Nur ein Senfkorn... - Predigt zu Lukas 17,5-6 von Dieter Koch
17,5
Nur ein Senfkorn echten Vertrauens und vieles ginge leichter von der Hand!
Liebe Gemeinde,
ganz unwillkürlich denke ich bei diesem Wort Jesu an das andere, ihm parallel gehende Wort vom Berge versetzenden Glauben – und stolpere. Berge versetzen – stellen Sie sich das einmal vor: Stellen Sie sich vor: Der Asperg, der Heuberg, der Feldberg, samt Kleinheppacher Kopf, Hörnleskopf und Korber Kopf, mithin alle Höhen des unteren Remstales dazu der Rotenberg mit seiner Grabkapelle gleich mit, würden versetzt werden, zusammenrücken zusammenfallen, ineinander geschoben werden – durch nichts als Glauben? Grauen überkäme mich, Grauen vor solchem Glauben. Jede Verlässlichkeit wäre zerstört. Der Alltag könnte unmöglich funktionieren. Wie sollte man den Fuß noch vor die Türe setzen, gar mit dem Auto sich Richtung Stuttgart begeben, verschöbe sich der Kappelberg mit seinem Tunnel durch nichts als Glauben, irgendeines Glauben. Wenn man so einfach die Grundordnung der Welt verkehren könnte, es wäre Horror. Doch was buchstäblich genommen, widersinnig und erschütternd zugleich ist, strahlt im übertragenen Sinne umso mehr. Das Wort vermag innere Kräfte freizusetzen, die Schwung geben, Zuversicht und Glaubensmut- das sprichwörtliche Bergeversetzen. Im Fußball reicht dazu manchmal ein Trainerwechsel
Herr, stärke uns den Glauben, so bitten die Jünger, die Schüler des Meisters. Ihnen ging es wie uns. Glauben haben und ihn immer neu in sich beginnen lassen, weil man ohne Glauben nicht leben kann. Glauben in einem Glauben gleich einem Senfkorn und ist doch ganzer, tiefer, weltbewegender, menschenbewegender Glaube. Herr, gib uns solchen Glauben, einen Glauben, der an sich selber glauben kann, Glauben, der an Gott glaubt, weil er Glauben ist, aus Gott geboren, dem Gott der Zukunft und der Liebe, dem Gott des Friedens und des Trostes, dem Gott, der allen Jammer stillt.
Ja, nur ein Senfkorn echten Vertrauens, vieles ginge leichter von der Hand! Herr, schenke uns solchen Glauben, Glauben an Dich und dein Wort, wir könnten der Weltangst beherzter ins Auge blicken. Wo der Glaube sich einstellt, dort kommt es zu immer wieder überraschenden, wunderhaften Ereignissen, sie verrücken manchmal selbst für unerschütterlich geltende Bastionen. Die politische Geschichte ist voll davon. In diesen Tagen jährte sich zum 50. Mal der Marsch auf Washington mit Martin Luther Kings großer Rede: Ich habe einen Traum…, aus Glauben geboren. Oder ist nicht der Fall der Mauer am 9.11.1989 ein Glaubensereignis? Wie steht es dann erst um die persönliche Lebensgeschichte., wenn ein Mensch nach schweren Enttäuschungen im Glauben zu neuen Ufern aufbrechen durfte, wenn einer aus den Trümmern seines Lebens heraus erfahren durfte, dass Gott auf Wege führt, die man sich selber nicht ausdenken kann, wenn einer das Wunder der Gnade entdeckt, und zu Jesus findet, mehr noch erlebt, das er von ihm schon gefunden ist!
Sicher man kann sich treiben lassen, sicher man kann auch ohne Vertrauen atmen, essen und trinken, sich schlafen legen und wieder aufstehen und so einigermaßen freundlich kann man immer noch sein. Aber das Leben ist leer, der Sinn ist weg und das Wort von Gott, das Wissen um den großen Sinn ist verdeckt. Sicher, man kann leben als lebte man nicht, glauben als glaubte man nicht, aber in der Tiefe, in den Herzensentscheidungen eines Lebens, wünschten wir uns, glauben zu können, einfach, still und zugleich gewiss. Es will in uns glauben. Wir verlassen uns darauf, gewollt, geliebt, begabt und anerkannt zu sein, Wir müssen geradezu um des eigenen Lebensglückes willen glauben, aber es ist Gottes Treue, die uns dann auch glauben lässt. Er legt uns das kleine Senfkorn Glauben ins Herz, auf dass es still und unerkannt aufgehe und uns der Sonne, dem Guten entgegenreifen lasse.
