Paulus oder Pegida?
I. Unter welchem Stern dieses Jahr wohl steht? Viele sind skeptisch. Zu viele Bilder von Krieg, Terror und Flucht aus dem letzten Jahr geistern noch in unseren Köpfen herum. Welche Neuigkeiten werden wir dieses Jahr in den Schlagzeilen lesen? Welche Wahrheiten für unser Leben erkennen? Was wird sich verändern? Am Anfang eines neuen Jahres drängen sich solche Fragen besonders auf. Doch sie werden und wurden zu jeder Zeit überall auf der Welt gestellt. Auch in der frühen Kirche. Der Apostel Paulus spricht von einer Neuigkeit, die damals die Kirche und das Bild von Gott verändert hat und die bis heute nicht verjährt ist.
„Dies war in früheren Zeiten den Menschenkindern nicht kundgemacht, wie es jetzt offenbart ist seinen heiligen Aposteln und Propheten durch den Geist, nämlich dass die Heiden Miterben sind und mit zu seinem Leib gehören und Mitgenossen der Verheißung in Christus Jesus sind durch das Evangelium.“ Mit den Heiden sind wir gemeint. Das mag schon lange vergessen und ganz selbstverständlich sein, weil in Deutschland, in Europa, überall auf der Welt Christen leben. Damals war das neu. Dass Heiden, also Nicht-Juden, zum auserwählten Volk Gottes gehören, war nicht selbstverständlich. Unumstritten war es in der frühen Christenheit auch nicht. Viele meinten, nur Juden können Christen werden. „Die Heiden sind doch anders als wir, sie gehören nicht zu unserem Gott, zu uns. Sie sind unrein und haben ihre eigenen Götter. Das macht Probleme. Wir bleiben lieber unter uns. Wenn wir zu tolerant sind, verraten wir die Wahrheit und Gott. Besser wir lassen es so wie es ist, dann sind wir auf der sicheren Seite.“
Paulus war mutiger. Das war sicher nicht immer leicht. Wenn man für andere Türen öffnet, kann es sein, dass sich für einen selbst Türen schließen. Das hat Paulus riskiert und Anfeindungen ertragen. Was ihn wohl dazu gebracht hat? Man könnte sich viele Gründe ausdenken. „Wenn wir die Heiden in unsere Kirche lassen, dann wir werden größer, mächtiger, reicher, wichtiger, das fördert unser Wachstum und macht uns zukunftsfähig. Das kann für alle eine Win-Win-Situation werden. Wenn wir die Heiden in unsere Kirche lassen, wird sie vielleicht bunter, spannender und lebendiger.“ In all diesen Überlegungen liegt Wahrheit und Überzeugungskraft, gewiss. Aber damit argumentiert Paulus hier nicht. Sondern er sagt: „Ihr habt ja gehört, welches Amt die Gnade Gottes mir für euch gegeben hat. Durch Offenbarung ist mir das Geheimnis kundgemacht worden.“ Durch Offenbarung also ist er drauf gekommen. Die glaubt man, der vertraut man, der folgt man wie einem Stern, der einen ins Licht führt. Der Rest bleibt Geheimnis.
II. Schon in der Geburtsgeschichte suchen die Heiden Gott. Die heiligen drei Könige kommen aus der Ferne. Aus dem Morgenland. Sie folgen dem Stern und der Offenbarung in ihrem Herzen, sie vertrauen sich dem Geheimnis an. Als solche, die nicht zum heiligen Volk Gottes Israel gehörten, sind sie nach Bethlehem gekommen und haben bei Gott Heimat gefunden. Damals waren sie fremd. Heute gehören sie dazu, sind ein vertrautes Bild und aus unseren Weihnachtskrippen kaum wegzudenken.
Auch zu uns kommen heute Menschen aus der Fremde, die nicht dazu gehören. Keine Könige, sondern Flüchtlinge. Sie haben andere Traditionen, oft einen anderen Glauben und doch treten sie in unsere Gesellschaft und in unser Leben. Sind wir dafür offen? Wenn man sich die Spaltung in unserem Land vor Augen führt, können einem schon Zweifel kommen. Im Internet habe ich einen Cartoon entdeckt. Da ist die Krippe mit der heiligen Familie zu sehen. Und die heiligen drei Könige mit ihren Geschenken auf dem Weg dahin. Dazwischen steht eine Gruppe von Menschen, einer trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Pegida“, und sie sagen zu den heiligen drei Königen mit abweisender Geste. „Eine Delegation aus dem Morgenland kommt überhaupt nicht in Frage.“ Paulus hätte anders gehandelt. Er hätte sich nicht zwischen das Kind, zwischen Gott, und die Fremden gestellt, sondern sie an die Hand genommen und ihnen den Weg gezeigt. „Unser Gott ist auch für euch da. Ihr seid Miterben und gehört zu ihm und seid Mitgenossen der Verheißung.“ So hat er es damals zu den Heiden gesagt.
