Petrus riskiert Kopf und Kragen - Predigt zu Apostelgeschichte 2,22f.32f.36-39 von Reinhold Mokrosch
2,22-39

Petrus riskiert Kopf und Kragen - Predigt zu Apostelgeschichte 2,22f.32f.36-39 von Reinhold Mokrosch

„Petrus riskiert Kopf und Kragen“

Liebe Pfingst-Christen!

  1.  

Ist Petrus verrückt geworden? Ist er wahnsinnig geworden? Er riskierte Kopf und Kragen, als er öffentlich eine große, die Juden anklagende Pfingstpredigt hielt. In Jerusalem wurde gerade das Schawuot-Fest gefeiert; genau 50 Tage nach dem Pessach-Fest, also sieben Wochen und einen Tag nach Pessach.

Ganz Jerusalem war damals auf den Beinen. Man feierte nämlich gleich zweimal: Zum einen feierten die Juden Erntedank. Die Weizenernte war eingefahren und die ersten Früchte waren geerntet. Das war Grund, Gott zu danken. Zum anderen gedachte man der 10 Gebote, des Dekalogs, die Mose nach seinem zweiten Gang auf den Sinai mitgebracht hatte. Das war ein zweiter Grund, Gott zu danken.

Und genau an diesem Tag hielt Petrus in aller Öffentlichkeit seine  judenkritische und provokative Predigt. Zuvor hatte sich am gleichen Tag das Pfingstwunder ereignet: Die Apostel waren versammelt, als, wie Lukas berichtet, ein Sturmbrausen ausgebrochen und Feuerzungen erschienen waren, die sich auf die Häupter der Apostel setzten und sie alle mit Heiligem Geist erfüllten. Und jeder der Apostel  hatte begonnen, in einer je anderen Sprache bzw. Zunge zu predigen. Die Stadtbewohner Jerusalems, die multikulturell aus vielen Völkern und Ethnien kamen und verschiedenste Sprachen sprachen, waren, wie Lukas berichtet, ob des Sturmbrausens erschrocken herbei gestürzt. Und sie waren noch erschrockener, als sie die Apostel nicht nur aramäisch oder griechisch, sondern in verschiedenen, ja in ihren eigenen Muttersprachen sprechen und predigen hörten. Sie entsetzten sich über solches Wunder. Einige allerdings entlasteten sich und meinten: „Diese Apostel sind voll von süßem Wein“, also sturzbetrunken.

Dieses Pfingstwunder hatte sich 50 Tage nach Jesu Hinrichtung und Auferstehung vollzogen, genau am Schawuot-Wochenfest-Tag der Juden. Das war für die jüdische Bevölkerung fraglos ein maßloses Ärgernis. Und nun setzte Petrus auf diesen Skandal noch einen drauf: Er hielt eine öffentliche Predigt, ja eine Missionspredigt, welche nicht nur die jüdische Öffentlichkeit schwer brüskieren sollte, sondern die auch hoch gefährlich war. Er riskierte mit seinen Anwürfen Kopf und Kragen. Hören wir uns seine Pfingst-Predigt an:

Apg. 2, 22f. 32f. 36-39: (22) „Ihr Männer von Israel, hört diese Worte: Jesus von Nazareth, von Gott unter Euch ausgewiesen durch Taten und Wunder und Zeichen, die Gott durch ihn in eurer Mitte getan hat, wie ihr wisst, - (23) diesen Mann, der durch Gottes Ratschluss und Vorsehung dahingegeben war, habt ihr durch die Hand der Heiden (sc. Römer) ans Kreuz geschlagen und umgebracht… (32) Diesen Jesus hat Gott auferweckt; dessen sind wir alle Zeugen.  (33) Da er nun durch die rechte Hand Gottes erhöht ist und empfangen hat den verheißenen Heiligen Geist vom Vater, hat er diesen ausgegossen, wie ihr hier seht und hört…(36) So wisse nun das ganze Haus Israel gewiss, dass Gott diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Christus gemacht hat. (37) Als sie aber das hörten, ging’s ihnen durchs Herz, und sie sprachen zu Petrus und den anderen Aposteln: Was sollen wir tun? (38) Petrus sprach zu ihnen: Tut Buße und jeder von Euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes.  (39) Denn euch und euren Kindern gilt diese Verheißung, und allen, die fern sind, so viel der Herr, unser Gott, herzurufen wird.“

Noch vor 50 Tagen hatte Petrus aus schlotternder Angst Jesus Christus schmählich verraten: ‚Ich kenne diesen Menschen nicht, von dem ihr redet!‘ hatte er der Magd im Gerichtshof versichert, bevor der Hahn dreimal krähte. Und nun, 50 Tage später, bekannte er sich vorbehaltlos zu diesem Jesus Christus; obwohl die Situation genauso gefährlich war wie damals, da die Christen seit Ostern verfolgt und der Zersetzung des jüdischen Gesetzes angeklagt wurden.