Es gibt für mich kaum ein anderes lebendigeres Zeichen für diesen uns alle verbindenden Glauben, den wir zugleich immer neu suchen, immer neu auch um ihn bitten müssen, als der Glaube, der blanke, noch von aller Weltnot freie Glaube eines Kindes. Ein Kind glaubt! Es glaubt an seine Eltern. Es glaubt daran, dass sein Hunger nicht ungestillt bleibt, dass Liebe ihm Wärme gibt, dass es ein Recht auf seine Existenz hat – und nicht allein bleibt. Dass solche Erwartung immer wieder auch furchtbar enttäuscht werden kann, ist eine ungeheure Schmach, die mit über uns Menschen liegt. Aber im Kern wird mit jedem Kind der Glaube neu geboren. Ein Kind will glauben, von ganzem Herzen glauben, glauben, dass es geliebt ist, dass es ein Leben für es gibt, dass es unter diese Sonne gehört, um selber zu lieben, sein Leben zu lieben, Gottes Geschenk. Ein Kind glaubt, dass es Essen findet, sein tägliches Brot und es glaubt daran, dass es groß werden wird und dann wird alles gut sein. Ein Kind glaubt an das Leben – und in ihm glaubt das Leben an sich selber, denn es ist darin der Glanz des unendlichen Gottes, der die Liebe ist, die an sich selber glaubt, und gerade so alles duldet das Böse nicht anrechnet, an der Wahrheit sich freut, die im Kind glaubt und im Erwachsenen neu kindlich glauben will.
Es ist Jesus selber, der Anfänger und Vollender des Glaubens, der solchen machtvollen und darin ganz der Liebe hingegebenen Glauben hatte. Es ist Jesus selber, der aus seinem in der Gottesliebe entflammten reinen Glauben heraus, aus Glauben als nichts als Glauben an den himmlischen Vater, der da ist in allen und über allen, Berge versetzt hat, indem er das Leben von Menschen zum Guten umgewendet hat. Aus Glauben hat er der Welt das Evangelium geschenkt, weil er gerade nicht willkürlich und direkt Berge zu versetzen gedachte, zufällige Gedanken und Wünsche zum Laufen zu bringen suchte, weil gerade er nicht vorhatte, die Welt seinem Gutdünken und eitlem Begehren zu unterwerfen, sondern weil er vielmehr auf allen Eigensinn verzichtete und sich Gott übergab, dem Einzigen, dem wunderbaren Gott, der Wunder schafft, das Wunder des Glaubens, so wie es in jedem Kind beginnt. Ein Kind glaubt, weil es geliebt sein will und es glaubt, dass es geliebt und anerkannt wird, obgleich es so wenig ist, wenig weiß, wenig kann. Sein Senfkorn Glauben ist sein ganzen Leben und dieser Glaube glaubt ohne Bekenntnis, ohne Merksätze, ohne Gebet, Glauben jedem Glauben voraus, aus Gott geboren.
Es gibt für mich eine besonders eindrückliche Gestalt solchen weltbewegenden und zugleich kindlich-frommen Glaubens. Das ist die junge Lena Grove in William Faulkners Roman „Licht im August“. Diese junge Frau hat wahrlich Berge versetzt, ohne darin mehr oder anderes zu sehen als die bloße Selbstverständlichkeit ihres Glaubens an das Leben, ihres Glaubens an die Liebe, ihres Glaubens an den Gott, der dies ihr Leben, ihre Liebe, ihre Hoffnung gesegnet hat, obgleich nichts an ihr ist, nichts, dass sie heraushebt vor den andern. Da ist kein mehr an Wissen, kein mehr an Stolz, kein mehr an Erfolg – nur bloße, blanke Liebe und mit ihr die Erwartung, dass der Herr sie führt. Und so stellt Faulkner sie uns vor, wie sie ihren aufgeschwollenen Leib vor sich herträgt, das Kind, das in ihr nach Leben sich sehnt, gen Süden trägt auf der Suche nach dem Vater ihres Kindes, Lucas Burch. Stark sind sie, die junge werdende Mutter im fortgeschrittenen Stadium ihrer Schwangerschaft und das Kind in ihr, das leben will. Stark sind sie miteinander und nichts nimmt ihnen die Hoffnung, dass es besser werden wird, dass sie unter die Sonne, unter dieses Licht gehören. Mitten in der sengenden Augusthitze geht hier ein tieferes Licht auf, das Licht unerschütterlichen Glaubens – und bewegt die harten Herzen ihrer Mitmenschen.
