Paulinisches Maßwerk: Geheimnis, Treue, Herz - 1. Korintherbrief 4,1–5 von Ulrich Kappes
4,1-5

Paulinisches Maßwerk: Geheimnis, Treue, Herz - 1. Korintherbrief 4,1–5 von Ulrich Kappes

Paulinisches Maßwerk: Geheimnis, Treue, Herz

1. Korinterbrief, Kap. 4, 1–5
1 Dafür halte uns jedermann: für Diener Gottes und Haushalter über Gottes Geheimnisse.
2 Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie treu befunden werden.
3 Mir aber ist’s ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht.
4 Ich bin mir zwar nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr aber ist’s, der mich richtet.
5 Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden.

Vergleicht man die Bibel mit einem gotischen Dom, so ist dieser Text das Maßwerk in einem der Bögen. Es ist ein Maßwerk aus drei einzelnen Blättern: Geheimnis, Treue, Herz.

Die erste Frage, die an diesen Text zu stellen ist, lautet: Wer ist mit „uns“ gemeint: „Dafür halte uns jedermann, für … Haushalter über Gottes Geheimnisse“. Es liegt zunächst nahe, das „uns“ auf Paulus und den anderen Missionar der Korinther, auf Apollos, zu beziehen. Schreibt Paulus aber einen Brief an die Gemeinde, um sich selbst darzustellen? Richtiger ist es, das „uns“ auf die Adressaten des Briefes und seinen Verfasser gemeinsam zu beziehen. ‚Dafür mögen die Bewohner von Korinth (und wer auch immer) uns halten: Christen sind Bewahrer göttlicher Geheimnisse’

Im Advent, in der Zeit der Kerzen und der Selbstbesinnung werden wir „Haushalter über Gottes Geheimnisse“ genannt. Was heißt das?
Zunächst: Nicht nur hier, sondern auch an anderen Stellen des Neuen Testamentes, wird unser Glauben mit dem Wort „Geheimnis“ beschrieben. An erster Stelle steht das Jesuswort, wonach den Jüngerinnen und Jünger das „Geheimnis der Königsherrschaft Gottes über diese Erde anvertraut“ wurde (Mk.4,11 par.). Paulus sieht seinerseits das Geheimnis der Herrschaft Gottes über die Erde in der Gestalt und Person Jesu selbst. Deshalb heißt es gleich zu Beginn des 1. Korintherbriefes, den gekreuzigten Christus zu verkündigen (1.Kor. 1,23) die Weisheit Gottes als Geheimnis zu verkündigen (1.Kor. 2,7) heißt. I1I

Was bedeuten die Worte, nach denen wir ein Geheimnis anvertraut bekamen und es bewahren sollen?
Die Weihnachtsgeschichte, die wir am Heiligen Abend verlesen, kann als Hörspiel gestaltet und verfilmt werden. Man kann Bethlehem erläutern und beschreiben, den Stern, die Hirten, die Engel, Joseph und Maria vor der Herberge und im Stall schildern. Das ist nicht schwierig. Den Mittelpunkt aber, das innere Zentrum von Weihnachten, die Menschwerdung des Gottesssohnes kann man nicht darstellen, schildern, erläutern. Es entzieht sich alledem.
Haushalter dieser überlieferten Ereignisse zu sein, bedeutet, das Unvermögen zu kennen, die Tiefe all dieser Bilder in Worte fassen zu können. Das ist das erste Blatt im paulinischen Maßwerk, das Geheimnis.

Tritt ein Mensch mit dem Wissen an die Krippe, dass ein „Geheimnis“ vor ihm ausgebreitet ist, dann tritt er behutsam heran. ‚Hier kann ich stehen und anbeten. Ich kann mir aber das Wunder, dass Gottes Sohn in einem Kind in der Krippe liegt, nicht aneignen wie einen Gegenstand. Das da ist kein „Objekt“, dessen ich mich bemächtigen kann.’

