Nur nicht ärgern! - Predigt zu Matthäus 11,2-6 von Wolfgang Gerts
11,2-6

Nur nicht ärgern!

Liebe Gemeinde,

Wir feiern den 3. Advent. Die Vorfreude auf ein festliches Ereignis wird größer. Wir erwarten das Kommen des Sohnes Gottes. Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! (Mt 21,9) Mit Jubelrufen und Gesängen wird der Retter erwartet. Das findet zwar in der Passionszeit statt, bevor sie alle „Kreuzige“ schreien, aber weil es inhaltlich um Erwartung des Ankommenden geht, gehört dies sachlich zum Advent. Die Adventszeit ist immer auch eine Zeit des Singens und der Lieder. Die Adventslieder legen es uns in die singenden Münder: Der Sohn Gottes, der Retter, zieht ein und kommt in unsere Welt - aber:

Er kommt als ein Ärgernis! Der Predigttext moduliert das fröhliche Singen und die gute Stimmung: Aus Dur wird scheinbar Moll. Das Kommen des Sohnes Gottes als ein Ärgernis verleiht dem 3. Advent einen widerständigen Klang im glänzenden Licht der Geschäftsstraßen und im süßen Duft der Weihnachtsmärkte. Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert, spricht Christus im Predigttext. Eine seltsame Seligpreisung.

Ärgernis, Anstoß und Skandal - so viel Marktschreierei scheint zur redlichen Bibel und zur lichterfrohen Adventszeit gar nicht zu passen. Schließlich bereiten sich viele Kinder, Männer und Frauen auf das Fest der Liebe vor. Ärgernis, Anstoß und Skandal - all das scheint doch in plakativen Boulevardzeitungen oder in pikanten Talkshows besser aufgehoben zu sein. Ein Bundesminister hat in die eigene Tasche gewirtschaftet, und Geschenke bleiben an ihm kleben. Ein beliebter Sportler wird kriminell und muss für immer aus dem Verkehr gezogen werden. Ein Gerichtsmitarbeiter handelt mit Doktortiteln - das sind Skandale, und darüber muss gesendet werden!

Die ungezählten Talkshows im Welt umspannenden Fernsehen haben prominente Sendeplätze und finden ein Millionenpublikum. Eine Sache der Talkshows

 König unter den Talkmastern war in den Vereinigten Staaten Larry King. Der meinte, es wären zwei Persönlichkeiten, die er trotz der tausenden von Interviews ungemein gern befragen würde: Zum einen Abraham Lincoln, den amerikanischen Präsidenten zur Zeit der Sklavenbefreiung; und zum anderen - Jesus Christus!

Jesus Christus im Interview! Bei dieser durchaus amerikanisch durchtränkten Vorstellung muss ich erst einmal durchatmen. Unverfroren. Es ärgert mich, dass Jesus Christus wie irgendein Prominenter vorgeführt und befragt werden soll. Aber riskieren wir ein Interview mit Jesus Christus!

Es ist erstaunlich: So völlig aus der Luft gegriffen scheint die Idee des Medienmanns gar nicht zu sein. Denn der Predigttext selbst ist wie eine Art Interview aufgebaut: Auf die Frage Johannes' des Täufers gibt Jesus von Nazareth eine Antwort. Johannes der Täufer ist gleichsam der erste Interviewer in der christlichen Geschichte. Über seine Jünger lässt er Jesus fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?

Johannes der Täufer lässt deshalb über seine Jünger fragen, weil er selbst eingekerkert im Gefängnis sitzt. Er hat mit seiner Predigt der Buße Anstoß und Ärgernis bei König Herodes erregt. In der Todeszelle hört er von den Werken Christi. Er hört von der Heilung zweier Blinder (Mt 9,27-31), eines Gelähmten (Mt 9,2-8), eines Aussätzigen (Mt 8,1-4), eines Tauben (Mt 9,32-34); zu guter Letzt hört er von der Totenauferweckung eines Mädchens (Mt 9,18-26). Durch alle Ritzen des Gefängnisses dringt die Kunde von einem Retter und Visionär.