„Lena sitzt am Straßenrand“, erzählt Faulkner. „Sie sieht, wie das Fuhrwerk über die Wegsteigung langsam näher rückt und denkt: Ich komme aus Alabama: ein schönes Stück. Von Alabama bis hierher gelaufen. Ein schönes Stück. Denkt: Noch nicht ganz einen Monat unterwegs und bin doch schon in Mississippi, so weit von zu Hause wie noch nie … An den Füßen hatte sie ein abgelegtes Paar Männerschuhe, die ihr der Bruder einmal überlassen hatte. Sie waren nur wenig benutzt, da im Sommer alles barfuß ging. Sobald sie den Staub unter den Füßen fühlte, zog sie sie aus und nahm sie in die Hand. Fast vier Wochen war sie nun so gewandert. Die vier Wochen hinter ihr, das aus der Tiefe nachrauschende Weit-Weit: Es ist ein friedeerfüllter Korridor; sein Boden ist nimmer wankender, gelassener Glaube und freundliche, namenlose Gesichter und Stimmen bevölkern ihn. Lucas Burch? Keine Ahnung. Ich kenne niemand in der Gegend hier, der so heißt. Die Straße da? Die führt nach Pocahontas. Vielleicht ist er dort. Es ist möglich. Da ist ein Wagen, der ein Stück in der Richtung fährt. Er wird sie weit mitnehmen“, so erzählt Faulkner.
Der Wagen nahm sie mit, dem Süden entgegen im Glauben an das Leben, seinen Sinn, seinen Herrn. Was Lena Grove so stark macht, ist ihr Glaube, ihr einfacher, klarer und schöner Glauben an das Leben, an Gott, an die grundsätzliche Möglichkeit der Güte und des Glücks. Ein Glauben, der im Gegensatz steht zur Lebenssicht Joe Christmas‘, der zweiten tragenden Figur in diesem literarischen Meisterwerk. Joe Christmas irrt heimatlos, ortlos, in sich selbst erkaltet durch die Welt. Er lebt so dahin, schlägt sich mit Whiskyschmuggel durch. Wenn er arbeitet, so arbeitet es nur durch ihn. Mechanisch bewegt er die Schaufel. Er selber ist blicklos. Sein Leben ist ohne Glanz, ohne Glauben, ohne jegliche Hoffnung, ohne alle Gefühle. Er wurde in dieses Leben getrieben, aber dann hat er es sich auch zu eigen gemacht, Leben ohne Glaube, ohne dieses Senfkorn Glauben, das Lena Grove in sich trägt und von dem gesagt wird: Er stellt meine Füße auf weiten Raum, Er, Gott und sonst keiner.
Es ist dieses Senfkorn Glauben, das schon der ganze Glauben ist, weil er einfach daran glaubt, dass es in, dank Gottes Treue möglich ist zu leben, möglich ist, dass sich immer neu der Himmel auftut und sich ein Licht zeigt am Horizont. Glauben, dass nicht alles verloren ist, dass es Heilung gibt und Errettetwerden aus der Verzweiflung, dass es immer neue Geburten gibt, die Geburt von Kindern, die das Leben wollen und die Geburt guter Gedanken, guter Taten, guten Einvernehmens mit sich und Gott. Es ist dieses Senfkorn Glauben, das die Welt bewegt und wenn man so will Berge versetzt oder Maulbeerbäume verrücken kann, weil der Glaube die Seele des Lebens ist, die Seele des Lebendigen. Es gibt ja eine alte Erkenntnis, die sagt: Die Seele formt den Leib, gibt ihm Gestalt und Stärke. Der Glaube an den Gott des Lebens, der die Liebe ist, gibt dem Leben Gestalt und Stärke. Der Glaube glaubt sich selbst und glaubt, dass so Gott selbst ist, Gott, der zu sich selber steht und uns glauben lassen will, damit wir zu uns selber stehen, aufrecht, im unbedingten Glauben, von Gott gewollt zu sein und bestimmt einen weiten Weg zu gehen, mit allen Menschen in das Reich der Himmel, der Weg mit seinem aus der Tiefe nachrauschenden Weit-Weit: ein friedeerfüllter Korridor.
