Ostern – die Einladung zum Leben - Predigt zu 1. Korinther 15,3-11 von Angelika Volkmann
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Ostern – die Einladung zum Leben - Predigt zu 1. Korinther 15,3-11 von Angelika Volkmann

Liebe Gemeinde,

Ich erinnere euch aber, liebe Geschwister, an das Evangelium. In diesen Wochen brauchen wir diese Erinnerung ganz besonders! Der Tod ist sehr in unsere Nähe gerückt.  Wir haben Angst uns anzustecken, vor allem die Älteren, aber auch Jüngere können schwer erkranken. Wir dürfen unsere Lieben nicht besuchen. Ärzte müssen schwerwiegende Entscheidungen treffen, wenn die Beatmungsgeräte nicht ausreichen. Atemmasken und Schutzkleidung fehlen weltweit. Und darüber hinaus müssen viele um ihre wirtschaftliche Existenz fürchten, müssen Mitarbeiter entlassen, verlieren ihre Investitionen ohne Chance, sich jemals davon zu erholen. Da kann man Ostern schon einmal vergessen!

 

Ich erinnere euch gerade jetzt! würde Paulus heute sagen. Vergesst unsere Hoffnung nicht, denn Christus ist uns vorausgegangen, mitten in der Nacht, als vom Licht des Tages noch nichts zu sehen war. Ohne Aufsehen, ganz still. „Einsam mag er gewesen sein, als er den Schritt vom Tod zum Leben wagte, als er den Übergang riskierte, die Grenze überschritt.“  (Andrea Schwarz, Ostern ist doch ganz anders, Freiburg 2011², S. 96)
 

Alle, die in diesen Tagen sterben, oft einsam in dramatischen Situationen, befehlen wir in Gottes Arme. Christus geleitet sie über die Schwelle des Todes. Ja, daran wollen wir uns erinnern lassen! Der Tod ist nicht das Ende! Gott nimmt uns auf in sein Haus aus Licht.

 

Ich selber habe es empfangen, schreibt Paulus, was ich euch weitergebe. Und er gibt das älteste Bekenntnis weiter, das wir den ersten, die über den Tod Jesu zutiefst erschüttert waren, verdanken. Sie waren noch in der Dunkelheit, plötzlich ohne Zukunft. Warum ist Jesus gestorben? So erbärmlich, so schrecklich? Wie konnten sie zu ihrem Bekenntnis gelangen?

 

Sie sind zusammen und lesen in der Schrift, in der Hebräischen Bibel. Sie lesen die alten geheimnisvollen Worte des Propheten Jesaja. Manchmal ist etwas ganz anders, als es aussieht. Jesaja spricht davon, dass einer elendiglich stirbt: Der Gottesknecht. In Wahrheit nimmt er die Wunden der anderen auf sich. Und ihre Missetaten. Aus Liebe. Dabei stirbt er. Und wird begraben. Er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Durch seine Wunden sind wir geheilt, schreibt Jesaja. Dann geschieht ein Wunder: Er wird das Licht schauen und die Fülle haben. Wir haben diese Worte vorhin in der Schriftlesung gehört. Schon in Jesajas Worten leuchtet das Licht von Ostern. Und einige hundert Jahre später finden die Frauen und Männer, die vom Tod Jesu erschüttert sind, Antwort beim gemeinsamen Nachsinnen über diese Worte. Auch in ihnen wird es Licht. Sie erkennen:  Jesus ist der Messias, der Christus! Er trägt unsere Krankheit. Er ist uns nah, was auch immer uns an Schrecklichem geschieht. Und auch dann, wenn wir es selber zu verantworten haben. Er ist für unsere Sünden gestorben nach der Schrift. Er hat uns die Last abgenommen, an der wir zerbrechen. Dieser Tod schenkt Heil. Auch er wird das Licht schauen und die Fülle haben! So sehen sie das Licht von Ostern, so sehen sie den Auferstandenen.

