch ich, sagt er, kenne es, dass mich Dinge ablenken, das mich Gedanken ablenken von dem einen Ziel. Es gibt ja so vieles, das beansprucht, wichtig zu sein – da braucht es immer wieder die ganz bewusste Orientierung auf Gottes Gegenwart. Deshalb, so Paulus, boxe ich mich selber, schlage meinen Leib – lassen wir die hier vielleicht zu erwartenden Ausführungen über angebliche oder tatsächliche Leibfeindlichkeit bei Paulus einfach mal beiseite und übertragen: zwinge mich, mich immer wieder auf das zu konzentrieren, was wirklich zählt und mit Macht alles von mir zu schieben, was nur angeblich wichtig ist und mich in Wahrheit doch nur von meinem Ziel entfernt.
Haben wir diese paulinische Ziel-Orientiertheit? Und vor allem: Haben wir das paulinische Ziel? Denn wie gesagt, es gibt ja so vieles, das im Leben wichtig zu sein scheint; es gibt ja so viele, die uns Ziele vorgeben, vorschlagen, vorschreiben. Die Frage ist: Welches Ziel ist es wert, sich wirklich mit Haut und Haar dafür einzusetzen und ihm alles unterzuordnen?
Ist es der Sport? Ist es wirtschaftliches Wohlergehen? Ist es Gesundheit? Oder ist es Gottes Gegenwart, die auch dann nicht vergeht, wenn alles andere in Stücke fällt?
Was ist DEIN Ziel? Was ist Dir im Leben wirklich wichtig? Wem oder was ordnest Du alles andere unter?
Ich will ganz ehrlich sein: Wenn mich jemand fragt, dann sage ich natürlich, dass mein Vertrauen in den Gott Jesu Christi ganz oben in meinem Leben steht; dass mein Glaube meine Perspektive auf mich, auf meine Mitmenschen und auf das, was in unserer Welt geschieht, bestimmt. Und doch weiß ich, dass mich im Alltag dann immer so vieles gefangen nimmt, das auf einmal in einer Wichtigkeit erscheint, die theologisch betrachtet vielleicht lächerlich, aber eben doch sehr mächtig ist.
Ich kann mich munter ärgern über Fehler, die andere in ihrer Arbeit machen (über meine eigenen übrigens genauso sehr). Ich rücke Dinge wie Einfluss, Anerkennung, Geld in einen Fokus meines Denkens und Handelns, der ihnen – theologisch gesprochen (und eigentlich sehe ich das ja natürlich auch so, wenn man mich fragt) – nicht zusteht. Ich verwechsle immer wieder die Bedeutung des Vorletzten – also dessen, was in unserer Welt, in unserer Gesellschaft, in unserem persönlichen Leben von Bedeutung ist – mit dem Letzten, dem Reich Gottes.
Ja, ich brauche immer wieder diese paulinische Mahnung, ich brauche immer wieder dieses Bild, das er mir vor Augen malt: Schau auf Dein Ziel, schau nicht auf anderes, lass Dich nicht ablenken – von anderen nicht und von Dir selber nicht, und dann lauf los.
Und vielleicht bin ich ja nicht der einzige, dem das so geht...
Und unsere Kirche? Ist das nicht die Institution, deren einziger Seinsgrund geradezu darin liegt, dass sie uns immer wieder dieses Ziel vor Augen malt? Und doch frage ich mich oft: Tut sie das wirklich? Tun wir, die wir in der und für die Kirche arbeiten, das wirklich? Ist das Ziel der Kirche wirklich die Predigt des Reiches Gottes in Wort und Tat, oder ist sie nicht auch so oft abgelenkt und gefangen von so vielem anderen. Da sind die sinkenden Kirchenmitgliedszahlen, die weniger werdenden Kirchensteuern; da ist das stetige Streben um den Selbsterhalt der Institution und das immer schnellere um sich Kreisen eines immer unüberschauberer werdenden Verwaltungsapparates... auch unsere Kirche kann wohl immer wieder diese Mahnung des Paulus gut vertragen: Lauft so, dass Ihr den Siegespreis erlangt! Er liegt bereit für Euch – also lauft draufzu und nicht daran vorbei.
Von unserer Gesellschaft ganz zu schweigen. Hier habe ich – vielleicht besonders im Moment, und vielleicht ja auch hier nicht als einziger – ganz besonders viele Fragen, stehe oft ganz besonders ratlos da. Was ist eigentlich das Ziel dieses Gebildes, das sich Bundesrepublik Deutschland nennt? Die Sicherung oder Gewinnung von so etwas wie Identität durch Abschottung von denen, die als Gäste oder auch zum Bleiben zu uns kommen? Wie soll ich es verstehen, dass auf der einen Seite die Verfechter eines – angeblich – christlichen Abendlandes vor einer – angeblichen – Islamisierung zur Wehr setzen, und zugleich Gottesdienste durch Feuerwerk und (zum Glück nur Feuerwerks)raketen stören oder gar zu Gewalt greifen gegen die, die Schutz suchen. Ist das christlich? Wie soll ich es verstehen, dass die christlichen Wurzeln unserer Gesellschaft als ungeheuer wichtig behauptet werden und zugleich viele Menschen am liebsten an sieben Tagen in der Woche in den eigentlichen Tempeln unserer Gesellschaft – den Supermärkten und Einkaufszentren – ein und aus gehen wollen? Wie soll ich es verstehen, das „Identität“ oder gar „Christliche Identität“ gesagt und eigentlich nur „mein Geld“ gemeint wird?
Es braucht wohl immer wieder beides – ein festes Ziel vor Augen – und die immer wieder aufbrechende, nie abzuschließende Diskussion darüber, welches Ziel es denn eigentlich wert ist, fest vor Augen zu stehen und mit aller Kraft verfolgt zu werden...
Lauft so, dass ihr den Sieg davontragt! 25Wettkämpfer aber verzichten auf alles, jene, um einen vergänglichen Kranz zu erlangen, wir dagegen einen unvergänglichen. 26Ich laufe also, aber nicht wie einer, der ziellos läuft, ich boxe, aber nicht wie einer, der ins Leere schlägt; 27vielmehr traktiere ich meinen Körper und mache ihn mir gefügig, denn ich will nicht einer werden, der anderen predigt, sich selber aber nicht bewährt.
Sucht das Ziel – nein, richtig muss es heißen: Lasst Euch von DEM Ziel ergreifen – denn Gott ist schon da, auch in Deinem Leben, auch im Leben der Kirche und sogar im Leben unserer Welt gegenwärtig zu sein und immer wieder zu werden.
Streitet um die Ziele, wenn andere andere Ziele verfolgen. Aber streitet so, wie es einem Leben in Gottes Gegenwart entspricht.
Lasst Euch ziehen von EUREM, von diesem EINEN Ziel. Verliert es nicht aus den Augen, lasst Euch nicht ablenken, lasst Euch nicht irre machen.
Und – der letzte Satz, den Paulus schreibt: Seid glaubwürdig in dem, was Ihr tut. Verfolgt Euer Ziel nicht nur mit Worten, sondern mit Taten. Oder – wie es im Alten Testament so kurz und so prägnant und so richtig und umfassend heißt:
Der HERR, unser Gott, ist der einzige HERR. 5Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit deiner ganzen Kraft. (Dtn 6,5)
Amen.