Die Zitate aus William Faulkner, Licht im August, 4.Auflage, Berlin 1985, S.6-9
Liebe Gemeinde,
ganz unwillkürlich denke ich bei diesem Wort Jesu an das andere, ihm parallel gehende Wort vom Berge versetzenden Glauben – und stolpere. Berge versetzen – stellen Sie sich das einmal vor: Stellen Sie sich vor: Der Asperg, der Heuberg, der Feldberg, samt Kleinheppacher Kopf, Hörnleskopf und Korber Kopf, mithin alle Höhen des unteren Remstales dazu der Rotenberg mit seiner Grabkapelle gleich mit, würden versetzt werden, zusammenrücken zusammenfallen, ineinander geschoben werden – durch nichts als Glauben? Grauen überkäme mich, Grauen vor solchem Glauben. Jede Verlässlichkeit wäre zerstört. Der Alltag könnte unmöglich funktionieren. Wie sollte man den Fuß noch vor die Türe setzen, gar mit dem Auto sich Richtung Stuttgart begeben, verschöbe sich der Kappelberg mit seinem Tunnel durch nichts als Glauben, irgendeines Glauben. Wenn man so einfach die Grundordnung der Welt verkehren könnte, es wäre Horror. Doch was buchstäblich genommen, widersinnig und erschütternd zugleich ist, strahlt im übertragenen Sinne umso mehr. Das Wort vermag innere Kräfte freizusetzen, die Schwung geben, Zuversicht und Glaubensmut- das sprichwörtliche Bergeversetzen. Im Fußball reicht dazu manchmal ein Trainerwechsel
Herr, stärke uns den Glauben, so bitten die Jünger, die Schüler des Meisters. Ihnen ging es wie uns. Glauben haben und ihn immer neu in sich beginnen lassen, weil man ohne Glauben nicht leben kann. Glauben in einem Glauben gleich einem Senfkorn und ist doch ganzer, tiefer, weltbewegender, menschenbewegender Glaube. Herr, gib uns solchen Glauben, einen Glauben, der an sich selber glauben kann, Glauben, der an Gott glaubt, weil er Glauben ist, aus Gott geboren, dem Gott der Zukunft und der Liebe, dem Gott des Friedens und des Trostes, dem Gott, der allen Jammer stillt.
Ja, nur ein Senfkorn echten Vertrauens, vieles ginge leichter von der Hand! Herr, schenke uns solchen Glauben, Glauben an Dich und dein Wort, wir könnten der Weltangst beherzter ins Auge blicken. Wo der Glaube sich einstellt, dort kommt es zu immer wieder überraschenden, wunderhaften Ereignissen, sie verrücken manchmal selbst für unerschütterlich geltende Bastionen. Die politische Geschichte ist voll davon. In diesen Tagen jährte sich zum 50. Mal der Marsch auf Washington mit Martin Luther Kings großer Rede: Ich habe einen Traum…, aus Glauben geboren. Oder ist nicht der Fall der Mauer am 9.11.1989 ein Glaubensereignis? Wie steht es dann erst um die persönliche Lebensgeschichte., wenn ein Mensch nach schweren Enttäuschungen im Glauben zu neuen Ufern aufbrechen durfte, wenn einer aus den Trümmern seines Lebens heraus erfahren durfte, dass Gott auf Wege führt, die man sich selber nicht ausdenken kann, wenn einer das Wunder der Gnade entdeckt, und zu Jesus findet, mehr noch erlebt, das er von ihm schon gefunden ist!
Sicher man kann sich treiben lassen, sicher man kann auch ohne Vertrauen atmen, essen und trinken, sich schlafen legen und wieder aufstehen und so einigermaßen freundlich kann man immer noch sein. Aber das Leben ist leer, der Sinn ist weg und das Wort von Gott, das Wissen um den großen Sinn ist verdeckt. Sicher, man kann leben als lebte man nicht, glauben als glaubte man nicht, aber in der Tiefe, in den Herzensentscheidungen eines Lebens, wünschten wir uns, glauben zu können, einfach, still und zugleich gewiss. Es will in uns glauben. Wir verlassen uns darauf, gewollt, geliebt, begabt und anerkannt zu sein, Wir müssen geradezu um des eigenen Lebensglückes willen glauben, aber es ist Gottes Treue, die uns dann auch glauben lässt. Er legt uns das kleine Senfkorn Glauben ins Herz, auf dass es still und unerkannt aufgehe und uns der Sonne, dem Guten entgegenreifen lasse.
