Offen und weitherzig
Liebe Gemeinde,
„Gold, Weihrauch und Myrrhe“ schenkten sie ihm – sie fielen nieder vor dem Kind und beteten es an, dann taten sie ihre Schätze auf.
Es ist die Geste der unbedingten Anerkennung, die Zeichengebung einer unbeschränkten Heilserwartung, um die es sich hier handelt. Demgegenüber tritt das von Angst und Haß erfüllte Vorgehen des Herodes zurück. Gewiß, wir sehen, daß die Geschichte Jesu von Beginn an umgeben ist von Hinterhältigkeit, Verrat und Zerstörungswut. Er soll nicht leben! – das ist die Devise der Feinde seit dieser ersten Stunde. Aber Gott ist mit ihm, und so wird der Plan zunichte. Untergehen wird Jesus nicht, selbst dann nicht, wenn es zuletzt doch gelingt, seinem irdischen Weg ein Ende zu setzen.
I.
Wir haben es also mit der Erzählung von den „Heiligen drei Königen“ zu tun. Der Evangelist Matthäus kennt sie allerdings nicht als „Könige“, sondern als „Sterndeuter“ oder auch „Magier“. Als Könige werden sie im Neuen Testament nicht bezeichnet, wie auch die Angabe, daß es sich um drei Personen handelt, eine Präzision der späteren Legendenbildung ist. Und daß ihre Namen Caspar, Melchior und Balthasar gewesen wären, wie es die westliche Tradition des Christentums weiß, ist eine Kenntnis, die deutlich jüngeren Datums ist, ebenso wie jene andere, wonach die drei Weisen die Nachkommen der Söhne Noahs, Sem, Ham und Japhet, waren und folglich die universale Kirche darstellen. Noch viel später hat man dann sogar auch etwas über einen vierten König erzählen können, der sich aber auf seiner Reise nach Bethlehem zur Krippe um dreißig Jahre verspätet. Die mitgeführten Gaben gibt er unterwegs für Werke der Barmherzigkeit hin, und als er dann endlich eintrifft, wird er zum Zeugen des Gekreuzigten auf Golgatha.
Matthäus jedenfalls erzählt knapp und nüchtern nichts anderes, als daß „Weise aus dem Osten“ durch den Stern von Bethlehem zur Geburtsstätte Jesu geführt werden. Dort erwarten sie, „den neugeborenen König der Juden“ zu finden, den sie anbeten wollen. Hier hat das Prädikat „König“ seinen Sinn, und von ihm aus erklärt sich auch der Schrecken des Herodes, denn er mußte darin ja eine Bedrohung seiner eigenen Autorität sehen.
Mit der Frage, wie es zur Entstehung dieser Erzählung kommen konnte, wollen wir uns nicht weiter aufhalten. Generell geht es in die falsche Richtung, wenn man nach historischen Grundlagen für das erzählerische Material der Evangelien forscht. Man kann das tun, und es ist ja auch an sich ganz interessant. Aber dem Wesentlichen kommt man damit nicht nahe. Die Gefahr ist vielmehr groß, daß man sich auf Nebenfelder begibt und Streit um Dinge führt, die der Sache nach nicht den Mittelpunkt bilden.
Die Erzählung von den Weisen aus dem Morgenland gehört nun einmal einfach zur Weihnachtsgeschichte hinzu. Sie ist ein fester Bestandteil unserer christlichen Überlieferung, und an ihr wollen wir festhalten. Das Historische bewegt uns dabei nicht. Wir fragen nicht, woher diese Sterndeuter denn eigentlich von dem besonderen Kind wissen konnten. Wir fragen nicht, in welchem Verhältnis sie vor und nach der Szene von Bethlehem zum Glauben an den Erlöser standen. Darüber wird bei Matthäus nichts gesagt. Worum es geht, ist die einzigartige heilsgeschichtliche Stellung Jesu, und die Anbetung der Weisen geschieht, weil gezeigt werden soll: Von Anfang an wissen einige Klarsichtige darum.
II.
Der entscheidende Punkt ist, daß es sich bei diesen Klarsichtigen um Menschen handelt, die von weither kommen. Ihre Besonderheit besteht weniger in ihrer Würde als „Könige“, da geht die Legende in die Irre, so sehr auch der prächtige Reliquienschrein im Kölner Dom gerade diesen Umstand den Gläubigen einprägen möchte. Daß sie auf irgendeine Weise von dem heiligen Kind erfahren haben, daß sie dann den Entschluß gefaßt haben, sich auf den Weg zu machen und daß sie ihre Aufgabe in nichts anderem sehen, als diesem Kind eine besondere Ehre zu erweisen, das ist es, was sie auszeichnet.
Und hierin liegt auch die Bedeutung der Erzählung: Die Weihnachtsgeschichte erhält durch sie eine Weite und Offenheit, die aus der Grundkonstellation von Stall und Krippengeburt heraus nicht zu erwarten wäre. Das beschränkt Lokale, das Heimliche, das Anheimelnde – jene Konzentration auf den einen Ort, den wir in unserem Weihnachtsfest so innig nacherleben, wird durch das Eintreffen der Weisen aus dem Morgenland und ihre „Anbetung“ unerwartet, ja sogar plötzlich ins Weltweite hin geöffnet.
