Pfingstliche Lebenskraft - Predigt zu Röm 8,1-2.10-11 von Stefan Knobloch
8,1-2.10-11

Pfingstliche Lebenskraft - Predigt zu Röm 8,1-2.10-11 von Stefan Knobloch

Pfingstliche Lebenskraft

Vielleicht verbinden wir mit dem Pfingstfest eher das lärmende Ereignis des Kommens des Heiligen Geistes in Sturm und Feuerzungen, von dem die Apostelgeschichte spricht. Es erfasst die Menschen, nicht nur die Apostel. Die Menschen verstehen mit einem Mal in ihren ganz unterschiedlichen religiös-kulturellen Lebenskontexten die Botschaft der Apostel von der Auferstehung des Herrn. Und sie wundern sich, dass sie sie verstehen, dass sie überhaupt bis zu ihnen vorbringt und nicht unverstanden abprallt.

Diese Erfahrung stellt das eigentliche Wunder von Pfingsten dar! Wir hätten das Wunder in seiner Bedeutung nur halb erkannt, würden wir es lediglich als Sprachenwunder deuten. Nein, es handelte sich um ein vom Geist Gottes geschenktes sozusagen  „hermeneutisches“ Verstehenswunder. Die Menschen verstehen die Botschaft der Apostel, sie konnten sie dem eigenen Leben, den eigenen Lebensfragen und Lebenserfahrungen zuordnen. Dieses Ereignis war, wie wir verkürzt, aber durchaus mit einer gewissen Berechtigung sagen können, die Geburtsstunde der Kirche.

Wie gesagt, vielleicht verbinden wir Pfingsten vor allem mit dem Sturm und den Feuerzungen, eine Sichtweise, die wir in ihrer Berechtigung in keiner Weise abschwächen wollen. Daneben aber können wir Pfingsten auch unter einem anderen, ruhigeren Horizont sehen, an den uns die Lesung aus Röm 8,1-2;10-11 heranführt. Das, wovon diese Lesung spricht, hat es gleichwohl schwer, bei uns anzukommen, ja, in seinem pfingstlichen Charakter erkannt zu werden. Ihre theologisch-theoretisch anmutende Gedankenführung erschließt sich nicht gleich auf den ersten Blick. Aber zuletzt könnte sie uns möglicherweise mehr bringen als Sturm und Feuerzungen.

Unmittelbar vor unserer Lesung bündelt Paulus seine Gedanken in einem Satz, an dem wir anknüpfen müssen, um das Folgende zu verstehen. In dem Satz dankt Paulus Gott dafür, dass er – und er spricht nicht nur für seine eigene Person, sondern für die Erfahrung des Christen generell -, dass er mit seiner Urteilskraft, mit Verstand und Wille dem Gesetz Gottes diene. In einer spannungsreichen Paradoxie aber mache er gleichzeitig die Erfahrung, dass er auch dem Gesetz der Sünde zu diene. Dabei sind das für Paulus – und das ist ganz entscheidend – keine gleichgewichtigen, gleichwertigen Größen. Paulus sieht es so: Von Gott her ist die Situation so, dass Gott uns gewissermaßen zuruft: Macht euch keine Sorgen! Über eurem Leben hängt kein Damoklesschwert göttlicher Verurteilung!

Wollten wir bei Paulus hier den Unterton heraushören, ein solches Damoklesschwert sei erst durch das Erlösungswerk Christi aus der Welt geschafft worden, dann wäre es an der Zeit, hier eine deutliche Korrektur vorzunehmen. Denn von Gott her hing, um dieses Bild noch einmal zu bemühen, wohl zu keiner Zeit das Damoklesschwert der Verurteilung über der Menschheit. Gottes Absichten waren von Grund auf und von Anfang an andere. Es war die Gottesblindheit der Menschheit, die auf den Gedanken einer Verurteilung durch Gott kam. Paulus seinerseits schränkt übrigens den Ausschluss der Verurteilung nicht auf die ein, „welche in Christus Jesus sind“. Als betreffe das nur eine kleine Gruppe. Man könnte das bei ihm heraushören. Tatsächlich spricht alles dafür, dass sich für Paulus in Christus Jesus nur in letzter Deutlichkeit Bahn bricht, was bereits aus der Tat der Schöpfung durch Gott hervorgeht: die freie Selbstmitteilung Gottes an Schöpfung und Menschheit. Bei Gott spielen andere Dimensionen eine Rolle als das Szenario einer Verurteilung.

