Jona 310 Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht. 41 Das aber verdross Jona sehr, und er ward zornig 2 und betete zum HERRN und sprach: Ach, HERR, das ist’s ja, was ich dachte, als ich noch in meinem Lande war. Deshalb wollte ich ja nach Tarsis fliehen; denn ich wusste, dass du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt dich des Übels gereuen. 3 So nimm nun, HERR, meine Seele von mir; denn ich möchte lieber tot sein als leben. 4 Aber der HERR sprach: Meinst du, dass du mit Recht zürnst? 5 Und Jona ging zur Stadt hinaus und ließ sich östlich der Stadt nieder und machte sich dort eine Hütte; darunter setzte er sich in den Schatten, bis er sähe, was der Stadt widerfahren würde. 6 Gott der HERR aber ließ einen Rizinus wachsen; der wuchs über Jona, dass er Schatten gab seinem Haupt und ihn errettete von seinem Übel. Und Jona freute sich sehr über den Rizinus. 7 Aber am Morgen, als die Morgenröte anbrach, ließ Gott einen Wurm kommen; der stach den Rizinus, dass er verdorrte. 8 Als aber die Sonne aufgegangen war, ließ Gott einen heißen Ostwind kommen, und die Sonne stach Jona auf den Kopf, dass er matt wurde. Da wünschte er sich den Tod und sprach: Ich möchte lieber tot sein als leben. 9 Da sprach Gott zu Jona: Meinst du, dass du mit Recht zürnst um des Rizinus willen? Und er sprach: Mit Recht zürne ich bis an den Tod. 10 Und der HERR sprach: Dich jammert der Rizinus, um den du dich nicht gemüht hast, hast ihn auch nicht aufgezogen, der in einer Nacht ward und in einer Nacht verdarb, 11 und mich sollte nicht jammern Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen sind, die nicht wissen, was rechts oder links ist, dazu auch viele Tiere?
Gott pflegt ein Besitzdenken, das eine offene Beziehung einschließt. Eigentlich schließt sich beides für unser Verstehen aus. Für Menschen ist es sehr schwierig, das unter einen Hut zu bringen. Entweder wird es unverbindlich oder diktatorisch. Für Gott gestaltet sich das anders. Was geht da vor sich? Wenn eines seiner Geschöpfe von ihm abfällt, dann will Gott es unbedingt wieder für sich gewinnen. Damit sein Wollen und Denken in eine Tat mit Erfolg mündet, lässt Gott sich allerhand einfallen. Da ist er offen für alles, was hilft. Und also offen für den Menschen, der umgestimmt werden muss. Offen für jeden Winkelgang, den das Herz von Menschen sich ersinnen kann. Um ihm dann einen Ausweg aus dem selbst gewählten Labyrinth anzubieten. So auch im Fall unseres Propheten, anhand des Planspiels mit der Pflanze Rizinus und den Einwohnern Ninives. Denkt Jona so, wie Gott es ihm nahelegt? Ergreift Gottes Denken Besitz von Jona, eröffnet es ihm neues Denken, Wollen und Tun? Oder verschließt der Prophet sich Gottes Ansinnen? Bleibt von seiner Denke besessen?
Schauen wir uns mal die Vorgeschichte dazu an. Jona bekam von Gott den Auftrag: Rede als mein Prophet in der Stadt Ninive gegen ihre Bewohner und deren Bosheit. Vor Ort angekommen wird Jona klar: Drei Tage harte Arbeit stehen bevor. Denn Ninive ist eine reiche Megacity, die riesig viel Boden bedeckt und verbraucht. Die Slums stehen eng und gedrängt. Aber die freistehenden Einfamilienhäuser mit ihren halben Parks drumherum. Drei Tage soll es dauern, bis man ihre Routen durchmessen hat. Drei Tage? Die hat Jona in einem Fischbauch zugebracht. Das ist härter. Die Subways oder Boulevards von Ninive mögen da geradezu wie ein Kinderspiel erscheinen. Also frisch auf an die Arbeit!
Und die ist von Anfang an erfolgreich. Nicht nur, weil Jona seinem Auftrag nachkommt. Ja, seine Arbeit trägt schnell Früchte. Schon am ersten Tag. Sein Wort geht blitzschnell in der ganzen Stadt um. Als hätt´ es da damals schon das weltweite Netz gegeben. Überflüssig, dass er überall selbst hingeht. Die Einwohner arbeiten und machen und selber mit. Da braucht´s keine drei Tage mehr. Direkter geht´s nicht.
Das bringt gute Spitzkehren mit sich. Die Einwohner von Ninive sind nämlich von tiefer Reue erfasst. Obwohl sie voll in der Aufwärtsspirale waren. Sie hatten sich einen ähnlich geilen Turm wie die Nachbarn aus Babel erbaut. Tolle Aussicht, von da oben. Auch wenn es einen ganz schön schafft, die vielen Wendeltreppen da rauf. Schöne Aussicht jedenfalls für die Zukunft dieser Stadt und ihre Bewohner.