Wenn ein Linker ein Amt als Regierungschef antritt, dann werden ihm auf allen Sendern und Kanälen kritische Fragen gestellt: Wer bist du? Was ist dein Programm? Was lässt sich von dir erwarten? Ein Antrittsinterview jagt das nächste. Wenn wir auf unseren Predigttext blicken, dann hat scheinbar Johannes der Täufer diese Tradition des Antrittsinterviews begründet. Er führt gewissermaßen das exklusive Christus-Interview im Advent: Bist du es, der da kommen soll?

Die Frage im Interview Verharren wir ein wenig bei den Fragen im Christus-Interview. Welche Fragen würden wir heute im Advent stellen, wenn wir dazu wie Johannes der Täufer die Gelegenheit hätten? Was wäre deine Frage?

Locker und aufgeräumt könnte solch ein Christus-Interview verlaufen - unter der Schlagzeile: Der Autor sprach noch vor seiner Ankunft mit dem Sohn Gottes! Aber an den Fragen merken wir, dass sich Jesus Christus nicht einfach am grünen Tisch interviewen lässt. Denn am grünen Tisch im Studio lassen sich Politiker und Prominente, Stars und Sternchen befragen - mit interessanten und weniger interessanten Fragen. Aber Christus lässt sich in diesen Fragen weder ergreifen noch begreifen.

Im Matthäusevangelium wird betont, dass Johannes der Täufer aus dem Gefängnis heraus seine Frage stellt. Wenn man im Dunkel sitzt, wenn es um das Ganze geht, wenn das Leben auf dem Spiel steht, dann kommt man wohl eher zu Fragen, die Christus entsprechen. Das ist das Ärgernis, dass sich Christus nicht einfach an jedem Ort befragen lässt. Erst im Dunkel des Kerkers, auf Messers Schneide, im bitteren Jammertal - dort wird man ermessen, was Christus bedeutet und welches Licht er in die Welt bringt. Das ist das Ärgernis, dass man die eigenen Tränen und das eigene Blut schmecken muss, um Christus zu begegnen. Doch selig ist, wer sich nicht an mir ärgert, spricht Christus.

Die Antwort im Interview Auf eine jede Frage in einem Interview wird eine Antwort erwartet. Als die Jünger des Täufers dessen Frage überbracht haben, antwortet Jesus und spricht: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt.

Die Antwort Jesu lässt sich nicht einfach am grünen Tisch eines Interview-Studios verstehen. Wir hören kein direktes Ja oder Nein. Wir bekommen keine Antwort, die man bloß abnicken bräuchte, um zur nächsten Frage zu kommen. Das ist ein Ärgernis, dass man Christus allein dann begreift, wenn man selbst zum Ohren- und Augenzeugen seines Wirkens wird. Sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht, antwortet Jesus. Das ist ein Ärgernis, dass man sich selbst mit hineingeben muss in das Christusgeschehen. Hier gibt es keine Zuschauerplätze, auf denen man bequem gepolstert einem religiösem Schauspiel beiwohnen kann. Der, der da kommt in dem Namen des Herrn, der fordert unser Herz, unsere Entscheidung, unsere Traurigkeit und unsere Freude heraus.

Das persönliche Durchleben des Christusgeschehens lässt sich mit dem Singen von Liedern vergleichen. In der Adventszeit wird gern und häufig gesungen. Wer singt, kann das nicht aus einer Zuschauerhaltung heraus tun. Singen ist immer auch ein persönliches Geschehen und Ergehen. Es braucht die eigene Stimme, die eigene Körperhaltung, das eigene Hinein fühlen in den Text und in die Klänge, Harmonien finden. Hier kann man gegen die alten Gewohnheiten aber einen neuen Klang entdecken.

Mit dem Einbruch des Neuen und Ungewohnten stehen wir vor dem letzten Ärgernis, das der Predigttext am 3. Advent auslöst. Denn der erwartete Retter bürstet unsere Erfahrungen gegen den Strich: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt. Es geschieht eine Umkehrung und Umwertung aller Dinge. Nichts bleibt beim Alten. Wer die auf allen Nachrichtenkanälen verbreitete Eurofinanzkrise verfolgt, hat erfahren, wovon ich spreche: Aktien sind auf einmal nichts mehr wert; sicher geglaubte Bankeinlagen bereiten Angst und Sorge; Finanzexperten sind mit ihrem Latein am Ende. Zinsen gibt es nicht mehr, man muss die Banken bezahlen, wenn sie unser Geld nehmen. Das ist das Ärgernis: Nichts bleibt wie es ist, und alles wird anders.