Es gibt für mich kaum ein anderes lebendigeres Zeichen für diesen uns alle verbindenden Glauben, den wir zugleich immer neu suchen, immer neu auch um ihn bitten müssen, als der Glaube, der blanke, noch von aller Weltnot freie Glaube eines Kindes. Ein Kind glaubt! Es glaubt an seine Eltern. Es glaubt daran, dass sein Hunger nicht ungestillt bleibt, dass Liebe ihm Wärme gibt, dass es ein Recht auf seine Existenz hat – und nicht allein bleibt. Dass solche Erwartung immer wieder auch furchtbar enttäuscht werden kann, ist eine ungeheure Schmach, die mit über uns Menschen liegt. Aber im Kern wird mit jedem Kind der Glaube neu geboren. Ein Kind will glauben, von ganzem Herzen glauben, glauben, dass es geliebt ist, dass es ein Leben für es gibt, dass es unter diese Sonne gehört, um selber zu lieben, sein Leben zu lieben, Gottes Geschenk. Ein Kind glaubt, dass es Essen findet, sein tägliches Brot und es glaubt daran, dass es groß werden wird und dann wird alles gut sein. Ein Kind glaubt an das Leben – und in ihm glaubt das Leben an sich selber, denn es ist darin der Glanz des unendlichen Gottes, der die Liebe ist, die an sich selber glaubt, und gerade so alles duldet das Böse nicht anrechnet, an der Wahrheit sich freut, die im Kind glaubt und im Erwachsenen neu kindlich glauben will.
Es ist Jesus selber, der Anfänger und Vollender des Glaubens, der solchen machtvollen und darin ganz der Liebe hingegebenen Glauben hatte. Es ist Jesus selber, der aus seinem in der Gottesliebe entflammten reinen Glauben heraus, aus Glauben als nichts als Glauben an den himmlischen Vater, der da ist in allen und über allen, Berge versetzt hat, indem er das Leben von Menschen zum Guten umgewendet hat. Aus Glauben hat er der Welt das Evangelium geschenkt, weil er gerade nicht willkürlich und direkt Berge zu versetzen gedachte, zufällige Gedanken und Wünsche zum Laufen zu bringen suchte, weil gerade er nicht vorhatte, die Welt seinem Gutdünken und eitlem Begehren zu unterwerfen, sondern weil er vielmehr auf allen Eigensinn verzichtete und sich Gott übergab, dem Einzigen, dem wunderbaren Gott, der Wunder schafft, das Wunder des Glaubens, so wie es in jedem Kind beginnt. Ein Kind glaubt, weil es geliebt sein will und es glaubt, dass es geliebt und anerkannt wird, obgleich es so wenig ist, wenig weiß, wenig kann. Sein Senfkorn Glauben ist sein ganzen Leben und dieser Glaube glaubt ohne Bekenntnis, ohne Merksätze, ohne Gebet, Glauben jedem Glauben voraus, aus Gott geboren.
Es gibt für mich eine besonders eindrückliche Gestalt solchen weltbewegenden und zugleich kindlich-frommen Glaubens. Das ist die junge Lena Grove in William Faulkners Roman „Licht im August“. Diese junge Frau hat wahrlich Berge versetzt, ohne darin mehr oder anderes zu sehen als die bloße Selbstverständlichkeit ihres Glaubens an das Leben, ihres Glaubens an die Liebe, ihres Glaubens an den Gott, der dies ihr Leben, ihre Liebe, ihre Hoffnung gesegnet hat, obgleich nichts an ihr ist, nichts, dass sie heraushebt vor den andern. Da ist kein mehr an Wissen, kein mehr an Stolz, kein mehr an Erfolg – nur bloße, blanke Liebe und mit ihr die Erwartung, dass der Herr sie führt. Und so stellt Faulkner sie uns vor, wie sie ihren aufgeschwollenen Leib vor sich herträgt, das Kind, das in ihr nach Leben sich sehnt, gen Süden trägt auf der Suche nach dem Vater ihres Kindes, Lucas Burch. Stark sind sie, die junge werdende Mutter im fortgeschrittenen Stadium ihrer Schwangerschaft und das Kind in ihr, das leben will. Stark sind sie miteinander und nichts nimmt ihnen die Hoffnung, dass es besser werden wird, dass sie unter die Sonne, unter dieses Licht gehören. Mitten in der sengenden Augusthitze geht hier ein tieferes Licht auf, das Licht unerschütterlichen Glaubens – und bewegt die harten Herzen ihrer Mitmenschen.
