Paulus, österlich und resilient
„Wir wissen, dass der, der den Herrn Jesus auferweckte, auch uns mit Jesus aufwecken wird und uns zusammen mit euch vor sich bringen wird. Und das alles geschieht nämlich um euretwillen, damit die sich vermehrende Gnade durch sehr viele den Dank überreich mache zur Ehre Gottes. Daher verzagen wir nicht, vielmehr: Wenn auch unser äußerer Mensch zugrunde geht, so wird doch unser innerer Mensch von Tag zu Tag erneuert.“
Das, liebe Gemeinde, sind noch einmal Sätze unseres Predigttextes, 2. Brief an die Gemeinde in Korinth. Autor: Paulus.
Der Apostel Paulus steckt voller Osterfreude. Christ ist erstanden. Auferstanden von den Toten.
Mit anderen Worten gesagt: Ostern geht weiter. Die Sache Jesu geht weiter.
Wächst, so wie ein Weinstock klein anfängt und wächst und gedeiht und unzählig viele Trauben an sich hat.
Ostern wirkt sich aus. Schenkt Menschen Lebendigkeit! Ostern wärmt, steckt an, lässt einen nicht kalt.
Jetzt kann man sagen: Der hat gut reden, der Paulus.
Osterfreude heute ist doch schon etwas abgekühlt, oder?
Ich sage Ihnen, warum ich dennoch geneigt bin, dem Paulus zuzuhören und mich von ihm anstecken zu lassen.
Nämlich: Wie so viele Menschen in der Bibel ist auch Paulus kein Star. Kein Held. Kein Überflieger.
Die Osterfreude des Paulus ist wie eine zweite Stimme. Eine andere Melodie. Eine neue Perspektive.
Die erste Stimme ist der ganz normale Alltag, auch die Sorgen, das Leid.
Und so klingen bei ihm beide Stimmen zusammen. Die klagende Stimme und die lobende Gegenstimme.
Also nicht Osterfreude, weil eh schon alles so super läuft.
Sondern Osterfreude, obwohl sein Leben nicht so glatt läuft.
Osterfreude, obwohl Paulus verfolgt, eingesperrt und geschlagen wird.
Osterfreude, obwohl Paulus kein klassischer Star ist, er kann nicht besonders gut reden, er ist kein Rhetorik-Genie.
Osterfreude, obwohl Paulus ein Leiden mit sich herumschleift, dass immer wieder zuschlägt (vielleicht Epilepsie, Migräne, Schwermut – die Forscher rätseln). Paulus wäre das gern los, aber seine bisherigen Gebete um Heilung bringen nichts ein.
Wörtlich klingt die Zweistimmigkeit bei Paulus dann so: „Daher verzagen wir nicht ( = werden wir nicht müde), vielmehr: Wenn auch unser äußerer Mensch zugrunde geht, so wird doch unser innerer Mensch von Tag zu Tag erneuert.“
Osterfreude ist kein Budenzauber. Und kein Wünsch-dir-was.
Aber sie verleiht dem Leben einen anderen Blick, einen anderen Klang, eine neue Perspektive.
Und hilft so, den Alltag zu bestehen.
Mit Schwierigkeiten und Niederlagen umzugehen, mit Leid und Schmerz.
Nicht daran zu zerbrechen.
Osterglaube und Osterfreude haben kleine Signalwörter zur Seite, nämlich: „obwohl“. Oder, noch prägnanter: „dennoch“!
Prüfen Sie das gern mal nach in Ihrem eigenen Lebenskontext: das, was Sie dazu bringt, trotz allem den inneren Halt und die Hoffnung zu bewahren – da ist immer dieses kleine trotzige „Dennoch“ mit dabei. Obwohl persönliche Krisen da sind, obwohl in der Welt Leid und Gewalt und Unrecht und Kriege noch da sind – dennoch (!) gilt es, diese zweite Stimme zu suchen, zu hören, erklingen zu lassen.
Resilienz, was ist das?
Soziologen, Therapeuten, Mediziner nennen diese innere Widerstandskraft gegen Krisen: Resilienz.
Resilienz heißt: Abprallen. So wie ein Regenschirm den Regen abprallen lässt. Und bei Werkstoffen ist Resilienz die Eigenschaft, nach der Verformung wieder in die Ausgangsform zurückzukehren, so wie unsere Matratzen im Bett: Eingedrückt in der Nacht, wieder schön gerade am Tag.
Resilienz als menschliche, seelische Widerstandskraft. Sozusagen: als Dennoch-Quelle!
Kann man so was lernen? Sich aneignen?
Die eigene Kindheit spielt eine Rolle. Gab es ein Geschwisterkind, eine Mutter, einen Großvater, eine Lehrerin, die mich ernst nahm, sich für mich interessierte, an mich glaubte, mir etwas zutraute? All das ist resilienzfördernd. Es stärkt den Selbstwert. Ich kann was. Ich bin wichtig.