 

Ostern bedeutet: Es gibt keine hoffnungslose Situation. Drei Tage war Jona – der auf der Flucht war vor seiner eigentlichen Lebensaufgabe - im Bauch des Fisches, am Grund des Meeres – fern jeder Rettung! Dann empfing er sein Leben neu. Die ersten, die um Jesu gewaltsamen Tod trauern, lesen die Geschichte von Jona. Und bei Hosea (6,3) lesen sie: Am dritten Tag richtet er uns wieder auf und wir leben vor seinem Angesicht.  So bekennen sie: Christus ist am dritten Tag auferweckt worden gemäß der Schrift. Das ist das älteste Osterbekenntnis, das uns überliefert ist. Und Paulus schreibt: Er ist gesehen worden von Kephas, danach von den Zwölfen.
Wir fragen uns: Was war das für ein Sehen?  Was war das für eine Erscheinung? Das Wort Epiphanie schwingt im griechischen Wort mit und weist auf ein inneres Sehen.
Für Ostern brauchen wir die Augen unseres Herzens, um nicht blind zu bleiben. Es gibt einen Weg durch den Tod hindurch! Durch die Katastrophe hindurch! Einen Weg zum Leben. Christus lebt! Umso wichtiger, dass Paulus alle die aufzählt, die ihn gesehen haben: Fünfhundert Geschwister zugleich, alle Apostel, die ganze Gemeinde und als allerletzten sich selbst. Denn er selbst war blind gewesen, bis Christus ihm begegnete.
 

Paulus war in einer ganz anderen Situation. Er war nicht erschüttert über den Tod Jesu, er kannte ihn gar nicht. Sein Ostererlebnis bedeutet für Paulus eine nicht für möglich gehaltene innere Kehrtwendung. Er war ein religiöser Eiferer, aus Ehrfurcht vor Gott. Für ihn sah es so aus, als ob seine Glaubensgeschwister die Tora außer Kraft setzten! Gemeinsam mit Menschen aus den Völkern bekannten sie in Jesus von Nazareth den Messias. Im Zusammenleben mit ihnen beachteten sie bestimmte Gebote nicht! Das ist gegen Gott! Er war sich seiner Sache so sicher.
Da begegnet ihm Christus vor Damaskus. Sein Licht vom Himmel trifft ihn plötzlich, er stürzt zu Boden. Er hört die Stimme, die ihn bei seinem hebräischen Namen ruft: Saul, Saul, was verfolgst du mich?
 

Liebe Gemeinde, würden wir uns von einer solch radikalen Infragestellung erreichen lassen? Ohne zugleich aus der Wucht unserer Argumente eine Mauer um uns zu errichten?
Vielleicht haben wir ja so eine „Pauluserfahrung“ auch schon gemacht.
 

Plötzlich durchzuckt es mich wie ein Blitz! Ich erschrecke bis in mein Innerstes. Ich habe mich geirrt! Was ich bisher dachte, lässt sich auch ganz anders sehen. Es ist, als ob die Erde wankt. Mir wird schwindelig.
Ich begreife, dass die, die ich beschuldigte, doch Recht haben. Ich sehe, dass es mein Fehler ist. O Gott! Das Bild, das ich von mir hatte, löst sich auf. Ich ahne, dass es Christus ist, der zu mir spricht. Obwohl es mir alles abverlangt, will mich für seine Worte öffnen.
 

Liebe Gemeinde, wenn so etwas in uns geschieht, stirbt etwas in uns.  Unser vordergründiges Ich. Das Bild, das wir von uns selbst haben.  Sterben ist kein Kinderspiel. Sich in der Tiefe wandeln zu lassen geht mit Erschütterung einher, mit Tränen.  Paulus hat es erlebt.

Es fällt ihm wie Schuppen von den Augen! Der Gekreuzigte ist der Messias! Und er lebt! Das schockiert ihn so nachhaltig, dass er nun körperlich blind ist – für drei Tage. Er isst nichts und trinkt nichts. Eine tiefgehende spirituelle Erfahrung wird ihm zuteil. Er lässt sich taufen. Die Taufe führt uns symbolisch durch den Tod in das Leben.
 