Diese Behutsamkeit gegenüber der offenbarten Wahrheit Gottes wird in die gesamte Lebenseinstellung übergehen. Ist es verinnerlicht, dass die entscheidenden Worte und Themen des Glaubens ein Geheimnis sind, färbt das – sozusagen – durch bis in alle Verhaltensweisen. Es wächst daraus eine Behutsamkeit und Achtbarkeit gegenüber den Menschen und der Welt.

Der schwedische Bischof Lönnebo wurde in den Ruhestand versetzt. I2 I Immer und immer wieder dachte er nun nach, wie man dem heutigen Menschen den Glauben so nahe bringen könnte, dass es einfach und wahr ist. In seinem Grübeln kam er auf die Idee von den „Perlen des Glaubens“. Sie werden auf ein Band gereiht, das man am Arm tragen kann. Was eine (r) von Gott und seinen Mitmenschen weiß, füge sie/ er als Perle auf ein Band. Gut ist, wenn die Perlen eine unterschiedliche Form und Größe und Farbe haben. Jede und jeder trage diese Perlen nicht als ein Dogma, bei dem Vollzähligkeit zählt, sondern sie/er trage nur diese Perlen, die sie/ihn berühren und ansprechen. In einer Beschreibung dieser Perlenkette ist von „Geheimnisperlen“ die Rede. Der Bischof selbst trägt verschiedene Armbänder. Gefragt, wie viel Geheimnisperlen gegenwärtig auf seinem Perlenarmband seien, antwortete er: „Ich habe drei Perlen. Sie stehen für meine Kinder. Das sind meine drei Geheimnisse.“

Verbunden und verwachsen mit dem „Blatt“ Geheimnis ist das „Blatt“ der Treue in dem paulinischen Maßwerk, das als Bild für diesen Text steht.
Paulus hebt hervor, dass Haushalter über Gottes Geheimnisse „treu“ sind. „So erwartet man von Haushaltern nicht mehr, als dass sie treu erfunden werden.“ Das klingt leicht, ist es aber nicht. Was ist gemeint?

In der letzten Woche, am 2.12.2015, geschah das Verbrechen in San Bernardino in Kalifornien. Mit dem Ruf „Es lebe der IS“ wurden vierzehn Menschen mit einer Entwicklungsbeeinträchtigung erschossen, einundzwanzig sind noch verletzt. Das geschah während einer Weihnachtsfeier. Danach wurden die Schützen getötet.
Nach der Explosion des russischen Flugzeuges über Ägypten, nach Paris und San Bernardino leben wir in einer Zeit der Schreckenstaten, die von fundamentalistischen Muslimen begangen wurden. Wie gehen Christinnen und Christen damit um?
Ein Streiflicht auf das Dunkel, das diese Frage aufwirft, sei geworfen.

Am Ort des Schreckens in San Bernardino treffen sich täglich Menschen zum Gebet. Es gibt ein Foto der französischen Nachrichtenagentur AFP davon. Junge und Alte, Männer und Frauen stehen im Kreis und halten sich an den Händen. Sie haben die Augen geschlossen, die Köpfe sind nach unten gesenkt.I3I
Was sind treue Haushalter der Offenbarung Gottes, die in Jesus Christus geschehen ist?
Es sind Menschen, die gegen den Trend zusammen kommen und beten. Beten gegen den Trend, ist ihre Losung. Ihr Gebet steht gegen einen Trend der Verunglimpfung oder Verachtung des Islam und seiner Anhänger. So geht ihr Bild um die Welt.
Treu an der Offenbarung festzuhalten, heißt gegen einen Trend, ein Zeichen zu setzen. Wer die Hände faltet, ballt keine Faust.

