Oculi – nach vorne schauen – Predigt zu 1. Petrus 1,18-21 von Christoph Hildebrandt-Ayasse
1,18-21

Liebe Gemeinde,

wir hören am heutigen Sonntag Okuli auf einen Abschnitt aus dem 1. Petrusbrief; es sind hier im ersten Kapitel die Verse 18-21:

 

„Ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von eurem nichtigen Wandel nach der Väter Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. Er ist zwar zuvor ausersehen, ehe der Welt Grund gelegt wurde, aber offenbart am Ende der Zeiten um euretwillen, die ihr durch ihn glaubt an Gott, der ihn auferweckt hat von den Toten und ihm die Herrlichkeit gegeben, damit ihr Glauben und Hoffnung zu Gott habt.“

Liebe Gemeinde,

Nennen wir sie: Mary. Mary ist Wanderarbeiterin von den Philippinen. Sie arbeitet als Haushaltsangestellte in Hong Kong. Sie ist als Wanderarbeiterin dorthin gegangen, damit ihre Kinder eine gute Ausbildung bekommen. Das kostet viel Geld. Geld, das Maries Familie nicht hat. Mary tritt mit ihrer Arbeitskraft und ihrer eigenen Lebensplanung ganz für ihre Kinder ein. Sie nimmt die Trennung von ihrer Familie und die Ungewissheit eines Lebens in einem fremden Land auf sich. Mary weiß, dass sie Glück gehabt hat, eine Stelle in Hong Kong zu finden. Hier hat sie einen Arbeitsvertrag und ein garantiertes, festes Gehalt. Die Familie, für die sie arbeitet, hält sich an das Arbeitsrecht und die Gesetze. Sollte es einmal anders kommen, so ist sie entschlossen zur Missionsgesellschaft für Wanderarbeiterinnen (http://www.migrants.net/) zu gehen. Dort wird sie juristischen Beistand bekommen. Und man wird ihr Recht verschaffen.

Sonntags geht Mary in die Kirche. Das tut ihr gut. Im Gottesdienst bekommt sie das Gefühl, dass sie wertvoll ist. Wenn sie Gottes Wort hört, weiß sie, dass sie mehr ist als das Geld, für das sie arbeitet. Und dann betet sie für ihre Familie auf den Philippinen, die sie so schrecklich vermisst. Und für ihre Freundinnen und Bekannten, die nicht so viel Glück haben wie sie. Sie kennt die Schicksale von Wanderarbeiterinnen, die Gewalt und Ausbeutung erfahren, die ausgenutzt werden. Sie betet für die Wanderarbeiterinnen in der Welt.

Und wenn sie das „Christe, du Lamm Gottes“ zum Abendmahl singt, dann versucht sie ihre Sorgen und das, was sie belastet, los zu lassen und los zu werden. Ohne Glauben und Hoffnung könnte sie ihr Leben als Wanderarbeiterin nicht aushalten.

 

Liebe Gemeinde,

Menschen wie Mary verstehen den 1. Petrusbrief ganz unmittelbar; auch wenn er nun schon fast zweitausend Jahre alt ist. Unter den Christen, an die der 1. Petrusbrief gerichtet ist, waren damals zahlreiche Sklaven. Sie wurden für „Silber oder Gold“ verkauft von einer Herrschaft in die andere. Wenn man Glück hatte, bekam man eine anständige oder erträgliche Arbeit. Und wenn man unverschämt viel Glück hatte, dann konnte es passieren, dass jemand mit einem guten Herzen einen Sklaven freikaufte. Dann konnte man endlich sein eigenes Leben führen.

Millionen von Menschen können heute nicht ihr eigenes Leben führen. Sie sind als Wanderarbeiter unterwegs, eine Art moderner Sklaverei: Arbeitskraft und Leben verkauft für „Silber oder Gold“.

Nennen wir ihn Tarek. (nach: „Ökumenischer Bericht zur Religionsfreiheit von Christen weltweit 2017“; Gemeinsame Texte Nr. 25; S. 53) Tarek kommt aus Tunesien. Seit drei Jahren lebt er in Deutschland und kämpft um sein Bleiberecht, denn in seiner Heimat ist sein Leben bedroht. Tarek hat sich vor einigen Jahren heimlich dem Christentum zugewandt. Sein Weg dahin hat lange gedauert. Drei Jahre hat er im Verborgenen die Bibel gelesen und gebetet. Die Biblische Botschaft der Nächstenliebe wurde ihm wichtig. Vom Glauben seiner Vorfahren hat er sich abgewandt. Ein guter Freund, dem er sich anvertraute, aber sagte es seiner Familie, dass Tarek sich dem christlichen Glauben zuwandte. Er wurde daraufhin beschimpft und bedroht. Er floh nach Deutschland. Er nahm an einem Glaubenskurs teil und ließ sich taufen.