Welche Umkehr brauchen wir? Wofür kann uns diese Krise die Augen öffnen? Papst Franziskus hat am Abend des 27. März auf dem Petersplatz in Rom in beeindruckender Weise für alle Welt zu Gott gebetet:

In unserer Welt, die du noch mehr liebst als wir, sind wir mit voller Geschwindigkeit weitergerast und hatten dabei das Gefühl, stark zu sein und alles zu vermögen. In unserer Gewinnsucht haben wir uns ganz von den materiellen Dingen in Anspruch nehmen lassen und von der Eile betäuben lassen. Wir haben vor deinen Mahnrufen nicht angehalten, wir haben uns von Kriegen und weltweiter Ungerechtigkeit nicht aufrütteln lassen, wir haben nicht auf den Schrei der Armen und unseres schwer kranken Planeten gehört. Wir haben unerschrocken weitergemacht in der Meinung, dass wir in einer kranken Welt immer gesund bleiben würden.

 

Liebe Gemeinde, wir haben die Chance umzukehren. Wir haben die Chance, an diesem Ostern im Jahr 2020 zu begreifen, dass etwas in uns sterben sollte. Alles, was die Welt krank macht und das Leben zerstört. So manche Überzeugung und mancher Wunsch in uns sollte sterben. Christus ruft uns, unser Verhalten zu ändern, ruft uns auf den Weg zum Leben. Hören wir seinen Ruf?
Wenn wir ihn hören, wird es uns erschüttern.
Wir werden einen neuen Weg einschlagen.
Auf diesem Weg werden wir verwandelt, geben unser oberflächliches, egoistisches Ich immer mehr her, werden immer „gottformiger“.
So nennt es der Mystiker Johannes Tauler.
Auf diesem Weg werden wir nicht vollkommen sein. Aber entlastet und reich beschenkt.

 

Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, schreibt Paulus. Das ist Ostern.
Was auch immer uns geschieht, welche Todesmächte auch immer uns angreifen, von außen oder von innen: gegen dieses Geschenk von unantastbarem Leben kommen sie nicht an.

So können wir auferstehen. Den Übergang riskieren. Die Umkehr riskieren. Uns wandeln lassen. Und ankommen im Leben, in unserem wahren Selbst, in Gott.
Frohe Ostern!

Amen.

 

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrerin Angelika Volkmann: 

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die weltweite Coronakrise braucht das Osterevangelium. Die Menschen brauchen Trost angesichts des Todes und Hilfe, die weltweite Krise zu deuten. Es ist mir wichtig, Ostern zu erzählen als Übergang vom Tod zum Leben, als tiefgreifendes Wandlungsgeschehen (Umkehr), auf das wir uns schon zu Lebzeiten einlassen können – wie Paulus.


2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Wir können wir über die Auferstehung reden? Nachdem ich eine Menge exegetischer Informationen gelesen habe, haben mich mystische Texte und Gedichte beflügelt: Ro-se Ausländer, Angelus Silesius (Halt an, wo läufst du hin, der Himmel ist in dir. Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.), Nikolaus von der Flüe, Andrea Schwarz, Hilde Domin (Bitte – ein großartiges Gedicht!)


3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Erschütterung darüber, dass wir Menschen oft so blind sind für das Wesentliche. Selbst Paulus! Der Zusammenhang zwischen Erscheinen, Epiphanie auf der einen Seite und Sehen bzw. blind Sein auf der anderen Seite. Es geht bei der Ostererfahrung nicht um das konkrete optische Sehen einer Gestalt, sondern um das innere Wahrnehmen einer Wirklichkeit, die uns übersteigt. Wenn wir uns der Christuswirklichkeit öffnen, sind wir zur Umkehr gerufen und werden das Leben finden.


4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Sie ist straffer und konkreter geworden, manches „Bonusmaterial“ wurde zur Seite gelegt, Gedanken wurden wirklich ausgestaltet. Die existentiellen Fragen, die durch die Coronakrise ausgelöst werden, wurden mit dem Text in Berührung gebracht und umgekehrt. Ich habe sehr vom Coaching profitiert!  Und vom langen zeitlichen Vor-lauf.

 

Perikope
Datum 12.04.2020
Bibelbuch: 1. Korinther
Kapitel / Verse: 15,3-11