"Pfingstfeuer am Jakobsbrunnen" - Predigt über Johannes 4, 19-25 von Katharina Wiefel-Jenner
4,19
 
Pfingstfeuer am Jakobsbrunnen
Johannes 4, 19-25
Die Frau spricht zu ihm: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist. Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll. Jesus spricht zu ihr: Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr wisst nicht, was ihr anbetet; wir wissen aber, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden. Aber es kommt die Zeit und ist schon jetzt, in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn auch der Vater will solche Anbeter haben. Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. Spricht die Frau zu ihm: Ich weiß, dass der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn dieser kommt, wird er uns alles verkündigen. Jesus spricht zu ihr: Ich bin's, der mit dir redet.
Ihr Lieben,
was für ein Wunder! Ein einfacher Fischer erhebt seine Stimme und alle, die ihn hören, erkennen die Wahrheit. Menschen, die nicht die gleiche Sprache sprechen, verstehen einander. Die Alten, die das Träumen vergessen hatten, glauben wieder daran, dass ein anderes Leben möglich ist. Die Jungen, die gegen Mauern anrennen, entdecken, wie sich Türen öffnen. Die vor Trauer Erstarrten leben auf. Den Schuldigen wird vergeben. Die Verstummten sprechen. Die Verwirrten sehen klar. Die Bedrückten atmen auf. Die Verlassenen finden Nähe, die Ungeliebten Liebe, die Betrogenen die Wahrheit. Menschen, die einander nicht fremder sein könnten, werden eins. Was für ein Wunder hat sich da zugetragen! Gottes Geist kam wie ein Sturm und stürzte die alten Verhältnisse um. Gottes Geist loderte wie ein Feuer und verzehrte Lüge und Bosheit. Gottes Geist fegte die Zweifel weg und machte die Wahrheit sichtbar. Das war Pfingsten.
Jesu Jünger waren dabei. Alle, die zu Jesus gehörten, haben es miterlebt: Die Zwölf und Maria, Maria Magdalena, Martha, Lazarus und Jakobus und die, die nach Ostern die Angst verloren hatten und gesehen und geglaubt haben, dass der Auferstandene der Herr der Welt ist. Alle waren sie in Jerusalem.
Und was war mit denen, die Jesus schon zuvor begegnet waren? Die geheilt wurden und durch Jesus die Wahrheit erkannt und das Leben neu gewonnen haben? Waren sie auch dabei? Haben sie auch die rauschhafte Pfingsterfahrung gemacht? Und was war mit der namenlosen samaritanischen Frau vom Jakobsbrunnen, aus deren Gespräch mit Jesus wir gerade einen Abschnitt gehört haben? Hat die Samariterin das Pfingstwunder erlebt?
Sie war Samariterin. Die Samariter zog es nicht nach Jerusalem, schon gar nicht, wenn die Stadt voller Pilger war, die alle zum Tempel wollten. Der Jerusalemer Tempel war den Samaritern egal, sie hatten mit dem Garizim ihren eigenen Ort für ihre Gebete und ihre Opfer. Was sollten sie in Jerusalem bei den Juden, die sie ablehnten. Bestenfalls wurden sie von denen für ein bisschen beschränkt und rückständig gehalten, weil sie nur die Tora als Heilige Schrift für sich anerkannten. Nein, die Stadt Davids war kein Ort, an dem sie sich wohl fühlen könnten; kein Ort, bei dessen Anblick ihre Herzen höher schlugen, auf den sie Lieder anstimmten und zu dem es sie immer wieder hinzog. Mose und nicht David war ihnen wichtig. Die Samariterin, ihre Nachbarinnen und Nachbarn, der Mann, mit dem sie zusammen lebte und ihre Verwandten brauchten Jerusalem nicht für ihren Glauben. Wieso sollte die Frau vom Jakobsbrunnen zu Pfingsten also nach Jerusalem gekommen sein?
Die Gemeinde in Jerusalem wird bei ihrem rauschhaften Pfingstwunder wohl auf die Gemeinschaft mit ihr und den anderen aus der Nachbarschaft vom Jakobsbrunnen verzichtet haben. Aber liest man den Abschnitt aus dem Johannesevangelium genau, dann bedeutet dies nicht, dass die Frau vom Jakobsbrunnen kein Pfingsten gehabt hätte. Das Pfingstwunder von Jerusalem wird zwar ohne sie stattgefunden haben. Aber Pfingsten ist es für die Frau am Brunnen trotzdem geworden. Sie hat ihr Pfingsterlebnis gehabt. Sie hatte es sogar bereits vor allen anderen. Vor Petrus, vor Maria und Martha, vor Maria Magdalena, vor all den Aposteln, die nach Ostern in Jerusalem zusammen geblieben waren. Die namenlose Frau vom Jakobsbrunnen musste nicht erst wie die Jünger Kreuz und Auferstehung abwarten. Sie hatte ihr eigenes Pfingstfest als sie sich mit Jesus unterhielt. Für sie ist es in dem Gespräch am Brunnen Pfingsten geworden.