Ganz im Sinn dieser Gedankenrichtung sagt Paulus: Das Gesetz des Geistes des Lebens hat dich in Jesus Christus freigemacht. Er sagt das wie in einem Dialoggespräch mit jedermann. Gott hat dich freigemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes. In Jesus Christus kam damit etwas zur Vollendung, trat es in letzter Klarheit in Erscheinung – nicht unähnlich der Verklärung auf dem Berg Tabor, die die Jünger freilich verwirrt und sprachlos zurückließ -, das die Menschen im Glauben aufgreifen, bejahen und zur Grundlage ihres Lebens machen. Sie leben aus der Glaubensgewissheit, dass ihr Leben in Jesus Christus und in seinem Geiste gründet.

In dieser Orientierung am Gesetz des Lebens, am Gesetz der Freiheit werden wir im Prinzip das Bleigewicht der Sünde und des Todes los. Sünde und Tod sind noch da, ja sie sind unübersehbar da, wie wir in unseren Tagen allenthalben wahrnehmen in Gestalt von Gewaltexzessen, Unterdrückung, Menschenverachtung, Missbrauch und Hass. Aber sie haben, bei aller drückenden Last, ihr Bleigewicht verloren. Wobei wir natürlich sagen müssen, was Paulus offenbar anders sah, dass der Tod, der natürliche Tod des Menschen nicht der Lohn der Sünde ist, sondern zum natürlichen Leben gehört.

Vom Gesetz des Geistes des Lebens in Jesus Christus spricht Paulus. Nur, wo hat es seinen Ort? Wo wird es in der Realität greifbar? Wo begegnet man ihm? In der Beantwortung dieser Frage zieht Paulus den Kreis enger, er rückt uns gewissermaßen auf den Leib: Der Geist, das Leben in Christus ist in uns! „Wenn Christus in euch ist,“ so bringt Paulus seinen Gedanken auf den Punkt, dann leidet ihr zwar weiter an den tödlichen Strukturen der Sünde, aber in euch ist eine andere Lebenskraft, die pfingstliche Lebenskraft des Geistes am Werk. In euch wohnt das Leben, der Atem Gottes, der Jesus von den Toten auferweckt hat. Er schafft beiseite, er überwindet die Todeszonen, die tödlichen Strukturen unseres Lebens. Und dies sowohl in unserem privaten, beruflichen, gesellschaftlichen Bereich wie im Bereich der globalen Herausforderungen unserer Zeit. Und zu guter Letzt im Bereich unseres natürlichen Todes. Unsere gesamte Existenz steht unter dem Gesetz des Lebens, es ist das Leben, das wir Gott nennen.

Inwiefern aber sind diese Gedanken des Paulus pfingstliche Gedanken? Womöglich gar Gedanken, die uns zuletzt mehr berühren als das pfingstliche Brausen und die pfingstlichen Feuerzungen? Ohne Frage verlangt uns Paulus einiges ab. Er zeigt uns nämlich einen Weg auf, der uns mit dem Gedanken konfrontiert, dass Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist in uns selber wohnen. Christus wohnt in euch (Röm 8,10). Der Heilige Geist in euch wohnt (Röm 8,11). Der Geist dessen, der Jesus von den Toten erweckt hat, also Gott, der Vater (Röm 8,11), wohnt in euch!

Wie berührt uns das? Empfinden wir Gott als ungebetenen Untermieter? Dem wir am liebsten kündigen wollen? Und zwar mit der Begründung: Wir wollen ungestört leben? Wir wollen aus unserem Leben etwas machen? Wir wollen von unserem Leben etwas haben? In unserer Lebensroutine will uns Paulus ins Stolpern bringen. Er will uns nachdenklich machen. Ob wir nicht in der Tat  aus der Orientierung unseres Lebens an Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist mitten in unserem Leben die Tür aufstoßen zu einem Leben in Fülle (Joh 10,10)? Nehmen wir es als pfingstlichen Denk- und Lebensanstoß.