Liebe Gemeinde,

Menschen wie Tarek verstehen den 1. Petrusbrief ganz unmittelbar; auch wenn er nun schon fast zweitausend Jahre alt ist. Und so wie bei Tarek wurden die Christen damals verleumdet, beschimpft, bedroht. Und auch ermordet. Damals gab es noch keine großen Gemeinden. Vereinzelt wandten sich Menschen dem Glauben an Jesus Christus zu. Die Christen waren eine kleine Minderheit. Es waren Sklaven, Frauen und einige angesehene Bürger. Hier und da eine kleine Schar, die sich sicher war, dass Gott schon immer, hier steht: „ehe der Welt Grund gelegt wurde“, also.: seit Ewigkeit für sie da sein will. Das machte ihnen Mut und gab ihnen Hoffnung. Wir gehen nicht verloren, so schwer das Leben auch wird. Und wenn wir sterben, dann sind wir in Gottes Hand geborgen und gehen in seine Herrlichkeit. Wenn wir verfolgt werden, wenn wir als Christen angepöbelt werden, dann sind wir ganz nah bei Jesus Christus. Das galt damals, und das gilt heute.

Mit dem Bild vom Opferlamm versuchten die Christen damals zu fassen, was Jesus für sie bedeutete. Für uns heute ist dieses Bild vom Opferlamm ziemlich fremd. Damals waren Opfer in den verschiedenen Religionen einfach üblich. Und vor allem: die Opfer im Tempel in Jerusalem, die Worte der Propheten: alles war ganz nah und einsichtig: „erlöst … mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes“. Das entsprach dem, was der Prophet Jesaja sagt: „4 Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. 7 Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm“ (Jes. 53). Das, was belastet, drückt; das wo wir schuldig geworden sind: all das können wir am Kreuz Jesus ablegen und es dort loslassen. So formulieren wir es heute eher. Und ähnlich formuliert findet es sich auch an anderer Stelle im 1. Petrusbrief (3, 24): „Der unsre Sünden selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden.“ Es geht beim Glauben an Christus, das wisst ihr, schreibt der 1. Petrusbrief, ums Freiwerden und ums Aufatmen, um das sich Aufrichten können und um neue Orientierung.

Liebe Gemeinde,

„Occuli“ heißt der heutige Sonntag. Er hat seinen Namen aus dem Psalm 25 auf Latein: Occuli mei semper ad Dominum - Meine Augen sehen stets auf den Herrn. Und Sie haben bestimmt noch die Schriftlesung im Ohr und den Wochenspruch zum Sonntag Occuli, der daraus stammt: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für Reich Gottes.“ (Lk. 9,62)

Es geht also um das nach vorne Schauen. Und damit zugleich um ein Absehen von etwas und um ein hinter sich Lassen von etwas. Den „nichtigen Wandel nach der Väter Weise“ sollen wir hinter uns lassen. So formuliert es der Petrusbrief. Das meint nicht die schlechten Gewohnheiten unserer Väter oder auch Mütter, die wir übernommen haben; vielleicht das auch. Manchmal entdeckt ja bei sich, dass man das Kind seiner Eltern ist; auch wenn man meint, alles ganz anders als sie zu machen. Der Petrusbrief meint hier vielmehr einen radikalen Wechsel; eine völlige Neuausrichtung. Für die Menschen damals hieß es, ihren traditionellen Glauben zu verlassen und sich ganz neu Jesus anzuvertrauen. Das heißt es auch für Tarek heute. Und Mary vertraut Jesus das an, was sie belastet. Und sie bringt vor ihn, dass heute weltweit Wanderarbeiterinnen für „Silber und Gold“ verkauft werden.

In einer anderen Übersetzung fand ich folgende Formulierung: Wir sollen eine nutzlose Lebensweise, eine inhaltslose Lebensorientierung hinter uns lassen.

Die Passionszeit ist eine gute Gelegenheit, einmal darüber nachzudenken, auch ernsthafter uns zu prüfen, was uns daran hindert, uns an Jesus Christus aus zu richten. Dabei geht es nicht um das Grübeln über Vergangenes, Geschehenes oder Verpasstes. Es geht um den Blick nach vorne. Es geht, so die Stichworte aus dem 1. Petrusbrief, um Erlösung, Herrlichkeit, Auferstehung, Glaube und Hoffnung. Alles große Worte, die aber nichts anderes sagen wollen als: ihr wisst, ihr könnt viel mutiger, viel froher, viel positiver, viel gelöster auf das Leben vor euch schauen.

Darin sollten wir uns üben. Occuli: Meine Augen sehen stets auf den Herrn.

Amen.

Perikope
04.03.2018
1,18-21