Doch Schluss jetzt mit Glanz und Gloria. Wir haben´s wohl übertrieben, wir aus Ninive! Stattdessen nun Sack und Asche. Und strenges Fasten für alles Leben. Sogar dem Wasser wird entsagt. Um Vergebung bitten und Warten. Ob Gott vierzig Tage auf sich warten ließ? Über das Wie-Lange verliert die Schrift kein Wort. Nur, dass Gott geantwortet hat, mit einem: Sesam öffne dich! Statt Sodom und Gomorrha. Die Bewohner sehen ihre Verfehlung ein.
Und die Sünde kriegt Probleme mit der Verdauung. Igitt und bäh! Raus mit dem Zeug. Ninive lässt sich von mir gar nicht zersetzen. Wer will denn so was?! Sie spuckt die Stadt in hohem Bogen aus und gleich Gott vor die Füße, auf sicheren Boden. Und Gott ist offen für eine freundliche Behandlung der Stadt. Das ist doch mehr als ok, das ist doch richtig gut so! Oder?
Jonas Groll wegen Gottes Gnadentat für Ninive ist sehr erstaunlich. Hat er hier doch seine eigene Vorgeschichte zur Vorgeschichte vergessen, das Prequel. War er einst doch selbst von dem abgefallen, was Gott wollte. Im Gegensatz zu Ninive war da kaum Großes im Wachsen, fing bei ihm alles mit einer richtigen Abwärtsspirale an. Sanft, fast unmerklich beginnt sie. Von grünen Bergen Israels herab wandert der Mann in die nächste Hafenstadt. Viele Kehren bremsen das Gefälle seiner Pfade, zeichnen den Weg seines Lebens vor.
Darauf vom Stadttor zum Hafenkai, von dessen Mauer übern Steg aufs Schiff, vom Deck in die Kabine hinunter, von dort wieder aufs Deck hinauf - welch schönes Verzögern - von Deck über Bord, von der Reling ins Meer, von dessen stürmischen Wellen in den Walfischbauch.
Betrachten wir Jonas Spurverlauf aus der Perspektive eines Vogels, also von oben, so, als ob er auf einer Ebene gegangen wäre: Das geht so schön hin und her, seine Spur sieht aus wie das Torkeln eines Trunkenen. Manchmal fast wie auf der Stelle tretend. Schlimmer geht immer, tiefer geht nimmer, vom Gebirgsregen in die Schiffstraufe in den Fischbauch. Sind wir nicht alle ein bisschen Jona?
Schließlich ganz unten eine Spitzkehre, die es in sich hat. Jona singt ein Psalmgebet. Damit macht er Sushi aus dem Fischbauch. Seine Klage widmet diesen garstigen Ort um. Macht aus der Raubfischhöhle Gottes Wohnzimmer. Halt, da werden doch Äpfel mit Birnen verglichen! Stimmt zwar, tut aber nichts zur Sache. Denn es geht um eine Ungleichung. Gottes Wohnzimmer ist größer und kleiner als jeder andere Ort. Auch im Vergleich zu einem Walfischbauch. Gottes Lounge findet sich überall.
Ganz ähnlich dem verlorenen Sohn im Gleichnis gleichen Namens. Wie der begreift Jona in der tiefsten Tiefe, dass Gott immer noch auf seiner Höhe ist. Obwohl er sich vor ihm aus dem Bergstaub gemacht hat. Was für eine Spitzkehre und Wandlung! Wo unsereins nach Regen oft schon an der Traufe verzweifelt. Jona glaubt: Tiefe Reue hat Gott schon immer erhört. Sogar wenn das Leben einen schon anverdaut hat. Gott spricht dann stets: Sesam öffne Dich. Und beide sollten Recht bekommen.
Die Sünde kriegt Probleme mit der Verdauung. Igitt und bäh! Raus mit dem Zeug. Der lässt sich von mir gar nicht zersetzen. Wer will denn so was?! Sie spuckt Jona in hohem Bogen aus. Und gleich Gott vor die Füße, auf sicheren Boden.
Und jetzt: Verkehrter Bekehrter! Jona, einst selbst von Gott abgefallen und wieder gewonnen, vollzieht eine Volte. Ihm ist ob der tiefen Reue der Städter die Lebensfreude vergällt. Er macht auf dem Absatz kehrt und schickt sich in die Wüste. Nach dem Motto: Wenn die sowieso bereuen, dann hätte Gott mir den ganzen Aufwasch ersparen können. Den Fischbauch. Die Ohnmacht. Wozu das Ganze? War ja eh klar, oder?