Das ist nicht nur Toleranz. Sondern Mut zu einer neuen Wahrheit. Paulus mutet den anderen und dem gängigen Gottesbild durchaus etwas zu. Denn es ist nicht bequem, wenn sicher Geglaubtes aufgebrochen und zu einem Neuen hin geöffnet wird. Paulus sagt: Gott ist anders, weiter und größer als wir bisher zu fassen glaubten. Woher nimmt er diesen Mut? Woher nimmt er sich das Recht, anderen diese Wahrheit zuzumuten? Durch theologische Studien, durch interreligiöse Diskurse, durch persönliche Begegnungen? Nein, das alles spielt kaum eine Rolle. „Ihr habt ja gehört, welches Amt die Gnade Gottes mir für euch gegeben hat. Durch Offenbarung ist mir das Geheimnis kundgemacht worden.“ Aus der Offenbarung also hat er den Mut genommen. Die glaubt man, der vertraut man, der folgt man wie einem Stern, der einen ins Licht führt. Der Rest bleibt Geheimnis.
III. Paulus oder Pegida? Wo stehen wir? Halten wir es mit Paulus und öffnen wir unsere Gesellschaft, unsere Herzen, unseren Gott? „Unsere Welt ist auch für euch da. Ihr seid Miterben und gehört dazu und seid Mitgenossen unserer Hoffnung auf eine friedliche Welt.“ Das erfordert Mut, das geht nicht ohne Konflikte und das verändert alle. Aber es kann alle bereichern. Paulus hat damals die Kirche für andere Vorstellungen geöffnet und diese haben die Kirche nicht nur verändert, sondern ihr geholfen zu wachsen, nicht unterzugehen, sondern sich auszubreiten in alle Welt. Wenn wir wie Paulus den Mut haben, uns für andere zu öffnen und sie einzuladen in unsere Welt, unser Leben, unsere Hoffnung, dann kann das auch unsere Gesellschaft bereichern. Dabei muss niemand seine Identität oder seinen Glauben aufgeben. Jeder kann nach seiner Façon selig werden. Gott ist weiter und größer als wir zu fassen glauben. Das zu wissen kann tolerant machen. Das hat schon Friedrich II damals gesehen. „Alle Religionen sind gleich und gut, wenn nur die Leute, die sie bekennen, ehrliche Leute sind, und wenn Türken und Heiden kämen und wollten das Land bevölkern, so wollen wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen.“
Machen wir es wie Paulus oder halten wir es mit Pegida und weisen andere ab? „Die sind doch anders als wir, sie gehören nicht zu uns. Die haben ihre eigenen Traditionen und einen anderen Gott. Das macht Probleme. Wir bleiben lieber unter uns. Wenn wir zu tolerant sind, verraten wir unsere Identität. Besser wir lassen es so wie es ist, dann sind wir auf der sicheren Seite.“ Hinter solchen Worten steckt oft Angst. Mit solchen Standpunkten wähnt man sich frei von Problemen. Aber genau das kann riskant sein. Genau das kann eine Sackgasse sein. Wer nur unter sich bleibt, bleibt stehen und am Ende vielleicht allein.
IV. Das neue Jahr stellt uns vor Herausforderungen. Das gilt für die großen Fragen in unserer Gesellschaft und für das Zusammenleben in unserer kleinen Welt. Wie halte ich es im neuen Jahr? Paulus oder Pediga oder etwas dazwischen? Bleibe ich bei mir, bei meiner eigenen Wahrheit und meiner Sicherheit? Oder habe ich den Mut, mir und anderen etwas Neues zuzumuten? Ich weiß, dass mich das fordert, vielleicht manchmal überfordert, dass mich das verletzbar macht und Kraft kostet. Aber ich weiß auch, dass es sich lohnt, mich für andere zu öffnen, auch ihre Wahrheit zu sehen und mich gemeinsam mit ihnen auf den Weg zu einer ganz neuen Wahrheit zu machen. Und die ist anders, weiter und größer als das was wir bisher zu fassen glaubten. Davon bin ich überzeugt. Ich könnte soziologische Studien zitieren oder wirkmächtige Bilder bemühen, ich könnte Beispiele nennen oder logisch argumentieren und ich könnte die Geschichte zu meinem Zeugen aufrufen. Das alles könnte ich, ohne Frage. Aber all das ist nicht entscheidend für meine Überzeugung, dass wir Menschen in Toleranz und Frieden zusammen leben können und dass eine neue, bessere Welt möglich ist. Diese Überzeugung kommt nicht aus meinem Kopf oder meiner Erfahrung, sondern tief aus meinem Herzen. „Durch Offenbarung ist mir das Geheimnis kundgemacht worden.“ An die glaube ich, der vertraue ich, der folge ich wie einem Stern, der mich ins Licht führt. Der Rest bleibt Sehnsucht. Mit ihr beginnt alles, jedes Jahr, jeden Tag, jede Stunde, hier und jetzt.
Amen