Wenn man im Johannesevangelium liest oder hört, wie der müde und durstige Jesus mit ihr spricht, scheint es zuerst so, dass die Frau ein bisschen schwer von Begriff ist. Darum kommt sie in den Überlegungen über das ihr gewidmete Kapitel im Johannesevangelium im Laufe der Kirchengeschichte auch oft schlecht weg. Es wird darüber nachgedacht, wie einfältig sie doch ist, weil sie nicht sofort merkt, mit wem sie spricht. Es wird davon geredet, wie schlicht sie ist, weil sie erst an das Brunnenwasser denkt, wenn Jesus vom Wasser des Lebens spricht. Welch Hochmut ihr gegenüber! Aber Jesus würdigt den Durst dieser Frau. Er ist durstig und sie ist durstig, aber sie beide vergessen den Durst. Ihr Durst führt sie zur Quelle des Lebens und die fließt gerade nicht im Jakobsbrunnen. Für sie werden die Worte Jesu zur Lebensquelle. Weder sie noch Jesus trinken, aber die Worte Jesu stillen ihren Durst. Die Worte Jesu geben dem Leben eine neue Richtung. Die Samariterin erkennt durch sie die Wahrheit. Erst erkennt sie, dass Jesus ein Prophet ist und als sie Jesus zuhört, versteht sie, dass sie den Geist Gottes braucht, um wirklich zu leben. Der Geist Gottes lehrt sie beten. Der Geist Gottes lehrt sie in Jesus die Wahrheit zu erkennen. Der Geist Gottes lehrt sie, Jesus als Messias Gottes anzunehmen. Der Geist Gottes lehrt sie zu verstehen, was sie wirklich braucht: Nicht nur das Wasser aus dem Brunnen, sondern auch das Wasser, das in das ewige Leben quillt; nicht nur den Mann, mit dem sie gar nicht verheiratet ist, sondern die Gemeinschaft mit denen, die Gott suchen und sich nach dem wahren Leben sehnen; nicht nur die Anbetung im Tempel, sondern die Freude über Gottes Gegenwart; nicht nur die Tora von Mose, sondern das Wort Jesu; nicht mehr den Vater Jakob, sondern den Sohn Davids.
So lässt die Frau schließlich ihren Krug am Jakobsbrunnen stehen - ohne Wasser geschöpft zu haben. Sie glaubt, bricht auf und bekehrt ihre Nachbarinnen und Nachbarn, ihre Verwandten und Freunde. Die Samariter, die keinem aus Jerusalem glauben, vertrauen auf ihr Wort hin dem Sohn Davids. Sie bekehrt mit ihrer Predigt die Menschen zu Jesus – lange bevor Petrus dies mit seiner Pfingstpredigt in Jerusalem tat. Jesu Wort erfüllt sie mit dem Heiligen Geist und sie kann predigen und wird Zeugin der Wahrheit.
Wozu muss sie dann noch am Pfingsttag in Jerusalem sein? Gottes heiliger Geist tut durch sie in Samaria das Wunder. Die Alten, die das Träumen vergessen hatten, erleben nach ihren Worten ein anderes Leben. Den Jungen öffnen sich durch ihre Worte die bisher verschlossenen Türen. Die Verzweifelten finden durch ihr Wort von Jesus Licht. Die voneinander Getrennten kommen zusammen. Die Schuldigen finden Vergebung. Die Trauer weicht. Die Liebe hat Recht. Die Wahrheit wird nicht mehr unterdrückt. Das Brot reicht für alle. Und die Welt hört die Stimme Jesu. Sein Wort bleibt. Sie alle finden den Weg, die Wahrheit und das Leben und bleiben dabei.
Was für ein Wunder! Das war Pfingsten am Jakobsbrunnen. So wurde auch Pfingsten in Jerusalem, auch in Damaskus, in Antiochia, Korinth, Rom, Wittenberg. So wird Pfingsten in aller Welt, auch in (Ort, an dem diese Predigt gehalten wird). Was für ein Wunder! Pfingsten gestern, heute und in Ewigkeit. Amen.
Perikope
20.05.2013
4,19