Wenn der kommt, der da kommen soll, dann erkennt man die Blinden und Lahmen nicht wieder, die Geistreichen und die Geistlosen, die Aussätzigen und die Tauben, die Erfolgreichen und die Erfolglosen, die Armen und die Reichen, die Hohen und die Tiefen, die Gottlosen und die Frommen. Das ist das Ärgernis, dass der Advent Gottes so ganz anders sein wird, als man sich ihn vorstellt und ausmalt. Am Ende geschieht der Advent Gottes dort, wo man ihn zuallerletzt erwarten würde: Bei den Schmutzigen und Verpennten, bei den Taugenichtsen und Gelegenheitsarbeitern, bei den Schulabbrechern und Verpeilten. Der Advent Gottes macht aus Verlierern Gewinner und aus Traurigen Fröhliche. Das wird ein Singen und Jubeln sein! Das wird ein Heulen und Zähneklappern sein! Der, der da kommt, kommt als Anstoß und Ärgernis für die Sicheren und Selbstsicheren. Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert, spricht Christus.

Das heilsame, fruchtbare Ärgernis. Blicken wir auf unseren Predigttext zurück. Der Sohn Gottes, der Retter, zieht ein und kommt in unsere Welt - aber: Er kommt als ein Ärgernis! Das Kommen Jesu als ein Ärgernis verleiht dem 3. Advent einen widerspenstigen Klang im glänzenden Licht der Geschäftsstraßen und im süßen Duft der Weihnachtsmärkte.

Manchmal gibt es das: Ein heilsames, fruchtbares Ärgernis. An heilsamen, fruchtbaren Ärgernissen kann man wachsen und reifen - so wie man beim Singen an queren Tönen und reibenden Harmonien einen neuen Klanghorizont entdecken kann. Jetzt bricht durch alte Gewohnheit ein neuer Lebensgeschmack. Jetzt bricht mitten im alltäglichen Durchschnitt ein großer Advent auf. Ich denke an Christen in aller Welt, die im Kampf des Alltags bestehen.

In Indien leben Christen in der Minderheit. Zumeist gehören sie den unteren Gesellschaftsschichten an. Das hinduistisch geprägte Kastenwesen erschwert den gesellschaftlichen Kontakt und den sozialen Aufstieg. Doch Christen und Christinnen entdecken ihre Gottesebenbildlichkeit und ihre Menschenwürde. Selbstbewusst geworden, treiben sie Geschäfte und schließen Verträge - und das auch quer zum traditionellen Kastenwesen. Das ist das Ärgernis, das Christen in Indien auslösen: Niedrige erheben sich aus der Tiefe und Hohe werden von ihrem Gesellschaftsthron gestürzt.

In Brasilien wehren sich Kleinbauern und Landlose gegen das Großkapital und gegen Großgrundbesitzer. Man kämpft für eine alternative Agrarreform und für die Entwicklung von Kleinbetrieben. Und man kämpft gegen die Vertreibung vom Land und vom angestammten Lebensraum Kleinbauern, Landarbeiter, Indianer und Landlose strömen herbei und streiten für ihr Recht. Und sie rufen: „Das Land gehört dem Schöpfer-Gott und die Konzentration in den Händen weniger stimmt nicht mit Gottes Willen überein. Wie im Zeugnis der Bibel ergreift Gott Partei für die Kleinen, identifiziert sich mit ihnen und ist in ihren Geschichten und Kämpfen präsent. Niedrige erheben sich aus der Tiefe und Hohe werden von ihrem Gesellschaftsthron gestürzt. Nicht weniger und nicht weniger aktuell verkündet

Gottes Advent ist ein heilsames, fruchtbares Ärgernis. Gottes Advent ist ein Anstoß. Nichts bleibt beim Alten. Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert, spricht Christus im Matthäusevangelium.

Amen

Liedvorschlag: O Heiland, reiß die Himmel auf, EG 7

 

Perikope
14.12.2014
11,2-6