Das bedeutet nicht, daß nun das Geschehen im Stall von Bethlehem seine Geschlossenheit verlieren würde. Es kann, wenn man so will, bei der Intimität der Krippe bleiben. Aber es kommt durch die Erzählung eine Horizonterweiterung hinzu. Das christliche Ursprungsfest ist eben sowohl ein Moment besonderer Konzentration wie auch des Bezuges zum Anderen. Hierin sehe ich den Sinn und den Gehalt der Erzählung, und es ist gut, wenn wir uns in diesem Gottesdienst daran auch ausdrücklich erinnern.
Auch unsere gottesdienstlichen Feiern sind ja Momente der religiösen Konzentration. Aber sie sollen eben auch einen Bezug zur Welt um uns her haben. Sie sollen eine Dimension des Offenen aufweisen und uns für den Weg in und durch die Welt stärken. So wie die drei Weisen durch ihr Auftauchen in Bethlehem zu ganz frühen Weggefährten Jesu geworden sind, können sie uns daran erinnern, daß auch wir niemals anders Weggefährten Jesu sein können denn als Bürger und Einwohner dieser Welt.
III.
Der christliche Glaube ist seiner Natur nach offen und weitherzig. Anders sollte man auch die Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen nicht verstehen, von denen in der Erzählung die Rede ist. Wenn es heißt, daß die Weisen erklären, sie hätten „den Stern des neugeborenen Königs der Juden im Morgenland gesehen“, so bezieht sich das auf jenes Wort aus dem vierten Buch Mose: „Ich sehe ihn, aber nicht jetzt; ich schaue ihn aber nicht von nahe. Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen und ein Zepter aus Israel aufkommen […]“ (4. Mos 24, 17). Die Geschenke der Weisen sind Zeugnisse dafür, daß Jesus tatsächlich der Messias ist. Auch sie beziehen sich auf alttestamentliche Motive. So heißt es bei Jesaja: „Alle kommen von Saba, bringen Weihrauch und Gold und verkünden die ruhmreichen Taten des Herrn“ (Jes 60, 6). Gold als Gabe finden wir auch in Psalm 72 (Verse 10 bis 15), und Myrrhe und Weihrauch „umwölken“ die Szenerie im Hohenlied (3, 6). Ganz ausdrücklich läßt dann aber der Evangelist vor allem die Aussage des Propheten Micha in Erfüllung gehen: „Und du Bethlehem Ephrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir kommen, der in Israel HERR sei, welches Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist“ (Mi 5, 1). Auch an der immerhin nicht unbedeutenden Veränderung des ursprünglichen Prophetenwortes sollte man keinen Anstoß nehmen; sie ergibt sich aus der im Glauben erkannten Erfüllung jener Verheißung gleichsam von selbst und erweist umgekehrt die produktive Kraft des Alten Testamentes für die Bildung neutestamentlicher und nachneutestamentlicher Legenden.
Religionen sind bewegliche Gebilde. Das gilt für das Christentum genauso wie für das Judentum, und zwar in allen ihren konfessionellen Ausprägungen. Religion ist gestaltetes Gottesvertrauen. Ob wir wollen oder nicht, so sind doch auch wir hineingestellt in die lebendige Bewegung des Glaubens. Die Art und Weise, wie wir heute und hier Christen sind, wie wir uns das christliche Bekenntnis zueigen gemacht haben und es in unserem Leben wirklich werden lassen, ist die Wirklichkeit des Christentums an sich. Es gibt keine abstrakte, dogmatisch richtige oder irgendwie sonst verbindliche Form des christlichen Glaubens, an die man sich als Gläubiger annähern müßte, um im vollen Sinne als Christ gelten zu können. Sind nicht die Weisen aus dem Morgenland wahrhaftige Zeugen Jesu gewesen? Und das, obwohl für sie, diese gottesfürchtigen Heiden, ja nun wohl von einer kirchlichen Frömmigkeit keinesfalls die Rede sein kann.
Lassen Sie uns die Erzählung in diesem Sinne auffassen. Sie kann uns ermutigen, den Weg des Glaubens als lebendige Menschen zu gehen, lebendig in jeder denkbaren Hinsicht, mit dem ganzen Geist, dem ganzen Leib, der ganzen Fülle, die uns gegeben ist, als die irdischen Wesen und Geschöpfe Gottes, die wir sind.
Amen.
Verwendete Literatur:Ulrich Luz: Das Evangelium nach Matthäus. 1. Teilband: Mt 1 – 7 (Evangelisch-Katholischer Kommentar. Band I / 1). Dritte, durchgesehene Auflage, Zürich und Neukirchen-Vluyn 1992 (hier auch zum komplexen exegetischen Befund hinsichtlich der Wortlautveränderung von Mi 5, 1; siehe Seite 113f.).
Edzard Schaper: Der vierte König. Ein Roman, Köln 1961.