Und nicht nur das: Petrus bezichtigte „die“ Juden und „das Haus Israel“, Jesus Christus (illegal und kriminell) ermordet zu haben. Zwar fügte er ein: Ihr habt das getan „durch die Hand der Heiden“, also der Römer. Aber der Vorwurf  blieb in voller Härte bestehen. Ja, er nahm die Römer in Schutz, um „die“ Juden noch mehr anzugreifen. Er riskierte Kopf und Kragen, denn gegen solche Beschuldigung  hätten die Juden Strafanzeige erheben können.

II.

Auf den grauenhaften Vorwurf eines Justizmordes durch die Juden, der jahrhundertelang die Judenverfolgung bis zum Holocaust begründet hat, gehe ich gleich ein. Vorher frage ich: Was hat Petrus zu solcher mutigen Missionspredigt am Schawuot-Tag bewogen? Die Antwort kann nur lauten: die Wirkung des Heiligen Geistes. „Mut zum Sein“ nannte Paul Tillich das Wesen des Heiligen Geistes. Das traf für Petrus genau zu. Seit seinem Empfang des Heiligen Geistes hatte er Mut zum Leben, zum Dasein und zum Sein insgesamt entwickelt. Eine schöpferische Lebenskraft hatte ihn ergriffen. Und vor allem: Der Heilige Geist hatte ihm seine Angst genommen. Mit seinem Bekenntnis zu Jesus Christus, der um des Reiches Gottes willen das mosaische Gesetz durchbrochen hatte und dafür ermordet worden war, hatte er mutig und angstfrei eine jüdische Strafanzeige riskiert.  Der Heilige Geist hatte ihn angst- und sorgenfrei werden lassen. Wahrscheinlich wirkte er bei ihm so, wie das Johannes-Evangelium ihn beschreibt: als ermutigender Tröster, als Gottes Hilfe und Beistand, ja als schöpferische Macht Gottes selbst.  

Und der Heilige Geist befähigte ihn zum massiven Protest: Ihr habt Jesus Christus, der von Gott gesandt war, der Taten, Wunder und Zeichen im Namen Gottes und durch Gott getan hat und der Gottes Heiligen Geist auf seine Jünger und Apostel ausgegossen hat, - diesen Jesus Christus habt ihr, ihr Juden vom Haus Israel, brutal gekreuzigt. Allerdings war das, so bekennt er mutig weiter, Gottes Plan und ihr seid nur sein Werkzeug gewesen. Aber ihr seid ein williges Werkzeug gewesen. -  Mut zum Protest ist eine Folge des Geistempfangs bei Petrus gewesen. Und solchen Mut zum Protest hatte er sicherlich auch politisch laut werden lassen.

Schöpferische Lebenskraft, Mut zum Dasein, Mut zum Christus-Bekenntnis, Angst- und Sorgenfreiheit und Mut zum öffentlichen Protest gegen Unrecht hatte der Heilige Geist in ihm gewirkt.

Solche Geisterfahrungen, liebe Christen, sollten uns zu denken geben. Unsere schöpferische Lebenskraft, unser Mut zum Dasein und unser Mut zum öffentlichen Einstehen für Recht und Gerechtigkeit sind – wenn wir sie denn haben und in uns fühlen – ein Geschenk des Heiligen Geistes Gottes. „Ihr seid ein Tempel des Heiligen Geistes, den ihr von Gott habt, so dass ihr euch nicht selbst gehört!“ (1. Kor 6, 13) ruft Paulus uns zu. Ich bitte Sie, nicht lange zu fragen und zu suchen, wie und wo ich Heiligen Geist empfangen kann, sondern in der eigenen Lebenskraft – wenn sie denn da ist – Gottes Geist zu entdecken.

III.

Jetzt komme ich aber zu Petrus Vorwurf gegen „die“ Juden. Warum in aller Welt hatte er „die“ Juden so brutal und die Römer kaum beschuldigt? Ist er Antijudaist gewesen? Ist Lukas Antijudaist gewesen? Der Heilige Geist wird auch „Geist der Wahrheit“ genannt. Traf das bei Petrus und Lukas zu? Hatten sie Wahrheiten oder Unwahrheiten verkündet?  