„So erwartet man von Haushaltern nicht mehr als dass sie treu erfunden werden.“. Die andere Hälfte des „Blattes“ Treue ist die Treue gegenüber der Schrift.
„Gottes Geheimnisse“ sind nicht als spannende Geschichten überliefert. Sie enthalten keinen Nervenkitzel, den eine gute Story kennzeichnet. Die „Truhe“, in der die Geheimnisse überliefert werden, ist spröde und nicht einfach zugänglich. Es gibt auch die andere Truhe, die Gottes Geheimnisse birgt. Sie ist von Gold umgeben. Das ist aber nicht die Regel.
Wie kommt es zu diesem Mut einer Einseitigkeit, sich immer wieder der Schrift zuzuwenden und nicht auf andere Worte zu bauen?
Dieser Mut ist in erster Linie die Frucht von Erfahrung. Die Haushalterin /der Haushalter über Gottes Geheimnisse haben erfahren, dass es in wirklichen Konflikten und Krisen des Lebens das Wort der Schrift ist, das Kraft gibt und Richtung weist. Deshalb nehmen sie immer wieder die „Urkunde des Glaubens“ zur Hand. Anderes hilft ihnen nicht.
Nun folgt das dritte Blatt im Maßwerk.

Der Schluss des Briefabschnittes versetzt in Erstaunen. Es erging Paulus ähnlich, wie es von Johannes dem Täufer im Evangelium geschildert wird. Johannes fragte sich, ob er denn vergeblich auf den kommenden Messias hingewiesen hatte: „Bist du der da kommen soll, oder sollen wir eines anderen warten?“ War alles umsonst? Die Frage des Johannes war auch die Frage des Paulus, freilich mit einer anderen Blickrichtung.
Paulus war etwa 49 n. Chr. nach Korinth gekommen und ganze achtzehn Monate hier geblieben. Er gründete die erste christliche Gemeinde und bezeichnete sich als ihr Vater: „Ich habe euch gezeugt durch das Evangelium.“ (4,15) Dann verließ er seine geistlichen „Kinder“ und ging nach Ephesus. Hier brachte ihm im Jahre 54 n. Chr. ein junge Frau namens Chloe die Nachricht, wie zerstritten die Gemeinde war: es gab nunmehr eine Apollos-Partei, eine Kephas-Partei und eine Paulus-Partei. Die Gemeinde drohte zu zerfallen. –‚ Habe ich umsonst eineinhalb Jahre missioniert?’

Heruntergebrochen auf uns, kann das heißen: War es umsonst, dass ich versuchte in meinem bescheidenen Rahmen die Geheimnisse Gottes weiter zu geben? Habe ich den eigenen Kindern, den Bekannten und Freunden das Evangelium nahe gebracht oder war alles nur ein Reden im Wind? Was bedeutet ihnen in ihrem Leben das „Geheimnis“ Gottes in der Schrift? Müssen wir, so wie die Dinge stehen, vielmehr auf nichts mehr warten?

Ich wiederhole: Der Schluss des Briefabschnittes versetzt in Erstaunen.
Paulus schrieb: „Ich richte mich selbst nicht … Der Herr ist’s aber, der mich richtet.“ Soweit so gut, wenn auch das schon sehr steil klingt. Aber dann lautet der Schlusssatz: Bei dem Gericht am Ende der Tage wird „einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden“.
Warum wird das so sein?
Paulus setzt mit einer erstaunlichen Sicherheit sein Vertrauen darauf, dass Gott alles gut Gewollte nicht vergessen hat. Gott kennt das Herz, auch wenn manches, was das Herz plante und bewirken wollte, misslang. Dieses Wissen Gottes ist ein größeres Gewicht in der Wagschale der Bilanz eines Lebens als Niederlagen und Versäumnisse. Und darum kann Paulus trotz der Hiobsbotschaften, die Chloe ihm brachte, unverdrossen und unentwegt an seinem Brief an die Korinther arbeiten.
Was kommt nach diesem Leben und seinen Fehlschlägen? Es kommt Gott und Gott wird „loben“, weil er das Herz sieht und daran alles misst. Das Herz, das das Geheimnis wahrt und die Treue erstrebt, gibt dem gotischen Maßwerk das dritte Blatt.
                                                                                

I1I Vgl.Günter Bornkamm, misterion, in: ThWb, 4. Band, Stuttgart 1942,809–834, S. 823 ff.
I2I Nach einem Hinweis von Marcus Ansgar Freidrich, in: Pred.med. z. St, in: Predigtstudien R. II, 2009/2010, Stuttgart 2009,29–32, S. 32.
I3I Abgedruckt in der Märkischen Allgemeinen Zeitung, 7.12.2015.