Auch später sind diese sozialen Komponenten wichtig: Gibt es Familie oder eine Clique, eine beste Freundin oder einen besten Freund, mit dem ich offen sprechen kann und bei denen ich mich nicht toller machen muss als ich bin?
Manchen gibt die Liebe zur Natur innere bleibende Kraft, oder die Liebe zur Musik, zur Kunst, oder auch: zu Hannover 96.
Und schließlich ist natürlich auch die Religion eine Quelle innerer Kraft – ob islamisch, jüdisch, christlich oder sonst wie ist in diesem Punkt gar nicht entscheidend: Religion kann zur inneren Stabilisierung beitragen.
Resilienz, praktisch
Manchmal erlebe ich Menschen, wo ich denke: „Wo nehmen die nur die Kraft her?“ Sie werden solche Menschen auch kennen… Im persönlichen Umfeld. Oder in der Öffentlichkeit. Und da nenne ich mal drei.
Woher hat Wolfgang Schäuble die Kraft hergenommen? Er hatte 1990 die deutsche Einheit verhandelt und maßgeblich mitgestaltet. Dann wurde er eines Abends im Wahlkampf ins Gesicht und in den Rücken geschossen. Seine Gesundheit wurde nie wieder so wie vorher. Er blieb an den Rollstuhl gefesselt. Aber seine große Leidenschaft, die Politik, betrieb er weiter, mit viel Elan und Kraft. Dass Oskar Lafontaine, der politische Gegner und selber ein Attentatsopfer, ihn bald nach dem Attentat besuchte, das hat ihn gefreut. Viele Jahre lang hatte er Krebs. Am 2.Weihnachtstag, vor ein paar Monaten, starb er. „Daher verzagen wir nicht, vielmehr: Wenn auch unser äußerer Mensch zugrunde geht, so wird doch unser innerer Mensch. von Tag zu Tag erneuert.“
Woher hat Alexander Nawalny die Kraft hergenommen? Der russische Oppositionspolitiker, Putin-Gegner, Kandidat bei der Oberbürgermeisterwahl in Moskau, Präsidentschaftskandidat zu werden verbot man ihm, immer wieder inhaftiert. Vor Jahren wurde ein Giftanschlag auf ihn verübt. Er wurde in der Berliner Charité behandelt, erholte sich dort. Und flog doch ganz bewusst wieder zurück nach Russland, 2021, wohlwissend, was ihn dort erwarten würde. Haft, Isolation, Gewalt und vor einigen Monaten dann Tod im Gefängnis. Nawalny war erst spät Christ geworden und seine Lieblingsstelle aus der Bibel war: „Selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.“ Mit seiner inneren Kraft und Gradlinigkeit und auch mit seinem Humor hat er Menschen Mut gemacht und macht immer noch Mut – zu widerstehen.
Woher nimmt Sally Azar die Kraft her? Diese Frau ist bei uns nicht so bekannt. Sie ist 27 Jahre jung und ist die erste palästinensische christliche Pastorin, arbeitet in der deutschsprachigen Himmelfahrtskirche in Ostjerusalem. War dort auf einer deutschen Schule und hat später u.a. in Göttingen studiert, daher kann sie gut deutsch. Sie predigt aber auch auf Englisch und auf Arabisch. Eine Frau als Pastorin? Für viele in ihrer Umgebung, für die armenischen, orthodoxen und katholischen Christen in Jerusalem geht das gar nicht, aber Sally Azar weiß, was sie will. Und sie predigt tatsächlich: Frieden. Sie versucht, in dem großen, blutigen Konflikt dort beide Seiten zu sehen und zu verstehen, nicht einseitig zu werden. Stressige Aufgabe, aber wichtig.
Mich beeindrucken solche Menschen. Ich würde mir manchmal gern von ihnen „ne Scheibe abschneiden“. Weil ich eine Ahnung davon bekomme, dass österlicher Glaube nicht irgendwas Theoretisches ist, sondern sich ganz praktisch und konkret auswirkt im Leben.
Osterglaube ist eine Kraft. Die stellt manches auf den Kopf. Oder auf die Füße. Und macht das Leben mehrstimmig.
„Denn wir wissen, dass der, der den Herrn Jesus auferweckte, auch uns mit Jesus aufwecken wird. Daher verzagen wir nicht, vielmehr: Wenn auch unser äußerer Mensch zugrunde geht, so wird doch unser innerer Mensch von Tag zu Tag erneuert.“
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Normaler Gottesdienst. Ich hatte beim Schreiben die ungeheure Größe der Loccumer Stiftskirche vor Augen. Da darf der Stil ruhig mal etwas „hymnisch“ sein …
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Ich habe versucht, Ostern nicht zu problematisieren („Ist das wirklich geschehen?“), sondern habe mich davon tragen lassen, dass für Paulus Ostern als eine große Lebenskraft darstellt.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Glaube kann zur Resilienz beitragen – und Resilienz ist ein auch außerhalb der Kirche anerkanntes und viel diskutiertes Phänomen.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ohne konkrete Beispiele (bei mir: drei) bleibt alles bloß Behauptung.