Reue, die zu spät kommt, die kam ihm wohl kaum in den Sinn. Obwohl fast jeder weiß, was die anrichten kann! Was die mit einem Leben machen kann, zu späte Reue. Manch Geschiedener weiß davon zu berichten, manches beste Pferd, das blind eine Karrierestufe gestürmt hat, mancher Kranke im späten Stadium, mancher Einsame im Verhältnis zu seinen Mitmenschen. Es gibt so viele Kurven, aus denen man fliegen kann, wenn man zu spät bremst.
Jona, ein Buchhalter, der mit einem Herz aus Stein Bilanz zieht. Trotz persönlichem Unterricht schon wieder verschlossen für Gottes Tun. Sanft, fast unmerklich hat hier in ihm eine böse Aufwärtsspirale begonnen. Auch sie tritt fast auf der Stelle. Denn sie ist wie sein Niedergang voller Spitzkehren, also voll verkehrter Wendungen und Gedanken. Moralische Empörung. Wachsendes Schmollen und Grollen und gekränkt sein. Ganz oben Überheblichkeit. Die fährt so leicht auf. Die kann nur verkennen, an welch´ großem Gewicht sie sich grad´ verhebt.
Auch die eigens aufgesuchte Wüstenei kann also zum Fischbauch werden. Statt Magensäure heiße Luft, die einen austrocknet, statt Kutteln Flugsand, der einem alles abschmirgelt. Statt Dunkelheit Licht, das einen blendet und dabei verbrennen lässt. Beide Sterbensörtchen kennen sogar ihre Botanicals. Was dem Jona im Meer Algen und Schilf, das ist ihm in der Wüste ein grüner Strauch, Rizinus nämlich. Beide bedecken ihm zu Zeiten Haupt und Glieder.
Im Auf und Ab der Wellen ist die Sache so gelaufen: Trotz der Schilffetzen über den Augen hat Jona klar erkannt: Wenn ich in der tiefsten Tiefe bin, bin ich mit Gott immer noch auf der Höhe. Und nun, im Auf und Ab der Sanddünen, die verdorrten Rizinusblätter über dem Haupt. Leuchtet Jona jetzt was ein? Und was?
Dass sein Grollen gerecht ist, das weiß er so sicher, dass er seine eigene Geschichte vergisst. Stattdessen: Gleiches gehört mit Gleichem vergolten! Wo kommen wir denn da hin?! Ob er auch einsieht, dass er sich mit seinem Auge um Auge wieder ganz unten befindet. Ja, obwohl mitten in der Wüste ganz unten im Fischbauch, aber vor dem Psalmgebet! Einverstanden, damals sah er sich mit Gott auf der Höhe, obwohl tief drunten im Meer. Diesmal ist da was anders. Diesmal stellt er sich über Gott. Als wüsste er es besser als der. Wegen seines Bilanzblicks blind. Blind dafür, dass die Einsicht der Leute in Ninive echt ist. Auch ohne die Schmachaktion im Fischbauch, auch ohne forcierte Ohnmacht. Blind für Gottes zahllos gute Ideen, Worte und Taten, im Gegensatz zu den Menschen Ninives, die offen für sie sind. Gottes Herz in unserem Herz ist größer als alles, was sich unser Blutbeutel ausdenken kann. Immer wieder Vergebung und tiefe Reue, echter Neuanfang in Gottes Namen. Aus purer Einsicht, ganz ohne Not.
Die Chancen des Blinden auf Heilung und neue Sicht stehen gut in der Sonne. Es ist bei Jona im dunklen Fischbauch schon einmal gut gegangen mit der Einsicht. Mit dieser letzten aller Spitzkehren. Das wird schon werden mit dem und seiner Kränkung im Wüstenei. Mit seinem Ressentiment für das Glück der anderen. Und seiner Verschlossenheit für Gottes Offenheit und Besitzdenken. Das wird schon werden, auch mit unseren Ressentiments. Wie vergessen eigene Ohnmacht und Leiden, Kränkung und Neid. Stattdessen Freude über Gott und sein gutes Werk in der Welt. Selbst wenn andere mehr Gutes und weniger Schlechtes abkriegen als wir. Das wird schon werden, so wahr Gott hilft. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die Predigt ist nur für das weltweite Netz geschrieben. Menschen hatte ich wie fast immer keine vor Augen. Ohren versuchte ich zu haben für die stumme, leise Stimme, die dem guten Menschen in mir entsprechen mag, und die zu erhören mir leider zuweilen wenig leicht fällt.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das Buch Jona ist einfach ein gxxler Text und verdient mit der Arche-Noah-Geschichte auf eine Stufe gestellt zu werden. Allein schon die kontrafaktischen Inklusionsversuche der Seeleute gegenüber dem quasi notorischen Außenseiter Jona sind eine Predigt wert.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Entdeckung, dass die Schauplätze Wasserwüste und Megacity, Wüstenei und Bedenkraumzeit der Textrezipienten als parallel und dabei über Kreuz (Absender – Empfänger, Abwärtsspirale – Aufwärtsspirale, offen – verschlossen) konstruiert verstanden werden können.