„Lena sitzt am Straßenrand“, erzählt Faulkner. „Sie sieht, wie das Fuhrwerk über die Wegsteigung langsam näher rückt und denkt: Ich komme aus Alabama: ein schönes Stück. Von Alabama bis hierher gelaufen. Ein schönes Stück. Denkt: Noch nicht ganz einen Monat unterwegs und bin doch schon in Mississippi, so weit von zu Hause wie noch nie … An den Füßen hatte sie ein abgelegtes Paar Männerschuhe, die ihr der Bruder einmal überlassen hatte. Sie waren nur wenig benutzt, da im Sommer alles barfuß ging. Sobald sie den Staub unter den Füßen fühlte, zog sie sie aus und nahm sie in die Hand. Fast vier Wochen war sie nun so gewandert. Die vier Wochen hinter ihr, das aus der Tiefe nachrauschende Weit-Weit: Es ist ein friedeerfüllter Korridor; sein Boden ist nimmer wankender, gelassener Glaube und freundliche, namenlose Gesichter und Stimmen bevölkern ihn. Lucas Burch? Keine Ahnung. Ich kenne niemand in der Gegend hier, der so heißt. Die Straße da? Die führt nach Pocahontas. Vielleicht ist er dort. Es ist möglich. Da ist ein Wagen, der ein Stück in der Richtung fährt. Er wird sie weit mitnehmen“, so erzählt Faulkner.
Der Wagen nahm sie mit, dem Süden entgegen im Glauben an das Leben, seinen Sinn, seinen Herrn. Was Lena Grove so stark macht, ist ihr Glaube, ihr einfacher, klarer und schöner Glauben an das Leben, an Gott, an die grundsätzliche Möglichkeit der Güte und des Glücks. Ein Glauben, der im Gegensatz steht zur Lebenssicht Joe Christmas‘, der zweiten tragenden Figur in diesem literarischen Meisterwerk. Joe Christmas irrt heimatlos, ortlos, in sich selbst erkaltet durch die Welt. Er lebt so dahin, schlägt sich mit Whiskyschmuggel durch. Wenn er arbeitet, so arbeitet es nur durch ihn. Mechanisch bewegt er die Schaufel. Er selber ist blicklos. Sein Leben ist ohne Glanz, ohne Glauben, ohne jegliche Hoffnung, ohne alle Gefühle. Er wurde in dieses Leben getrieben, aber dann hat er es sich auch zu eigen gemacht, Leben ohne Glaube, ohne dieses Senfkorn Glauben, das Lena Grove in sich trägt und von dem gesagt wird: Er stellt meine Füße auf weiten Raum, Er, Gott und sonst keiner.
Es ist dieses Senfkorn Glauben, das schon der ganze Glauben ist, weil er einfach daran glaubt, dass es in, dank Gottes Treue möglich ist zu leben, möglich ist, dass sich immer neu der Himmel auftut und sich ein Licht zeigt am Horizont. Glauben, dass nicht alles verloren ist, dass es Heilung gibt und Errettetwerden aus der Verzweiflung, dass es immer neue Geburten gibt, die Geburt von Kindern, die das Leben wollen und die Geburt guter Gedanken, guter Taten, guten Einvernehmens mit sich und Gott. Es ist dieses Senfkorn Glauben, das die Welt bewegt und wenn man so will Berge versetzt oder Maulbeerbäume verrücken kann, weil der Glaube die Seele des Lebens ist, die Seele des Lebendigen. Es gibt ja eine alte Erkenntnis, die sagt: Die Seele formt den Leib, gibt ihm Gestalt und Stärke. Der Glaube an den Gott des Lebens, der die Liebe ist, gibt dem Leben Gestalt und Stärke. Der Glaube glaubt sich selbst und glaubt, dass so Gott selbst ist, Gott, der zu sich selber steht und uns glauben lassen will, damit wir zu uns selber stehen, aufrecht, im unbedingten Glauben, von Gott gewollt zu sein und bestimmt einen weiten Weg zu gehen, mit allen Menschen in das Reich der Himmel, der Weg mit seinem aus der Tiefe nachrauschenden Weit-Weit: ein friedeerfüllter Korridor.
Die Zitate aus William Faulkner, Licht im August, 4.Auflage, Berlin 1985, S.6-9
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