Petrus hatte nach diesem (legendären) Bericht in der Apostelgeschichte eine multikulturelle Hörerschaft in Jerusalem vor sich gehabt. Es waren nicht nur Juden. Aber er sprach die Juden besonders an und beschuldigte besonders sie, Jesus gekreuzigt zu haben. Deshalb kann ich, liebe Gemeinde, mich nicht der Auffassung vieler Prediger anschließen, dass Petrus und Lukas zum Ausdruck bringen wollten, dass wir Menschen alle zusammen mit unseren sündigen Verhaltensweisen Jesus Christus gekreuzigt haben und dass sie „die“ Juden nur prototypisch für die gesamte Menschheit nennen wollten. Freilich, Petrus und Lukas klagten die Schuld aller Menschen an Jesu Tod an.  Aber sie klagten eben besonders „die“ Juden als Mörder an. Deshalb sind sie m.E. vom Antijudaismus-Vorwurf nicht frei zu sprechen.  Denn die Aussage, dass „die Männer Israels durch die Hand der Heiden Jesus gekreuzigt und umgebracht“ haben, stimmt in dieser Form nicht.  Da spielte vorurteilsbesetzter Antijudaismus eine große Rolle.

Ist der Heilige Geist bei Petrus also ein „Geist der Wahrheit“ gewesen? Ich wage zu sagen: Hinsichtlich der Verurteilung der Juden nicht. Hier spielte der Zeitgeist der ersten Christen eine entscheidende Rolle. Und dieser Zeitgeist hat grauenhafte Konsequenzen für die Geschichte der Judenverfolgungen gehabt. Der antijüdische Zeitgeist hatte damals und später immer wieder den Heiligen Geist brutal vertrieben. Nicht alles, was dem Heiligen Geist zugerechnet wird, ist Heiliger Geist. Es besteht wahrscheinlich immer ein Kampf zwischen Zeitgeist und Heiligem Geist. Darauf müssen wir achten, liebe Gemeinde: Was sagt der Heilige Geist, was sagt der Zeitgeist? „Unterscheidet die Geister!“ fordert Paulus uns auf! Da müssen wir wachsam sein.

IV.

Die Predigt von Petrus endete mit dem Aufruf: „Tut Buße, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes“. (V 38) Auch ich komme mit meiner Predigt zum Schluss und erinnere mich an einen Gottesdienste in der afrikanischen Massai-Steppe, bei dem dieser Aufruf von Petrus im Mittelpunkt stand und an dem ich als Pfarrer in Weiß selbst mitgewirkt hatte. Der tanzanisch-lutherische Pfarrer legte zunächst den viergeteilten Petrus-Vers (Buße – Taufe – Sündenvergebung – Empfang des Heiligen Geistes) plastisch und eloquent aus bevor wir ihn mit denjenigen praktizierten, die getauft werden sollten: Die Buße war ein Schuldgeständnis, das die Täuflinge in glossolaler, unverständlicher Sprache abgaben. Ich hielt dabei segnend meine Hand über sie. Danach tauften wir sie im nahe gelegenen Fluss mit Unter- und Auftauchen, - als Sinnbild für Abstieg in das Reich der Sünden und Aufstieg als Gereinigte. Die Vergebung der Sünden sprachen wir jedem auf Kisuahili (oder Englisch) persönlich zu. Und der Empfang des Heiligen Geistes verlief dann wieder durch Handauflegung und beschwörende Worte: Empfange die Gaben des Heiligen Geistes. Aber jetzt folgten Riten, die mir fremd waren: Die getauften und geistbegabten Massai-Männer und  Frauen schrien laut und schrill, fielen zu Boden und standen durch Handauflegung von uns Pfarrern wieder auf. Anschließend hoben sie sich gegenseitig auf. Und eine soeben getaufte Massai-Frau ging auf ein krankes Kind zu und segnete es, um es zu heilen.

Warum diese Riten? „Der Heilige Geist muss sichtbar werden“ antwortete mir der tanzanische Pfarrer. ‚Sichtbar werden‘ überlegte ich? Ich persönlich halte es mehr mit der Stille und Verborgenheit des Heiligen Geistes, lehne aber die Riten dieser afrikanischen Pfingstler nicht ab. ‚Gottes Geist weht, wo er will.‘ Entscheidend ist, dass nicht wir meinen, ihn herbeizitieren zu können, sondern einsehen, dass Gott ihn uns schenkt.   

„Der Friede Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen!“

Amen